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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.

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Die Lebensverteuerung und ihre Bekämpfung

wirtschaftlichen Vereinen und Korporationen erfahrene sachverständige Berater
und zugleich die erforderlichen Organe zur Verfügung, um auf die Erwerbtätigen
im Sinne des Ergebnisses der angestellten Untersuchungen zu wirken. Aber
auch den Lehrern an den Universitäten, technischen und landwirtschaftlichen
Hochschulen sollte nahegelegt werden, sich mehr als bisher mit den hier in
Betracht kommenden tatsächlichen Vorgängen zu beschäftigen. Daraus würde
auch die Wissenschaft großen Nutzen ziehen. Erst wenn man die tatsächlichen
Verhältnisse und Erträge zahlreicher verschiedener Einzelbetriebe genau ermittelt,
gelangt man zu einem klaren und sicheren Urteil über die wirkliche Entwicklung
der Volkswirtschaft im ganzen, wie man umgekehrt das Ganze der Volkswirt¬
schaft und des Volkslebens in den Kreis seiner Betrachtung ziehen muß, wenn
man die Kämpfe zwischen Verkäufern und Käufern bis in ihre letzten Beweg¬
gründe und Kräfte verfolgen will. Wenn beispielsweise auch nur die Entstehung
des Preises von einem Kilo Brot zuverlässig festgestellt werden soll, so sind die
wirtschaftlichen Verhältnisse der Landwirtschaft, der Mutterei, des Handels und der
Bäckereien bis ins kleinste zu untersuchen und all die zahllosen Umstände zu
berücksichtigen, die die Höhe der Selbstkosten dieser Betriebsgruppen beeinflussen.
Nach solcher Vertiefung in das wirkliche Leben würde wohl mancher am
Studiertisch mit größter Bestimmtheit bedingungslos aufgestellter Lehrsatz eine
nicht unerhebliche Einschränkung erfahren.

Das Gebiet ist aber so unendlich weit, der streitigen Fragen von großer
Bedeutung gibt es so viele, daß zahllose Männer sich ihrer Erörterung widmen
könnten, ohne daß der einzelne zu befürchten brauchte, seine Arbeit könnte durch
die der anderen wertlos werden. Genaue Untersuchungen über die Entstehung
der Preise der wichtigsten Waren müssen aber nicht nur den Verbrauchern, der
Staatsregierung und den Männern der Wissenschaft, sondern allen, die sich mit
volkswirtschaftlichen Fragen zu beschäftigen haben, besonders den Parlamentariern
und den Vertretern der Presse sehr erwünscht sein. Selbst viele Erzeuger dürsten
derartige Ermittlungen mit Genugtuung begrüßen.

Die Erhebungen über die Bildung der Preise der einzelnen Erzeugnisse
sind vor allem auf die Ermittlung der Gestehungskosten zu richten: die Preise
der Haupt- und Nebenrohstoffe, die Löhne, Versicherungsbeiträge aller Art,
Steuern und andere öffentliche Abgaben, die Ausgaben für Geschäftsräume und
deren Einrichtung, Heizung, Beleuchtung, Maschinen, Frachtkosten, die jAuf-
wendungen für Verzinsung des Anlage- und Betriebskapitals, die Abnutzung
des Inventars, die Verluste durch Verderb von Waren und durch faule Kunden
und die Höhe des Unternehmergewinns, der wenigstens in gewissem Umfange
zu den Selbstkosten gehört. Den Untersuchungen sind die Preise und die Ver¬
hältnisse von Betrieben, die als gememgewöhnliche angesehen werden können,
zugrunde zu legen, wobei soweit nötig zwischen Betrieben von kleinem, mittlerem
und großem Umfang zu unterscheiden sein wird. Da das Ergebnis der
Ermittlungen zum leichteren Verständnis für das Publikum in möglichst knappe


Die Lebensverteuerung und ihre Bekämpfung

wirtschaftlichen Vereinen und Korporationen erfahrene sachverständige Berater
und zugleich die erforderlichen Organe zur Verfügung, um auf die Erwerbtätigen
im Sinne des Ergebnisses der angestellten Untersuchungen zu wirken. Aber
auch den Lehrern an den Universitäten, technischen und landwirtschaftlichen
Hochschulen sollte nahegelegt werden, sich mehr als bisher mit den hier in
Betracht kommenden tatsächlichen Vorgängen zu beschäftigen. Daraus würde
auch die Wissenschaft großen Nutzen ziehen. Erst wenn man die tatsächlichen
Verhältnisse und Erträge zahlreicher verschiedener Einzelbetriebe genau ermittelt,
gelangt man zu einem klaren und sicheren Urteil über die wirkliche Entwicklung
der Volkswirtschaft im ganzen, wie man umgekehrt das Ganze der Volkswirt¬
schaft und des Volkslebens in den Kreis seiner Betrachtung ziehen muß, wenn
man die Kämpfe zwischen Verkäufern und Käufern bis in ihre letzten Beweg¬
gründe und Kräfte verfolgen will. Wenn beispielsweise auch nur die Entstehung
des Preises von einem Kilo Brot zuverlässig festgestellt werden soll, so sind die
wirtschaftlichen Verhältnisse der Landwirtschaft, der Mutterei, des Handels und der
Bäckereien bis ins kleinste zu untersuchen und all die zahllosen Umstände zu
berücksichtigen, die die Höhe der Selbstkosten dieser Betriebsgruppen beeinflussen.
Nach solcher Vertiefung in das wirkliche Leben würde wohl mancher am
Studiertisch mit größter Bestimmtheit bedingungslos aufgestellter Lehrsatz eine
nicht unerhebliche Einschränkung erfahren.

Das Gebiet ist aber so unendlich weit, der streitigen Fragen von großer
Bedeutung gibt es so viele, daß zahllose Männer sich ihrer Erörterung widmen
könnten, ohne daß der einzelne zu befürchten brauchte, seine Arbeit könnte durch
die der anderen wertlos werden. Genaue Untersuchungen über die Entstehung
der Preise der wichtigsten Waren müssen aber nicht nur den Verbrauchern, der
Staatsregierung und den Männern der Wissenschaft, sondern allen, die sich mit
volkswirtschaftlichen Fragen zu beschäftigen haben, besonders den Parlamentariern
und den Vertretern der Presse sehr erwünscht sein. Selbst viele Erzeuger dürsten
derartige Ermittlungen mit Genugtuung begrüßen.

Die Erhebungen über die Bildung der Preise der einzelnen Erzeugnisse
sind vor allem auf die Ermittlung der Gestehungskosten zu richten: die Preise
der Haupt- und Nebenrohstoffe, die Löhne, Versicherungsbeiträge aller Art,
Steuern und andere öffentliche Abgaben, die Ausgaben für Geschäftsräume und
deren Einrichtung, Heizung, Beleuchtung, Maschinen, Frachtkosten, die jAuf-
wendungen für Verzinsung des Anlage- und Betriebskapitals, die Abnutzung
des Inventars, die Verluste durch Verderb von Waren und durch faule Kunden
und die Höhe des Unternehmergewinns, der wenigstens in gewissem Umfange
zu den Selbstkosten gehört. Den Untersuchungen sind die Preise und die Ver¬
hältnisse von Betrieben, die als gememgewöhnliche angesehen werden können,
zugrunde zu legen, wobei soweit nötig zwischen Betrieben von kleinem, mittlerem
und großem Umfang zu unterscheiden sein wird. Da das Ergebnis der
Ermittlungen zum leichteren Verständnis für das Publikum in möglichst knappe


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318948/114>, abgerufen am 08.01.2025.