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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Rassedieust

an, daß zunächst die Zuchtwahl das Wachsen solcher Waffen begünstigte, weil
dies ihren Trägern in: Daseinskampf den Sieg erleichterte. Später, als weitere
Entwicklung der Hörner oder Zähne für die Tiere nutzlos oder gar schädlich
wurde, blieb die durch Auslese gezüchtete Vergrößerungstendenz doch bestehen.
So entstanden unzweckmäßig große Gebilde, unpraktisch gekrümmte Hörner usw.
In gleicher Weise könnte auch die Höherentwicklung des Gehirns fortdauern,
obgleich eine überdurchschnittliche Vermehrung der Dummen ihr entgegenarbeitet.

Indessen ist es recht fraglich, ob eine solche ("orthogenetische") Tendenz
zur Höherentwicklung der Menschheit, mag sie auf Zuchtwahl oder auf andere
Ursachen zurückgeführt werden, existiert oder in Betracht kommt. Jedenfalls
wollen wir uns die ungünstigen Beeinflussungen der Erbwertentwicklung der
Völker im Anschluß an Schallmauer etwas genauer ansehen.

Die schädlichen Wirkungen des Alkoholismus erstrecken sich auch auf die
Erbsubstanz und dadurch auf die Nachkommenschaft. Forel sieht auf Grund
ausgedehnter Erfahrung im Alkoholismus eine Hauptquelle der Entartung, des
Idiotismus und Schmachsinns, des Verbrechens und der körperlichen Ver¬
kuppelung und Schwächung. Sorgfältige statistische Untersuchungen und experi-
mentelle Beobachtungen an Tieren beweisen diese degenerierende Wirkung des
Alkohols mit aller wünschenswerten Sicherheit; daran wird nichts geändert
durch das Vorkommen von Fällen, in denen die schädliche Wirkung des Alkohols
auf den Trinker und seine Nachkommenschaft gering ist oder gar nicht in
Erscheinung tritt. Nach Forel stammen zwei Drittel bis drei Viertel aller
Idioten und Epileptiker von alkoholisierten Vätern ab.

In Zusammenhang mit den: Alkoholismus und mit der Vergrößerung und
Vermehrung der Großstädte steht die starke Verbreitung der Syphilis, deren Gift
die Nachkommenschaft in schwerster Weise schädigt. Zu solchen Schädigungen
des organischen Erbgutes kommt die Hemmung und die Verschlechterung der
Auslese. Besitz gibt Schutz gegen Hunger, Kälte, ja in gewissem Grade selbst
gegen Seuchen. So entscheidet nicht allein der körperlich-seelische Wert des
Menschen über seinen Erfolg im Daseinskämpfe. Wenn auch gegenwärtig die
besitzenden Klassen ein durchschnittlich etwas höheres Maß angeborener kultureller
Begabung aufweisen mögen, so entspricht doch im einzelnen der Besitz durchaus
nicht dem angeborenen Werte der Person. Nicht einmal bei persönlich erworbenem
Besitz ist dies der Fall; denn unter Umständen können geradezu schlechte Eigen¬
schaften, wie eine gewisse Skrupellosigkeit, Besitzerwerb begünstigen.

Die Heilkunde und die hygienischen Lebensverhültnisse bewahren vielen
Menschen von schwacher erblicher Konstitution das Lebe", die auf niedriger
Kulturstufe gestorben wären, ohne sich fortzupflanzen. Die Geburtshilfe erhält
heute Mütter und Kinder, die früher dem Geburtsakte zum Opfer gefallen wären,
etwa wegen ungeeigneten Baues des Beckens. Die Kinder der durch die Kunst
des Arztes geretteten Mutter erben zum Teil deren konstitutionelle Fehler, und
so kommt es, daß die Frauen der zivilisierten Völker durchschnittlich schwerer


Rassedieust

an, daß zunächst die Zuchtwahl das Wachsen solcher Waffen begünstigte, weil
dies ihren Trägern in: Daseinskampf den Sieg erleichterte. Später, als weitere
Entwicklung der Hörner oder Zähne für die Tiere nutzlos oder gar schädlich
wurde, blieb die durch Auslese gezüchtete Vergrößerungstendenz doch bestehen.
So entstanden unzweckmäßig große Gebilde, unpraktisch gekrümmte Hörner usw.
In gleicher Weise könnte auch die Höherentwicklung des Gehirns fortdauern,
obgleich eine überdurchschnittliche Vermehrung der Dummen ihr entgegenarbeitet.

Indessen ist es recht fraglich, ob eine solche („orthogenetische") Tendenz
zur Höherentwicklung der Menschheit, mag sie auf Zuchtwahl oder auf andere
Ursachen zurückgeführt werden, existiert oder in Betracht kommt. Jedenfalls
wollen wir uns die ungünstigen Beeinflussungen der Erbwertentwicklung der
Völker im Anschluß an Schallmauer etwas genauer ansehen.

Die schädlichen Wirkungen des Alkoholismus erstrecken sich auch auf die
Erbsubstanz und dadurch auf die Nachkommenschaft. Forel sieht auf Grund
ausgedehnter Erfahrung im Alkoholismus eine Hauptquelle der Entartung, des
Idiotismus und Schmachsinns, des Verbrechens und der körperlichen Ver¬
kuppelung und Schwächung. Sorgfältige statistische Untersuchungen und experi-
mentelle Beobachtungen an Tieren beweisen diese degenerierende Wirkung des
Alkohols mit aller wünschenswerten Sicherheit; daran wird nichts geändert
durch das Vorkommen von Fällen, in denen die schädliche Wirkung des Alkohols
auf den Trinker und seine Nachkommenschaft gering ist oder gar nicht in
Erscheinung tritt. Nach Forel stammen zwei Drittel bis drei Viertel aller
Idioten und Epileptiker von alkoholisierten Vätern ab.

In Zusammenhang mit den: Alkoholismus und mit der Vergrößerung und
Vermehrung der Großstädte steht die starke Verbreitung der Syphilis, deren Gift
die Nachkommenschaft in schwerster Weise schädigt. Zu solchen Schädigungen
des organischen Erbgutes kommt die Hemmung und die Verschlechterung der
Auslese. Besitz gibt Schutz gegen Hunger, Kälte, ja in gewissem Grade selbst
gegen Seuchen. So entscheidet nicht allein der körperlich-seelische Wert des
Menschen über seinen Erfolg im Daseinskämpfe. Wenn auch gegenwärtig die
besitzenden Klassen ein durchschnittlich etwas höheres Maß angeborener kultureller
Begabung aufweisen mögen, so entspricht doch im einzelnen der Besitz durchaus
nicht dem angeborenen Werte der Person. Nicht einmal bei persönlich erworbenem
Besitz ist dies der Fall; denn unter Umständen können geradezu schlechte Eigen¬
schaften, wie eine gewisse Skrupellosigkeit, Besitzerwerb begünstigen.

Die Heilkunde und die hygienischen Lebensverhültnisse bewahren vielen
Menschen von schwacher erblicher Konstitution das Lebe», die auf niedriger
Kulturstufe gestorben wären, ohne sich fortzupflanzen. Die Geburtshilfe erhält
heute Mütter und Kinder, die früher dem Geburtsakte zum Opfer gefallen wären,
etwa wegen ungeeigneten Baues des Beckens. Die Kinder der durch die Kunst
des Arztes geretteten Mutter erben zum Teil deren konstitutionelle Fehler, und
so kommt es, daß die Frauen der zivilisierten Völker durchschnittlich schwerer


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[0456] Rassedieust an, daß zunächst die Zuchtwahl das Wachsen solcher Waffen begünstigte, weil dies ihren Trägern in: Daseinskampf den Sieg erleichterte. Später, als weitere Entwicklung der Hörner oder Zähne für die Tiere nutzlos oder gar schädlich wurde, blieb die durch Auslese gezüchtete Vergrößerungstendenz doch bestehen. So entstanden unzweckmäßig große Gebilde, unpraktisch gekrümmte Hörner usw. In gleicher Weise könnte auch die Höherentwicklung des Gehirns fortdauern, obgleich eine überdurchschnittliche Vermehrung der Dummen ihr entgegenarbeitet. Indessen ist es recht fraglich, ob eine solche („orthogenetische") Tendenz zur Höherentwicklung der Menschheit, mag sie auf Zuchtwahl oder auf andere Ursachen zurückgeführt werden, existiert oder in Betracht kommt. Jedenfalls wollen wir uns die ungünstigen Beeinflussungen der Erbwertentwicklung der Völker im Anschluß an Schallmauer etwas genauer ansehen. Die schädlichen Wirkungen des Alkoholismus erstrecken sich auch auf die Erbsubstanz und dadurch auf die Nachkommenschaft. Forel sieht auf Grund ausgedehnter Erfahrung im Alkoholismus eine Hauptquelle der Entartung, des Idiotismus und Schmachsinns, des Verbrechens und der körperlichen Ver¬ kuppelung und Schwächung. Sorgfältige statistische Untersuchungen und experi- mentelle Beobachtungen an Tieren beweisen diese degenerierende Wirkung des Alkohols mit aller wünschenswerten Sicherheit; daran wird nichts geändert durch das Vorkommen von Fällen, in denen die schädliche Wirkung des Alkohols auf den Trinker und seine Nachkommenschaft gering ist oder gar nicht in Erscheinung tritt. Nach Forel stammen zwei Drittel bis drei Viertel aller Idioten und Epileptiker von alkoholisierten Vätern ab. In Zusammenhang mit den: Alkoholismus und mit der Vergrößerung und Vermehrung der Großstädte steht die starke Verbreitung der Syphilis, deren Gift die Nachkommenschaft in schwerster Weise schädigt. Zu solchen Schädigungen des organischen Erbgutes kommt die Hemmung und die Verschlechterung der Auslese. Besitz gibt Schutz gegen Hunger, Kälte, ja in gewissem Grade selbst gegen Seuchen. So entscheidet nicht allein der körperlich-seelische Wert des Menschen über seinen Erfolg im Daseinskämpfe. Wenn auch gegenwärtig die besitzenden Klassen ein durchschnittlich etwas höheres Maß angeborener kultureller Begabung aufweisen mögen, so entspricht doch im einzelnen der Besitz durchaus nicht dem angeborenen Werte der Person. Nicht einmal bei persönlich erworbenem Besitz ist dies der Fall; denn unter Umständen können geradezu schlechte Eigen¬ schaften, wie eine gewisse Skrupellosigkeit, Besitzerwerb begünstigen. Die Heilkunde und die hygienischen Lebensverhültnisse bewahren vielen Menschen von schwacher erblicher Konstitution das Lebe», die auf niedriger Kulturstufe gestorben wären, ohne sich fortzupflanzen. Die Geburtshilfe erhält heute Mütter und Kinder, die früher dem Geburtsakte zum Opfer gefallen wären, etwa wegen ungeeigneten Baues des Beckens. Die Kinder der durch die Kunst des Arztes geretteten Mutter erben zum Teil deren konstitutionelle Fehler, und so kommt es, daß die Frauen der zivilisierten Völker durchschnittlich schwerer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/456>, abgerufen am 23.07.2024.