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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

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Hermann Bahr

er einmal ganz unverhüllt sein Eigenstes darstellt, also Österreichisches malt und
zugleich seinen Zorn gegen österreichische Dumpfheit ausspricht. Er hat das in
schroffster Weise in "Sanna" getan, und so ist dies bürgerliche Trauerspiel
vielleicht sein charakteristischstes und ergreifendstes Drama geworden. Bahr schildert
in sehr starken Farben -- er wählte die Zeit unmittelbar vor der achtundvierziger
Revolution, um nur stark auftragen zu können -- das Ersticken einer ganzen
Familie in Sklaverei, in Unnatur, in qualvoller Resignation. Über der mittel¬
losen Familie des Syndikus Trost waltet als sinnloser Tyrann der reiche Hofrat
Furnian, als buchstäblich sinnloser, denn sein in "fast heiliger" Tugend hin¬
gebrachtes Beamtenleben hat ihn um den klaren Verstand gebracht und zu
krankhaften, widerlichen Begierden geführt. Nun martert er die auf sein Geld
angewiesenen Trosts. Der Mann ist innerlich gebrochen, die Frau im Kummer
hart geworden, von den Töchtern wurde die älteste, seit man sie von einer
Liebesehe abzustehen zwang, gemütskrank, die jüngste ist ans dein Wege, in der
traurigen Umgebung sittlich zu verderben. Sanna, die mittlere, erlebt eben
ihren Frühling. Bald hofft sie mit dein Leutnant Erwin vereint zu sein. Als
der Onkel Hofrat das zur Ehe nötige Geld versagt, bleibt sie mutig; ihr ist es
selbstverständlich, daß Erwin nun ohne Konsens und Segen mit ihr davongehen
wird. Er aber ist eine behutsame Sklavennatur und bebt vor dem Unerlaubtem
zurück. Da macht Sanna, um nicht einen ihr widerwärtigen Bewerber heiraten
zu müssen, um auch nicht dem Schicksal der älteren Schwester zu verfallen, frei¬
willig ihrem Leben ein Ende. Als stolze Befreiungstat wirkt das fast erlösend
aus die Zurückbleibenden. Ist die Handlung eine durchaus volkstümliche und
auch die darin kochende Sehnsucht nach freiem Leben nichts dem Volksstück
Widersprechendes, so gestaltete Bahr die Durchführung im einzelnen, besonders
in den stark psychopathischen Gestalten des Hofrats und des lüsternen alten
Bewerbers um Sanna, doch auch bohrend modern. Es ist also durchaus ver¬
ständlich, daß Richard M. Meyer dieses Volksstück zu den "nervösen Problem¬
dramen" rechnet, in denen sich Bahr "von der Gemütlichkeit des altwienerischen
Milieus erhole".

Seine Nervosität geht freilich in anderen Dramen, die mit Vorliebe erotische
Fragen behandeln, im "Meister", in der "Anderen", im "Ringelspiel", bedeutend
weiter, so weit, daß sie bei aller geschickten Wahrung der dramatischen Form,
einer häufiger graziös tändelnden als tragisch wuchtenden, beinahe doch die
Eigenart des Dramas von innen heraus zerstört. Der dramatische Kreis wird
mit sicherer Hand gezogen, aber was sich darin begibt, ist ein Flackern, ein
Tasten und Irren, ein schwankendes Zufassen und Fallenlassen.

Es geht viel Anregung von diesen schillernden Schauspielen aus, in denen
manche Szenen dramatisierte Essays sind; einen harmonischeren Genuß aber bereitet
Bahr seinen Hörern doch, wo er in der Art seiner "Sanna" dichtet, also über
dem Nervösen und Komplizierter das schlichtere und Robustere nicht ganz ver¬
gißt. Dieser Mischung hat der rastlose Autor gewiß seinen bisher größten


Hermann Bahr

er einmal ganz unverhüllt sein Eigenstes darstellt, also Österreichisches malt und
zugleich seinen Zorn gegen österreichische Dumpfheit ausspricht. Er hat das in
schroffster Weise in „Sanna" getan, und so ist dies bürgerliche Trauerspiel
vielleicht sein charakteristischstes und ergreifendstes Drama geworden. Bahr schildert
in sehr starken Farben — er wählte die Zeit unmittelbar vor der achtundvierziger
Revolution, um nur stark auftragen zu können — das Ersticken einer ganzen
Familie in Sklaverei, in Unnatur, in qualvoller Resignation. Über der mittel¬
losen Familie des Syndikus Trost waltet als sinnloser Tyrann der reiche Hofrat
Furnian, als buchstäblich sinnloser, denn sein in „fast heiliger" Tugend hin¬
gebrachtes Beamtenleben hat ihn um den klaren Verstand gebracht und zu
krankhaften, widerlichen Begierden geführt. Nun martert er die auf sein Geld
angewiesenen Trosts. Der Mann ist innerlich gebrochen, die Frau im Kummer
hart geworden, von den Töchtern wurde die älteste, seit man sie von einer
Liebesehe abzustehen zwang, gemütskrank, die jüngste ist ans dein Wege, in der
traurigen Umgebung sittlich zu verderben. Sanna, die mittlere, erlebt eben
ihren Frühling. Bald hofft sie mit dein Leutnant Erwin vereint zu sein. Als
der Onkel Hofrat das zur Ehe nötige Geld versagt, bleibt sie mutig; ihr ist es
selbstverständlich, daß Erwin nun ohne Konsens und Segen mit ihr davongehen
wird. Er aber ist eine behutsame Sklavennatur und bebt vor dem Unerlaubtem
zurück. Da macht Sanna, um nicht einen ihr widerwärtigen Bewerber heiraten
zu müssen, um auch nicht dem Schicksal der älteren Schwester zu verfallen, frei¬
willig ihrem Leben ein Ende. Als stolze Befreiungstat wirkt das fast erlösend
aus die Zurückbleibenden. Ist die Handlung eine durchaus volkstümliche und
auch die darin kochende Sehnsucht nach freiem Leben nichts dem Volksstück
Widersprechendes, so gestaltete Bahr die Durchführung im einzelnen, besonders
in den stark psychopathischen Gestalten des Hofrats und des lüsternen alten
Bewerbers um Sanna, doch auch bohrend modern. Es ist also durchaus ver¬
ständlich, daß Richard M. Meyer dieses Volksstück zu den „nervösen Problem¬
dramen" rechnet, in denen sich Bahr „von der Gemütlichkeit des altwienerischen
Milieus erhole".

Seine Nervosität geht freilich in anderen Dramen, die mit Vorliebe erotische
Fragen behandeln, im „Meister", in der „Anderen", im „Ringelspiel", bedeutend
weiter, so weit, daß sie bei aller geschickten Wahrung der dramatischen Form,
einer häufiger graziös tändelnden als tragisch wuchtenden, beinahe doch die
Eigenart des Dramas von innen heraus zerstört. Der dramatische Kreis wird
mit sicherer Hand gezogen, aber was sich darin begibt, ist ein Flackern, ein
Tasten und Irren, ein schwankendes Zufassen und Fallenlassen.

Es geht viel Anregung von diesen schillernden Schauspielen aus, in denen
manche Szenen dramatisierte Essays sind; einen harmonischeren Genuß aber bereitet
Bahr seinen Hörern doch, wo er in der Art seiner „Sanna" dichtet, also über
dem Nervösen und Komplizierter das schlichtere und Robustere nicht ganz ver¬
gißt. Dieser Mischung hat der rastlose Autor gewiß seinen bisher größten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/188>, abgerufen am 01.01.2025.