Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Rassedienst

versagen. Wer aus Mitleid sich gegen die Härte solcher Verbote wendet, sollte
bedenken, welch unsägliches Elend durch sie verhindert werden könnte. Vielleicht
würden sie auch einen sehr erwünschten erziehlichen und bewahrenden Einfluß
ausüben. Und wie leicht findet man sich anderseits mit Eheverboten und
-erschwerungen bei Lehrerinnen, Krankenschwestern usw. ab! -- Wenn einst
durch Erziehung das öffentliche Gewissen für eugenische Fragen geschärft sein
wird, so wird auch die Fortpflanzung stark psychopathisch Beanlagter hintan¬
gehalten werden. -- In einigen Staaten findet gegenwärtig chirurgische Unfrucht¬
barmachung von Verbrechern, Idioten usw. durch Vasektomie statt, eine sehr
leichte Operation, die weniger Schonung fordert als das Ausziehen eines Zahnes
und späteren Geschlechtsverkehr in keiner Weise hindert. Den Sträflingen war
dieser Eingriff oft ganz erwünscht!

Von dem Vorschlage, Gesundheitszeugnisse zwischen Brautleuten austauschen
zu lassen, jedoch Verbote nicht daran zu knüpfen, verspricht sich Schallmayer
weniger Nutzen als Schaden. Er betont, daß rücksichtslose Menschen sich nicht
um solche Älteste kümmern würden; sie könnten somit nur rücksichtsvollere
Naturen, wertvollere Bevölkerungselemente zu einem wahrscheinlich allzu strengen
Urteil über ihren eigenen Erbwert verleiten und von der Fortpflanzung abhalten. --
Vielleicht unterschützt Schallmayer hier doch die guten Wirkungen, die Möglichkeit,
durch solche Mittel das Gewissen für eugenische Dinge zu schärfen. Er wendet
sich gegen Forels optimistische Beurteilung der Wirkung eugenischer Belehrung,
schätzt diese aber seinerseits gelegentlich wohl zu niedrig ein. Immerhin sind
Schallmayers Bedenken sehr beachtenswert. Einfache Gesundheitsatteste sind
überhaupt unzuverlässig, und die gesundheitliche Auslese darf uicht zuungunsten
der geistig-sittlichen Erbwerte arbeiten, die uns denn doch als die wichtigsten
erscheinen.

Auf die Erziehung zu eugenisch wirksamer Liebe, zu einer durch den geistig¬
leiblichen Persönlichkeitswert bestimmten Gattenwahl, die sich nicht durch äußerliche
Werte, wie Besitz usw., irreleiten läßt, und auf die Stärkung des Pflichtbewußt¬
seins gegen die kommenden Geschlechter muß das größte Gewicht gelegt werden.
Doch ist es sehr verdienstvoll, daß Schallmayer auf indirekte Beeinflussungen
des Ausleseprozesses aufmerksam macht; denn es bleibt immer bedenklich, von
dem guten Willen, dem Pflichtgefühl, der Liebeswahl alles zu erhoffen. Belehrung,
Begeisterung und Pflichtgefühl sind nicht machtlos; aber ihr Einfluß gegenüber
egoistischen Interessen ist nur zu begrenzt. Es gilt, die letzteren in den Dienst
der Eugenik zu stellen, wie die Gesellschaft sie so oft in den Dienst anderer
sozialer Aufgaben spannt. Von Vorschlägen, die in absehbarer Zeit nicht ver¬
wirklicht werden können, sehen wir ganz ab. Hierher gehören gewisse, zu
Züchtungszwecken erdachte Formen der Polygamie, die wir nicht nur aus den
von Schallmayer angeführten Gründen ablehnen.

Fassen wir also Reformen ins Auge, die in absehbarer Zeit verwirklicht
werden könnten. Der Staat muß mit dem Bestreben, für die höheren offene-


Rassedienst

versagen. Wer aus Mitleid sich gegen die Härte solcher Verbote wendet, sollte
bedenken, welch unsägliches Elend durch sie verhindert werden könnte. Vielleicht
würden sie auch einen sehr erwünschten erziehlichen und bewahrenden Einfluß
ausüben. Und wie leicht findet man sich anderseits mit Eheverboten und
-erschwerungen bei Lehrerinnen, Krankenschwestern usw. ab! — Wenn einst
durch Erziehung das öffentliche Gewissen für eugenische Fragen geschärft sein
wird, so wird auch die Fortpflanzung stark psychopathisch Beanlagter hintan¬
gehalten werden. — In einigen Staaten findet gegenwärtig chirurgische Unfrucht¬
barmachung von Verbrechern, Idioten usw. durch Vasektomie statt, eine sehr
leichte Operation, die weniger Schonung fordert als das Ausziehen eines Zahnes
und späteren Geschlechtsverkehr in keiner Weise hindert. Den Sträflingen war
dieser Eingriff oft ganz erwünscht!

Von dem Vorschlage, Gesundheitszeugnisse zwischen Brautleuten austauschen
zu lassen, jedoch Verbote nicht daran zu knüpfen, verspricht sich Schallmayer
weniger Nutzen als Schaden. Er betont, daß rücksichtslose Menschen sich nicht
um solche Älteste kümmern würden; sie könnten somit nur rücksichtsvollere
Naturen, wertvollere Bevölkerungselemente zu einem wahrscheinlich allzu strengen
Urteil über ihren eigenen Erbwert verleiten und von der Fortpflanzung abhalten. —
Vielleicht unterschützt Schallmayer hier doch die guten Wirkungen, die Möglichkeit,
durch solche Mittel das Gewissen für eugenische Dinge zu schärfen. Er wendet
sich gegen Forels optimistische Beurteilung der Wirkung eugenischer Belehrung,
schätzt diese aber seinerseits gelegentlich wohl zu niedrig ein. Immerhin sind
Schallmayers Bedenken sehr beachtenswert. Einfache Gesundheitsatteste sind
überhaupt unzuverlässig, und die gesundheitliche Auslese darf uicht zuungunsten
der geistig-sittlichen Erbwerte arbeiten, die uns denn doch als die wichtigsten
erscheinen.

Auf die Erziehung zu eugenisch wirksamer Liebe, zu einer durch den geistig¬
leiblichen Persönlichkeitswert bestimmten Gattenwahl, die sich nicht durch äußerliche
Werte, wie Besitz usw., irreleiten läßt, und auf die Stärkung des Pflichtbewußt¬
seins gegen die kommenden Geschlechter muß das größte Gewicht gelegt werden.
Doch ist es sehr verdienstvoll, daß Schallmayer auf indirekte Beeinflussungen
des Ausleseprozesses aufmerksam macht; denn es bleibt immer bedenklich, von
dem guten Willen, dem Pflichtgefühl, der Liebeswahl alles zu erhoffen. Belehrung,
Begeisterung und Pflichtgefühl sind nicht machtlos; aber ihr Einfluß gegenüber
egoistischen Interessen ist nur zu begrenzt. Es gilt, die letzteren in den Dienst
der Eugenik zu stellen, wie die Gesellschaft sie so oft in den Dienst anderer
sozialer Aufgaben spannt. Von Vorschlägen, die in absehbarer Zeit nicht ver¬
wirklicht werden können, sehen wir ganz ab. Hierher gehören gewisse, zu
Züchtungszwecken erdachte Formen der Polygamie, die wir nicht nur aus den
von Schallmayer angeführten Gründen ablehnen.

Fassen wir also Reformen ins Auge, die in absehbarer Zeit verwirklicht
werden könnten. Der Staat muß mit dem Bestreben, für die höheren offene-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0504" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/318787"/>
          <fw type="header" place="top"> Rassedienst</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2202" prev="#ID_2201"> versagen. Wer aus Mitleid sich gegen die Härte solcher Verbote wendet, sollte<lb/>
bedenken, welch unsägliches Elend durch sie verhindert werden könnte. Vielleicht<lb/>
würden sie auch einen sehr erwünschten erziehlichen und bewahrenden Einfluß<lb/>
ausüben. Und wie leicht findet man sich anderseits mit Eheverboten und<lb/>
-erschwerungen bei Lehrerinnen, Krankenschwestern usw. ab! &#x2014; Wenn einst<lb/>
durch Erziehung das öffentliche Gewissen für eugenische Fragen geschärft sein<lb/>
wird, so wird auch die Fortpflanzung stark psychopathisch Beanlagter hintan¬<lb/>
gehalten werden. &#x2014; In einigen Staaten findet gegenwärtig chirurgische Unfrucht¬<lb/>
barmachung von Verbrechern, Idioten usw. durch Vasektomie statt, eine sehr<lb/>
leichte Operation, die weniger Schonung fordert als das Ausziehen eines Zahnes<lb/>
und späteren Geschlechtsverkehr in keiner Weise hindert. Den Sträflingen war<lb/>
dieser Eingriff oft ganz erwünscht!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2203"> Von dem Vorschlage, Gesundheitszeugnisse zwischen Brautleuten austauschen<lb/>
zu lassen, jedoch Verbote nicht daran zu knüpfen, verspricht sich Schallmayer<lb/>
weniger Nutzen als Schaden. Er betont, daß rücksichtslose Menschen sich nicht<lb/>
um solche Älteste kümmern würden; sie könnten somit nur rücksichtsvollere<lb/>
Naturen, wertvollere Bevölkerungselemente zu einem wahrscheinlich allzu strengen<lb/>
Urteil über ihren eigenen Erbwert verleiten und von der Fortpflanzung abhalten. &#x2014;<lb/>
Vielleicht unterschützt Schallmayer hier doch die guten Wirkungen, die Möglichkeit,<lb/>
durch solche Mittel das Gewissen für eugenische Dinge zu schärfen. Er wendet<lb/>
sich gegen Forels optimistische Beurteilung der Wirkung eugenischer Belehrung,<lb/>
schätzt diese aber seinerseits gelegentlich wohl zu niedrig ein. Immerhin sind<lb/>
Schallmayers Bedenken sehr beachtenswert. Einfache Gesundheitsatteste sind<lb/>
überhaupt unzuverlässig, und die gesundheitliche Auslese darf uicht zuungunsten<lb/>
der geistig-sittlichen Erbwerte arbeiten, die uns denn doch als die wichtigsten<lb/>
erscheinen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2204"> Auf die Erziehung zu eugenisch wirksamer Liebe, zu einer durch den geistig¬<lb/>
leiblichen Persönlichkeitswert bestimmten Gattenwahl, die sich nicht durch äußerliche<lb/>
Werte, wie Besitz usw., irreleiten läßt, und auf die Stärkung des Pflichtbewußt¬<lb/>
seins gegen die kommenden Geschlechter muß das größte Gewicht gelegt werden.<lb/>
Doch ist es sehr verdienstvoll, daß Schallmayer auf indirekte Beeinflussungen<lb/>
des Ausleseprozesses aufmerksam macht; denn es bleibt immer bedenklich, von<lb/>
dem guten Willen, dem Pflichtgefühl, der Liebeswahl alles zu erhoffen. Belehrung,<lb/>
Begeisterung und Pflichtgefühl sind nicht machtlos; aber ihr Einfluß gegenüber<lb/>
egoistischen Interessen ist nur zu begrenzt. Es gilt, die letzteren in den Dienst<lb/>
der Eugenik zu stellen, wie die Gesellschaft sie so oft in den Dienst anderer<lb/>
sozialer Aufgaben spannt. Von Vorschlägen, die in absehbarer Zeit nicht ver¬<lb/>
wirklicht werden können, sehen wir ganz ab. Hierher gehören gewisse, zu<lb/>
Züchtungszwecken erdachte Formen der Polygamie, die wir nicht nur aus den<lb/>
von Schallmayer angeführten Gründen ablehnen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2205" next="#ID_2206"> Fassen wir also Reformen ins Auge, die in absehbarer Zeit verwirklicht<lb/>
werden könnten.  Der Staat muß mit dem Bestreben, für die höheren offene-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0504] Rassedienst versagen. Wer aus Mitleid sich gegen die Härte solcher Verbote wendet, sollte bedenken, welch unsägliches Elend durch sie verhindert werden könnte. Vielleicht würden sie auch einen sehr erwünschten erziehlichen und bewahrenden Einfluß ausüben. Und wie leicht findet man sich anderseits mit Eheverboten und -erschwerungen bei Lehrerinnen, Krankenschwestern usw. ab! — Wenn einst durch Erziehung das öffentliche Gewissen für eugenische Fragen geschärft sein wird, so wird auch die Fortpflanzung stark psychopathisch Beanlagter hintan¬ gehalten werden. — In einigen Staaten findet gegenwärtig chirurgische Unfrucht¬ barmachung von Verbrechern, Idioten usw. durch Vasektomie statt, eine sehr leichte Operation, die weniger Schonung fordert als das Ausziehen eines Zahnes und späteren Geschlechtsverkehr in keiner Weise hindert. Den Sträflingen war dieser Eingriff oft ganz erwünscht! Von dem Vorschlage, Gesundheitszeugnisse zwischen Brautleuten austauschen zu lassen, jedoch Verbote nicht daran zu knüpfen, verspricht sich Schallmayer weniger Nutzen als Schaden. Er betont, daß rücksichtslose Menschen sich nicht um solche Älteste kümmern würden; sie könnten somit nur rücksichtsvollere Naturen, wertvollere Bevölkerungselemente zu einem wahrscheinlich allzu strengen Urteil über ihren eigenen Erbwert verleiten und von der Fortpflanzung abhalten. — Vielleicht unterschützt Schallmayer hier doch die guten Wirkungen, die Möglichkeit, durch solche Mittel das Gewissen für eugenische Dinge zu schärfen. Er wendet sich gegen Forels optimistische Beurteilung der Wirkung eugenischer Belehrung, schätzt diese aber seinerseits gelegentlich wohl zu niedrig ein. Immerhin sind Schallmayers Bedenken sehr beachtenswert. Einfache Gesundheitsatteste sind überhaupt unzuverlässig, und die gesundheitliche Auslese darf uicht zuungunsten der geistig-sittlichen Erbwerte arbeiten, die uns denn doch als die wichtigsten erscheinen. Auf die Erziehung zu eugenisch wirksamer Liebe, zu einer durch den geistig¬ leiblichen Persönlichkeitswert bestimmten Gattenwahl, die sich nicht durch äußerliche Werte, wie Besitz usw., irreleiten läßt, und auf die Stärkung des Pflichtbewußt¬ seins gegen die kommenden Geschlechter muß das größte Gewicht gelegt werden. Doch ist es sehr verdienstvoll, daß Schallmayer auf indirekte Beeinflussungen des Ausleseprozesses aufmerksam macht; denn es bleibt immer bedenklich, von dem guten Willen, dem Pflichtgefühl, der Liebeswahl alles zu erhoffen. Belehrung, Begeisterung und Pflichtgefühl sind nicht machtlos; aber ihr Einfluß gegenüber egoistischen Interessen ist nur zu begrenzt. Es gilt, die letzteren in den Dienst der Eugenik zu stellen, wie die Gesellschaft sie so oft in den Dienst anderer sozialer Aufgaben spannt. Von Vorschlägen, die in absehbarer Zeit nicht ver¬ wirklicht werden können, sehen wir ganz ab. Hierher gehören gewisse, zu Züchtungszwecken erdachte Formen der Polygamie, die wir nicht nur aus den von Schallmayer angeführten Gründen ablehnen. Fassen wir also Reformen ins Auge, die in absehbarer Zeit verwirklicht werden könnten. Der Staat muß mit dem Bestreben, für die höheren offene-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/504
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/504>, abgerufen am 23.07.2024.