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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Ständeglicdcrung und Ständevcvfassuiig

anderen Wirtschaften in Abhängigkeit von sich bringt und mit ihren Hörigen
und Hintersassen mancherwärts neben den verbleibenden freien Bauernstand tritt,
mancherwärts diesen aufsaugt und verdrängt. Weiter löst sich teils ans den
Dienstleuten und Abhängigen der Grundherrschaft, teils aus der freien bäuer¬
lichen Wirtschaft allmählich als neuer Stand das Handwerk, während aus
diesem und neben ihm auf den Märkten und in den aufkommenden Städten
als ein weiterer Stand der Handel entsteht. An der Stelle des anfangs mich
für die Grundherrschaft noch charakteristischen Systems der sogenannten geschlossenen
Hauswirtschaft finden wir nun einen lokalen Austausch zwischen den Leistungen
und Erzeugnissen der Stadt, ihres Handwerks und Handels auf der einen und
der Überschußproduktiou des sie umgebenden Landes auf der anderen Seite,
an Stelle des einen Standes der freien Ackerbürger eine Mehrheit wirtschaftlich
und sozial differenzierter, teils einander unter- und eingeordneter, teils wirtschaft¬
lich nebeneinander tretender Stäude, den Grundadel, den teils unfreien, teils
freien Bauernstand auf dein Lande, das Handmerk und den Handel in den
Städten.

In jedem dieser Stände wiederum, deren Gliederung und Verfassung hier nur
schematisch, vou der Mannigfaltigkeit ihrer natürlichen und örtlichen Entwicklung im
einzelnen absehend, augedeutet werden kann, finden wir bald eine weitgehende
Teilung und Differenzierung, beim ländlichen Grundbesitz vertikal, vom Hintersassen
und Bauern über den Ritter und Grundherrn hinauf bis zum Territorialherrn und
Kaiser, die ganze Stufenfolge des nnttclalterlichcn Lehnswesens und Feudal¬
systeins, beim aufkommenden Bürgerstand horizontal, eine wachsende Spezialisation
nebeneinander tretender Handwerke und die Ausbildung des ständigen Handels,
auch sie aber und das auf ihr beruhende Städtewesen beherrscht und getragen
von der gebundenen mittelalterlichen Wirtschaftsordnung, lehnsherrlichcn Auslagen
und Verpflichtungen auf der einen, Privilegien, Stadt- und Zunftrechten auf
der anderen Seite.

Als Korrelat der wirtschaftlichen Ständegliederung entwickelt sich die politische
Ständeverfassung. Die Grundherren, die Ritter, die Bauern, wo ihnen
dies möglich ist, die Angehörigen der einzelnen Handwerke und die Handel¬
treibenden schließen sich zur Erkämpfung, Wahrung und Ausdehnung ihrer Stellung
und Rechte zu Korporationen, Bruderschaften, Gilden, Innungen, Zünften
zusammen, die zu wichtigen Faktoren des wirtschaftlichen und politischen Lebens
werden. Art, Beschaffenheit und Preise der Handwerkserzeugnisse, Produktion,
Absatz und Wettbewerb sind im Verhältnis der Zunftgenossen zueinander sowie
des Handwerks nach außen durch die Zunftordnung und Zunftrechte geregelt:
neben der Regelung der Gewerbe nach innen und der Garantie ihres wirtschaft¬
lichen Bestandes nach außen dienen die Zünfte aber zugleich geselligen, kirchlichen,
militärischen Zwecken, wie sie weiter an der politischen Verfassung und Ver¬
tretung der Städte und dadurch ein deren Verwaltung und politischer Wirksamkeit
teilnehmen. Wie Handel und Handwerk besitzen die anderen Stände, die Ritter


Ständeglicdcrung und Ständevcvfassuiig

anderen Wirtschaften in Abhängigkeit von sich bringt und mit ihren Hörigen
und Hintersassen mancherwärts neben den verbleibenden freien Bauernstand tritt,
mancherwärts diesen aufsaugt und verdrängt. Weiter löst sich teils ans den
Dienstleuten und Abhängigen der Grundherrschaft, teils aus der freien bäuer¬
lichen Wirtschaft allmählich als neuer Stand das Handwerk, während aus
diesem und neben ihm auf den Märkten und in den aufkommenden Städten
als ein weiterer Stand der Handel entsteht. An der Stelle des anfangs mich
für die Grundherrschaft noch charakteristischen Systems der sogenannten geschlossenen
Hauswirtschaft finden wir nun einen lokalen Austausch zwischen den Leistungen
und Erzeugnissen der Stadt, ihres Handwerks und Handels auf der einen und
der Überschußproduktiou des sie umgebenden Landes auf der anderen Seite,
an Stelle des einen Standes der freien Ackerbürger eine Mehrheit wirtschaftlich
und sozial differenzierter, teils einander unter- und eingeordneter, teils wirtschaft¬
lich nebeneinander tretender Stäude, den Grundadel, den teils unfreien, teils
freien Bauernstand auf dein Lande, das Handmerk und den Handel in den
Städten.

In jedem dieser Stände wiederum, deren Gliederung und Verfassung hier nur
schematisch, vou der Mannigfaltigkeit ihrer natürlichen und örtlichen Entwicklung im
einzelnen absehend, augedeutet werden kann, finden wir bald eine weitgehende
Teilung und Differenzierung, beim ländlichen Grundbesitz vertikal, vom Hintersassen
und Bauern über den Ritter und Grundherrn hinauf bis zum Territorialherrn und
Kaiser, die ganze Stufenfolge des nnttclalterlichcn Lehnswesens und Feudal¬
systeins, beim aufkommenden Bürgerstand horizontal, eine wachsende Spezialisation
nebeneinander tretender Handwerke und die Ausbildung des ständigen Handels,
auch sie aber und das auf ihr beruhende Städtewesen beherrscht und getragen
von der gebundenen mittelalterlichen Wirtschaftsordnung, lehnsherrlichcn Auslagen
und Verpflichtungen auf der einen, Privilegien, Stadt- und Zunftrechten auf
der anderen Seite.

Als Korrelat der wirtschaftlichen Ständegliederung entwickelt sich die politische
Ständeverfassung. Die Grundherren, die Ritter, die Bauern, wo ihnen
dies möglich ist, die Angehörigen der einzelnen Handwerke und die Handel¬
treibenden schließen sich zur Erkämpfung, Wahrung und Ausdehnung ihrer Stellung
und Rechte zu Korporationen, Bruderschaften, Gilden, Innungen, Zünften
zusammen, die zu wichtigen Faktoren des wirtschaftlichen und politischen Lebens
werden. Art, Beschaffenheit und Preise der Handwerkserzeugnisse, Produktion,
Absatz und Wettbewerb sind im Verhältnis der Zunftgenossen zueinander sowie
des Handwerks nach außen durch die Zunftordnung und Zunftrechte geregelt:
neben der Regelung der Gewerbe nach innen und der Garantie ihres wirtschaft¬
lichen Bestandes nach außen dienen die Zünfte aber zugleich geselligen, kirchlichen,
militärischen Zwecken, wie sie weiter an der politischen Verfassung und Ver¬
tretung der Städte und dadurch ein deren Verwaltung und politischer Wirksamkeit
teilnehmen. Wie Handel und Handwerk besitzen die anderen Stände, die Ritter


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[0606] Ständeglicdcrung und Ständevcvfassuiig anderen Wirtschaften in Abhängigkeit von sich bringt und mit ihren Hörigen und Hintersassen mancherwärts neben den verbleibenden freien Bauernstand tritt, mancherwärts diesen aufsaugt und verdrängt. Weiter löst sich teils ans den Dienstleuten und Abhängigen der Grundherrschaft, teils aus der freien bäuer¬ lichen Wirtschaft allmählich als neuer Stand das Handwerk, während aus diesem und neben ihm auf den Märkten und in den aufkommenden Städten als ein weiterer Stand der Handel entsteht. An der Stelle des anfangs mich für die Grundherrschaft noch charakteristischen Systems der sogenannten geschlossenen Hauswirtschaft finden wir nun einen lokalen Austausch zwischen den Leistungen und Erzeugnissen der Stadt, ihres Handwerks und Handels auf der einen und der Überschußproduktiou des sie umgebenden Landes auf der anderen Seite, an Stelle des einen Standes der freien Ackerbürger eine Mehrheit wirtschaftlich und sozial differenzierter, teils einander unter- und eingeordneter, teils wirtschaft¬ lich nebeneinander tretender Stäude, den Grundadel, den teils unfreien, teils freien Bauernstand auf dein Lande, das Handmerk und den Handel in den Städten. In jedem dieser Stände wiederum, deren Gliederung und Verfassung hier nur schematisch, vou der Mannigfaltigkeit ihrer natürlichen und örtlichen Entwicklung im einzelnen absehend, augedeutet werden kann, finden wir bald eine weitgehende Teilung und Differenzierung, beim ländlichen Grundbesitz vertikal, vom Hintersassen und Bauern über den Ritter und Grundherrn hinauf bis zum Territorialherrn und Kaiser, die ganze Stufenfolge des nnttclalterlichcn Lehnswesens und Feudal¬ systeins, beim aufkommenden Bürgerstand horizontal, eine wachsende Spezialisation nebeneinander tretender Handwerke und die Ausbildung des ständigen Handels, auch sie aber und das auf ihr beruhende Städtewesen beherrscht und getragen von der gebundenen mittelalterlichen Wirtschaftsordnung, lehnsherrlichcn Auslagen und Verpflichtungen auf der einen, Privilegien, Stadt- und Zunftrechten auf der anderen Seite. Als Korrelat der wirtschaftlichen Ständegliederung entwickelt sich die politische Ständeverfassung. Die Grundherren, die Ritter, die Bauern, wo ihnen dies möglich ist, die Angehörigen der einzelnen Handwerke und die Handel¬ treibenden schließen sich zur Erkämpfung, Wahrung und Ausdehnung ihrer Stellung und Rechte zu Korporationen, Bruderschaften, Gilden, Innungen, Zünften zusammen, die zu wichtigen Faktoren des wirtschaftlichen und politischen Lebens werden. Art, Beschaffenheit und Preise der Handwerkserzeugnisse, Produktion, Absatz und Wettbewerb sind im Verhältnis der Zunftgenossen zueinander sowie des Handwerks nach außen durch die Zunftordnung und Zunftrechte geregelt: neben der Regelung der Gewerbe nach innen und der Garantie ihres wirtschaft¬ lichen Bestandes nach außen dienen die Zünfte aber zugleich geselligen, kirchlichen, militärischen Zwecken, wie sie weiter an der politischen Verfassung und Ver¬ tretung der Städte und dadurch ein deren Verwaltung und politischer Wirksamkeit teilnehmen. Wie Handel und Handwerk besitzen die anderen Stände, die Ritter

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/606>, abgerufen am 22.07.2024.