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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Legende vom Wacholderhügel

Die Kaiserkronen blühten im Garten, und rote Herztränen tropften. Gelb¬
und Blauveigelein spannen süße Düfte. Aus den offenen Fenster des ersten
Stockwerkes klang Alienas Stimme, die ihr Kindchen in den Schlummer sang,
und mischte sich mit den Liedern der Vögel in Garten und Wald. Reinhold saß
bei ihr und lauschte. Sein Lächeln konnte aber die Sorgen nicht verscheuchen,
die häufig zu ihm kamen und ihn ernst anschauten. Wie nun, wenn das
Glockengeläute unten gehört worden war? Hatte der Wind die Klänge mit¬
genommen? Zwei der Brüder hatten vor einigen Tagen ein Blitzen beobachtet,
das sich von der Stelle bewegte und vom Helm oder Harnisch eines Gewappneten
herzurühren schien. Am Abend kam Rupert von seinem Waldgänge zurück. Als
alle gegessen hatten, legte er einen Armbrustbolzen schweigend aus den Tisch.
Luder nahm ihn aus.

"Was soll's damit?"

"Den hab ich unterwegs gefunden."

"Du wirst ihn verloren haben."

"Es ist nicht meiner. Und im gelben Quellsande waren Spuren, die nicht
meine Schuhe eingedrückt haben."

Da legte sich's lähmend um alle Herzen. Sie beschlossen, in diesen Tagen
sich nicht weit vom Kloster zu entfernen. Aber es blieb still, und nirgends zeigte
sich ein Verdächtiges. Göte lief stundenweit hinab ins Tal. Er traf weder
Mensch noch Menschenspur. Sie wurden wieder ruhiger.

Die Hofkastanie stand in voller Blütenpracht, und das Summen der Bienen
in ihr war wie GlockeNgetön.

"Diese Glocken hören sie unten nicht", sagte Rudi, als sie vom Abendessen
aufstanden, und schaute fröhlich zu Aliena hinüber, die ihr Kindlein auf den
Armen wiegte und mit ihm dem Hause entgegenschritt.

Plötzlich stand Reinhold mit schreckensstarrem Gesicht. In der Nähe hatte
ein Roß gewiehert. Stimmen wurden laut. Und um die Hausecke kam ein
gewappneter Reiter.

"Da sitzt die ganze Brüderschaft!" rief er einem anderen Reiter zu, der
hinter ihm drein trabte. Sie sprangen von den Gäulen waffenklirrend auf die
Erde. Der erste näherte sich dem Tische, dran alle sprachlos standen.

"Salve lratres! Ihr führet scheinbar ein herrlich Leben hier oben, indes
drunten der Fuchs auf die eigene Rute beißt. Des Bischofs Reiter sitzen nicht
so fein bei Tische wie ihr."

Reinhold ermannte sich zuerst.

"Wer seid ihr und was wollt ihr?"

"Das sind zwei der Fragen, deren erste ich Euch schon beantwortet habe.
Reiter des Bischofs sind wir. Die zweite wird Euch Seine Eminenz selbst
beantworten. Da kommt der BischofI"

Die Reiter traten zurück, dem Ankommenden Platz zu machen. Der schien
ein reisiger Herr zu sein, denn er war in Waffen wie die anderen, nur daß eine
violette Schärpe über seinem Brustharnisch lag. Zwei Reiter folgten ihm. Im
selben Augenblick trat Aliena, die das Rossegestampf und die fremden Stimmen
gehört hatte, mit dem weinenden Kindlein vor die Tür. Der Bischof stieg vom
Pferde, stemmte die Hände auf die Hüften und sah um sich.


Legende vom Wacholderhügel

Die Kaiserkronen blühten im Garten, und rote Herztränen tropften. Gelb¬
und Blauveigelein spannen süße Düfte. Aus den offenen Fenster des ersten
Stockwerkes klang Alienas Stimme, die ihr Kindchen in den Schlummer sang,
und mischte sich mit den Liedern der Vögel in Garten und Wald. Reinhold saß
bei ihr und lauschte. Sein Lächeln konnte aber die Sorgen nicht verscheuchen,
die häufig zu ihm kamen und ihn ernst anschauten. Wie nun, wenn das
Glockengeläute unten gehört worden war? Hatte der Wind die Klänge mit¬
genommen? Zwei der Brüder hatten vor einigen Tagen ein Blitzen beobachtet,
das sich von der Stelle bewegte und vom Helm oder Harnisch eines Gewappneten
herzurühren schien. Am Abend kam Rupert von seinem Waldgänge zurück. Als
alle gegessen hatten, legte er einen Armbrustbolzen schweigend aus den Tisch.
Luder nahm ihn aus.

„Was soll's damit?"

„Den hab ich unterwegs gefunden."

„Du wirst ihn verloren haben."

„Es ist nicht meiner. Und im gelben Quellsande waren Spuren, die nicht
meine Schuhe eingedrückt haben."

Da legte sich's lähmend um alle Herzen. Sie beschlossen, in diesen Tagen
sich nicht weit vom Kloster zu entfernen. Aber es blieb still, und nirgends zeigte
sich ein Verdächtiges. Göte lief stundenweit hinab ins Tal. Er traf weder
Mensch noch Menschenspur. Sie wurden wieder ruhiger.

Die Hofkastanie stand in voller Blütenpracht, und das Summen der Bienen
in ihr war wie GlockeNgetön.

„Diese Glocken hören sie unten nicht", sagte Rudi, als sie vom Abendessen
aufstanden, und schaute fröhlich zu Aliena hinüber, die ihr Kindlein auf den
Armen wiegte und mit ihm dem Hause entgegenschritt.

Plötzlich stand Reinhold mit schreckensstarrem Gesicht. In der Nähe hatte
ein Roß gewiehert. Stimmen wurden laut. Und um die Hausecke kam ein
gewappneter Reiter.

„Da sitzt die ganze Brüderschaft!" rief er einem anderen Reiter zu, der
hinter ihm drein trabte. Sie sprangen von den Gäulen waffenklirrend auf die
Erde. Der erste näherte sich dem Tische, dran alle sprachlos standen.

„Salve lratres! Ihr führet scheinbar ein herrlich Leben hier oben, indes
drunten der Fuchs auf die eigene Rute beißt. Des Bischofs Reiter sitzen nicht
so fein bei Tische wie ihr."

Reinhold ermannte sich zuerst.

„Wer seid ihr und was wollt ihr?"

„Das sind zwei der Fragen, deren erste ich Euch schon beantwortet habe.
Reiter des Bischofs sind wir. Die zweite wird Euch Seine Eminenz selbst
beantworten. Da kommt der BischofI"

Die Reiter traten zurück, dem Ankommenden Platz zu machen. Der schien
ein reisiger Herr zu sein, denn er war in Waffen wie die anderen, nur daß eine
violette Schärpe über seinem Brustharnisch lag. Zwei Reiter folgten ihm. Im
selben Augenblick trat Aliena, die das Rossegestampf und die fremden Stimmen
gehört hatte, mit dem weinenden Kindlein vor die Tür. Der Bischof stieg vom
Pferde, stemmte die Hände auf die Hüften und sah um sich.


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[0472] Legende vom Wacholderhügel Die Kaiserkronen blühten im Garten, und rote Herztränen tropften. Gelb¬ und Blauveigelein spannen süße Düfte. Aus den offenen Fenster des ersten Stockwerkes klang Alienas Stimme, die ihr Kindchen in den Schlummer sang, und mischte sich mit den Liedern der Vögel in Garten und Wald. Reinhold saß bei ihr und lauschte. Sein Lächeln konnte aber die Sorgen nicht verscheuchen, die häufig zu ihm kamen und ihn ernst anschauten. Wie nun, wenn das Glockengeläute unten gehört worden war? Hatte der Wind die Klänge mit¬ genommen? Zwei der Brüder hatten vor einigen Tagen ein Blitzen beobachtet, das sich von der Stelle bewegte und vom Helm oder Harnisch eines Gewappneten herzurühren schien. Am Abend kam Rupert von seinem Waldgänge zurück. Als alle gegessen hatten, legte er einen Armbrustbolzen schweigend aus den Tisch. Luder nahm ihn aus. „Was soll's damit?" „Den hab ich unterwegs gefunden." „Du wirst ihn verloren haben." „Es ist nicht meiner. Und im gelben Quellsande waren Spuren, die nicht meine Schuhe eingedrückt haben." Da legte sich's lähmend um alle Herzen. Sie beschlossen, in diesen Tagen sich nicht weit vom Kloster zu entfernen. Aber es blieb still, und nirgends zeigte sich ein Verdächtiges. Göte lief stundenweit hinab ins Tal. Er traf weder Mensch noch Menschenspur. Sie wurden wieder ruhiger. Die Hofkastanie stand in voller Blütenpracht, und das Summen der Bienen in ihr war wie GlockeNgetön. „Diese Glocken hören sie unten nicht", sagte Rudi, als sie vom Abendessen aufstanden, und schaute fröhlich zu Aliena hinüber, die ihr Kindlein auf den Armen wiegte und mit ihm dem Hause entgegenschritt. Plötzlich stand Reinhold mit schreckensstarrem Gesicht. In der Nähe hatte ein Roß gewiehert. Stimmen wurden laut. Und um die Hausecke kam ein gewappneter Reiter. „Da sitzt die ganze Brüderschaft!" rief er einem anderen Reiter zu, der hinter ihm drein trabte. Sie sprangen von den Gäulen waffenklirrend auf die Erde. Der erste näherte sich dem Tische, dran alle sprachlos standen. „Salve lratres! Ihr führet scheinbar ein herrlich Leben hier oben, indes drunten der Fuchs auf die eigene Rute beißt. Des Bischofs Reiter sitzen nicht so fein bei Tische wie ihr." Reinhold ermannte sich zuerst. „Wer seid ihr und was wollt ihr?" „Das sind zwei der Fragen, deren erste ich Euch schon beantwortet habe. Reiter des Bischofs sind wir. Die zweite wird Euch Seine Eminenz selbst beantworten. Da kommt der BischofI" Die Reiter traten zurück, dem Ankommenden Platz zu machen. Der schien ein reisiger Herr zu sein, denn er war in Waffen wie die anderen, nur daß eine violette Schärpe über seinem Brustharnisch lag. Zwei Reiter folgten ihm. Im selben Augenblick trat Aliena, die das Rossegestampf und die fremden Stimmen gehört hatte, mit dem weinenden Kindlein vor die Tür. Der Bischof stieg vom Pferde, stemmte die Hände auf die Hüften und sah um sich.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/472>, abgerufen am 26.06.2024.