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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

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Nationale Gewerkschaften
von Albrecht Graf zu Stolberg

uf meinen Artikel "Nationale Gewerkschaften, nationale Arbeiter¬
partei" in Ur. 19 der Grenzboten hat Herr Chefredakteur Max
Roeder-Aachen in Ur. 23 der Grenzboten geantwortet. Jede
Diskussion kann dieses eminent wichtige Thema nur fördern.
Darum bin ich gern bereit, Herrn Roeder Rede und Antwort zu
stehen. Er meint, eine nationale Arbeiterpartei würde nur eine Stärkung der
politischen und gewerkschaftlichen Sozialdemokratie herbeiführen. Ich bin der Ansicht,
daß im Gegenteil die gewerkschaftliche Sozialdemokratie ganz gewiß geschwächt
werden würde. Denn wenn die nationalen Gewerkschaften, die das Rückgrat für die
nationale Arbeiterpartei bilden müssen, mit großen Mitteln ausgestattet sind und
dem Arbeiter viel bieten können, so wird er gewiß nicht oder nnr ausnahmsweise bei
den freien Gewerkschaften bleiben. Und wird die gewerkschaftliche Sozialdemo¬
kratie geschwächt, so wird es auch die politische, und zwar noch bedeutend mehr,
wenn es nicht nur nationale Gewerkschaften, sondern auch eine nationale Arbeiter¬
partei gibt. Der Arbeiter will sich heutzutage politisch betätigen. Er will dies
aber nicht, oder nur zum kleinsten Teil, im Rahmen einer bürgerlichen Partei,
sondern er will einer ausgesprochenen Arbeiterpartei beitreten. Als solche gibt
es aber heutzutage nur die sozialdemokratische. Ich bin überzeugt, daß ein
großer Teil der Arbeiter hauptsächlich aus diesem Grunde der Sozialdemokratie
beitritt, nicht weil er mit ihren revolutionären Zielen einverstanden ist. Der
deutsche Arbeiter ist im Grunde durchaus konservativ gesinnt, viel mehr als ein
großer Teil des Bürgertums -- ich meine konservativ in: ganz allgemeinen Sinne.

Weiter schreibt Herr Roeder: "Zunächst nationale Gewerkschaften! Schon
hier zeigt der Verfasser auf Abwege, wenn er für diese doch wirtschaftlichen
Gebilde Zuschüsse seitens der Behörden und Besitzenden anregt. Wo bleibt die


Grenzboten III 1911 2"


Nationale Gewerkschaften
von Albrecht Graf zu Stolberg

uf meinen Artikel „Nationale Gewerkschaften, nationale Arbeiter¬
partei" in Ur. 19 der Grenzboten hat Herr Chefredakteur Max
Roeder-Aachen in Ur. 23 der Grenzboten geantwortet. Jede
Diskussion kann dieses eminent wichtige Thema nur fördern.
Darum bin ich gern bereit, Herrn Roeder Rede und Antwort zu
stehen. Er meint, eine nationale Arbeiterpartei würde nur eine Stärkung der
politischen und gewerkschaftlichen Sozialdemokratie herbeiführen. Ich bin der Ansicht,
daß im Gegenteil die gewerkschaftliche Sozialdemokratie ganz gewiß geschwächt
werden würde. Denn wenn die nationalen Gewerkschaften, die das Rückgrat für die
nationale Arbeiterpartei bilden müssen, mit großen Mitteln ausgestattet sind und
dem Arbeiter viel bieten können, so wird er gewiß nicht oder nnr ausnahmsweise bei
den freien Gewerkschaften bleiben. Und wird die gewerkschaftliche Sozialdemo¬
kratie geschwächt, so wird es auch die politische, und zwar noch bedeutend mehr,
wenn es nicht nur nationale Gewerkschaften, sondern auch eine nationale Arbeiter¬
partei gibt. Der Arbeiter will sich heutzutage politisch betätigen. Er will dies
aber nicht, oder nur zum kleinsten Teil, im Rahmen einer bürgerlichen Partei,
sondern er will einer ausgesprochenen Arbeiterpartei beitreten. Als solche gibt
es aber heutzutage nur die sozialdemokratische. Ich bin überzeugt, daß ein
großer Teil der Arbeiter hauptsächlich aus diesem Grunde der Sozialdemokratie
beitritt, nicht weil er mit ihren revolutionären Zielen einverstanden ist. Der
deutsche Arbeiter ist im Grunde durchaus konservativ gesinnt, viel mehr als ein
großer Teil des Bürgertums — ich meine konservativ in: ganz allgemeinen Sinne.

Weiter schreibt Herr Roeder: „Zunächst nationale Gewerkschaften! Schon
hier zeigt der Verfasser auf Abwege, wenn er für diese doch wirtschaftlichen
Gebilde Zuschüsse seitens der Behörden und Besitzenden anregt. Wo bleibt die


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[0205] [Abbildung] Nationale Gewerkschaften von Albrecht Graf zu Stolberg uf meinen Artikel „Nationale Gewerkschaften, nationale Arbeiter¬ partei" in Ur. 19 der Grenzboten hat Herr Chefredakteur Max Roeder-Aachen in Ur. 23 der Grenzboten geantwortet. Jede Diskussion kann dieses eminent wichtige Thema nur fördern. Darum bin ich gern bereit, Herrn Roeder Rede und Antwort zu stehen. Er meint, eine nationale Arbeiterpartei würde nur eine Stärkung der politischen und gewerkschaftlichen Sozialdemokratie herbeiführen. Ich bin der Ansicht, daß im Gegenteil die gewerkschaftliche Sozialdemokratie ganz gewiß geschwächt werden würde. Denn wenn die nationalen Gewerkschaften, die das Rückgrat für die nationale Arbeiterpartei bilden müssen, mit großen Mitteln ausgestattet sind und dem Arbeiter viel bieten können, so wird er gewiß nicht oder nnr ausnahmsweise bei den freien Gewerkschaften bleiben. Und wird die gewerkschaftliche Sozialdemo¬ kratie geschwächt, so wird es auch die politische, und zwar noch bedeutend mehr, wenn es nicht nur nationale Gewerkschaften, sondern auch eine nationale Arbeiter¬ partei gibt. Der Arbeiter will sich heutzutage politisch betätigen. Er will dies aber nicht, oder nur zum kleinsten Teil, im Rahmen einer bürgerlichen Partei, sondern er will einer ausgesprochenen Arbeiterpartei beitreten. Als solche gibt es aber heutzutage nur die sozialdemokratische. Ich bin überzeugt, daß ein großer Teil der Arbeiter hauptsächlich aus diesem Grunde der Sozialdemokratie beitritt, nicht weil er mit ihren revolutionären Zielen einverstanden ist. Der deutsche Arbeiter ist im Grunde durchaus konservativ gesinnt, viel mehr als ein großer Teil des Bürgertums — ich meine konservativ in: ganz allgemeinen Sinne. Weiter schreibt Herr Roeder: „Zunächst nationale Gewerkschaften! Schon hier zeigt der Verfasser auf Abwege, wenn er für diese doch wirtschaftlichen Gebilde Zuschüsse seitens der Behörden und Besitzenden anregt. Wo bleibt die Grenzboten III 1911 2»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/205>, abgerufen am 29.12.2024.