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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Vsfene Tür oder Interessensphäre?

Politik der Vereinigten Staaten, die mit Deutschland auf der Welt im all¬
gemeinen den Grundsatz der offenen Tür teilen, aber den ganzen amerikanischen
Erdteil als eigene Interessensphäre betrachten.

In der Tat gehört die Parallelität der deutschen und amerikanischen
Interessen namentlich in Ostasien, wie überall da, wo auf dem Boden selb'
ständiger, aber durch die monopolistischen Gelüste anderer europäischen Staaten
in ihrer Selbständigkeit bedrohten Länder die Freiheit des internationalen Wett¬
bewerbes aufrecht zu erhalten ist, zu denjenigen Faktoren, die Deutschland und
die Vereinigten Staaten in ihrer Politik einander nähern. Jede derartige
Annäherung aber ist vor allen Dingen England höchst unerwünscht, da England
in den beiden stammverwandten Völkern seine größten Rivalen sieht, es auch
sehr wohl weiß, daß die Vereinigten Staaten am letzten Ende der gefährlichere
Rivale sind, aber eben deshalb seine Politik nicht unmittelbar gegen die
Vereinigten Staaten zu richten wagt, sondern alles, was es vielleicht gegen
diese unternehmen möchte, zu nur gegen Deutschland gemeinten Schritten
umdeuten möchte.

Als vor kurzem das ostastatische Abkommen zwischen Rußland und Japan
bekannt wurde, fühlte man in England sofort sehr deutlich die Gefahr, daß
durch die Bedrohung parallel gehender, auf die Erhaltung des freien Wett¬
bewerbes in Ostasien gerichteter Interessen die von dem russisch-japanischen
Abkommen sehr nahe berührten Vereinigten Staaten von Nordamerika in engere
Fühlung mit der gleichfalls mittelbar betroffenen deutschen Politik gelangen
könnten. Es war ein gar zu durchsichtiges Manöver deutschfeindlicher Blätter,
daß sie damals sofort irgendein beliebiges Mittel an den Haaren herbeizuziehen
suchten, um irgendwo in der Welt zwischen den Vereinigten Staaten und
Deutschland Unfrieden zu stiften. Man griff im Übereifer recht plump vorbei,
indem man einen Zeitungskrieg wegen des Kaiserbriefes an den Präsidenten
von Nicaragua inszenierte. Die Haltlosigkeit des in Rede stehenden Vorfalles
war, zumal angesichts der zahlreichen fast gleichlautenden Briefe, die von anderen
Staatsoberhäuptern vorlagen, offensichtlich, und es sprach schließlich nur für das
gute Gewissen, das die deutsche Politik gegenüber den Vereinigten Staaten
haben kann, wenn die eifrigen Spürer nichts anderes fanden als dieses untaug¬
liche Mittel.

Täuschen wir uns nicht! Mitten im Frieden findet zwischen England und
Deutschland ein erbitterter Kampf statt -- nicht mit militärischen, sondern mit
wirtschaftspolitischen Waffen. Es ist der Krieg zwischen dem Grundsatze der
offenen Tür und dem Grundsatze der Interessensphären. In diesem Kriege
benutzt England seine Verbündeten als Pförtner: der eine schließt Deutschland
die offene Tür trotz aller diplomatischen Akten in Marokko, der andere sollte
es mit England gemeinsam in Persien tun, bis die Potsdamer Verständigung
einen Strich durch die englische Rechnung machte. England spielt ohnehin mit
seiner Politik ein gewagtes Spiel: Ein stark wachsendes und wirtschaftlich so


Vsfene Tür oder Interessensphäre?

Politik der Vereinigten Staaten, die mit Deutschland auf der Welt im all¬
gemeinen den Grundsatz der offenen Tür teilen, aber den ganzen amerikanischen
Erdteil als eigene Interessensphäre betrachten.

In der Tat gehört die Parallelität der deutschen und amerikanischen
Interessen namentlich in Ostasien, wie überall da, wo auf dem Boden selb'
ständiger, aber durch die monopolistischen Gelüste anderer europäischen Staaten
in ihrer Selbständigkeit bedrohten Länder die Freiheit des internationalen Wett¬
bewerbes aufrecht zu erhalten ist, zu denjenigen Faktoren, die Deutschland und
die Vereinigten Staaten in ihrer Politik einander nähern. Jede derartige
Annäherung aber ist vor allen Dingen England höchst unerwünscht, da England
in den beiden stammverwandten Völkern seine größten Rivalen sieht, es auch
sehr wohl weiß, daß die Vereinigten Staaten am letzten Ende der gefährlichere
Rivale sind, aber eben deshalb seine Politik nicht unmittelbar gegen die
Vereinigten Staaten zu richten wagt, sondern alles, was es vielleicht gegen
diese unternehmen möchte, zu nur gegen Deutschland gemeinten Schritten
umdeuten möchte.

Als vor kurzem das ostastatische Abkommen zwischen Rußland und Japan
bekannt wurde, fühlte man in England sofort sehr deutlich die Gefahr, daß
durch die Bedrohung parallel gehender, auf die Erhaltung des freien Wett¬
bewerbes in Ostasien gerichteter Interessen die von dem russisch-japanischen
Abkommen sehr nahe berührten Vereinigten Staaten von Nordamerika in engere
Fühlung mit der gleichfalls mittelbar betroffenen deutschen Politik gelangen
könnten. Es war ein gar zu durchsichtiges Manöver deutschfeindlicher Blätter,
daß sie damals sofort irgendein beliebiges Mittel an den Haaren herbeizuziehen
suchten, um irgendwo in der Welt zwischen den Vereinigten Staaten und
Deutschland Unfrieden zu stiften. Man griff im Übereifer recht plump vorbei,
indem man einen Zeitungskrieg wegen des Kaiserbriefes an den Präsidenten
von Nicaragua inszenierte. Die Haltlosigkeit des in Rede stehenden Vorfalles
war, zumal angesichts der zahlreichen fast gleichlautenden Briefe, die von anderen
Staatsoberhäuptern vorlagen, offensichtlich, und es sprach schließlich nur für das
gute Gewissen, das die deutsche Politik gegenüber den Vereinigten Staaten
haben kann, wenn die eifrigen Spürer nichts anderes fanden als dieses untaug¬
liche Mittel.

Täuschen wir uns nicht! Mitten im Frieden findet zwischen England und
Deutschland ein erbitterter Kampf statt — nicht mit militärischen, sondern mit
wirtschaftspolitischen Waffen. Es ist der Krieg zwischen dem Grundsatze der
offenen Tür und dem Grundsatze der Interessensphären. In diesem Kriege
benutzt England seine Verbündeten als Pförtner: der eine schließt Deutschland
die offene Tür trotz aller diplomatischen Akten in Marokko, der andere sollte
es mit England gemeinsam in Persien tun, bis die Potsdamer Verständigung
einen Strich durch die englische Rechnung machte. England spielt ohnehin mit
seiner Politik ein gewagtes Spiel: Ein stark wachsendes und wirtschaftlich so


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[0448] Vsfene Tür oder Interessensphäre? Politik der Vereinigten Staaten, die mit Deutschland auf der Welt im all¬ gemeinen den Grundsatz der offenen Tür teilen, aber den ganzen amerikanischen Erdteil als eigene Interessensphäre betrachten. In der Tat gehört die Parallelität der deutschen und amerikanischen Interessen namentlich in Ostasien, wie überall da, wo auf dem Boden selb' ständiger, aber durch die monopolistischen Gelüste anderer europäischen Staaten in ihrer Selbständigkeit bedrohten Länder die Freiheit des internationalen Wett¬ bewerbes aufrecht zu erhalten ist, zu denjenigen Faktoren, die Deutschland und die Vereinigten Staaten in ihrer Politik einander nähern. Jede derartige Annäherung aber ist vor allen Dingen England höchst unerwünscht, da England in den beiden stammverwandten Völkern seine größten Rivalen sieht, es auch sehr wohl weiß, daß die Vereinigten Staaten am letzten Ende der gefährlichere Rivale sind, aber eben deshalb seine Politik nicht unmittelbar gegen die Vereinigten Staaten zu richten wagt, sondern alles, was es vielleicht gegen diese unternehmen möchte, zu nur gegen Deutschland gemeinten Schritten umdeuten möchte. Als vor kurzem das ostastatische Abkommen zwischen Rußland und Japan bekannt wurde, fühlte man in England sofort sehr deutlich die Gefahr, daß durch die Bedrohung parallel gehender, auf die Erhaltung des freien Wett¬ bewerbes in Ostasien gerichteter Interessen die von dem russisch-japanischen Abkommen sehr nahe berührten Vereinigten Staaten von Nordamerika in engere Fühlung mit der gleichfalls mittelbar betroffenen deutschen Politik gelangen könnten. Es war ein gar zu durchsichtiges Manöver deutschfeindlicher Blätter, daß sie damals sofort irgendein beliebiges Mittel an den Haaren herbeizuziehen suchten, um irgendwo in der Welt zwischen den Vereinigten Staaten und Deutschland Unfrieden zu stiften. Man griff im Übereifer recht plump vorbei, indem man einen Zeitungskrieg wegen des Kaiserbriefes an den Präsidenten von Nicaragua inszenierte. Die Haltlosigkeit des in Rede stehenden Vorfalles war, zumal angesichts der zahlreichen fast gleichlautenden Briefe, die von anderen Staatsoberhäuptern vorlagen, offensichtlich, und es sprach schließlich nur für das gute Gewissen, das die deutsche Politik gegenüber den Vereinigten Staaten haben kann, wenn die eifrigen Spürer nichts anderes fanden als dieses untaug¬ liche Mittel. Täuschen wir uns nicht! Mitten im Frieden findet zwischen England und Deutschland ein erbitterter Kampf statt — nicht mit militärischen, sondern mit wirtschaftspolitischen Waffen. Es ist der Krieg zwischen dem Grundsatze der offenen Tür und dem Grundsatze der Interessensphären. In diesem Kriege benutzt England seine Verbündeten als Pförtner: der eine schließt Deutschland die offene Tür trotz aller diplomatischen Akten in Marokko, der andere sollte es mit England gemeinsam in Persien tun, bis die Potsdamer Verständigung einen Strich durch die englische Rechnung machte. England spielt ohnehin mit seiner Politik ein gewagtes Spiel: Ein stark wachsendes und wirtschaftlich so

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/448>, abgerufen am 22.07.2024.