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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

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Staat und Handel

die den Überfluß des Hinterlandes in sich aufsaugen und denselben durch
Segelschiffahrt auf die Welt verteilen, anderseits wieder das Hinterland
mit dem versorgen, was es selbst nicht hervorbringen kann und doch
bedarf.

In den Dienst des Handelsstandes traten dann die Dampfkraft mit Dampf¬
schiff, Eisenbahn, Dampfmühlen, Dampfmaschinen usw., dann die elektrische Kraft
mit Telegraph und Telephon. Der Handel machte sich zunächst diese Kräfte
dienstbar. Diese Kräfte aber waren so mächtig, daß sie bald umgekehrt sich
den Handel dienstbar machten und ihn mehr und mehr in andere Bahnen
trieben. So ist es gekommen, daß die Macht und Bedeutung der Hafenstädte
aufgehört hat. Die Binnenstädte, durch Eisenbahnnetze mit der ganzen Welt
verbunden, bedürfen der Hafenstadt kaum mehr, höchstens noch als Speditions¬
und Umschlagsplatz. Telegraph und Telephon haben die Menschen fremder
Nationen so nahe aneinander gerückt, daß es keine Entfernung mehr gibt, daß
die Zeit nur uoch uach Sekunden rechnet, daß Marktberichte und Börsenberichte
und Ernteinformationen in kürzester Zeit überallhin verbreitet sind -- und
naturgemäß Verdienste heruntergedrückt werden. Spekulationen sind davon eine
unausbleibliche Folge. Spekulationen sind zwar durchaus berechtigt und sogar
wünschenswert, wenn es sich nur um Anhäufungen oder Aufkäufe tatsächlich
bestehender Waren handelt. Sobald es sich nur um ein Spiel mit Markt¬
preisen handelt, bei welchem nur die jeweilige Differenz zur Auszahlung gelangt,
hat es natürlich mit dem Handelsstande ebensowenig zu tun wie die dem Zufall
gehorchende Kugel der Roulette. -- In demselben Maße, wie die pekuniären
Verdienste des Handelsstandes so beschränkt wurden, erleichterten aber die großen
Fortschritte der Technik den Verkehr. Unausbleibliche Folgen des erleichterten
Verkehrs sind die Vereinigungen zu Genossenschaften, Einkaufsgesellschaften,
Beamtenversorgungszentralen usw., ebenso Konzentration des Kapitals in Gro߬
banken. Eine weitere Folge hiervon ist die Teilung großer Banken in unzählige
Filialen und Kreditgeben an kleinere Kundschaft. All dieses hat jedoch den
Gang des Handels nicht so stark beeinflußt wie das Abschließen großer Staaten
durch Schutzzölle. Die Handelswelt suchte einen Ersatz für die geringer werdenden
Verdienste für das reine Umsatzgeschäft und fand diesen Ersatz in der Erschließung
neuer Absatzgebiete und in der Schaffung von einheimischen Gewerbe und ein¬
heimischer Industrie. Aber es wurde Gewerbe und Industrie schwer gemacht,
sich gegen die Konkurrenz des Auslandes zu behaupten. Da kam die
Staatsorganisation ihnen mit dem Schutzzoll zu Hilfe. Ein Schutzzoll
auf Produkte von Gewerbe und Industrie ist auch stets berechtigt,
da diese beiden auf Funktionen der menschlichen Gehirne beruhen und
infolgedessen Sache der Menschen, des Volkes, des Staates sind. Die
Allgemeinheit der Kaufleute hat auch gerne mitgeholfen und Opfer gebracht
und es mit Hilfe des Staates erreicht, daß die Konkurrenzfähigkeit her¬
gestellt ist.


Grenzboten III 1911 32
Staat und Handel

die den Überfluß des Hinterlandes in sich aufsaugen und denselben durch
Segelschiffahrt auf die Welt verteilen, anderseits wieder das Hinterland
mit dem versorgen, was es selbst nicht hervorbringen kann und doch
bedarf.

In den Dienst des Handelsstandes traten dann die Dampfkraft mit Dampf¬
schiff, Eisenbahn, Dampfmühlen, Dampfmaschinen usw., dann die elektrische Kraft
mit Telegraph und Telephon. Der Handel machte sich zunächst diese Kräfte
dienstbar. Diese Kräfte aber waren so mächtig, daß sie bald umgekehrt sich
den Handel dienstbar machten und ihn mehr und mehr in andere Bahnen
trieben. So ist es gekommen, daß die Macht und Bedeutung der Hafenstädte
aufgehört hat. Die Binnenstädte, durch Eisenbahnnetze mit der ganzen Welt
verbunden, bedürfen der Hafenstadt kaum mehr, höchstens noch als Speditions¬
und Umschlagsplatz. Telegraph und Telephon haben die Menschen fremder
Nationen so nahe aneinander gerückt, daß es keine Entfernung mehr gibt, daß
die Zeit nur uoch uach Sekunden rechnet, daß Marktberichte und Börsenberichte
und Ernteinformationen in kürzester Zeit überallhin verbreitet sind — und
naturgemäß Verdienste heruntergedrückt werden. Spekulationen sind davon eine
unausbleibliche Folge. Spekulationen sind zwar durchaus berechtigt und sogar
wünschenswert, wenn es sich nur um Anhäufungen oder Aufkäufe tatsächlich
bestehender Waren handelt. Sobald es sich nur um ein Spiel mit Markt¬
preisen handelt, bei welchem nur die jeweilige Differenz zur Auszahlung gelangt,
hat es natürlich mit dem Handelsstande ebensowenig zu tun wie die dem Zufall
gehorchende Kugel der Roulette. — In demselben Maße, wie die pekuniären
Verdienste des Handelsstandes so beschränkt wurden, erleichterten aber die großen
Fortschritte der Technik den Verkehr. Unausbleibliche Folgen des erleichterten
Verkehrs sind die Vereinigungen zu Genossenschaften, Einkaufsgesellschaften,
Beamtenversorgungszentralen usw., ebenso Konzentration des Kapitals in Gro߬
banken. Eine weitere Folge hiervon ist die Teilung großer Banken in unzählige
Filialen und Kreditgeben an kleinere Kundschaft. All dieses hat jedoch den
Gang des Handels nicht so stark beeinflußt wie das Abschließen großer Staaten
durch Schutzzölle. Die Handelswelt suchte einen Ersatz für die geringer werdenden
Verdienste für das reine Umsatzgeschäft und fand diesen Ersatz in der Erschließung
neuer Absatzgebiete und in der Schaffung von einheimischen Gewerbe und ein¬
heimischer Industrie. Aber es wurde Gewerbe und Industrie schwer gemacht,
sich gegen die Konkurrenz des Auslandes zu behaupten. Da kam die
Staatsorganisation ihnen mit dem Schutzzoll zu Hilfe. Ein Schutzzoll
auf Produkte von Gewerbe und Industrie ist auch stets berechtigt,
da diese beiden auf Funktionen der menschlichen Gehirne beruhen und
infolgedessen Sache der Menschen, des Volkes, des Staates sind. Die
Allgemeinheit der Kaufleute hat auch gerne mitgeholfen und Opfer gebracht
und es mit Hilfe des Staates erreicht, daß die Konkurrenzfähigkeit her¬
gestellt ist.


Grenzboten III 1911 32
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[0261] Staat und Handel die den Überfluß des Hinterlandes in sich aufsaugen und denselben durch Segelschiffahrt auf die Welt verteilen, anderseits wieder das Hinterland mit dem versorgen, was es selbst nicht hervorbringen kann und doch bedarf. In den Dienst des Handelsstandes traten dann die Dampfkraft mit Dampf¬ schiff, Eisenbahn, Dampfmühlen, Dampfmaschinen usw., dann die elektrische Kraft mit Telegraph und Telephon. Der Handel machte sich zunächst diese Kräfte dienstbar. Diese Kräfte aber waren so mächtig, daß sie bald umgekehrt sich den Handel dienstbar machten und ihn mehr und mehr in andere Bahnen trieben. So ist es gekommen, daß die Macht und Bedeutung der Hafenstädte aufgehört hat. Die Binnenstädte, durch Eisenbahnnetze mit der ganzen Welt verbunden, bedürfen der Hafenstadt kaum mehr, höchstens noch als Speditions¬ und Umschlagsplatz. Telegraph und Telephon haben die Menschen fremder Nationen so nahe aneinander gerückt, daß es keine Entfernung mehr gibt, daß die Zeit nur uoch uach Sekunden rechnet, daß Marktberichte und Börsenberichte und Ernteinformationen in kürzester Zeit überallhin verbreitet sind — und naturgemäß Verdienste heruntergedrückt werden. Spekulationen sind davon eine unausbleibliche Folge. Spekulationen sind zwar durchaus berechtigt und sogar wünschenswert, wenn es sich nur um Anhäufungen oder Aufkäufe tatsächlich bestehender Waren handelt. Sobald es sich nur um ein Spiel mit Markt¬ preisen handelt, bei welchem nur die jeweilige Differenz zur Auszahlung gelangt, hat es natürlich mit dem Handelsstande ebensowenig zu tun wie die dem Zufall gehorchende Kugel der Roulette. — In demselben Maße, wie die pekuniären Verdienste des Handelsstandes so beschränkt wurden, erleichterten aber die großen Fortschritte der Technik den Verkehr. Unausbleibliche Folgen des erleichterten Verkehrs sind die Vereinigungen zu Genossenschaften, Einkaufsgesellschaften, Beamtenversorgungszentralen usw., ebenso Konzentration des Kapitals in Gro߬ banken. Eine weitere Folge hiervon ist die Teilung großer Banken in unzählige Filialen und Kreditgeben an kleinere Kundschaft. All dieses hat jedoch den Gang des Handels nicht so stark beeinflußt wie das Abschließen großer Staaten durch Schutzzölle. Die Handelswelt suchte einen Ersatz für die geringer werdenden Verdienste für das reine Umsatzgeschäft und fand diesen Ersatz in der Erschließung neuer Absatzgebiete und in der Schaffung von einheimischen Gewerbe und ein¬ heimischer Industrie. Aber es wurde Gewerbe und Industrie schwer gemacht, sich gegen die Konkurrenz des Auslandes zu behaupten. Da kam die Staatsorganisation ihnen mit dem Schutzzoll zu Hilfe. Ein Schutzzoll auf Produkte von Gewerbe und Industrie ist auch stets berechtigt, da diese beiden auf Funktionen der menschlichen Gehirne beruhen und infolgedessen Sache der Menschen, des Volkes, des Staates sind. Die Allgemeinheit der Kaufleute hat auch gerne mitgeholfen und Opfer gebracht und es mit Hilfe des Staates erreicht, daß die Konkurrenzfähigkeit her¬ gestellt ist. Grenzboten III 1911 32

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/261>, abgerufen am 04.01.2025.