Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.Reichsspiegel treten. Daß sie vor dieser Kalamität bewahrt wurde, ist einzig und allein Schafft das Referendum vom liberalen Standpunkte aus einen Welchen Vorschlag stellt die Regierungspartei der Idee des Refe¬ Reichsspiegel treten. Daß sie vor dieser Kalamität bewahrt wurde, ist einzig und allein Schafft das Referendum vom liberalen Standpunkte aus einen Welchen Vorschlag stellt die Regierungspartei der Idee des Refe¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0152" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/319101"/> <fw type="header" place="top"> Reichsspiegel</fw><lb/> <p xml:id="ID_1130" prev="#ID_1129"> treten. Daß sie vor dieser Kalamität bewahrt wurde, ist einzig und allein<lb/> darauf zurückzuführen, daß sie im Wahlkampfe unterlegen ist. Ebenso hat<lb/> Mr. Balfour es wohl lediglich diesen: Umstand zu verdanken, daß er den<lb/> Zwiespalt in seinen Reihen als Parteiführer überlebt hat, denn wie hätte er<lb/> es je mit seiner Ehre als Staatsmann vereinbaren können, sein einmal gegebenes<lb/> Wort zurückzunehmen. Jetzt versuchen seine besten Anhänger ihn zu decken und<lb/> erklären, daß ein für den Fall eines unmittelbaren Erfolges gegebenes Versprechen<lb/> für alle Zukunft bindend sei, doch hatten sich bereits Stimmen geltend gemacht,<lb/> welche nach einen? neuen Parteiführer verlangten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1131"> Schafft das Referendum vom liberalen Standpunkte aus einen<lb/> Ausweg aus dem Dilemma? Was bedeutet Parlamentsvertretung? Jeder<lb/> Staatsbürger wählt einen Vertrauensmann, an den er seine unbeschränkte Voll¬<lb/> macht für alle Regierungsfragen überträgt. Wozu bedürfte es eiuer solchen<lb/> Einrichtung, wenn in jeder wichtigen Frage gesondert an das Volk appelliert<lb/> werden müßte, wenn es in seine erwählten Vertreter nicht das Vertrauen setzen<lb/> könnte, daß sie imstande wären, seine Wünsche nachdrücklich und wirkungsvoll<lb/> zu verfechten? Ein Parlament würde in solchem Falle zu einer Farce reduziert,<lb/> zu einer Versammlung von „Vertrauensleuten" ohne Autorität und Verant¬<lb/> wortung. Man beschuldigt die Regierung, verschwendungssüchtig zu sein; sie<lb/> hätte innerhalb eines Jahres zwei große Wahlen heraufbeschworen. Das koste<lb/> dem Lande 4 Millionen Pfund. Jetzt plädiert die Gegenpartei für Volks¬<lb/> abstimmung. Würden nicht die Mühen und Kosten, die in jedem einzelnen<lb/> Falle damit verbunden wären, denen einer Allgemeinwahl sehr nahe kommen<lb/> und im Laufe der Zeit einen Kostenaufwand bedingen, der den jetzigen weit<lb/> überschreitet? Das Referendum hat aber noch weitere Nachteile, wie man sie<lb/> in andern Ländern, z. B. in der Schweiz und Amerika wahrnehmen<lb/> konnte. Es ist meistens sehr schwer, die ganze Wählerschaft, die durch<lb/> gar zu häufige Inanspruchnahme ermüdet wird, zu bewegen, das Wahlrecht<lb/> auszuüben, und der kleine Prozentsatz, der von ihm Gebrauch macht, läßt die<lb/> Stimme des Volkes nur ungenügend erkennen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1132" next="#ID_1133"> Welchen Vorschlag stellt die Regierungspartei der Idee des Refe¬<lb/> rendums gegenüber? Ist es berechtigt, ihr Programm als revolutionär zu<lb/> bezeichnen? Es ist wahr, dem Oberhaus soll das Veto entzogen werden, doch<lb/> soll es unbeschränkt das Recht behalten, in allen Parlamentsbeschlüssen Ände¬<lb/> rungen zu beantragen. Um so der Volksstimme das ausschlaggebende Wort zu<lb/> sichern, soll jedes Gesetz nach seiner dritten Verlesung und spätestens zwei Jahre<lb/> nach seiner ersten Einführung im Unterhause in Kraft treten. Für den Fall,<lb/> daß die Volksvertreter aufhören würden, angesichts einer siebenjährigen Parla¬<lb/> mentsdauer die politische Gesinnung ihrer Wählerschaft zu verkörpern, sollen<lb/> fünfjährige Neuwahlen vorgesehen werden. Daß in einem Lande, in welchem<lb/> die demokratische Regierungsform so hoch geschätzt wird, Ideen, welche nur zur<lb/> Befestigung derselben dienen können, von einem großen Teil des Volkes als</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0152]
Reichsspiegel
treten. Daß sie vor dieser Kalamität bewahrt wurde, ist einzig und allein
darauf zurückzuführen, daß sie im Wahlkampfe unterlegen ist. Ebenso hat
Mr. Balfour es wohl lediglich diesen: Umstand zu verdanken, daß er den
Zwiespalt in seinen Reihen als Parteiführer überlebt hat, denn wie hätte er
es je mit seiner Ehre als Staatsmann vereinbaren können, sein einmal gegebenes
Wort zurückzunehmen. Jetzt versuchen seine besten Anhänger ihn zu decken und
erklären, daß ein für den Fall eines unmittelbaren Erfolges gegebenes Versprechen
für alle Zukunft bindend sei, doch hatten sich bereits Stimmen geltend gemacht,
welche nach einen? neuen Parteiführer verlangten.
Schafft das Referendum vom liberalen Standpunkte aus einen
Ausweg aus dem Dilemma? Was bedeutet Parlamentsvertretung? Jeder
Staatsbürger wählt einen Vertrauensmann, an den er seine unbeschränkte Voll¬
macht für alle Regierungsfragen überträgt. Wozu bedürfte es eiuer solchen
Einrichtung, wenn in jeder wichtigen Frage gesondert an das Volk appelliert
werden müßte, wenn es in seine erwählten Vertreter nicht das Vertrauen setzen
könnte, daß sie imstande wären, seine Wünsche nachdrücklich und wirkungsvoll
zu verfechten? Ein Parlament würde in solchem Falle zu einer Farce reduziert,
zu einer Versammlung von „Vertrauensleuten" ohne Autorität und Verant¬
wortung. Man beschuldigt die Regierung, verschwendungssüchtig zu sein; sie
hätte innerhalb eines Jahres zwei große Wahlen heraufbeschworen. Das koste
dem Lande 4 Millionen Pfund. Jetzt plädiert die Gegenpartei für Volks¬
abstimmung. Würden nicht die Mühen und Kosten, die in jedem einzelnen
Falle damit verbunden wären, denen einer Allgemeinwahl sehr nahe kommen
und im Laufe der Zeit einen Kostenaufwand bedingen, der den jetzigen weit
überschreitet? Das Referendum hat aber noch weitere Nachteile, wie man sie
in andern Ländern, z. B. in der Schweiz und Amerika wahrnehmen
konnte. Es ist meistens sehr schwer, die ganze Wählerschaft, die durch
gar zu häufige Inanspruchnahme ermüdet wird, zu bewegen, das Wahlrecht
auszuüben, und der kleine Prozentsatz, der von ihm Gebrauch macht, läßt die
Stimme des Volkes nur ungenügend erkennen.
Welchen Vorschlag stellt die Regierungspartei der Idee des Refe¬
rendums gegenüber? Ist es berechtigt, ihr Programm als revolutionär zu
bezeichnen? Es ist wahr, dem Oberhaus soll das Veto entzogen werden, doch
soll es unbeschränkt das Recht behalten, in allen Parlamentsbeschlüssen Ände¬
rungen zu beantragen. Um so der Volksstimme das ausschlaggebende Wort zu
sichern, soll jedes Gesetz nach seiner dritten Verlesung und spätestens zwei Jahre
nach seiner ersten Einführung im Unterhause in Kraft treten. Für den Fall,
daß die Volksvertreter aufhören würden, angesichts einer siebenjährigen Parla¬
mentsdauer die politische Gesinnung ihrer Wählerschaft zu verkörpern, sollen
fünfjährige Neuwahlen vorgesehen werden. Daß in einem Lande, in welchem
die demokratische Regierungsform so hoch geschätzt wird, Ideen, welche nur zur
Befestigung derselben dienen können, von einem großen Teil des Volkes als
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