Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches [Beginn Spaltensatz] Teleophvbie der Kausalitätsfanatikerverspottet; auf voreingenommene Leser Eindruck machen, Prof. Reinke ist nicht bloß Botaniker, nicht Maßgebliches und Unmaßgebliches [Beginn Spaltensatz] Teleophvbie der Kausalitätsfanatikerverspottet; auf voreingenommene Leser Eindruck machen, Prof. Reinke ist nicht bloß Botaniker, nicht <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0542" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/318825"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <cb type="start"/> <p xml:id="ID_3194" prev="#ID_3193" next="#ID_3195"> Teleophvbie der Kausalitätsfanatikerverspottet;<lb/> selbstverständlich kennt den ein jeder); denn<lb/> dieser Fetischismus verbirgt dem Beschauer<lb/> die Hälfte des Weltganzen und erzeugt von<lb/> diesen: ein falsches Bild, „Ein Gobelin zeigt<lb/> ein gewebtes Bild, Wer die richtige An¬<lb/> schauung von einem solchen Teppich gewinnen<lb/> will, betrachtet sowohl die Vorderseite wie die<lb/> Rückseite, Den einseitigen Kausnlforscher da¬<lb/> gegen interessiert nur die Rückseite, auf der<lb/> er erkennen kann, wie die einzelnen Fäden<lb/> geknüpft sind. Die Vorderseite, ans der die<lb/> Fäden final zum Bildnis zusammenwirken,<lb/> ist ihm gleichgültig," Es ist nicht dasselbe,<lb/> hängt aber damit zusammen, wenn der Ma¬<lb/> terialist, ohne den wichtigsten Teil der Wirk¬<lb/> lichkeit, das Psychische Innenleben, eine Welt¬<lb/> anschauung zu konstruieren, oder wenigstens<lb/> diese auf die physikalischeWelt allein zugründen<lb/> versucht. Bei allen solchen Einseitigkeiten<lb/> wirkt ein Autoritätsglaube mit: der Glaube<lb/> an eine einzelne wissenschaftliche Autorität, der<lb/> nur darum nicht so viel Unheil anrichtet wie<lb/> die Kircheuautvritüt, weil ein einzelner Mann<lb/> niemals so viel Gläubige findet wie eine<lb/> mächtige Gemeinschaft, Was der Kirche so<lb/> große Macht verleiht, das ist u. a, das meta¬<lb/> physische Bedürfnis der Massen, das sich desto<lb/> voller gesättigt fühlt, je reicher an Einzel¬<lb/> heiten die Weltanschauung ist, die ein Welt¬<lb/> anschauungskünstler oder ein Verein solcher<lb/> Künstler ihm darbietet, als unfehlbare,<lb/> positive Wahrheit darbietet. Die Massen be¬<lb/> stehen eben, wie Ramle ausführt, aus<lb/> schwachen Geistern, Der selbständige starke<lb/> Geist weiß, daß jede Weltanschauung nur<lb/> ein Gemälde ist, welches dadurch zustande<lb/> kommt, daß die Schöpferin Phantasie die<lb/> Lücken des Wissens mit Hypothesen ausfüllt,<lb/> und daß die meisten sogenannten Wahrheiten<lb/> detaillierter Weltanschauungen solches Füllsel<lb/> sind; er weiß, daß es eine vollkommene, mit<lb/> der Wahrheit und Wirklichkeit sich deckende<lb/> Weltanschauung nicht gibt, nicht geben kann,<lb/> und daß jeder originelle Geist seine eigene<lb/> hat. Sehr zu empfehlen ist das letzte Kapitel:<lb/> „Was Meister der Weltanschauung aussagen".<lb/> Es sind zweihundcrtuudsechzehn Ausspniche be-<lb/> rühinterMänner, welche auf die in dem Buche<lb/> behandelten Gegenstände Bezug haben. Es<lb/> wird auf unbefangene, vielleicht sogar auch</p> <cb/><lb/> <p xml:id="ID_3195" prev="#ID_3194"> auf voreingenommene Leser Eindruck machen,<lb/> wenn sie sich überzeugen, wie energisch nicht<lb/> bloß Kant und Herder (von Luther, Cartesius<lb/> und Leibniz ganz zu schweigen), sondern auch<lb/> Rousseau, Voltaire, Friedrich der Große, Karl<lb/> Ernst v. Baer, Robert Meyer, Justus v, Liebig,<lb/> Huxley, Maxwell und Thomson (Lord Kelvin)<lb/> den atheistischen Materialismus abgelehnt<lb/> haben,</p> <p xml:id="ID_3196" next="#ID_3197"> Prof. Reinke ist nicht bloß Botaniker, nicht<lb/> bloß gelehrter Forscher und schreibt nicht bloß<lb/> für Fachgenossen, sondern sieht es für seine<lb/> Hauptaufgabe an, die sicheren Ergebnisse der<lb/> naturwissenschaftlichen Forschung im Volke zu<lb/> verbreiten und die Gesamtheit zum wissen¬<lb/> schaftlichen Denken zu erziehen. Er ist für<lb/> diese Aufgabe, die er sich gestellt hat, eminent<lb/> befähigt, denn er verfügt über die Gabe klarer<lb/> und verstündlicher Darstellung (weil er klar<lb/> im Denken und, lediglich der Pflicht der Wahr¬<lb/> haftigkeit gehorchend, nicht genötigt ist, durch<lb/> unklare Ausdrucksweise die Unbcweisbarkeit<lb/> tendenziöser Behauptungen zu verschleiern);<lb/> und weil er sich selbst darüber vollkommen klar<lb/> ist, was wirklich gesichertes Ergebnis der<lb/> Forschung, was zulässige oder berechtigte,<lb/> zum Teil unentbehrliche Hypothese, was bloß<lb/> Vermutung und Phantnsiegebilde ist, darum<lb/> vermag er das auch seinen Zuhörern und Lesern<lb/> klar zu machen. Bei solcherBcschaffenheit seines<lb/> Lehrvortmges hat jedes seiner Worte besonders<lb/> dann großes Gewicht, wenn damit ein neuer<lb/> Ausblick eröffnet, die Entscheidung einer wich¬<lb/> tigen Streitfrage gegeben wird. Eine solche<lb/> Entscheidung finden wir in dem (voriges Jahr<lb/> in Eugen Sulzers Verlag erschienenen) fünften<lb/> Hefte seiner Naturwissenschaftlichen Vorträge.<lb/> Unmöglich, schreibt er S. 41 ff., sei ein hartes,<lb/> ein stolzes Wort, dennoch stehe er nicht an,<lb/> es gegenüber der Annahme einer Urzeugung<lb/> zu gebrauchen. Die Annahme, daß sich Ei¬<lb/> weiß, der Zellstoff, „von selbst", d. h. unter<lb/> der Einwirkung keiner anderen als der be¬<lb/> kannten Physikalisch-chemischen Kräfie aus un¬<lb/> organischen Stoffen gebildet habe, widerspreche<lb/> dem zweiten Hauptsatze der Energetik: daß<lb/> in einem materiellen System Energie von selbst<lb/> nur aus dem Zustande höherer Spannring in<lb/> den Zustand niederer Spannung übergehen<lb/> kann, nicht umgekehrt. Der Zustand hoher<lb/> Spannung ist labil, weil die Spannung sich</p> <cb type="end"/><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0542]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Teleophvbie der Kausalitätsfanatikerverspottet;
selbstverständlich kennt den ein jeder); denn
dieser Fetischismus verbirgt dem Beschauer
die Hälfte des Weltganzen und erzeugt von
diesen: ein falsches Bild, „Ein Gobelin zeigt
ein gewebtes Bild, Wer die richtige An¬
schauung von einem solchen Teppich gewinnen
will, betrachtet sowohl die Vorderseite wie die
Rückseite, Den einseitigen Kausnlforscher da¬
gegen interessiert nur die Rückseite, auf der
er erkennen kann, wie die einzelnen Fäden
geknüpft sind. Die Vorderseite, ans der die
Fäden final zum Bildnis zusammenwirken,
ist ihm gleichgültig," Es ist nicht dasselbe,
hängt aber damit zusammen, wenn der Ma¬
terialist, ohne den wichtigsten Teil der Wirk¬
lichkeit, das Psychische Innenleben, eine Welt¬
anschauung zu konstruieren, oder wenigstens
diese auf die physikalischeWelt allein zugründen
versucht. Bei allen solchen Einseitigkeiten
wirkt ein Autoritätsglaube mit: der Glaube
an eine einzelne wissenschaftliche Autorität, der
nur darum nicht so viel Unheil anrichtet wie
die Kircheuautvritüt, weil ein einzelner Mann
niemals so viel Gläubige findet wie eine
mächtige Gemeinschaft, Was der Kirche so
große Macht verleiht, das ist u. a, das meta¬
physische Bedürfnis der Massen, das sich desto
voller gesättigt fühlt, je reicher an Einzel¬
heiten die Weltanschauung ist, die ein Welt¬
anschauungskünstler oder ein Verein solcher
Künstler ihm darbietet, als unfehlbare,
positive Wahrheit darbietet. Die Massen be¬
stehen eben, wie Ramle ausführt, aus
schwachen Geistern, Der selbständige starke
Geist weiß, daß jede Weltanschauung nur
ein Gemälde ist, welches dadurch zustande
kommt, daß die Schöpferin Phantasie die
Lücken des Wissens mit Hypothesen ausfüllt,
und daß die meisten sogenannten Wahrheiten
detaillierter Weltanschauungen solches Füllsel
sind; er weiß, daß es eine vollkommene, mit
der Wahrheit und Wirklichkeit sich deckende
Weltanschauung nicht gibt, nicht geben kann,
und daß jeder originelle Geist seine eigene
hat. Sehr zu empfehlen ist das letzte Kapitel:
„Was Meister der Weltanschauung aussagen".
Es sind zweihundcrtuudsechzehn Ausspniche be-
rühinterMänner, welche auf die in dem Buche
behandelten Gegenstände Bezug haben. Es
wird auf unbefangene, vielleicht sogar auch
auf voreingenommene Leser Eindruck machen,
wenn sie sich überzeugen, wie energisch nicht
bloß Kant und Herder (von Luther, Cartesius
und Leibniz ganz zu schweigen), sondern auch
Rousseau, Voltaire, Friedrich der Große, Karl
Ernst v. Baer, Robert Meyer, Justus v, Liebig,
Huxley, Maxwell und Thomson (Lord Kelvin)
den atheistischen Materialismus abgelehnt
haben,
Prof. Reinke ist nicht bloß Botaniker, nicht
bloß gelehrter Forscher und schreibt nicht bloß
für Fachgenossen, sondern sieht es für seine
Hauptaufgabe an, die sicheren Ergebnisse der
naturwissenschaftlichen Forschung im Volke zu
verbreiten und die Gesamtheit zum wissen¬
schaftlichen Denken zu erziehen. Er ist für
diese Aufgabe, die er sich gestellt hat, eminent
befähigt, denn er verfügt über die Gabe klarer
und verstündlicher Darstellung (weil er klar
im Denken und, lediglich der Pflicht der Wahr¬
haftigkeit gehorchend, nicht genötigt ist, durch
unklare Ausdrucksweise die Unbcweisbarkeit
tendenziöser Behauptungen zu verschleiern);
und weil er sich selbst darüber vollkommen klar
ist, was wirklich gesichertes Ergebnis der
Forschung, was zulässige oder berechtigte,
zum Teil unentbehrliche Hypothese, was bloß
Vermutung und Phantnsiegebilde ist, darum
vermag er das auch seinen Zuhörern und Lesern
klar zu machen. Bei solcherBcschaffenheit seines
Lehrvortmges hat jedes seiner Worte besonders
dann großes Gewicht, wenn damit ein neuer
Ausblick eröffnet, die Entscheidung einer wich¬
tigen Streitfrage gegeben wird. Eine solche
Entscheidung finden wir in dem (voriges Jahr
in Eugen Sulzers Verlag erschienenen) fünften
Hefte seiner Naturwissenschaftlichen Vorträge.
Unmöglich, schreibt er S. 41 ff., sei ein hartes,
ein stolzes Wort, dennoch stehe er nicht an,
es gegenüber der Annahme einer Urzeugung
zu gebrauchen. Die Annahme, daß sich Ei¬
weiß, der Zellstoff, „von selbst", d. h. unter
der Einwirkung keiner anderen als der be¬
kannten Physikalisch-chemischen Kräfie aus un¬
organischen Stoffen gebildet habe, widerspreche
dem zweiten Hauptsatze der Energetik: daß
in einem materiellen System Energie von selbst
nur aus dem Zustande höherer Spannring in
den Zustand niederer Spannung übergehen
kann, nicht umgekehrt. Der Zustand hoher
Spannung ist labil, weil die Spannung sich
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