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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Die Kaiseridee

durch göttlichen Willen ein unbedingtes und unbeschränktes Herrenrecht über
Personen und Güter aller Untertanen gegeben sei. Politisch verschwand damals
der Senat. Der Kaiser selbst bestimmte die Thronfolge, indem er sich einen
oder mehrere Mitregenten kreierte, deren Überlebende wiederum die durch Tod
entstehenden Lücken ausfüllten. Nur bei völliger Erledigung des Thrones trat
subsidiär eine Wahl durch die Offiziere des Hauptquartiers und die obersten
Hofbeamten ein. Tatsächlich führte dieser Zustand sehr rasch -- schon seit
Konstantin dem Großen -- zur Erbmonarchie. Auch mit einer besonderen
religiösen Weihe umgab sich das neue Kaisertum. Schon Aurelien hatte sich
als Kaiser den Charakter des veus direkt beigelegt. Diokletian folgte ihm
darin und nahm mit orientalischer Hostracht und Kniebeugung der Untertanen
den Jupitertitel an. Eine derartige direkte Vergöttlichung des Imperators
mußte allerdings unterbleiben, als seit Konstantin dem Großen das römische
Kaisertum in engste Verbindung mit dem Christentum getreten war. Immerhin
blieb der Glaube an die unmittelbare göttliche Berufung des Imperators in
seine Stellung. Und zwar war der Kaiser, seitdem das Christentum Staats¬
kirche geworden (381) und das Bekenntnis zum orthodox-christlichen Glauben
die volle Staatsbürgerschaft bedingte, in gleicher Weise das souverän entscheidende
Oberhaupt in weltlicher und kirchlicher Hinsicht. Imperium und 8aLercic>einen
waren in der Person des Kaisers vereinigt. Er war der pontitex maximus,
der Lummus episcopus für die einer einheitlichen Spitze entbehrende kirchliche
Hierarchie, deren Recht, das jus 8acrum, als Bestandteil des öffentlichen Rechts
bestimmt ward von dem Träger der weltlichen Obrigkeit. "Was der Kaiser
will, das soll als Canon gelten", verkündete bereits 355 Konstantins der Zweite.

Für den Westen Europas erlangte das Jmperatorentum eine bedeutungs¬
volle Erneuerung durch die Verbindung mit dem germanischen Königtum, als
Weihnachten 300 Papst Leo der Dritte in der Peterskirche zu Rom dem
Frankenkönig Karl dem Großen zu dessen Überraschung die Kaiserkrone auf¬
setzte und die anwesenden Römer diesen als ^uZustus a Doo Lvrormtus
maAnus et paLit'iLU8 impeiator l^orrmnorum begrüßten. Politisch bedeutete
diese Kaiserkrönung auch nichts anderes als die Bekräftigung eines Großkonig-
tums, welches der Grenzwacht und dem inneren Frieden für ein um den
Frankenherrscher als einheitlichen Mittelpunkt geschlossenes Kulturgebiet diente,
formell wurde gegenüber dem noch bestehenden oströmischen Kaisertum die seit
einigen Jahrhunderten erloschene weströmische Kaiserwürde wieder ins Leben
gerufen. Die persönliche Überraschung Karls des Großen galt dabei an sich
nicht der Wiederbelebung der Kcuseridee, sondern nur ihrem Zeitpunkt und
ihrem Mittler. Zwar fand Karl bei seinen: Regierungsantritt schon aus der
Zeit seines Vaters eine engere Verbindung seines Hauses mit dem römischen
Bischofstuhl vor: hatte doch Pippin, wesentlich unterstützt durch die ausdrückliche
Billigung des Papstes, die Entthronung des letzten merowingischen Scheinkönigs
vornehmen können. Nichtsdestoweniger hatte Karl nach Vernichtung des


Die Kaiseridee

durch göttlichen Willen ein unbedingtes und unbeschränktes Herrenrecht über
Personen und Güter aller Untertanen gegeben sei. Politisch verschwand damals
der Senat. Der Kaiser selbst bestimmte die Thronfolge, indem er sich einen
oder mehrere Mitregenten kreierte, deren Überlebende wiederum die durch Tod
entstehenden Lücken ausfüllten. Nur bei völliger Erledigung des Thrones trat
subsidiär eine Wahl durch die Offiziere des Hauptquartiers und die obersten
Hofbeamten ein. Tatsächlich führte dieser Zustand sehr rasch — schon seit
Konstantin dem Großen — zur Erbmonarchie. Auch mit einer besonderen
religiösen Weihe umgab sich das neue Kaisertum. Schon Aurelien hatte sich
als Kaiser den Charakter des veus direkt beigelegt. Diokletian folgte ihm
darin und nahm mit orientalischer Hostracht und Kniebeugung der Untertanen
den Jupitertitel an. Eine derartige direkte Vergöttlichung des Imperators
mußte allerdings unterbleiben, als seit Konstantin dem Großen das römische
Kaisertum in engste Verbindung mit dem Christentum getreten war. Immerhin
blieb der Glaube an die unmittelbare göttliche Berufung des Imperators in
seine Stellung. Und zwar war der Kaiser, seitdem das Christentum Staats¬
kirche geworden (381) und das Bekenntnis zum orthodox-christlichen Glauben
die volle Staatsbürgerschaft bedingte, in gleicher Weise das souverän entscheidende
Oberhaupt in weltlicher und kirchlicher Hinsicht. Imperium und 8aLercic>einen
waren in der Person des Kaisers vereinigt. Er war der pontitex maximus,
der Lummus episcopus für die einer einheitlichen Spitze entbehrende kirchliche
Hierarchie, deren Recht, das jus 8acrum, als Bestandteil des öffentlichen Rechts
bestimmt ward von dem Träger der weltlichen Obrigkeit. „Was der Kaiser
will, das soll als Canon gelten", verkündete bereits 355 Konstantins der Zweite.

Für den Westen Europas erlangte das Jmperatorentum eine bedeutungs¬
volle Erneuerung durch die Verbindung mit dem germanischen Königtum, als
Weihnachten 300 Papst Leo der Dritte in der Peterskirche zu Rom dem
Frankenkönig Karl dem Großen zu dessen Überraschung die Kaiserkrone auf¬
setzte und die anwesenden Römer diesen als ^uZustus a Doo Lvrormtus
maAnus et paLit'iLU8 impeiator l^orrmnorum begrüßten. Politisch bedeutete
diese Kaiserkrönung auch nichts anderes als die Bekräftigung eines Großkonig-
tums, welches der Grenzwacht und dem inneren Frieden für ein um den
Frankenherrscher als einheitlichen Mittelpunkt geschlossenes Kulturgebiet diente,
formell wurde gegenüber dem noch bestehenden oströmischen Kaisertum die seit
einigen Jahrhunderten erloschene weströmische Kaiserwürde wieder ins Leben
gerufen. Die persönliche Überraschung Karls des Großen galt dabei an sich
nicht der Wiederbelebung der Kcuseridee, sondern nur ihrem Zeitpunkt und
ihrem Mittler. Zwar fand Karl bei seinen: Regierungsantritt schon aus der
Zeit seines Vaters eine engere Verbindung seines Hauses mit dem römischen
Bischofstuhl vor: hatte doch Pippin, wesentlich unterstützt durch die ausdrückliche
Billigung des Papstes, die Entthronung des letzten merowingischen Scheinkönigs
vornehmen können. Nichtsdestoweniger hatte Karl nach Vernichtung des


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[0462] Die Kaiseridee durch göttlichen Willen ein unbedingtes und unbeschränktes Herrenrecht über Personen und Güter aller Untertanen gegeben sei. Politisch verschwand damals der Senat. Der Kaiser selbst bestimmte die Thronfolge, indem er sich einen oder mehrere Mitregenten kreierte, deren Überlebende wiederum die durch Tod entstehenden Lücken ausfüllten. Nur bei völliger Erledigung des Thrones trat subsidiär eine Wahl durch die Offiziere des Hauptquartiers und die obersten Hofbeamten ein. Tatsächlich führte dieser Zustand sehr rasch — schon seit Konstantin dem Großen — zur Erbmonarchie. Auch mit einer besonderen religiösen Weihe umgab sich das neue Kaisertum. Schon Aurelien hatte sich als Kaiser den Charakter des veus direkt beigelegt. Diokletian folgte ihm darin und nahm mit orientalischer Hostracht und Kniebeugung der Untertanen den Jupitertitel an. Eine derartige direkte Vergöttlichung des Imperators mußte allerdings unterbleiben, als seit Konstantin dem Großen das römische Kaisertum in engste Verbindung mit dem Christentum getreten war. Immerhin blieb der Glaube an die unmittelbare göttliche Berufung des Imperators in seine Stellung. Und zwar war der Kaiser, seitdem das Christentum Staats¬ kirche geworden (381) und das Bekenntnis zum orthodox-christlichen Glauben die volle Staatsbürgerschaft bedingte, in gleicher Weise das souverän entscheidende Oberhaupt in weltlicher und kirchlicher Hinsicht. Imperium und 8aLercic>einen waren in der Person des Kaisers vereinigt. Er war der pontitex maximus, der Lummus episcopus für die einer einheitlichen Spitze entbehrende kirchliche Hierarchie, deren Recht, das jus 8acrum, als Bestandteil des öffentlichen Rechts bestimmt ward von dem Träger der weltlichen Obrigkeit. „Was der Kaiser will, das soll als Canon gelten", verkündete bereits 355 Konstantins der Zweite. Für den Westen Europas erlangte das Jmperatorentum eine bedeutungs¬ volle Erneuerung durch die Verbindung mit dem germanischen Königtum, als Weihnachten 300 Papst Leo der Dritte in der Peterskirche zu Rom dem Frankenkönig Karl dem Großen zu dessen Überraschung die Kaiserkrone auf¬ setzte und die anwesenden Römer diesen als ^uZustus a Doo Lvrormtus maAnus et paLit'iLU8 impeiator l^orrmnorum begrüßten. Politisch bedeutete diese Kaiserkrönung auch nichts anderes als die Bekräftigung eines Großkonig- tums, welches der Grenzwacht und dem inneren Frieden für ein um den Frankenherrscher als einheitlichen Mittelpunkt geschlossenes Kulturgebiet diente, formell wurde gegenüber dem noch bestehenden oströmischen Kaisertum die seit einigen Jahrhunderten erloschene weströmische Kaiserwürde wieder ins Leben gerufen. Die persönliche Überraschung Karls des Großen galt dabei an sich nicht der Wiederbelebung der Kcuseridee, sondern nur ihrem Zeitpunkt und ihrem Mittler. Zwar fand Karl bei seinen: Regierungsantritt schon aus der Zeit seines Vaters eine engere Verbindung seines Hauses mit dem römischen Bischofstuhl vor: hatte doch Pippin, wesentlich unterstützt durch die ausdrückliche Billigung des Papstes, die Entthronung des letzten merowingischen Scheinkönigs vornehmen können. Nichtsdestoweniger hatte Karl nach Vernichtung des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/462>, abgerufen am 23.07.2024.