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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

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Nationale Gcivertschafton

Unterdrücken wir sie, versuchen wir es wenigstens, so wird es uns nur gelingen,
die gesunde zu unterdrücken, die ungesunde wird wachsen. Das haben doch die
letzten Jahrzehnte deutlich genug gezeigt. Nein, wir müssen die politische
Arbeiterbewegung, die an und für sich etwas ganz Natürliches und darum auch
Gesundes ist, nicht unterdrücken, sondern sie fördern, und das kann nur geschehen
durch eine nationale Arbeiterpartei. Das ist keine "Politik der Rücksichtnahme
und Ängstlichkeit", das ist nur eine Politik der Klugheit. Gewiß, haben wir
erst eine starke nationale Arbeiterpartei, so werden die Kämpfe im politischen
Leben nicht aufhören, aber sie werden sich nicht mehr auf denselben gefährlichen
Bahnen bewegen wie jetzt, wo wir gegen eine revolutionäre Arbeiterpartei zu
kämpfen haben. Kämpfe wird es auch geben, aber nur der Art, wie z. B. zwischen
Konservativen und Liberalen augenblicklich; eine gute Strecke wird man auch
zusammengehen können, was jetzt einfach unmöglich ist, will man nicht in eine
gefährliche Abhängigkeit geraten, wie es in Baden z. B. gekommen ist. "Damit
betreten wir das politische Gebiet", das hält Herr Roeder für einen Schaden,
für eine Gefahr. In wirtschaftlicher Beziehung soll die nationale Arbeiter¬
bewegung der sozialdemokratischen das Feld streitig machen, in politischer soll sie
es räumen. Das ist grundverkehrt. Auf diese Weise werden wir nie
weiterkommen.

Herr Roeder fragt weiter: "Würde nun eine nationale Arbeiterpartei etwas
ausrichten? Ein Nein ist die Antwort. Einmal bliebe sie numerisch bedeutungs¬
los." Warum, das will mir nicht in den Sinn. Es gibt viele, sehr viele
Arbeiter, die sofort der Sozialdemokratie abtrünnig werden würden, wenn sie
erführen, daß es eine Arbeiterpartei gibt, die ihre Interessen vertritt, ohne sie
zu knechten, und mit mehr Erfolg. Wenn es hieße, die Reichsversicherungs¬
ordnung ist zustande gekommen mit Hilfe der nationalen Arbeiterpartei, der
Konservativen, eines großen Teiles der Liberalen und des Zentrums, um nur
ein Beispiel zu nehmen, so würde auch ein großer Teil der Arbeiter viel mehr
Vertrauen zu dem Gesetz haben, als jetzt, wo die einzige Arbeiterpartei, die es
gibt, es abgelehnt hat. Das nur nebenbei. Ich glaube im Gegenteil, wenn
die Partei geschickt geleitet würde, würde es nicht lange dauern, bis sie numerisch
sehr bedeutungsvoll sein würde.

Weiter meint Herr Roeder: "Sie würde nur erreichen, daß jene bürger¬
lichen Parteien, welche seither die Interessen der Arbeiterschaft vertraten, sich
mehr zurückhielten." Wer sich die heutigen Verhältnisse, besonders jetzt vor
den Wahlen, objektiv ansieht, muß meiner Ansicht nach zu dem Schluß gelangen,
daß dies kein Nachteil, sondern ein Vorteil wäre. Gewiß ist es gut, wenn sich
die Parteien die Gunst der Arbeiter zu gewinnen suchen. Aber heutzutage ist die
Sucht nach Gunst geradezu zu einer Gunstschleicherei geworden. Die Parteien
haben dadurch leider schon zu oft den klaren Blick für das höhere Ganze ver¬
loren. Das nenne ich eine "gefährliche Politik der Rücksichtnahme und Ängst¬
lichkeit". Und die ist ein großes Übel in unserem heutigen Staatsleben. Sie


Nationale Gcivertschafton

Unterdrücken wir sie, versuchen wir es wenigstens, so wird es uns nur gelingen,
die gesunde zu unterdrücken, die ungesunde wird wachsen. Das haben doch die
letzten Jahrzehnte deutlich genug gezeigt. Nein, wir müssen die politische
Arbeiterbewegung, die an und für sich etwas ganz Natürliches und darum auch
Gesundes ist, nicht unterdrücken, sondern sie fördern, und das kann nur geschehen
durch eine nationale Arbeiterpartei. Das ist keine „Politik der Rücksichtnahme
und Ängstlichkeit", das ist nur eine Politik der Klugheit. Gewiß, haben wir
erst eine starke nationale Arbeiterpartei, so werden die Kämpfe im politischen
Leben nicht aufhören, aber sie werden sich nicht mehr auf denselben gefährlichen
Bahnen bewegen wie jetzt, wo wir gegen eine revolutionäre Arbeiterpartei zu
kämpfen haben. Kämpfe wird es auch geben, aber nur der Art, wie z. B. zwischen
Konservativen und Liberalen augenblicklich; eine gute Strecke wird man auch
zusammengehen können, was jetzt einfach unmöglich ist, will man nicht in eine
gefährliche Abhängigkeit geraten, wie es in Baden z. B. gekommen ist. „Damit
betreten wir das politische Gebiet", das hält Herr Roeder für einen Schaden,
für eine Gefahr. In wirtschaftlicher Beziehung soll die nationale Arbeiter¬
bewegung der sozialdemokratischen das Feld streitig machen, in politischer soll sie
es räumen. Das ist grundverkehrt. Auf diese Weise werden wir nie
weiterkommen.

Herr Roeder fragt weiter: „Würde nun eine nationale Arbeiterpartei etwas
ausrichten? Ein Nein ist die Antwort. Einmal bliebe sie numerisch bedeutungs¬
los." Warum, das will mir nicht in den Sinn. Es gibt viele, sehr viele
Arbeiter, die sofort der Sozialdemokratie abtrünnig werden würden, wenn sie
erführen, daß es eine Arbeiterpartei gibt, die ihre Interessen vertritt, ohne sie
zu knechten, und mit mehr Erfolg. Wenn es hieße, die Reichsversicherungs¬
ordnung ist zustande gekommen mit Hilfe der nationalen Arbeiterpartei, der
Konservativen, eines großen Teiles der Liberalen und des Zentrums, um nur
ein Beispiel zu nehmen, so würde auch ein großer Teil der Arbeiter viel mehr
Vertrauen zu dem Gesetz haben, als jetzt, wo die einzige Arbeiterpartei, die es
gibt, es abgelehnt hat. Das nur nebenbei. Ich glaube im Gegenteil, wenn
die Partei geschickt geleitet würde, würde es nicht lange dauern, bis sie numerisch
sehr bedeutungsvoll sein würde.

Weiter meint Herr Roeder: „Sie würde nur erreichen, daß jene bürger¬
lichen Parteien, welche seither die Interessen der Arbeiterschaft vertraten, sich
mehr zurückhielten." Wer sich die heutigen Verhältnisse, besonders jetzt vor
den Wahlen, objektiv ansieht, muß meiner Ansicht nach zu dem Schluß gelangen,
daß dies kein Nachteil, sondern ein Vorteil wäre. Gewiß ist es gut, wenn sich
die Parteien die Gunst der Arbeiter zu gewinnen suchen. Aber heutzutage ist die
Sucht nach Gunst geradezu zu einer Gunstschleicherei geworden. Die Parteien
haben dadurch leider schon zu oft den klaren Blick für das höhere Ganze ver¬
loren. Das nenne ich eine „gefährliche Politik der Rücksichtnahme und Ängst¬
lichkeit". Und die ist ein großes Übel in unserem heutigen Staatsleben. Sie


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[0208] Nationale Gcivertschafton Unterdrücken wir sie, versuchen wir es wenigstens, so wird es uns nur gelingen, die gesunde zu unterdrücken, die ungesunde wird wachsen. Das haben doch die letzten Jahrzehnte deutlich genug gezeigt. Nein, wir müssen die politische Arbeiterbewegung, die an und für sich etwas ganz Natürliches und darum auch Gesundes ist, nicht unterdrücken, sondern sie fördern, und das kann nur geschehen durch eine nationale Arbeiterpartei. Das ist keine „Politik der Rücksichtnahme und Ängstlichkeit", das ist nur eine Politik der Klugheit. Gewiß, haben wir erst eine starke nationale Arbeiterpartei, so werden die Kämpfe im politischen Leben nicht aufhören, aber sie werden sich nicht mehr auf denselben gefährlichen Bahnen bewegen wie jetzt, wo wir gegen eine revolutionäre Arbeiterpartei zu kämpfen haben. Kämpfe wird es auch geben, aber nur der Art, wie z. B. zwischen Konservativen und Liberalen augenblicklich; eine gute Strecke wird man auch zusammengehen können, was jetzt einfach unmöglich ist, will man nicht in eine gefährliche Abhängigkeit geraten, wie es in Baden z. B. gekommen ist. „Damit betreten wir das politische Gebiet", das hält Herr Roeder für einen Schaden, für eine Gefahr. In wirtschaftlicher Beziehung soll die nationale Arbeiter¬ bewegung der sozialdemokratischen das Feld streitig machen, in politischer soll sie es räumen. Das ist grundverkehrt. Auf diese Weise werden wir nie weiterkommen. Herr Roeder fragt weiter: „Würde nun eine nationale Arbeiterpartei etwas ausrichten? Ein Nein ist die Antwort. Einmal bliebe sie numerisch bedeutungs¬ los." Warum, das will mir nicht in den Sinn. Es gibt viele, sehr viele Arbeiter, die sofort der Sozialdemokratie abtrünnig werden würden, wenn sie erführen, daß es eine Arbeiterpartei gibt, die ihre Interessen vertritt, ohne sie zu knechten, und mit mehr Erfolg. Wenn es hieße, die Reichsversicherungs¬ ordnung ist zustande gekommen mit Hilfe der nationalen Arbeiterpartei, der Konservativen, eines großen Teiles der Liberalen und des Zentrums, um nur ein Beispiel zu nehmen, so würde auch ein großer Teil der Arbeiter viel mehr Vertrauen zu dem Gesetz haben, als jetzt, wo die einzige Arbeiterpartei, die es gibt, es abgelehnt hat. Das nur nebenbei. Ich glaube im Gegenteil, wenn die Partei geschickt geleitet würde, würde es nicht lange dauern, bis sie numerisch sehr bedeutungsvoll sein würde. Weiter meint Herr Roeder: „Sie würde nur erreichen, daß jene bürger¬ lichen Parteien, welche seither die Interessen der Arbeiterschaft vertraten, sich mehr zurückhielten." Wer sich die heutigen Verhältnisse, besonders jetzt vor den Wahlen, objektiv ansieht, muß meiner Ansicht nach zu dem Schluß gelangen, daß dies kein Nachteil, sondern ein Vorteil wäre. Gewiß ist es gut, wenn sich die Parteien die Gunst der Arbeiter zu gewinnen suchen. Aber heutzutage ist die Sucht nach Gunst geradezu zu einer Gunstschleicherei geworden. Die Parteien haben dadurch leider schon zu oft den klaren Blick für das höhere Ganze ver¬ loren. Das nenne ich eine „gefährliche Politik der Rücksichtnahme und Ängst¬ lichkeit". Und die ist ein großes Übel in unserem heutigen Staatsleben. Sie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/208>, abgerufen am 04.01.2025.