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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Alte Beziehungen zwischen dem Indien des Gödens und Europa

Um darzutun, daß bereits in den frühesten Jahrhunderten unserer Zeit¬
rechnung christlicher Einfluß, wenn auch vielleicht nur schwach sich geltend machend,
von dem ewigen Rom bis nach Indien gereicht hat, erinnere ich nur an die
sogenannten Thomaschristen, welche durch ihre zahlreichen Kirchen längs der
Küste im Süden des Dekkan die Portugiesen bei ihrer ersten Eroberung um
das Jahr 1600 herum in Erstaunen setzten. Eigentlich hat sie bei einer starken
Population (an 200000) erst im Jahre 1806 C. Buchanan im Gebiete von
Travancore wieder entdeckt. Diese syrisch-persische Christengemeinde auf der
Küste von Malabar leitet ihren Ursprung von dem Apostel Thomas ab, wenn¬
gleich wir die ersten bestimmten Spuren von ihr nicht früher als um die Mitte
des sechsten Jahrhunderts bei Cosmas Jndopleustes finden. Doch sagt schon
Gregor von Nazianz in den letzten Zeiten des vierten Jahrhunderts (Orat. 25),
daß Thomas in Indien das Evangelium verkündet habe. Hin und wieder
werden auch wohl, schon vor der Entdeckung des Seeweges nach Ostindien,
kühne europäische Reisende bis nach dem tiefsten Asien, selbst bis über Indien
hinaus, durchgedrungen sein. Nur weil er in genuesischer Gefangenschaft dazu
wohl mehr Muße fand als ihm lieb war, um seine Reiseabenteuer einem
Genossen zu diktieren, ist uns Kunde geworden von dem vielleicht größten und
kühnsten Weltreisenden aller Zeiten, dem Venetianer Marco Polo, welcher
zwischen 1254 und 1324 lebte. Noch ein Jüngling, durchquerte er zu Pferde
ganz Asien bis nach China hin. Im Jahre 1271 sehen wir ihn am Himalaua,
dann 1275 zum Pamirplateau hinaufsteigen und hierauf in der Wüste Gobi.
Später sehen wir ihn als politischen Agenten von Kublai Khan in Tibet und
Südkambodscha. Dann führte ihn ein Auftrag seines kaiserlichen Herrn über
Sumatra, Ceylon nach dem kontinentalen Indien und Persien. Erst im Jahre
1295 kehrte dieser seltsame Mann nach einer Abwesenheit von vierundzwanzig
Jahren in sein Vaterland zurück.

Ich glaube diese meine Mitteilungen über alte Beziehungen zwischen dem
Indien des Ostens und Europa nicht besser beschließen zu können, als wenn
ich diese letzteren an der Hand der Geschichte eines Kulturerzeugnisses zeige,
welches heute in der ganzen zivilisierten Welt ein geradezu unentbehrliches Genu߬
mittel geworden ist, das im europäischen Mittelalter aber noch mehr als ein
kostbarer Luxusartikel und nebenbei als Heilmittel galt und dessen erste Her¬
stellung für den Markt wir im Westen des Indus in Curistan zu suchen haben.
Es ist dieses wichtige Fabrikat der Rohrzucker, dessen Hauptproduktionsgebiet
heute nicht mehr in dem kontinentalen Indien, sondern'auf den malaiischen
Inseln, auf Java, liegt, von wo aus von ihm über eine Million Tons jährlich
auf den Weltmarkt kommen.

Die erste Sage von einer süßen indischen Rohrart scheint mit dein Zuge
des großen Alexander aus dem fernen Osten nach Europa gekommen zu sein.
Da ist es interessant, daß Theophrast (371 bis 286 n. Chr.), der Schüler des
Aristoteles, in seiner rUstona Mntarum noch nicht von einer Zuckergrasart


Alte Beziehungen zwischen dem Indien des Gödens und Europa

Um darzutun, daß bereits in den frühesten Jahrhunderten unserer Zeit¬
rechnung christlicher Einfluß, wenn auch vielleicht nur schwach sich geltend machend,
von dem ewigen Rom bis nach Indien gereicht hat, erinnere ich nur an die
sogenannten Thomaschristen, welche durch ihre zahlreichen Kirchen längs der
Küste im Süden des Dekkan die Portugiesen bei ihrer ersten Eroberung um
das Jahr 1600 herum in Erstaunen setzten. Eigentlich hat sie bei einer starken
Population (an 200000) erst im Jahre 1806 C. Buchanan im Gebiete von
Travancore wieder entdeckt. Diese syrisch-persische Christengemeinde auf der
Küste von Malabar leitet ihren Ursprung von dem Apostel Thomas ab, wenn¬
gleich wir die ersten bestimmten Spuren von ihr nicht früher als um die Mitte
des sechsten Jahrhunderts bei Cosmas Jndopleustes finden. Doch sagt schon
Gregor von Nazianz in den letzten Zeiten des vierten Jahrhunderts (Orat. 25),
daß Thomas in Indien das Evangelium verkündet habe. Hin und wieder
werden auch wohl, schon vor der Entdeckung des Seeweges nach Ostindien,
kühne europäische Reisende bis nach dem tiefsten Asien, selbst bis über Indien
hinaus, durchgedrungen sein. Nur weil er in genuesischer Gefangenschaft dazu
wohl mehr Muße fand als ihm lieb war, um seine Reiseabenteuer einem
Genossen zu diktieren, ist uns Kunde geworden von dem vielleicht größten und
kühnsten Weltreisenden aller Zeiten, dem Venetianer Marco Polo, welcher
zwischen 1254 und 1324 lebte. Noch ein Jüngling, durchquerte er zu Pferde
ganz Asien bis nach China hin. Im Jahre 1271 sehen wir ihn am Himalaua,
dann 1275 zum Pamirplateau hinaufsteigen und hierauf in der Wüste Gobi.
Später sehen wir ihn als politischen Agenten von Kublai Khan in Tibet und
Südkambodscha. Dann führte ihn ein Auftrag seines kaiserlichen Herrn über
Sumatra, Ceylon nach dem kontinentalen Indien und Persien. Erst im Jahre
1295 kehrte dieser seltsame Mann nach einer Abwesenheit von vierundzwanzig
Jahren in sein Vaterland zurück.

Ich glaube diese meine Mitteilungen über alte Beziehungen zwischen dem
Indien des Ostens und Europa nicht besser beschließen zu können, als wenn
ich diese letzteren an der Hand der Geschichte eines Kulturerzeugnisses zeige,
welches heute in der ganzen zivilisierten Welt ein geradezu unentbehrliches Genu߬
mittel geworden ist, das im europäischen Mittelalter aber noch mehr als ein
kostbarer Luxusartikel und nebenbei als Heilmittel galt und dessen erste Her¬
stellung für den Markt wir im Westen des Indus in Curistan zu suchen haben.
Es ist dieses wichtige Fabrikat der Rohrzucker, dessen Hauptproduktionsgebiet
heute nicht mehr in dem kontinentalen Indien, sondern'auf den malaiischen
Inseln, auf Java, liegt, von wo aus von ihm über eine Million Tons jährlich
auf den Weltmarkt kommen.

Die erste Sage von einer süßen indischen Rohrart scheint mit dein Zuge
des großen Alexander aus dem fernen Osten nach Europa gekommen zu sein.
Da ist es interessant, daß Theophrast (371 bis 286 n. Chr.), der Schüler des
Aristoteles, in seiner rUstona Mntarum noch nicht von einer Zuckergrasart


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[0412] Alte Beziehungen zwischen dem Indien des Gödens und Europa Um darzutun, daß bereits in den frühesten Jahrhunderten unserer Zeit¬ rechnung christlicher Einfluß, wenn auch vielleicht nur schwach sich geltend machend, von dem ewigen Rom bis nach Indien gereicht hat, erinnere ich nur an die sogenannten Thomaschristen, welche durch ihre zahlreichen Kirchen längs der Küste im Süden des Dekkan die Portugiesen bei ihrer ersten Eroberung um das Jahr 1600 herum in Erstaunen setzten. Eigentlich hat sie bei einer starken Population (an 200000) erst im Jahre 1806 C. Buchanan im Gebiete von Travancore wieder entdeckt. Diese syrisch-persische Christengemeinde auf der Küste von Malabar leitet ihren Ursprung von dem Apostel Thomas ab, wenn¬ gleich wir die ersten bestimmten Spuren von ihr nicht früher als um die Mitte des sechsten Jahrhunderts bei Cosmas Jndopleustes finden. Doch sagt schon Gregor von Nazianz in den letzten Zeiten des vierten Jahrhunderts (Orat. 25), daß Thomas in Indien das Evangelium verkündet habe. Hin und wieder werden auch wohl, schon vor der Entdeckung des Seeweges nach Ostindien, kühne europäische Reisende bis nach dem tiefsten Asien, selbst bis über Indien hinaus, durchgedrungen sein. Nur weil er in genuesischer Gefangenschaft dazu wohl mehr Muße fand als ihm lieb war, um seine Reiseabenteuer einem Genossen zu diktieren, ist uns Kunde geworden von dem vielleicht größten und kühnsten Weltreisenden aller Zeiten, dem Venetianer Marco Polo, welcher zwischen 1254 und 1324 lebte. Noch ein Jüngling, durchquerte er zu Pferde ganz Asien bis nach China hin. Im Jahre 1271 sehen wir ihn am Himalaua, dann 1275 zum Pamirplateau hinaufsteigen und hierauf in der Wüste Gobi. Später sehen wir ihn als politischen Agenten von Kublai Khan in Tibet und Südkambodscha. Dann führte ihn ein Auftrag seines kaiserlichen Herrn über Sumatra, Ceylon nach dem kontinentalen Indien und Persien. Erst im Jahre 1295 kehrte dieser seltsame Mann nach einer Abwesenheit von vierundzwanzig Jahren in sein Vaterland zurück. Ich glaube diese meine Mitteilungen über alte Beziehungen zwischen dem Indien des Ostens und Europa nicht besser beschließen zu können, als wenn ich diese letzteren an der Hand der Geschichte eines Kulturerzeugnisses zeige, welches heute in der ganzen zivilisierten Welt ein geradezu unentbehrliches Genu߬ mittel geworden ist, das im europäischen Mittelalter aber noch mehr als ein kostbarer Luxusartikel und nebenbei als Heilmittel galt und dessen erste Her¬ stellung für den Markt wir im Westen des Indus in Curistan zu suchen haben. Es ist dieses wichtige Fabrikat der Rohrzucker, dessen Hauptproduktionsgebiet heute nicht mehr in dem kontinentalen Indien, sondern'auf den malaiischen Inseln, auf Java, liegt, von wo aus von ihm über eine Million Tons jährlich auf den Weltmarkt kommen. Die erste Sage von einer süßen indischen Rohrart scheint mit dein Zuge des großen Alexander aus dem fernen Osten nach Europa gekommen zu sein. Da ist es interessant, daß Theophrast (371 bis 286 n. Chr.), der Schüler des Aristoteles, in seiner rUstona Mntarum noch nicht von einer Zuckergrasart

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/412>, abgerufen am 03.07.2024.