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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

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Staat und Handel

Familie gelernt haben, wie man mit Kindern, die einen eigenen Hausstand
gründen, umgeht, um sie nicht zu verlieren. Vor allem muß er sie nicht als Kinder,
sondern als erwachsene Menschen behandeln, die sie sind. An Stelle der Eltern¬
liebe tritt die Freundschaft gleichwertiger, denkender Menschen. Des Heimat¬
landes Post, Eisenbahn, Dampfer müssen nirgends andershin so billig den
Verkehr aufrecht erhalten wie zu den eigenen Kolonien, so daß diese gar nicht
in die Verlegenheit kommen, anderen Verkehr zu suchen. Sein Militär, seine
Flotte muß sie schützen -- und doch müssen sie selbständig sein und nichts dem
Elternhause an Abgaben zu entrichten brauchen. Nicht einmal Dankbarkeit darf
der vernünftige Vater fordern; er bekommt sie, wenn er nicht fordert. Aber
was sie draußen auf ihrem Stück Land ernten, ums sie draußen mit ihrer
Hände und mit ihrer Gedanken Arbeit schaffen, muß im Mutterlande ihnen die
besten Absatzquellen eröffnen; was ihnen draußen fehlt, müssen sie nirgends besser
und billiger bekommen als im Heimatlande. Da ist der Handelsstand wieder
an seinem Platze, und wenn er frei seine Flügel regen darf, die sein alter
Schutzgott an Kopf und Füßen trägt, so weiß er auch den richtigen Flug zu
nehmen und die richtigen Wege zu weisen.

Die hier niedergelegten Grundlinien von Staat und Handel, die sich so
leicht im täglichen Auf und Ab der Welt verwischen, sind wie Runen in der
Geschichte eingegraben, nicht in der Geschichte von Königsgeschlcchtern, sondern
in der Handelsgeschichte. -- Der Staat ist das Volk, und eine lediglich agrarische
Bedürfnisse berücksichtigende Gesetzgebung ist eine künstliche, unnatürliche Gesetz¬
gebung, die ihre schweren Folgen wie eine schwere Krankheit über das Volk
verbreiten muß, bis es zur Operation kommt. Henry Thomas Buckle sagt:
"Man sollte sich erinnern, was eine Generation als eine Gunst verlangte, das
fordert die nächste als ein Recht. Und wenn das Recht hartnäckig abgeschlagen
wird, so ist immer eins von beiden eingetreten: entweder die Nation ist zurück¬
gegangen oder das Volk hat sich empört."




Staat und Handel

Familie gelernt haben, wie man mit Kindern, die einen eigenen Hausstand
gründen, umgeht, um sie nicht zu verlieren. Vor allem muß er sie nicht als Kinder,
sondern als erwachsene Menschen behandeln, die sie sind. An Stelle der Eltern¬
liebe tritt die Freundschaft gleichwertiger, denkender Menschen. Des Heimat¬
landes Post, Eisenbahn, Dampfer müssen nirgends andershin so billig den
Verkehr aufrecht erhalten wie zu den eigenen Kolonien, so daß diese gar nicht
in die Verlegenheit kommen, anderen Verkehr zu suchen. Sein Militär, seine
Flotte muß sie schützen — und doch müssen sie selbständig sein und nichts dem
Elternhause an Abgaben zu entrichten brauchen. Nicht einmal Dankbarkeit darf
der vernünftige Vater fordern; er bekommt sie, wenn er nicht fordert. Aber
was sie draußen auf ihrem Stück Land ernten, ums sie draußen mit ihrer
Hände und mit ihrer Gedanken Arbeit schaffen, muß im Mutterlande ihnen die
besten Absatzquellen eröffnen; was ihnen draußen fehlt, müssen sie nirgends besser
und billiger bekommen als im Heimatlande. Da ist der Handelsstand wieder
an seinem Platze, und wenn er frei seine Flügel regen darf, die sein alter
Schutzgott an Kopf und Füßen trägt, so weiß er auch den richtigen Flug zu
nehmen und die richtigen Wege zu weisen.

Die hier niedergelegten Grundlinien von Staat und Handel, die sich so
leicht im täglichen Auf und Ab der Welt verwischen, sind wie Runen in der
Geschichte eingegraben, nicht in der Geschichte von Königsgeschlcchtern, sondern
in der Handelsgeschichte. — Der Staat ist das Volk, und eine lediglich agrarische
Bedürfnisse berücksichtigende Gesetzgebung ist eine künstliche, unnatürliche Gesetz¬
gebung, die ihre schweren Folgen wie eine schwere Krankheit über das Volk
verbreiten muß, bis es zur Operation kommt. Henry Thomas Buckle sagt:
„Man sollte sich erinnern, was eine Generation als eine Gunst verlangte, das
fordert die nächste als ein Recht. Und wenn das Recht hartnäckig abgeschlagen
wird, so ist immer eins von beiden eingetreten: entweder die Nation ist zurück¬
gegangen oder das Volk hat sich empört."




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[0265] Staat und Handel Familie gelernt haben, wie man mit Kindern, die einen eigenen Hausstand gründen, umgeht, um sie nicht zu verlieren. Vor allem muß er sie nicht als Kinder, sondern als erwachsene Menschen behandeln, die sie sind. An Stelle der Eltern¬ liebe tritt die Freundschaft gleichwertiger, denkender Menschen. Des Heimat¬ landes Post, Eisenbahn, Dampfer müssen nirgends andershin so billig den Verkehr aufrecht erhalten wie zu den eigenen Kolonien, so daß diese gar nicht in die Verlegenheit kommen, anderen Verkehr zu suchen. Sein Militär, seine Flotte muß sie schützen — und doch müssen sie selbständig sein und nichts dem Elternhause an Abgaben zu entrichten brauchen. Nicht einmal Dankbarkeit darf der vernünftige Vater fordern; er bekommt sie, wenn er nicht fordert. Aber was sie draußen auf ihrem Stück Land ernten, ums sie draußen mit ihrer Hände und mit ihrer Gedanken Arbeit schaffen, muß im Mutterlande ihnen die besten Absatzquellen eröffnen; was ihnen draußen fehlt, müssen sie nirgends besser und billiger bekommen als im Heimatlande. Da ist der Handelsstand wieder an seinem Platze, und wenn er frei seine Flügel regen darf, die sein alter Schutzgott an Kopf und Füßen trägt, so weiß er auch den richtigen Flug zu nehmen und die richtigen Wege zu weisen. Die hier niedergelegten Grundlinien von Staat und Handel, die sich so leicht im täglichen Auf und Ab der Welt verwischen, sind wie Runen in der Geschichte eingegraben, nicht in der Geschichte von Königsgeschlcchtern, sondern in der Handelsgeschichte. — Der Staat ist das Volk, und eine lediglich agrarische Bedürfnisse berücksichtigende Gesetzgebung ist eine künstliche, unnatürliche Gesetz¬ gebung, die ihre schweren Folgen wie eine schwere Krankheit über das Volk verbreiten muß, bis es zur Operation kommt. Henry Thomas Buckle sagt: „Man sollte sich erinnern, was eine Generation als eine Gunst verlangte, das fordert die nächste als ein Recht. Und wenn das Recht hartnäckig abgeschlagen wird, so ist immer eins von beiden eingetreten: entweder die Nation ist zurück¬ gegangen oder das Volk hat sich empört."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/265>, abgerufen am 29.12.2024.