Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.Die Beziehungen der deutschen Romantik zur deutschen Malerei die neue Kunst nach Allgemeinverständlichkeit und Volkstümlichkeit strebend, mit Mit dieser religiösen hängt ideell aufs engste die Entwicklung der Landschafts- Die Beziehungen der deutschen Romantik zur deutschen Malerei die neue Kunst nach Allgemeinverständlichkeit und Volkstümlichkeit strebend, mit Mit dieser religiösen hängt ideell aufs engste die Entwicklung der Landschafts- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0137" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/319086"/> <fw type="header" place="top"> Die Beziehungen der deutschen Romantik zur deutschen Malerei</fw><lb/> <p xml:id="ID_1084" prev="#ID_1083"> die neue Kunst nach Allgemeinverständlichkeit und Volkstümlichkeit strebend, mit<lb/> dem Anspruch auftrat, wieder ein Kulturfaktor zu sein.</p><lb/> <p xml:id="ID_1085" next="#ID_1086"> Mit dieser religiösen hängt ideell aufs engste die Entwicklung der Landschafts-<lb/> malerei zusammen. Rousseau hatte die Blicke auf die Natur gelenkt, der „Werther"<lb/> eine ganz neue Art, die landschaftliche Natur zu empfinden, gebracht, und schon<lb/> bei Heinse findet sich, allerdings vereinzelt, eine Stelle, die neben der Menschen-<lb/> darstellung die der Landschaft als Hauptgegenstand der Malerei nennt, während<lb/> noch in der „Europa" der Landschaft keine selbständige Bedeutung eingeräumt<lb/> wird. Dies aber tut Tieck im „Sternbald" (1798). Dieser Roman oder, wie der<lb/> Verfasser ihn nennt, diese „altdeutsche Geschichte" steht in den ersten Kapiteln<lb/> gänzlich unter dem Einfluß Wackenroders. Dessen Künstlertypus wird nun<lb/> handelnd eingeführt und in dem gleichen Sinne, in dem Wackenroder den kernigen,<lb/> gemütstiefen, aber herben Ausdruck des Dürerschen Lebensberichtes verweichlicht<lb/> hatte, zu einer überaus traumseligen, schwärmerischen und haltlosen Figur gestaltet.<lb/> Auch die neue Art, Kunstwerke zu betrachten, tritt hier ganz deutlich hervor, z. B.<lb/> wirken in dem bekannten Stich Dürers „Der si. Hubertus" weniger die Aus¬<lb/> führung als die Gedanken: das Gefühl der Einsamkeit, das Unschuldige, Fromme,<lb/> Liebliche darin, das ganz eigene Gedanken von Gottes Barmherzigkeit, von dem<lb/> grausamen Vergnügen der Jagd u. tgi. erweckt. Ein überaus charakteristisches<lb/> Gegenstück dazu kann man in August Wilhelm Schlegels „Schreiben an Goethe"<lb/> finden, nämlich die Besprechung von Schlaks Noahopfer. Aber Tieck ist vielseitiger<lb/> als Wackenroder, er kennt auch den Genremaler, und bald tritt auch das Interesse<lb/> an Heiligenbildern zurück gegen das an Landschaften. Und zwar ist es weniger<lb/> die Realität der Natur, die man entdeckt, als vielmehr die Möglichkeit, die eigene<lb/> Stimmung durch die landschaftliche auszudrücken; vor allem aber sucht man die<lb/> Gottheit in der Natur und schafft Allegorien, Symbole oder, wie Schlegel sagt,<lb/> Hieroglyphen. Auch für Tieck steht die Malerei dann am höchsten, wenn sie der<lb/> höheren Schönheit als symbolische Bezeichnung zu ihrer Offenbarung dient. In<lb/> den im „Sternbald" geschilderten Landschaften nun finden wir, zunächst durch<lb/> Ariost und Boccaccio angeregt, solche mit mythologischer Staffage, später jedoch,<lb/> aus eigenen Mitteln fortgeführt, den ganzen landschaftlichen Apparat, den auch<lb/> die in der Kunstgeschichte sogenannte romantische Landschaft aufweist: Schwermut<lb/> und Schönheit, das Wunderbare und Seltsame, die Einsamkeit schauerlicher<lb/> Gegenden, morsche Brücken, schroffe Felsen mit Räubern, Abendrot, finstere Nacht,<lb/> Irrlichter und glänzenden Mondschein, vor allem aber den Wald. Während solcher<lb/> Vorwürfe sich erst eine spätere Generation der Maler bemächtigte, zeigen sich auch<lb/> überraschende Beziehungen zur zeitgenössischen Generation. Nicht nur, dah die<lb/> Forderung, sich in den Charakter, die Physiognomie des Naturgegenstandes ein¬<lb/> zufühlen (ein Gedanke, den Schelling dann verallgemeinert hat), auf Runge, der<lb/> Blick für die Phänomene des Himmels auf Caspar David Friedrich weist, die<lb/> von Tiecks Einsiedler gemalte Landschaft mit dem Pilgrim ist schon völlig im<lb/> Sinne Friedrichs, d. h. symbolisch entworfen und gedeutet. Und noch ein anderes<lb/> Kennzeichen der Romantik tritt im „Sternbald" stark hervor: der Sinn für Farbe.<lb/> Obwohl schon Heinse im „Ardinghello" ausgerufen hatte, daß Farbe das Ziel,<lb/> der Anfang und das Ende der Kunst sei, war doch für G. Forster sowohl wie<lb/> für Fcinow, den Carstens-Biographen. (für letzteren noch 180l>) das Kolorit</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0137]
Die Beziehungen der deutschen Romantik zur deutschen Malerei
die neue Kunst nach Allgemeinverständlichkeit und Volkstümlichkeit strebend, mit
dem Anspruch auftrat, wieder ein Kulturfaktor zu sein.
Mit dieser religiösen hängt ideell aufs engste die Entwicklung der Landschafts-
malerei zusammen. Rousseau hatte die Blicke auf die Natur gelenkt, der „Werther"
eine ganz neue Art, die landschaftliche Natur zu empfinden, gebracht, und schon
bei Heinse findet sich, allerdings vereinzelt, eine Stelle, die neben der Menschen-
darstellung die der Landschaft als Hauptgegenstand der Malerei nennt, während
noch in der „Europa" der Landschaft keine selbständige Bedeutung eingeräumt
wird. Dies aber tut Tieck im „Sternbald" (1798). Dieser Roman oder, wie der
Verfasser ihn nennt, diese „altdeutsche Geschichte" steht in den ersten Kapiteln
gänzlich unter dem Einfluß Wackenroders. Dessen Künstlertypus wird nun
handelnd eingeführt und in dem gleichen Sinne, in dem Wackenroder den kernigen,
gemütstiefen, aber herben Ausdruck des Dürerschen Lebensberichtes verweichlicht
hatte, zu einer überaus traumseligen, schwärmerischen und haltlosen Figur gestaltet.
Auch die neue Art, Kunstwerke zu betrachten, tritt hier ganz deutlich hervor, z. B.
wirken in dem bekannten Stich Dürers „Der si. Hubertus" weniger die Aus¬
führung als die Gedanken: das Gefühl der Einsamkeit, das Unschuldige, Fromme,
Liebliche darin, das ganz eigene Gedanken von Gottes Barmherzigkeit, von dem
grausamen Vergnügen der Jagd u. tgi. erweckt. Ein überaus charakteristisches
Gegenstück dazu kann man in August Wilhelm Schlegels „Schreiben an Goethe"
finden, nämlich die Besprechung von Schlaks Noahopfer. Aber Tieck ist vielseitiger
als Wackenroder, er kennt auch den Genremaler, und bald tritt auch das Interesse
an Heiligenbildern zurück gegen das an Landschaften. Und zwar ist es weniger
die Realität der Natur, die man entdeckt, als vielmehr die Möglichkeit, die eigene
Stimmung durch die landschaftliche auszudrücken; vor allem aber sucht man die
Gottheit in der Natur und schafft Allegorien, Symbole oder, wie Schlegel sagt,
Hieroglyphen. Auch für Tieck steht die Malerei dann am höchsten, wenn sie der
höheren Schönheit als symbolische Bezeichnung zu ihrer Offenbarung dient. In
den im „Sternbald" geschilderten Landschaften nun finden wir, zunächst durch
Ariost und Boccaccio angeregt, solche mit mythologischer Staffage, später jedoch,
aus eigenen Mitteln fortgeführt, den ganzen landschaftlichen Apparat, den auch
die in der Kunstgeschichte sogenannte romantische Landschaft aufweist: Schwermut
und Schönheit, das Wunderbare und Seltsame, die Einsamkeit schauerlicher
Gegenden, morsche Brücken, schroffe Felsen mit Räubern, Abendrot, finstere Nacht,
Irrlichter und glänzenden Mondschein, vor allem aber den Wald. Während solcher
Vorwürfe sich erst eine spätere Generation der Maler bemächtigte, zeigen sich auch
überraschende Beziehungen zur zeitgenössischen Generation. Nicht nur, dah die
Forderung, sich in den Charakter, die Physiognomie des Naturgegenstandes ein¬
zufühlen (ein Gedanke, den Schelling dann verallgemeinert hat), auf Runge, der
Blick für die Phänomene des Himmels auf Caspar David Friedrich weist, die
von Tiecks Einsiedler gemalte Landschaft mit dem Pilgrim ist schon völlig im
Sinne Friedrichs, d. h. symbolisch entworfen und gedeutet. Und noch ein anderes
Kennzeichen der Romantik tritt im „Sternbald" stark hervor: der Sinn für Farbe.
Obwohl schon Heinse im „Ardinghello" ausgerufen hatte, daß Farbe das Ziel,
der Anfang und das Ende der Kunst sei, war doch für G. Forster sowohl wie
für Fcinow, den Carstens-Biographen. (für letzteren noch 180l>) das Kolorit
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