Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.Bausteine der chinesischen Kultur lebenden Nachkommen ausüben, der sowohl fördernder als auch schädlicher Art Was nun die äußeren Formen des religiösen Kultus anbetrifft, so scheinen Es ist für die Religion der alten Chinesen im höchsten Grade bezeichnend, Unter der Chou-Dynastie beginnt die ursprüngliche Einfachheit der Kultus¬ Bausteine der chinesischen Kultur lebenden Nachkommen ausüben, der sowohl fördernder als auch schädlicher Art Was nun die äußeren Formen des religiösen Kultus anbetrifft, so scheinen Es ist für die Religion der alten Chinesen im höchsten Grade bezeichnend, Unter der Chou-Dynastie beginnt die ursprüngliche Einfachheit der Kultus¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0167" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/319116"/> <fw type="header" place="top"> Bausteine der chinesischen Kultur</fw><lb/> <p xml:id="ID_1180" prev="#ID_1179"> lebenden Nachkommen ausüben, der sowohl fördernder als auch schädlicher Art<lb/> sein kann. Daher sucht man ihre Gunst zu gewinnen, indem man durch regel¬<lb/> mäßige Opferdarbringungen für ihr Wohl sorgt. Aus dieser naiven Vorstellung<lb/> von den irdischen Bedürfnissen der abgeschiedenen Seelen erklärt sich auch der<lb/> Wert, den die Chinesen auf männliche Nachkommenschaft legen, denn nur der<lb/> älteste Sohn ist berechtigt, das Ahnenopfer darzubringen. Keine Nachkommen¬<lb/> schaft zu haben, ist nach einem Ausspruch des Philosophen Meng-tsze der größte<lb/> Grad der Pietätlosigkeit, weil, wer kinderlos stirbt, nicht nur seiner eigenen<lb/> Person, sondern auch seinen verstorbenen Vorfahren den Genuß des Ahnenopfers<lb/> entzieht. Die Seelen derer, die ohne Nachkommenschaft verstorben sind, irren<lb/> obdachlos und hungernd umher und suchen die Lebenden zu schädigen; daher<lb/> wurden schon im Altertum den Manen der kinderlos oder minderjährig Ver¬<lb/> storbenen Opfer dargebracht, um sie zu beschwichtigen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1181"> Was nun die äußeren Formen des religiösen Kultus anbetrifft, so scheinen<lb/> sie sich im frühesten Altertum durch große Einfachheit und schlichte Würde aus¬<lb/> gezeichnet zu haben. Dem Himmel sowie sämtlichen Naturgottheiten opferte man<lb/> auf Altären unter freiem Himmel, wohingegen für den Ahnenkult besondere Hallen<lb/> oder Tempel bestanden. Das mag auf den ersten Blick auffallen und den Anschein<lb/> erwecken, als hätten die Geister derVerstorbenen in einem höheren Ansehen gestanden<lb/> als die Götter, was jedoch keineswegs zutrifft. Daß in dem einen Falle unter freiem<lb/> Himmel, im anderen Falle in geschlossenen Räumen geopfert wurde, läßt sich wohl<lb/> am einfachsten und ungezwungensten aus den: Bestreben erklären, den Geistern dort<lb/> zu huldigen, wo man sie sich weilend und wirkend dachte: die Wirkungssphäre der<lb/> Naturgottheiten aber ist das Universum, die des Menschen das Haus.</p><lb/> <p xml:id="ID_1182"> Es ist für die Religion der alten Chinesen im höchsten Grade bezeichnend,<lb/> daß auch der Verkehr zwischen Menschen- und Götterwelt durch feste Satzungen<lb/> geregelt war. Der Kaiser ist als Mandatar des Himmels zugleich der einzige<lb/> rechtmäßige Vermittler zwischen dem Volke und dem Himmel. Er allein hat<lb/> demzufolge das Recht, als pontikex maximus dem Himmel und der Erde zu<lb/> opfern; ebenso ist nur er allein befugt, diesen Dienst gegenüber den Schutz¬<lb/> gottheiten des Erdbodens und der Saaten sowie der Berge und Ströme des<lb/> Reiches zu versehen. Die Lehensfürsten dürfen nur den entsprechenden Gott¬<lb/> heiten ihres eigenen Gebiets opfern, während die sakralen Funktionen der Gro߬<lb/> würdenträger auf die fünf häuslichen Laren, die der Beamten und des Volkes<lb/> einzig auf die eigenen Ahnen beschränkt sind.</p><lb/> <p xml:id="ID_1183"> Unter der Chou-Dynastie beginnt die ursprüngliche Einfachheit der Kultus¬<lb/> formen allmählich immer mehr dem Streben nach äußerem Prunk und Gepränge<lb/> zu weichen. So sehen wir z. B., daß damals das kaiserliche Ahnenopfer nicht<lb/> mehr wie bisher nur mit Gesängen und Musik, sondern auch mit Tänzen und<lb/> pantomimischen Darstellungen von zum Teil historischem Inhalt verbunden war,<lb/> so daß, wie es scheint, auch in China Theater und Drama dem religiösen<lb/> Kultus ihre Entstehung verdanken.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0167]
Bausteine der chinesischen Kultur
lebenden Nachkommen ausüben, der sowohl fördernder als auch schädlicher Art
sein kann. Daher sucht man ihre Gunst zu gewinnen, indem man durch regel¬
mäßige Opferdarbringungen für ihr Wohl sorgt. Aus dieser naiven Vorstellung
von den irdischen Bedürfnissen der abgeschiedenen Seelen erklärt sich auch der
Wert, den die Chinesen auf männliche Nachkommenschaft legen, denn nur der
älteste Sohn ist berechtigt, das Ahnenopfer darzubringen. Keine Nachkommen¬
schaft zu haben, ist nach einem Ausspruch des Philosophen Meng-tsze der größte
Grad der Pietätlosigkeit, weil, wer kinderlos stirbt, nicht nur seiner eigenen
Person, sondern auch seinen verstorbenen Vorfahren den Genuß des Ahnenopfers
entzieht. Die Seelen derer, die ohne Nachkommenschaft verstorben sind, irren
obdachlos und hungernd umher und suchen die Lebenden zu schädigen; daher
wurden schon im Altertum den Manen der kinderlos oder minderjährig Ver¬
storbenen Opfer dargebracht, um sie zu beschwichtigen.
Was nun die äußeren Formen des religiösen Kultus anbetrifft, so scheinen
sie sich im frühesten Altertum durch große Einfachheit und schlichte Würde aus¬
gezeichnet zu haben. Dem Himmel sowie sämtlichen Naturgottheiten opferte man
auf Altären unter freiem Himmel, wohingegen für den Ahnenkult besondere Hallen
oder Tempel bestanden. Das mag auf den ersten Blick auffallen und den Anschein
erwecken, als hätten die Geister derVerstorbenen in einem höheren Ansehen gestanden
als die Götter, was jedoch keineswegs zutrifft. Daß in dem einen Falle unter freiem
Himmel, im anderen Falle in geschlossenen Räumen geopfert wurde, läßt sich wohl
am einfachsten und ungezwungensten aus den: Bestreben erklären, den Geistern dort
zu huldigen, wo man sie sich weilend und wirkend dachte: die Wirkungssphäre der
Naturgottheiten aber ist das Universum, die des Menschen das Haus.
Es ist für die Religion der alten Chinesen im höchsten Grade bezeichnend,
daß auch der Verkehr zwischen Menschen- und Götterwelt durch feste Satzungen
geregelt war. Der Kaiser ist als Mandatar des Himmels zugleich der einzige
rechtmäßige Vermittler zwischen dem Volke und dem Himmel. Er allein hat
demzufolge das Recht, als pontikex maximus dem Himmel und der Erde zu
opfern; ebenso ist nur er allein befugt, diesen Dienst gegenüber den Schutz¬
gottheiten des Erdbodens und der Saaten sowie der Berge und Ströme des
Reiches zu versehen. Die Lehensfürsten dürfen nur den entsprechenden Gott¬
heiten ihres eigenen Gebiets opfern, während die sakralen Funktionen der Gro߬
würdenträger auf die fünf häuslichen Laren, die der Beamten und des Volkes
einzig auf die eigenen Ahnen beschränkt sind.
Unter der Chou-Dynastie beginnt die ursprüngliche Einfachheit der Kultus¬
formen allmählich immer mehr dem Streben nach äußerem Prunk und Gepränge
zu weichen. So sehen wir z. B., daß damals das kaiserliche Ahnenopfer nicht
mehr wie bisher nur mit Gesängen und Musik, sondern auch mit Tänzen und
pantomimischen Darstellungen von zum Teil historischem Inhalt verbunden war,
so daß, wie es scheint, auch in China Theater und Drama dem religiösen
Kultus ihre Entstehung verdanken.
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