Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Till Lulenspicgcl

Österreich, Tirol und Schlesien, Graf des Elsaß.
Ingleichen von Burgund et celera --
Bekennen und tun kund Eur Bürgerschaft,
Vor Uns und Unsre Nachkomen ewig gültig,
Daß alle Steuern, Hebungen, Gefälle
Und Requirierung im Gebiet der Stadt,
So sie für Unsere Schatull erhoben
Wie die des Reiches künftig seind erlassen. --
Ingleichen schenken Wir den großen Anger
Der Stadt und Bürgerschaft ganz unentgeltlich
Und hoffen zuversichtlich, daß in Treuen
Soll diese Gnad sein anerkannt, und bieten
Durch unsern Delegat, Graf Semmering,
Euch Unsern Gruß. -- In großer Huld gegeben,
Hierunter ausgeführt durch Unser Siegel
Zu Wien, den 1. des April im Jahre
Tausend fünfhundert vierzig eins.


Ein Bürger:

Es lebe Kaiser Karl!

Er lebet lebet


Volk:

Es lebe auch der kaiserliche Rat!


Ein Bürger:

Hoch, heil! Er lebe! lebe!


Volk:
(Ein brausendes Geschrei; sie werfen die Mützen hoch und jubeln in Heller Freude.)

Ein Bürger (p
lötzlich):

Seht! O seht!

(Man bemerkt den Kanzler; es entsteht eine große Erregung. Eulenspiegel ist tief
erschrocken, doch faßt er sich schnell.)

Ein Anderer:

Ein zweiter Kanzler, seht!

Er gleicht dem andern!


Ein Anderer:
Volk:

Ein Mummenschanz! Betrug! Betrügerei!
'

s ist Eulenspiegel!


Ein Bürger
(ans den Kanzler deutend):

Eulenspiegel! Seht!


Volk:

Ist das ein Fastnachtsspiel. Magnifizenz?


Eulenspiegel:

Verzeiht, Herr Graf, die Provokatio;


Lobwasser:

Jedoch ein Schelm -- ich wett, es ist der Schelm! --
Treibt um sein Wesen frech in unsrer Stadt.


Volk:

's ist Eulenspiegel! Seht doch I

El, Herr Schalksnarr,

(zum Kanzler):

Ein Bürger

Der Hahn hat schon gekräht; Ihr habt verschlafen.

Noch gestern abend hat er unsern Fürsten


Lobwasser (
zu Eulenspiegel):

Und allen Hofstaat kecklich injuriert.
Daß ihm der Streich gelungen, macht ihn dreister,
Er glaubt wohl jetzt, er könne alles wagen.


Eulenspiegel:

Sagt, wollt Ihr nicht den Schelm verinhaftieren?


Mehrere:

Die Büttel holt! Die Büttel!

Wir greifen ihn!


Volk:

Rührt mich nicht an, der Spaß ging allzu weit


Kanzler
(mit Mäßigung):

Und könnt den Kopf euch kosten, lieben Leute! --
Unsinn'ges Volk -- unsinn'ger seine Räte,
Die sich im Gauklerspiel mit ihn: vermengen. --
So scheint es also wahr, wie man uns schrieb,
Daß Schlendrian und dreiste Pöbelei


Till Lulenspicgcl

Österreich, Tirol und Schlesien, Graf des Elsaß.
Ingleichen von Burgund et celera —
Bekennen und tun kund Eur Bürgerschaft,
Vor Uns und Unsre Nachkomen ewig gültig,
Daß alle Steuern, Hebungen, Gefälle
Und Requirierung im Gebiet der Stadt,
So sie für Unsere Schatull erhoben
Wie die des Reiches künftig seind erlassen. —
Ingleichen schenken Wir den großen Anger
Der Stadt und Bürgerschaft ganz unentgeltlich
Und hoffen zuversichtlich, daß in Treuen
Soll diese Gnad sein anerkannt, und bieten
Durch unsern Delegat, Graf Semmering,
Euch Unsern Gruß. — In großer Huld gegeben,
Hierunter ausgeführt durch Unser Siegel
Zu Wien, den 1. des April im Jahre
Tausend fünfhundert vierzig eins.


Ein Bürger:

Es lebe Kaiser Karl!

Er lebet lebet


Volk:

Es lebe auch der kaiserliche Rat!


Ein Bürger:

Hoch, heil! Er lebe! lebe!


Volk:
(Ein brausendes Geschrei; sie werfen die Mützen hoch und jubeln in Heller Freude.)

Ein Bürger (p
lötzlich):

Seht! O seht!

(Man bemerkt den Kanzler; es entsteht eine große Erregung. Eulenspiegel ist tief
erschrocken, doch faßt er sich schnell.)

Ein Anderer:

Ein zweiter Kanzler, seht!

Er gleicht dem andern!


Ein Anderer:
Volk:

Ein Mummenschanz! Betrug! Betrügerei!
'

s ist Eulenspiegel!


Ein Bürger
(ans den Kanzler deutend):

Eulenspiegel! Seht!


Volk:

Ist das ein Fastnachtsspiel. Magnifizenz?


Eulenspiegel:

Verzeiht, Herr Graf, die Provokatio;


Lobwasser:

Jedoch ein Schelm — ich wett, es ist der Schelm! —
Treibt um sein Wesen frech in unsrer Stadt.


Volk:

's ist Eulenspiegel! Seht doch I

El, Herr Schalksnarr,

(zum Kanzler):

Ein Bürger

Der Hahn hat schon gekräht; Ihr habt verschlafen.

Noch gestern abend hat er unsern Fürsten


Lobwasser (
zu Eulenspiegel):

Und allen Hofstaat kecklich injuriert.
Daß ihm der Streich gelungen, macht ihn dreister,
Er glaubt wohl jetzt, er könne alles wagen.


Eulenspiegel:

Sagt, wollt Ihr nicht den Schelm verinhaftieren?


Mehrere:

Die Büttel holt! Die Büttel!

Wir greifen ihn!


Volk:

Rührt mich nicht an, der Spaß ging allzu weit


Kanzler
(mit Mäßigung):

Und könnt den Kopf euch kosten, lieben Leute! —
Unsinn'ges Volk — unsinn'ger seine Räte,
Die sich im Gauklerspiel mit ihn: vermengen. —
So scheint es also wahr, wie man uns schrieb,
Daß Schlendrian und dreiste Pöbelei


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0631" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/318914"/>
          <fw type="header" place="top"> Till Lulenspicgcl</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_4545"> Österreich, Tirol und Schlesien, Graf des Elsaß.<lb/>
Ingleichen von Burgund et celera &#x2014;<lb/>
Bekennen und tun kund Eur Bürgerschaft,<lb/>
Vor Uns und Unsre Nachkomen ewig gültig,<lb/>
Daß alle Steuern, Hebungen, Gefälle<lb/>
Und Requirierung im Gebiet der Stadt,<lb/>
So sie für Unsere Schatull erhoben<lb/>
Wie die des Reiches künftig seind erlassen. &#x2014;<lb/>
Ingleichen schenken Wir den großen Anger<lb/>
Der Stadt und Bürgerschaft ganz unentgeltlich<lb/>
Und hoffen zuversichtlich, daß in Treuen<lb/>
Soll diese Gnad sein anerkannt, und bieten<lb/>
Durch unsern Delegat, Graf Semmering,<lb/>
Euch Unsern Gruß. &#x2014; In großer Huld gegeben,<lb/>
Hierunter ausgeführt durch Unser Siegel<lb/>
Zu Wien, den 1. des April im Jahre<lb/>
Tausend fünfhundert vierzig eins.</p><lb/>
          <note type="speaker"> Ein Bürger: </note><lb/>
          <p xml:id="ID_4546"> Es lebe Kaiser Karl!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_4547"> Er lebet lebet</p><lb/>
          <note type="speaker"> Volk:</note><lb/>
          <p xml:id="ID_4548"> Es lebe auch der kaiserliche Rat!</p><lb/>
          <note type="speaker"> Ein Bürger: </note><lb/>
          <p xml:id="ID_4549"> Hoch, heil! Er lebe! lebe!</p><lb/>
          <note type="speaker"> Volk:</note><lb/>
          <stage> (Ein brausendes Geschrei; sie werfen die Mützen hoch und jubeln in Heller Freude.)</stage><lb/>
          <note type="speaker"> Ein Bürger (p</note><lb/>
          <stage> lötzlich):</stage><lb/>
          <p xml:id="ID_4550"> Seht! O seht!</p><lb/>
          <stage> (Man bemerkt den Kanzler; es entsteht eine große Erregung. Eulenspiegel ist tief<lb/>
erschrocken, doch faßt er sich schnell.)</stage><lb/>
          <note type="speaker"> Ein Anderer:</note><lb/>
          <p xml:id="ID_4551"> Ein zweiter Kanzler, seht!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_4552"> Er gleicht dem andern!</p><lb/>
          <note type="speaker"> Ein Anderer:</note><lb/>
          <note type="speaker"> Volk:</note><lb/>
          <p xml:id="ID_4553"> Ein Mummenschanz! Betrug! Betrügerei!<lb/>
'</p><lb/>
          <p xml:id="ID_4554"> s ist Eulenspiegel!</p><lb/>
          <note type="speaker"> Ein Bürger</note><lb/>
          <stage> (ans den Kanzler deutend):</stage><lb/>
          <p xml:id="ID_4555"> Eulenspiegel! Seht!</p><lb/>
          <note type="speaker"> Volk:</note><lb/>
          <p xml:id="ID_4556"> Ist das ein Fastnachtsspiel. Magnifizenz?</p><lb/>
          <note type="speaker"> Eulenspiegel:</note><lb/>
          <p xml:id="ID_4557"> Verzeiht, Herr Graf, die Provokatio;</p><lb/>
          <note type="speaker"> Lobwasser: </note><lb/>
          <p xml:id="ID_4558"> Jedoch ein Schelm &#x2014; ich wett, es ist der Schelm! &#x2014;<lb/>
Treibt um sein Wesen frech in unsrer Stadt.</p><lb/>
          <note type="speaker"> Volk:</note><lb/>
          <p xml:id="ID_4559"> 's ist Eulenspiegel! Seht doch I</p><lb/>
          <p xml:id="ID_4560"> El, Herr Schalksnarr,</p><lb/>
          <stage> (zum Kanzler):</stage><lb/>
          <note type="speaker"> Ein Bürger</note><lb/>
          <p xml:id="ID_4561"> Der Hahn hat schon gekräht; Ihr habt verschlafen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_4562"> Noch gestern abend hat er unsern Fürsten</p><lb/>
          <note type="speaker"> Lobwasser (</note><lb/>
          <stage> zu Eulenspiegel): </stage><lb/>
          <p xml:id="ID_4563"> Und allen Hofstaat kecklich injuriert.<lb/>
Daß ihm der Streich gelungen, macht ihn dreister,<lb/>
Er glaubt wohl jetzt, er könne alles wagen.</p><lb/>
          <note type="speaker"> Eulenspiegel:</note><lb/>
          <p xml:id="ID_4564"> Sagt, wollt Ihr nicht den Schelm verinhaftieren?</p><lb/>
          <note type="speaker"> Mehrere:</note><lb/>
          <p xml:id="ID_4565"> Die Büttel holt! Die Büttel!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_4566"> Wir greifen ihn!</p><lb/>
          <note type="speaker"> Volk:</note><lb/>
          <p xml:id="ID_4567"> Rührt mich nicht an, der Spaß ging allzu weit</p><lb/>
          <note type="speaker"> Kanzler</note><lb/>
          <stage> (mit Mäßigung): </stage><lb/>
          <p xml:id="ID_4568"> Und könnt den Kopf euch kosten, lieben Leute! &#x2014;<lb/>
Unsinn'ges Volk &#x2014; unsinn'ger seine Räte,<lb/>
Die sich im Gauklerspiel mit ihn: vermengen. &#x2014;<lb/>
So scheint es also wahr, wie man uns schrieb,<lb/>
Daß Schlendrian und dreiste Pöbelei</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0631] Till Lulenspicgcl Österreich, Tirol und Schlesien, Graf des Elsaß. Ingleichen von Burgund et celera — Bekennen und tun kund Eur Bürgerschaft, Vor Uns und Unsre Nachkomen ewig gültig, Daß alle Steuern, Hebungen, Gefälle Und Requirierung im Gebiet der Stadt, So sie für Unsere Schatull erhoben Wie die des Reiches künftig seind erlassen. — Ingleichen schenken Wir den großen Anger Der Stadt und Bürgerschaft ganz unentgeltlich Und hoffen zuversichtlich, daß in Treuen Soll diese Gnad sein anerkannt, und bieten Durch unsern Delegat, Graf Semmering, Euch Unsern Gruß. — In großer Huld gegeben, Hierunter ausgeführt durch Unser Siegel Zu Wien, den 1. des April im Jahre Tausend fünfhundert vierzig eins. Ein Bürger: Es lebe Kaiser Karl! Er lebet lebet Volk: Es lebe auch der kaiserliche Rat! Ein Bürger: Hoch, heil! Er lebe! lebe! Volk: (Ein brausendes Geschrei; sie werfen die Mützen hoch und jubeln in Heller Freude.) Ein Bürger (p lötzlich): Seht! O seht! (Man bemerkt den Kanzler; es entsteht eine große Erregung. Eulenspiegel ist tief erschrocken, doch faßt er sich schnell.) Ein Anderer: Ein zweiter Kanzler, seht! Er gleicht dem andern! Ein Anderer: Volk: Ein Mummenschanz! Betrug! Betrügerei! ' s ist Eulenspiegel! Ein Bürger (ans den Kanzler deutend): Eulenspiegel! Seht! Volk: Ist das ein Fastnachtsspiel. Magnifizenz? Eulenspiegel: Verzeiht, Herr Graf, die Provokatio; Lobwasser: Jedoch ein Schelm — ich wett, es ist der Schelm! — Treibt um sein Wesen frech in unsrer Stadt. Volk: 's ist Eulenspiegel! Seht doch I El, Herr Schalksnarr, (zum Kanzler): Ein Bürger Der Hahn hat schon gekräht; Ihr habt verschlafen. Noch gestern abend hat er unsern Fürsten Lobwasser ( zu Eulenspiegel): Und allen Hofstaat kecklich injuriert. Daß ihm der Streich gelungen, macht ihn dreister, Er glaubt wohl jetzt, er könne alles wagen. Eulenspiegel: Sagt, wollt Ihr nicht den Schelm verinhaftieren? Mehrere: Die Büttel holt! Die Büttel! Wir greifen ihn! Volk: Rührt mich nicht an, der Spaß ging allzu weit Kanzler (mit Mäßigung): Und könnt den Kopf euch kosten, lieben Leute! — Unsinn'ges Volk — unsinn'ger seine Räte, Die sich im Gauklerspiel mit ihn: vermengen. — So scheint es also wahr, wie man uns schrieb, Daß Schlendrian und dreiste Pöbelei

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/631
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/631>, abgerufen am 03.07.2024.