Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.Pilcitnswcindernngen im sechzehnten Jahrhundert wie er, angeregt durch die Erzählungen des Volkes von den Wundern des Fichtel¬ In noch höherem Grade mochten die Alpen mit ihren gewaltigen Berg¬ Es bedürfte schon starker Anreizungen, um den Schrecken dieser Einöden In derSchweiz galt von jeher der Frackmünd oderPilatus, wie er schon am Ende Pilcitnswcindernngen im sechzehnten Jahrhundert wie er, angeregt durch die Erzählungen des Volkes von den Wundern des Fichtel¬ In noch höherem Grade mochten die Alpen mit ihren gewaltigen Berg¬ Es bedürfte schon starker Anreizungen, um den Schrecken dieser Einöden In derSchweiz galt von jeher der Frackmünd oderPilatus, wie er schon am Ende <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0227" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/319176"/> <fw type="header" place="top"> Pilcitnswcindernngen im sechzehnten Jahrhundert</fw><lb/> <p xml:id="ID_1380" prev="#ID_1379"> wie er, angeregt durch die Erzählungen des Volkes von den Wundern des Fichtel¬<lb/> berges, in jungen Jahren durch dichte, pfadlose Wälder und über Felstrümmer<lb/> bis zu dieser Höhe vordrang (Grenzboten 1906, Heft 15: „Der Fichtelberg".<lb/> Kulturgeographische Bilder von Julius Pistor). Wir wissen auch, daß auf dem<lb/> verrufenen Brocken schon im Mittelalter allerlei friedlose Leute Unterschlupf<lb/> fanden, daß Noßhirten und Holzgänger längst den Berg bestiegen hatten, bevor<lb/> um das Jahr 1560 der Kartograph Tielemann Stoltz (stelln) und etwa anderthalb<lb/> Jahrzehnte nach ihm Johannes Thal, der Verfasser der „I^Ivra t^lere^illae", den<lb/> Brockengipfel zu wissenschaftlichen Zwecken besuchten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1381"> In noch höherem Grade mochten die Alpen mit ihren gewaltigen Berg¬<lb/> massen und schaurigen Einöden die Phantasie des Volkes reizen: feuerschnaubende<lb/> Drachen hausten in den Schluchten, tückische Erdmännlein in den Klüften, und<lb/> greuliche Lindwürmer ringelten sich in den Morasten. Es mußten daher schon<lb/> herzhafte Leute sein, die es wagten, in diese Bergwildnis vorzudringen. Gegen<lb/> das Ende des elften Jahrhunderts hatten sich einige Klausner auf dem Boden<lb/> des heutigen Berchtesgaden niedergelassen, entschlossen, an dieser Stätte fern<lb/> von der Unruhe der Welt ein rauhes Leben voller Entbehrungen zu führen.<lb/> Aber selbst diese Männer fanden, wie eine alte Klosterurkunde sagt, die Einöde<lb/> ringsum entsetzlich, das Dunkel der Wälder schaurig, die Winterkälte furchtbar,<lb/> die Schneemassen erdrückend und die beständige Furcht vor den in den Schluchten<lb/> hausenden wilden Tieren und scheußlichen Drachen so unerträglich, daß sie dem<lb/> ungastlichen Tale den Rücken kehrten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1382"> Es bedürfte schon starker Anreizungen, um den Schrecken dieser Einöden<lb/> zu trotzen; das war besonders die Jagdleidenschaft und die Geldgier. So ver¬<lb/> suchten nach dem Bericht der Chronik von Novalese im Beginn des elften Jahr¬<lb/> hunderts zwei Landleute, einen in der Nähe dieses Klosters gelegenen, fast<lb/> unzugänglichen Berg zu ersteigen, denn dort sollte es Bären, Steinböcke, Gemsen<lb/> und allerlei anderes jagdbares Getier in Menge geben, und dort hatte auch,<lb/> wie das Volk sich erzählte, in grauen Zeiten ein König seinen unermeßlich reichen<lb/> Schatz vergraben. Schon waren die beiden Wanderer dicht unterhalb des<lb/> Gipfels angelangt, da zog sich schwarzes Gewölk über ihren Häuptern zusammen<lb/> und es wurde mit einem Male stockdunkel um sie. Erschrocken eilten sie hinab<lb/> ans dem unheimlichen Revier, zumal sie noch wahrzunehmen vermeinten, daß<lb/> von oben Steine hinter ihnen her geworfen wurden. Nur mit Mühe und Not<lb/> kamen sie im Tale an. Nicht besser erging es um dieselbe Zeit etwa dem geld¬<lb/> gierigen Markgrafen Harduin von Turin, als er, begleitet von einigen Geist¬<lb/> lichen mit Weihwasser, Kreuzen und Fahnen, den Schatz auf der Bergeshöhe<lb/> zu heben versuchte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1383" next="#ID_1384"> In derSchweiz galt von jeher der Frackmünd oderPilatus, wie er schon am Ende<lb/> des Mittelalters häufiger genannt wurde, als einer der unheimlichsten Gipfel.<lb/> „Der führt", sagt Albrecht v. Bonstetten, der Verfasser der ältesten Beschreibung<lb/> der Schweiz, „ungestüme Gewitter, und mit seinen rauhen, scharfen Ecken ist</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0227]
Pilcitnswcindernngen im sechzehnten Jahrhundert
wie er, angeregt durch die Erzählungen des Volkes von den Wundern des Fichtel¬
berges, in jungen Jahren durch dichte, pfadlose Wälder und über Felstrümmer
bis zu dieser Höhe vordrang (Grenzboten 1906, Heft 15: „Der Fichtelberg".
Kulturgeographische Bilder von Julius Pistor). Wir wissen auch, daß auf dem
verrufenen Brocken schon im Mittelalter allerlei friedlose Leute Unterschlupf
fanden, daß Noßhirten und Holzgänger längst den Berg bestiegen hatten, bevor
um das Jahr 1560 der Kartograph Tielemann Stoltz (stelln) und etwa anderthalb
Jahrzehnte nach ihm Johannes Thal, der Verfasser der „I^Ivra t^lere^illae", den
Brockengipfel zu wissenschaftlichen Zwecken besuchten.
In noch höherem Grade mochten die Alpen mit ihren gewaltigen Berg¬
massen und schaurigen Einöden die Phantasie des Volkes reizen: feuerschnaubende
Drachen hausten in den Schluchten, tückische Erdmännlein in den Klüften, und
greuliche Lindwürmer ringelten sich in den Morasten. Es mußten daher schon
herzhafte Leute sein, die es wagten, in diese Bergwildnis vorzudringen. Gegen
das Ende des elften Jahrhunderts hatten sich einige Klausner auf dem Boden
des heutigen Berchtesgaden niedergelassen, entschlossen, an dieser Stätte fern
von der Unruhe der Welt ein rauhes Leben voller Entbehrungen zu führen.
Aber selbst diese Männer fanden, wie eine alte Klosterurkunde sagt, die Einöde
ringsum entsetzlich, das Dunkel der Wälder schaurig, die Winterkälte furchtbar,
die Schneemassen erdrückend und die beständige Furcht vor den in den Schluchten
hausenden wilden Tieren und scheußlichen Drachen so unerträglich, daß sie dem
ungastlichen Tale den Rücken kehrten.
Es bedürfte schon starker Anreizungen, um den Schrecken dieser Einöden
zu trotzen; das war besonders die Jagdleidenschaft und die Geldgier. So ver¬
suchten nach dem Bericht der Chronik von Novalese im Beginn des elften Jahr¬
hunderts zwei Landleute, einen in der Nähe dieses Klosters gelegenen, fast
unzugänglichen Berg zu ersteigen, denn dort sollte es Bären, Steinböcke, Gemsen
und allerlei anderes jagdbares Getier in Menge geben, und dort hatte auch,
wie das Volk sich erzählte, in grauen Zeiten ein König seinen unermeßlich reichen
Schatz vergraben. Schon waren die beiden Wanderer dicht unterhalb des
Gipfels angelangt, da zog sich schwarzes Gewölk über ihren Häuptern zusammen
und es wurde mit einem Male stockdunkel um sie. Erschrocken eilten sie hinab
ans dem unheimlichen Revier, zumal sie noch wahrzunehmen vermeinten, daß
von oben Steine hinter ihnen her geworfen wurden. Nur mit Mühe und Not
kamen sie im Tale an. Nicht besser erging es um dieselbe Zeit etwa dem geld¬
gierigen Markgrafen Harduin von Turin, als er, begleitet von einigen Geist¬
lichen mit Weihwasser, Kreuzen und Fahnen, den Schatz auf der Bergeshöhe
zu heben versuchte.
In derSchweiz galt von jeher der Frackmünd oderPilatus, wie er schon am Ende
des Mittelalters häufiger genannt wurde, als einer der unheimlichsten Gipfel.
„Der führt", sagt Albrecht v. Bonstetten, der Verfasser der ältesten Beschreibung
der Schweiz, „ungestüme Gewitter, und mit seinen rauhen, scharfen Ecken ist
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