Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.Kulturgeschichtliche Glossen zum Latte Zatho Heuchelei und Ketzerriecherei sind auch während der Regierung Friedrich Erfolglos blieb auchjene vonzahlreichenGeistlichen undLaien eingereichte Petition Und wie hat sich nicht im Lause der Jahre Wilhelms des Ersten Überzeugung Was Jatho, dieser in seiner großen Gemeinde allseitig verehrte Mann, lehrt Kulturgeschichtliche Glossen zum Latte Zatho Heuchelei und Ketzerriecherei sind auch während der Regierung Friedrich Erfolglos blieb auchjene vonzahlreichenGeistlichen undLaien eingereichte Petition Und wie hat sich nicht im Lause der Jahre Wilhelms des Ersten Überzeugung Was Jatho, dieser in seiner großen Gemeinde allseitig verehrte Mann, lehrt <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0478" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/318761"/> <fw type="header" place="top"> Kulturgeschichtliche Glossen zum Latte Zatho</fw><lb/> <p xml:id="ID_2128"> Heuchelei und Ketzerriecherei sind auch während der Regierung Friedrich<lb/> Wilhelms des Vierten am Werke gewesen. Sein Bruder hatte daher bei der<lb/> Übernahme der Regentschaft alle Ursache, sich im November 1858 in seiner An¬<lb/> sprache an das neugebildete Staatsministerium darüber sehr abfällig zu äußern:<lb/> Auf kirchlichem Gebiete sei in der letzten Zeit viel vergriffen worden. „In der<lb/> evangelischen Kirche ... ist eine Orthodoxie eingekehrt, die mit ihren Grund-<lb/> anschauungen nicht verträglich ist und die sofort Heuchler im Gefolge hat... Alle<lb/> Heuchelei, Scheinheiligkeit, kurzum alles Kirchenwesen als Mittel zu egoistischen<lb/> Zwecken ist zu entlarven, wo es nur möglich ist. Die wahre Religion zeigt sich<lb/> im ganzen Verhalten des Menschen. ..." Bei dieser Vermahnung verblieb es jedoch.</p><lb/> <p xml:id="ID_2129"> Erfolglos blieb auchjene vonzahlreichenGeistlichen undLaien eingereichte Petition<lb/> (Mai 1859), die die Ausführung des Artikels 15 der Verfassung forderte, der den<lb/> Kirchen die selbständige Verwaltung ihrer Angelegenheiten zusichert. Die Errichtung<lb/> des Oberkirchenrates gewähre der evangelischen Kirche diese Selbständigkeit in<lb/> keiner Weise, sondern habe nur diese höchste Kirchenbehörde von dem bisherigen<lb/> Verbände mit den Staatsbehörden abgelöst. Im Oberkirchenrate aber habe eine<lb/> kirchliche Partei die Gewalt, die in ihrer Theologie wie in ihrem religiösen Leben<lb/> der großen Mehrheit des evangelischen Volkes fremd und feindlich gegenüberstehe. —<lb/> Die Preußischen Jahrbücher brachten sogar im Jahre darauf (1860) einen bedeut¬<lb/> samen Rückblick auf die Kirchenpolitik des Ministers Eichhorn, der der Regierung<lb/> zur Warnung dienen sollte: „Mag sich jene unfreie Richtung" — hieß es darin —<lb/> „hinter vagen Phrasen und nebelhafter Romantik verstecken? mag sie, wie nachher,<lb/> jede Scheu beiseite setzen und alle Geistesfreiheit durch Zwang und Willkür nieder¬<lb/> drücken — sie ist nicht gut preußisch, sie ist nicht deutsch, sie ist vor allem nicht<lb/> historisch. Unsere Geschichte weist uns auf andere Bahnen. Wahren wir unserem<lb/> Volke echte Gottesfurcht... aber es bleibe im Staate Friedrichs des Großen die<lb/> Freiheit der Überzeugung und der Wissenschaft geheiligt." Man sieht, es sind<lb/> immer dieselben Beschwerden eines religiös empfindenden, doch längst mündig<lb/> gewordenen Volkes nach gesetzmäßiger Freiheit in Kirche und im Staatsleben.<lb/> Doch alles blieb beim alten.</p><lb/> <p xml:id="ID_2130"> Und wie hat sich nicht im Lause der Jahre Wilhelms des Ersten Überzeugung<lb/> so weit geändert, daß er derselben Orthodoxie sein Ohr lieh, deren „Scheinheiligkeit<lb/> und Heuchelei" er ehedem öffentlich verurteilt hatte! Recht bezeichnend dafür sind<lb/> seine erregten Briefe, die er am 31. Mai und 1. Juni 1877 an Falk und den<lb/> Präsidenten des Ev. Oberkirchenrath Herrmann geschrieben hat, einmal wegen des<lb/> Antrags auf einer Berliner Kreissynode, das Apostolikum aus der Liturgie zu<lb/> streichen, sodann wegen der „irreligiösen" Wahlpredigt des Pfarrers Hoßbach in<lb/> der Jakobikirche zu Berlin. Der Kaiser war entrüstet und forderte dessen Suspension<lb/> vom Amte: „denn wohin, wie bei Sydow, das sogenannte Märtyrertum (d.h. der<lb/> Standpunkt, keine Märtyrer schaffen zu wollen) führt, liegt klar zutage. Ich ver¬<lb/> lange die Namen der Personen zu kennen, die diese Wahl herbeiführten. Liw!<lb/> Wilhelm." — Der Oberhofprediger Kögel hatte den Zwischenträger gemacht; Herr¬<lb/> mann aber, der der Orthodoxie mißliebig war, erhielt im weiteren Verlaufe dieser<lb/> Ketzerriecherei seinen Abschied.</p><lb/> <p xml:id="ID_2131" next="#ID_2132"> Was Jatho, dieser in seiner großen Gemeinde allseitig verehrte Mann, lehrt<lb/> und will, das haben ähnlich unsere großen Dichter und Denker auch schon freimütig</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0478]
Kulturgeschichtliche Glossen zum Latte Zatho
Heuchelei und Ketzerriecherei sind auch während der Regierung Friedrich
Wilhelms des Vierten am Werke gewesen. Sein Bruder hatte daher bei der
Übernahme der Regentschaft alle Ursache, sich im November 1858 in seiner An¬
sprache an das neugebildete Staatsministerium darüber sehr abfällig zu äußern:
Auf kirchlichem Gebiete sei in der letzten Zeit viel vergriffen worden. „In der
evangelischen Kirche ... ist eine Orthodoxie eingekehrt, die mit ihren Grund-
anschauungen nicht verträglich ist und die sofort Heuchler im Gefolge hat... Alle
Heuchelei, Scheinheiligkeit, kurzum alles Kirchenwesen als Mittel zu egoistischen
Zwecken ist zu entlarven, wo es nur möglich ist. Die wahre Religion zeigt sich
im ganzen Verhalten des Menschen. ..." Bei dieser Vermahnung verblieb es jedoch.
Erfolglos blieb auchjene vonzahlreichenGeistlichen undLaien eingereichte Petition
(Mai 1859), die die Ausführung des Artikels 15 der Verfassung forderte, der den
Kirchen die selbständige Verwaltung ihrer Angelegenheiten zusichert. Die Errichtung
des Oberkirchenrates gewähre der evangelischen Kirche diese Selbständigkeit in
keiner Weise, sondern habe nur diese höchste Kirchenbehörde von dem bisherigen
Verbände mit den Staatsbehörden abgelöst. Im Oberkirchenrate aber habe eine
kirchliche Partei die Gewalt, die in ihrer Theologie wie in ihrem religiösen Leben
der großen Mehrheit des evangelischen Volkes fremd und feindlich gegenüberstehe. —
Die Preußischen Jahrbücher brachten sogar im Jahre darauf (1860) einen bedeut¬
samen Rückblick auf die Kirchenpolitik des Ministers Eichhorn, der der Regierung
zur Warnung dienen sollte: „Mag sich jene unfreie Richtung" — hieß es darin —
„hinter vagen Phrasen und nebelhafter Romantik verstecken? mag sie, wie nachher,
jede Scheu beiseite setzen und alle Geistesfreiheit durch Zwang und Willkür nieder¬
drücken — sie ist nicht gut preußisch, sie ist nicht deutsch, sie ist vor allem nicht
historisch. Unsere Geschichte weist uns auf andere Bahnen. Wahren wir unserem
Volke echte Gottesfurcht... aber es bleibe im Staate Friedrichs des Großen die
Freiheit der Überzeugung und der Wissenschaft geheiligt." Man sieht, es sind
immer dieselben Beschwerden eines religiös empfindenden, doch längst mündig
gewordenen Volkes nach gesetzmäßiger Freiheit in Kirche und im Staatsleben.
Doch alles blieb beim alten.
Und wie hat sich nicht im Lause der Jahre Wilhelms des Ersten Überzeugung
so weit geändert, daß er derselben Orthodoxie sein Ohr lieh, deren „Scheinheiligkeit
und Heuchelei" er ehedem öffentlich verurteilt hatte! Recht bezeichnend dafür sind
seine erregten Briefe, die er am 31. Mai und 1. Juni 1877 an Falk und den
Präsidenten des Ev. Oberkirchenrath Herrmann geschrieben hat, einmal wegen des
Antrags auf einer Berliner Kreissynode, das Apostolikum aus der Liturgie zu
streichen, sodann wegen der „irreligiösen" Wahlpredigt des Pfarrers Hoßbach in
der Jakobikirche zu Berlin. Der Kaiser war entrüstet und forderte dessen Suspension
vom Amte: „denn wohin, wie bei Sydow, das sogenannte Märtyrertum (d.h. der
Standpunkt, keine Märtyrer schaffen zu wollen) führt, liegt klar zutage. Ich ver¬
lange die Namen der Personen zu kennen, die diese Wahl herbeiführten. Liw!
Wilhelm." — Der Oberhofprediger Kögel hatte den Zwischenträger gemacht; Herr¬
mann aber, der der Orthodoxie mißliebig war, erhielt im weiteren Verlaufe dieser
Ketzerriecherei seinen Abschied.
Was Jatho, dieser in seiner großen Gemeinde allseitig verehrte Mann, lehrt
und will, das haben ähnlich unsere großen Dichter und Denker auch schon freimütig
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