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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Rußlands Lage und Aufgaben im fernen Gsten

wirklichte sich der Gedanke des englisch-russischen Einvernehmens über die Be¬
ziehungen beider Staaten zueinander in Asien, des Einvernehmens, das Rußland
von dem Alpdruck der Sorge um den kommenden Tag befreien sollte.

Japan hatte nach dem Kriege seine vorherrschende Stellung in Ostasien den
anderen Mächten zu früh und zu unvorsichtig fühlbar werden lassen. Seine
Unfähigkeit, fremde Rechte zu achten, sein Mangel an politischem Takt hatten
auch bei seinen Verbündeten lebhafte Befürchtungen für die friedliche Entwicklung
der Verhältnisse im Orient aufkommen lassen und einen gewissen zunächst passiven
Widerstand gegen den Eifer seiner Bestrebungen erzeugt.

Die Japaner selber haben, als sie die Summe ihrer Kriegserfolge zogen,
sich überzeugen müssen, wie schwer ein Kampf mit Nußland ist, wie er alle
Kräfte erschöpft, welche Opfer und Mühen er erfordert. In einem in Nußland
ganz gewiß nicht populären, auf fremdem Boden ausgefochtenen Kriege hat
Japan 35460 Mann an Toten und Verschollenen und Z71575 Mann als
Invaliden zu hundelt gehabt. An Ganzinvaliden hat das Land gegenwärtig
31088 Mann zu versorgen. Die Kriegskosten haben 2157 772881 Um betragen,
wozu fünf äußere Anleihen gegen Verpfändung wichtiger Regalien und fünf
innere Anleihen aufgenommen werden mußten. Außerdem ist das ganze Wirt¬
schaftsleben schwer geschädigt worden. Seine Stellung als Großmacht bezahlt
Japan mit der Erhöhung seiner ordentlichen Ausgaben von 250 Millionen Den
vor dem Kriege auf 650 Millionen. An Reichssteuern entfallen auf jeden Kopf
der Bevölkerung anstatt der früheren 5 jetzt 13 Den. Mit den Ausgaben hätte
die Zunahme des Wohlstandes annähernd Schritt halten müssen; allein nichts
berechtigt zu der Annahme, daß der Volkswohlstand sich auf das Zweieinhalbfache
des Standes vor dem Kriege gehoben habe. Im Gegenteil: nach der Be¬
rechnung des Gehilfen des japanischen Finanzministers hat jeder Japaner an
Staats- und Gemeindesteuern 35 Prozent seiner Einnahmen abzuführen. Aber
wenn alle riesigen Opfer durch die Wichtigkeit der Aufgabe gerechtfertigt
erscheinen, die sich Japan im vergangenen Kriege stellen mußte, so hat sich doch
jetzt, nachdem Rußland in seine Grenzen zurückgekehrt ist und seinem früheren
Gegner nicht mehr drohend im Wege steht, die Lage völlig geändert. Dies ist
auch in Japan erkannt worden und hat Veranlassung gegeben, sich Nußland
zu nähern und möglichst entgegenkommend zu zeigen. Und so haben sich die
gegenseitigen Beziehungen nach dem Abschluß des Handelsvertrages freundlich
gestaltet, nachdem durch ihn die verschiedenartigsten Fragen des internationalen
Verkehrs in einer für beide Teile zufriedenstellender Weise geregelt worden siud.
Daß Japan mit Befriedigung seine hauptsächlichsten Forderungen erfüllt sieht,
beweist die Verleihung außerordentlicher Belohnungen an alle die Personen, die
an den Unterhandlungen teilgenommen haben. Der Vertrag war nur die erste
Etappe auf dem Wege der Befestigung der russisch-japanischen Beziehungen;
heute haben sie sich, wie bekannt, bereits zu einem förmlichen Übereinkommen
über die ostastatischen Fragen vertieft.


Rußlands Lage und Aufgaben im fernen Gsten

wirklichte sich der Gedanke des englisch-russischen Einvernehmens über die Be¬
ziehungen beider Staaten zueinander in Asien, des Einvernehmens, das Rußland
von dem Alpdruck der Sorge um den kommenden Tag befreien sollte.

Japan hatte nach dem Kriege seine vorherrschende Stellung in Ostasien den
anderen Mächten zu früh und zu unvorsichtig fühlbar werden lassen. Seine
Unfähigkeit, fremde Rechte zu achten, sein Mangel an politischem Takt hatten
auch bei seinen Verbündeten lebhafte Befürchtungen für die friedliche Entwicklung
der Verhältnisse im Orient aufkommen lassen und einen gewissen zunächst passiven
Widerstand gegen den Eifer seiner Bestrebungen erzeugt.

Die Japaner selber haben, als sie die Summe ihrer Kriegserfolge zogen,
sich überzeugen müssen, wie schwer ein Kampf mit Nußland ist, wie er alle
Kräfte erschöpft, welche Opfer und Mühen er erfordert. In einem in Nußland
ganz gewiß nicht populären, auf fremdem Boden ausgefochtenen Kriege hat
Japan 35460 Mann an Toten und Verschollenen und Z71575 Mann als
Invaliden zu hundelt gehabt. An Ganzinvaliden hat das Land gegenwärtig
31088 Mann zu versorgen. Die Kriegskosten haben 2157 772881 Um betragen,
wozu fünf äußere Anleihen gegen Verpfändung wichtiger Regalien und fünf
innere Anleihen aufgenommen werden mußten. Außerdem ist das ganze Wirt¬
schaftsleben schwer geschädigt worden. Seine Stellung als Großmacht bezahlt
Japan mit der Erhöhung seiner ordentlichen Ausgaben von 250 Millionen Den
vor dem Kriege auf 650 Millionen. An Reichssteuern entfallen auf jeden Kopf
der Bevölkerung anstatt der früheren 5 jetzt 13 Den. Mit den Ausgaben hätte
die Zunahme des Wohlstandes annähernd Schritt halten müssen; allein nichts
berechtigt zu der Annahme, daß der Volkswohlstand sich auf das Zweieinhalbfache
des Standes vor dem Kriege gehoben habe. Im Gegenteil: nach der Be¬
rechnung des Gehilfen des japanischen Finanzministers hat jeder Japaner an
Staats- und Gemeindesteuern 35 Prozent seiner Einnahmen abzuführen. Aber
wenn alle riesigen Opfer durch die Wichtigkeit der Aufgabe gerechtfertigt
erscheinen, die sich Japan im vergangenen Kriege stellen mußte, so hat sich doch
jetzt, nachdem Rußland in seine Grenzen zurückgekehrt ist und seinem früheren
Gegner nicht mehr drohend im Wege steht, die Lage völlig geändert. Dies ist
auch in Japan erkannt worden und hat Veranlassung gegeben, sich Nußland
zu nähern und möglichst entgegenkommend zu zeigen. Und so haben sich die
gegenseitigen Beziehungen nach dem Abschluß des Handelsvertrages freundlich
gestaltet, nachdem durch ihn die verschiedenartigsten Fragen des internationalen
Verkehrs in einer für beide Teile zufriedenstellender Weise geregelt worden siud.
Daß Japan mit Befriedigung seine hauptsächlichsten Forderungen erfüllt sieht,
beweist die Verleihung außerordentlicher Belohnungen an alle die Personen, die
an den Unterhandlungen teilgenommen haben. Der Vertrag war nur die erste
Etappe auf dem Wege der Befestigung der russisch-japanischen Beziehungen;
heute haben sie sich, wie bekannt, bereits zu einem förmlichen Übereinkommen
über die ostastatischen Fragen vertieft.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/63>, abgerufen am 26.06.2024.