Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Rcichsspiegel

selbst günstigere Verhältnisse Platz greifen werden, als sie heute bestehen.
Um so zweifelhafter dürften die Rückwirkungen für die gesamte innere Reichs¬
politik werden. Um mich besser verständlich zu machen, sei es gestattet, ein
wenig weiter auszuholen.

Es unterliegt keinem Zweifel mehr, daß die Politik des Fürsten Bülow
anfänglich unbewußt, je mehr sie ihrem Ende entgegenging immer bewußter
und absichtlicher den Übergang zum parlamentarischen System vor¬
bereitete. Fürst Bülow erkannte durchaus klar, daß die Entwicklung der Nation,
ihre Wirtschaft und die starke Entfaltung aller geistigen und sittlichen Werte zu
diesem politischen Ziel hinstrebten, und daß keine Macht der Erde befähigt sein
würde, diesem Zuge Halt zu gebieten. Als kluger Staatsmann richtete Bülow
sein Bemühen auch nicht auf das Unmögliche, sondern trachtete danach, den
Übergang so wenig schroff als möglich und unter Erhaltung möglichst vieler
autoritativer Momente, die mit der preußisch-deutschen Tradition verknüpft sind,
zu bewerkstelligen. Dazu aber gehörte die Einigkeit der bürgerlichen Parteien
und, nachdem sie im Block vollzogen schien, Erwerbung des nationalen Ver¬
trauens für diese rechts gerichtete bürgerliche Mehrheit. Das zweite Experiment
und damit der ganze kühne Plan scheiterte bekanntlich an der Kurzsichtigkeit
und dem Egoismus des Großgrundbesitzes, soweit er hinter Herrn v. Hevdebrand
steht, gelegentlich der Reichsfinanzreform. Bülow wurde als Umstürzler ver¬
dächtigt und -- beseitigt. Und doch hatte dieser "Umstürzler" schon seit dem
Jahre 1905 sehr weitgehende Vorarbeiten sür die Einrichtung eines Reichs¬
oberhauses getroffen, das Bildung und Besitz vor den von konservativer Seite
befürchteten Schädigungen des Parlamentarismus bewahren sollte. Es besteht
sogar ein bis in die kleinsten Einzelheiten ausgearbeiteter Gesetzentwurf, der im
geeigneten Augenblick hervorgeholt werden sollte. Wir wollen uns nicht aus¬
zumalen versuchen, was geschehen wäre, wenn etwa die kommenden Wahlen
unter den Losungsworten Parlamentarismus und Oberhaus ausgefochten werden
könnten. Ich glaube, daß manche Sorge von den Regierenden ebenso genommen
wäre wie von den Regierten.

Es ist anders gekommen. Der Parlamentarismus gewinnt Schritt für
Schritt an Boden, doch nicht vorsichtig eingeführt von einer kräftigen Regierung,
sondern geschoben und vorangestoßen von den demokratischen Parteien. Die
Regierung des Herrn von Bethmann hat zu dieser Entwicklung ihren Segen
gegeben durch die Art des Zustandekommens der elsaß-lothringischen Verfassungs¬
frage. Daß es nicht gern geschieht, hat der Herr Reichskanzler selbst zugegeben.
Er hat auch gesagt, warum er gezwungen wurde, das Gesetz zu nehmen wie
es ist: weil er von der deutschkonservativen Partei im Reichstage im Stich
gelassen wurde. Es ist dem Herrn Reichskanzler durchaus zuzustimmen, wenn
er sich darüber beschwert und wenn er die Konservativen dafür verantwortlich
macht, daß das Gesetz nicht besser geworden. Die Deutschkonservativen haben
sich die Sache leicht gemacht. Da sie das ganze Gesetz nicht haben wollten,


Rcichsspiegel

selbst günstigere Verhältnisse Platz greifen werden, als sie heute bestehen.
Um so zweifelhafter dürften die Rückwirkungen für die gesamte innere Reichs¬
politik werden. Um mich besser verständlich zu machen, sei es gestattet, ein
wenig weiter auszuholen.

Es unterliegt keinem Zweifel mehr, daß die Politik des Fürsten Bülow
anfänglich unbewußt, je mehr sie ihrem Ende entgegenging immer bewußter
und absichtlicher den Übergang zum parlamentarischen System vor¬
bereitete. Fürst Bülow erkannte durchaus klar, daß die Entwicklung der Nation,
ihre Wirtschaft und die starke Entfaltung aller geistigen und sittlichen Werte zu
diesem politischen Ziel hinstrebten, und daß keine Macht der Erde befähigt sein
würde, diesem Zuge Halt zu gebieten. Als kluger Staatsmann richtete Bülow
sein Bemühen auch nicht auf das Unmögliche, sondern trachtete danach, den
Übergang so wenig schroff als möglich und unter Erhaltung möglichst vieler
autoritativer Momente, die mit der preußisch-deutschen Tradition verknüpft sind,
zu bewerkstelligen. Dazu aber gehörte die Einigkeit der bürgerlichen Parteien
und, nachdem sie im Block vollzogen schien, Erwerbung des nationalen Ver¬
trauens für diese rechts gerichtete bürgerliche Mehrheit. Das zweite Experiment
und damit der ganze kühne Plan scheiterte bekanntlich an der Kurzsichtigkeit
und dem Egoismus des Großgrundbesitzes, soweit er hinter Herrn v. Hevdebrand
steht, gelegentlich der Reichsfinanzreform. Bülow wurde als Umstürzler ver¬
dächtigt und — beseitigt. Und doch hatte dieser „Umstürzler" schon seit dem
Jahre 1905 sehr weitgehende Vorarbeiten sür die Einrichtung eines Reichs¬
oberhauses getroffen, das Bildung und Besitz vor den von konservativer Seite
befürchteten Schädigungen des Parlamentarismus bewahren sollte. Es besteht
sogar ein bis in die kleinsten Einzelheiten ausgearbeiteter Gesetzentwurf, der im
geeigneten Augenblick hervorgeholt werden sollte. Wir wollen uns nicht aus¬
zumalen versuchen, was geschehen wäre, wenn etwa die kommenden Wahlen
unter den Losungsworten Parlamentarismus und Oberhaus ausgefochten werden
könnten. Ich glaube, daß manche Sorge von den Regierenden ebenso genommen
wäre wie von den Regierten.

Es ist anders gekommen. Der Parlamentarismus gewinnt Schritt für
Schritt an Boden, doch nicht vorsichtig eingeführt von einer kräftigen Regierung,
sondern geschoben und vorangestoßen von den demokratischen Parteien. Die
Regierung des Herrn von Bethmann hat zu dieser Entwicklung ihren Segen
gegeben durch die Art des Zustandekommens der elsaß-lothringischen Verfassungs¬
frage. Daß es nicht gern geschieht, hat der Herr Reichskanzler selbst zugegeben.
Er hat auch gesagt, warum er gezwungen wurde, das Gesetz zu nehmen wie
es ist: weil er von der deutschkonservativen Partei im Reichstage im Stich
gelassen wurde. Es ist dem Herrn Reichskanzler durchaus zuzustimmen, wenn
er sich darüber beschwert und wenn er die Konservativen dafür verantwortlich
macht, daß das Gesetz nicht besser geworden. Die Deutschkonservativen haben
sich die Sache leicht gemacht. Da sie das ganze Gesetz nicht haben wollten,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0438" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/318721"/>
            <fw type="header" place="top"> Rcichsspiegel</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1933" prev="#ID_1932"> selbst günstigere Verhältnisse Platz greifen werden, als sie heute bestehen.<lb/>
Um so zweifelhafter dürften die Rückwirkungen für die gesamte innere Reichs¬<lb/>
politik werden. Um mich besser verständlich zu machen, sei es gestattet, ein<lb/>
wenig weiter auszuholen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1934"> Es unterliegt keinem Zweifel mehr, daß die Politik des Fürsten Bülow<lb/>
anfänglich unbewußt, je mehr sie ihrem Ende entgegenging immer bewußter<lb/>
und absichtlicher den Übergang zum parlamentarischen System vor¬<lb/>
bereitete. Fürst Bülow erkannte durchaus klar, daß die Entwicklung der Nation,<lb/>
ihre Wirtschaft und die starke Entfaltung aller geistigen und sittlichen Werte zu<lb/>
diesem politischen Ziel hinstrebten, und daß keine Macht der Erde befähigt sein<lb/>
würde, diesem Zuge Halt zu gebieten. Als kluger Staatsmann richtete Bülow<lb/>
sein Bemühen auch nicht auf das Unmögliche, sondern trachtete danach, den<lb/>
Übergang so wenig schroff als möglich und unter Erhaltung möglichst vieler<lb/>
autoritativer Momente, die mit der preußisch-deutschen Tradition verknüpft sind,<lb/>
zu bewerkstelligen. Dazu aber gehörte die Einigkeit der bürgerlichen Parteien<lb/>
und, nachdem sie im Block vollzogen schien, Erwerbung des nationalen Ver¬<lb/>
trauens für diese rechts gerichtete bürgerliche Mehrheit. Das zweite Experiment<lb/>
und damit der ganze kühne Plan scheiterte bekanntlich an der Kurzsichtigkeit<lb/>
und dem Egoismus des Großgrundbesitzes, soweit er hinter Herrn v. Hevdebrand<lb/>
steht, gelegentlich der Reichsfinanzreform. Bülow wurde als Umstürzler ver¬<lb/>
dächtigt und &#x2014; beseitigt. Und doch hatte dieser &#x201E;Umstürzler" schon seit dem<lb/>
Jahre 1905 sehr weitgehende Vorarbeiten sür die Einrichtung eines Reichs¬<lb/>
oberhauses getroffen, das Bildung und Besitz vor den von konservativer Seite<lb/>
befürchteten Schädigungen des Parlamentarismus bewahren sollte. Es besteht<lb/>
sogar ein bis in die kleinsten Einzelheiten ausgearbeiteter Gesetzentwurf, der im<lb/>
geeigneten Augenblick hervorgeholt werden sollte. Wir wollen uns nicht aus¬<lb/>
zumalen versuchen, was geschehen wäre, wenn etwa die kommenden Wahlen<lb/>
unter den Losungsworten Parlamentarismus und Oberhaus ausgefochten werden<lb/>
könnten. Ich glaube, daß manche Sorge von den Regierenden ebenso genommen<lb/>
wäre wie von den Regierten.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1935" next="#ID_1936"> Es ist anders gekommen. Der Parlamentarismus gewinnt Schritt für<lb/>
Schritt an Boden, doch nicht vorsichtig eingeführt von einer kräftigen Regierung,<lb/>
sondern geschoben und vorangestoßen von den demokratischen Parteien. Die<lb/>
Regierung des Herrn von Bethmann hat zu dieser Entwicklung ihren Segen<lb/>
gegeben durch die Art des Zustandekommens der elsaß-lothringischen Verfassungs¬<lb/>
frage. Daß es nicht gern geschieht, hat der Herr Reichskanzler selbst zugegeben.<lb/>
Er hat auch gesagt, warum er gezwungen wurde, das Gesetz zu nehmen wie<lb/>
es ist: weil er von der deutschkonservativen Partei im Reichstage im Stich<lb/>
gelassen wurde. Es ist dem Herrn Reichskanzler durchaus zuzustimmen, wenn<lb/>
er sich darüber beschwert und wenn er die Konservativen dafür verantwortlich<lb/>
macht, daß das Gesetz nicht besser geworden. Die Deutschkonservativen haben<lb/>
sich die Sache leicht gemacht.  Da sie das ganze Gesetz nicht haben wollten,</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0438] Rcichsspiegel selbst günstigere Verhältnisse Platz greifen werden, als sie heute bestehen. Um so zweifelhafter dürften die Rückwirkungen für die gesamte innere Reichs¬ politik werden. Um mich besser verständlich zu machen, sei es gestattet, ein wenig weiter auszuholen. Es unterliegt keinem Zweifel mehr, daß die Politik des Fürsten Bülow anfänglich unbewußt, je mehr sie ihrem Ende entgegenging immer bewußter und absichtlicher den Übergang zum parlamentarischen System vor¬ bereitete. Fürst Bülow erkannte durchaus klar, daß die Entwicklung der Nation, ihre Wirtschaft und die starke Entfaltung aller geistigen und sittlichen Werte zu diesem politischen Ziel hinstrebten, und daß keine Macht der Erde befähigt sein würde, diesem Zuge Halt zu gebieten. Als kluger Staatsmann richtete Bülow sein Bemühen auch nicht auf das Unmögliche, sondern trachtete danach, den Übergang so wenig schroff als möglich und unter Erhaltung möglichst vieler autoritativer Momente, die mit der preußisch-deutschen Tradition verknüpft sind, zu bewerkstelligen. Dazu aber gehörte die Einigkeit der bürgerlichen Parteien und, nachdem sie im Block vollzogen schien, Erwerbung des nationalen Ver¬ trauens für diese rechts gerichtete bürgerliche Mehrheit. Das zweite Experiment und damit der ganze kühne Plan scheiterte bekanntlich an der Kurzsichtigkeit und dem Egoismus des Großgrundbesitzes, soweit er hinter Herrn v. Hevdebrand steht, gelegentlich der Reichsfinanzreform. Bülow wurde als Umstürzler ver¬ dächtigt und — beseitigt. Und doch hatte dieser „Umstürzler" schon seit dem Jahre 1905 sehr weitgehende Vorarbeiten sür die Einrichtung eines Reichs¬ oberhauses getroffen, das Bildung und Besitz vor den von konservativer Seite befürchteten Schädigungen des Parlamentarismus bewahren sollte. Es besteht sogar ein bis in die kleinsten Einzelheiten ausgearbeiteter Gesetzentwurf, der im geeigneten Augenblick hervorgeholt werden sollte. Wir wollen uns nicht aus¬ zumalen versuchen, was geschehen wäre, wenn etwa die kommenden Wahlen unter den Losungsworten Parlamentarismus und Oberhaus ausgefochten werden könnten. Ich glaube, daß manche Sorge von den Regierenden ebenso genommen wäre wie von den Regierten. Es ist anders gekommen. Der Parlamentarismus gewinnt Schritt für Schritt an Boden, doch nicht vorsichtig eingeführt von einer kräftigen Regierung, sondern geschoben und vorangestoßen von den demokratischen Parteien. Die Regierung des Herrn von Bethmann hat zu dieser Entwicklung ihren Segen gegeben durch die Art des Zustandekommens der elsaß-lothringischen Verfassungs¬ frage. Daß es nicht gern geschieht, hat der Herr Reichskanzler selbst zugegeben. Er hat auch gesagt, warum er gezwungen wurde, das Gesetz zu nehmen wie es ist: weil er von der deutschkonservativen Partei im Reichstage im Stich gelassen wurde. Es ist dem Herrn Reichskanzler durchaus zuzustimmen, wenn er sich darüber beschwert und wenn er die Konservativen dafür verantwortlich macht, daß das Gesetz nicht besser geworden. Die Deutschkonservativen haben sich die Sache leicht gemacht. Da sie das ganze Gesetz nicht haben wollten,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/438
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/438>, abgerufen am 22.07.2024.