Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Drittes Vierteljahr.Die Lebensvortenernng und ihre Bekämpfung oder auch nur Preußen umfassenden Verbandes kommt. Weit eher wäre es Ein im wesentlichen auf sich selbst angewiesener Verband hätte auch in Wir sind deshalb im Gegensatz zu der genannten Schrift der Meinung, daß ein Die Lebensvortenernng und ihre Bekämpfung oder auch nur Preußen umfassenden Verbandes kommt. Weit eher wäre es Ein im wesentlichen auf sich selbst angewiesener Verband hätte auch in Wir sind deshalb im Gegensatz zu der genannten Schrift der Meinung, daß ein <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0112" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/319061"/> <fw type="header" place="top"> Die Lebensvortenernng und ihre Bekämpfung</fw><lb/> <p xml:id="ID_986" prev="#ID_985"> oder auch nur Preußen umfassenden Verbandes kommt. Weit eher wäre es<lb/> möglich, zunächst in einzelnen Städten, in denen sich geeignete Persönlichkeiten<lb/> finden, Ortsvereine zu gründen, die sich später zu größeren Verbänden zusammen¬<lb/> schließen könnten und in diese zum Teil gewiß wertvolle selbständige Erfahrungen<lb/> einbringen würden.</p><lb/> <p xml:id="ID_987"> Ein im wesentlichen auf sich selbst angewiesener Verband hätte auch in<lb/> unserem Vaterlande, in-dem jedes neue Unternehmen von oben her gefördert<lb/> werden muß, wenn es nicht totgeboren sein soll, auf ausreichende Unterstützung<lb/> seitens öffentlicher Organe und des Publikums nicht zu rechnen , so daß der<lb/> Verband den zu erwartenden zahlreichen Schwierigkeiten nicht gewachsen sein<lb/> würde. Wie gleichgültig besonders die Gemeindeverwaltungen den Versuchen<lb/> zur Beseitigung der Teuerung gegenüberstehen, und wie wenig sie geneigt<lb/> sind, bei der Lösung der Frage der Verbilligung unentbehrlicher Lebensbedürf¬<lb/> nisse mitzuwirken, hat sich gezeigt, als der Beschluß der achtunddreißigsten Plenar-<lb/> versammlung des Deutschen Landwirtschaftsrates betreffend Maßnahmen der<lb/> deutschen Städteverwaltungen für die Fleischversorgung der Bevölkerung fünf-<lb/> hundertelf dieser Verwaltungen zur Kenntnis und mit der Bitte um Stellung¬<lb/> nahme übermittelt worden ist. Die Mehrzahl der Städte hat darauf überhaupt<lb/> nicht geantwortet.</p><lb/> <p xml:id="ID_988" next="#ID_989"> Wir sind deshalb im Gegensatz zu der genannten Schrift der Meinung, daß ein<lb/> Vorgehen gegen die Teuerung nur dann Erfolg verspricht, wenn der Staat selbst<lb/> die Führung übernimmt. Schon die von zuständiger Stelle abgegebene Erklärung,<lb/> daß er zur Unterstützung der Verbraucher entschlossen sei, wird ihre Zuversicht<lb/> wesentlich stärken und dadurch von großem Vorteil für sie sein, weil in dem<lb/> Kampfe um die Preise, wie in jedem anderen, nicht nur die wirkliche Kraft,<lb/> sondern auch das Selbstvertrauen eine entscheidende Rolle spielt. Die über den<lb/> Parteien stehende Staatsregierung vermag auch die widerstreitenden Interessen<lb/> in billiger Weise auszugleichen und dahin zu wirken, daß zwischen den ver¬<lb/> schiedenen Berussständen das harmonische Verhältnis hergestellt wird, das die<lb/> notwendige Voraussetzung sür die gedeihliche Entwicklung und die wirtschaftliche<lb/> Blüte des Volkes ist. Vou sozialem Geiste erfüllt, ist die deutsche bezw. preußische<lb/> Staatsregierung sich ihrer Pflicht, ausgleichend zu wirken und deshalb besonders<lb/> sür die mittleren und unteren Klassen zu sorgen, von jeher bewußt gewesen.<lb/> In Wirklichkeit ist aber sür diese Klassen von Staats wegen weniger<lb/> geschehen, als für die an sich schon günstiger gestellten Teile der<lb/> erwerbtätigen Bevölkerung. Die größten der durch den preußischen Staat<lb/> mit außerordentlichen Aufwendungen durchgeführten Maßregeln, wie die Eisen¬<lb/> bahnverstaatlichung, der Ausbau des Kaualnetzes, die Regelung der großen Flüsse<lb/> und die Ausgestaltung der Häfen kommen hauptsächlich der Industrie, dem<lb/> Handel und der Landwirtschaft zugute. Wie groß ist allein der Vorteil, den<lb/> Industrie und Handel aus den niedrigen Gütertarifen ziehen, die trotz der in<lb/> neuerer Zeit erfolgten beträchtlichen Steigerung der Ausgaben der Eisenbahn-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0112]
Die Lebensvortenernng und ihre Bekämpfung
oder auch nur Preußen umfassenden Verbandes kommt. Weit eher wäre es
möglich, zunächst in einzelnen Städten, in denen sich geeignete Persönlichkeiten
finden, Ortsvereine zu gründen, die sich später zu größeren Verbänden zusammen¬
schließen könnten und in diese zum Teil gewiß wertvolle selbständige Erfahrungen
einbringen würden.
Ein im wesentlichen auf sich selbst angewiesener Verband hätte auch in
unserem Vaterlande, in-dem jedes neue Unternehmen von oben her gefördert
werden muß, wenn es nicht totgeboren sein soll, auf ausreichende Unterstützung
seitens öffentlicher Organe und des Publikums nicht zu rechnen , so daß der
Verband den zu erwartenden zahlreichen Schwierigkeiten nicht gewachsen sein
würde. Wie gleichgültig besonders die Gemeindeverwaltungen den Versuchen
zur Beseitigung der Teuerung gegenüberstehen, und wie wenig sie geneigt
sind, bei der Lösung der Frage der Verbilligung unentbehrlicher Lebensbedürf¬
nisse mitzuwirken, hat sich gezeigt, als der Beschluß der achtunddreißigsten Plenar-
versammlung des Deutschen Landwirtschaftsrates betreffend Maßnahmen der
deutschen Städteverwaltungen für die Fleischversorgung der Bevölkerung fünf-
hundertelf dieser Verwaltungen zur Kenntnis und mit der Bitte um Stellung¬
nahme übermittelt worden ist. Die Mehrzahl der Städte hat darauf überhaupt
nicht geantwortet.
Wir sind deshalb im Gegensatz zu der genannten Schrift der Meinung, daß ein
Vorgehen gegen die Teuerung nur dann Erfolg verspricht, wenn der Staat selbst
die Führung übernimmt. Schon die von zuständiger Stelle abgegebene Erklärung,
daß er zur Unterstützung der Verbraucher entschlossen sei, wird ihre Zuversicht
wesentlich stärken und dadurch von großem Vorteil für sie sein, weil in dem
Kampfe um die Preise, wie in jedem anderen, nicht nur die wirkliche Kraft,
sondern auch das Selbstvertrauen eine entscheidende Rolle spielt. Die über den
Parteien stehende Staatsregierung vermag auch die widerstreitenden Interessen
in billiger Weise auszugleichen und dahin zu wirken, daß zwischen den ver¬
schiedenen Berussständen das harmonische Verhältnis hergestellt wird, das die
notwendige Voraussetzung sür die gedeihliche Entwicklung und die wirtschaftliche
Blüte des Volkes ist. Vou sozialem Geiste erfüllt, ist die deutsche bezw. preußische
Staatsregierung sich ihrer Pflicht, ausgleichend zu wirken und deshalb besonders
sür die mittleren und unteren Klassen zu sorgen, von jeher bewußt gewesen.
In Wirklichkeit ist aber sür diese Klassen von Staats wegen weniger
geschehen, als für die an sich schon günstiger gestellten Teile der
erwerbtätigen Bevölkerung. Die größten der durch den preußischen Staat
mit außerordentlichen Aufwendungen durchgeführten Maßregeln, wie die Eisen¬
bahnverstaatlichung, der Ausbau des Kaualnetzes, die Regelung der großen Flüsse
und die Ausgestaltung der Häfen kommen hauptsächlich der Industrie, dem
Handel und der Landwirtschaft zugute. Wie groß ist allein der Vorteil, den
Industrie und Handel aus den niedrigen Gütertarifen ziehen, die trotz der in
neuerer Zeit erfolgten beträchtlichen Steigerung der Ausgaben der Eisenbahn-
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