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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Beleidigung durch die Presse

Gefährdung seines Familienlebens." Darum Ausschluß des Wahrheitsbeweises!
Bestrafung ohne jede Rücksicht auf die Erweislichkeit der behaupteten Tatsachen,
wenn diese lediglich Verhältnisse des Privatlebens betreffen, die das öffentliche
Interesse nicht berühren!

Hier drängt sich schon die Frage auf: Der Wahrheitsbeweis bei nicht¬
öffentlicher übler Nachrede kann doch genau die gleichen Unbilden für den
Beleidigten nach sich ziehen, weshalb macht man solchen Unterschied in der
Behandlung beider? Die rufgefährdende Wahrheit sollte entweder nie oder
immer straflos gesagt werden dürfen. Darauf wird man erwidern, daß ja auch
sonst vielfach die Öffentlichkeit der VerÜbung ein sonst strafloses Tun zu einem
strafbaren mache, man denke an Gotteslästerung, an Beschimpfung von Religions¬
gesellschaften, an öffentliche Unzucht, an alle die bereits obengenannten Pre߬
delikte wie Staatsverleumdung usw. In allen diesen Fällen jedoch ist die
Öffentlichkeit als solche, sind die unbestimmt Vielen, angesichts deren das Delikt
verübt wird, Objekt des Strafschutzes. Bei der Bestrafung der Preßbeleidigung
aber handelt es sich um den Schutz des einzelnen vor öffentlicher Verunglimpfung.
Ist es grundsätzlich erlaubt, aus welchen Motiven auch immer, privatim wie
öffentlich, selbst die unangenehmste Wahrheit auszusprechen, so sehe ich keinen
Rechtsgrund, hiervon eine Ausnahme zu machen zu Lasten der wahrheits¬
gemäßen öffentlichen Verbreitung einer ehrenrühriger Tatsache.

Aber abgesehen davon: Dem öffentlichen Interesse soll nach dem Entwürfe
das Interesse des einzelnen jedenfalls nachstehen. Der Wahrheitsbeweis über
eine jenes berührende Tatsache soll dem Beleidiger stets gestattet sein. "Wenn
man's so hört, möcht's leidlich scheinen." Aber in der Praxis? Es ist nichts
dehnbarer als der Begriff des öffentlichen Interesses. Man erinnere sich nur
des Prozesses, der wohl in der Hauptsache mit den Anstoß zu dieser Bestimmung
des Entwurfes gab. Erst lehnte die Staatsanwaltschaft die Verfolgung Harders
zugunsten Moltkes ab. Nach ihrer Ansicht berührten seine Beschuldigungen das
öffentliche Interesse nicht. Nachdem das Schöffengericht ihn freigesprochen, änderte
sie ihre Auffassung und erhob Offizialklage vor der Strafkammer. Und wie
geteilt war auch die öffentliche Meinung darüber, ob Harden es nur auf Sensation
abgesehen hatte oder ob ihm wirklich daran lag, die Atmosphäre um den Kaiser
zu säubern. Liegt es im öffentlichen Interesse, Ballettmädchen vor einem Tanz¬
meister, Verkäuferinnen vor einem Warenhausbesitzer zu warnen, dessen Privat¬
leben eine Gefährdung der Tugend seiner Angestellten besorgen läßt? Und wo
ist die Grenze, wenn solche Gefahr nur eine entfernte ist? Das Privatleben des
Offiziers oder des Beamten, wo beginnt es und wo hört es auf, die Öffent¬
lichkeit zu interessieren?

Vor allem aber: Wessen Urteil über das Vorliegen eines "öffentlichen
Interesses" soll entscheiden? Muß es nicht ankommen auf das Urteil des
Beleidigers? Oder soll der Redakteur nicht gehört werden dürfen mit der Ver¬
teidigung, er habe mit der Mitteilung des Vorfalles geglaubt, eine journalistische


Beleidigung durch die Presse

Gefährdung seines Familienlebens." Darum Ausschluß des Wahrheitsbeweises!
Bestrafung ohne jede Rücksicht auf die Erweislichkeit der behaupteten Tatsachen,
wenn diese lediglich Verhältnisse des Privatlebens betreffen, die das öffentliche
Interesse nicht berühren!

Hier drängt sich schon die Frage auf: Der Wahrheitsbeweis bei nicht¬
öffentlicher übler Nachrede kann doch genau die gleichen Unbilden für den
Beleidigten nach sich ziehen, weshalb macht man solchen Unterschied in der
Behandlung beider? Die rufgefährdende Wahrheit sollte entweder nie oder
immer straflos gesagt werden dürfen. Darauf wird man erwidern, daß ja auch
sonst vielfach die Öffentlichkeit der VerÜbung ein sonst strafloses Tun zu einem
strafbaren mache, man denke an Gotteslästerung, an Beschimpfung von Religions¬
gesellschaften, an öffentliche Unzucht, an alle die bereits obengenannten Pre߬
delikte wie Staatsverleumdung usw. In allen diesen Fällen jedoch ist die
Öffentlichkeit als solche, sind die unbestimmt Vielen, angesichts deren das Delikt
verübt wird, Objekt des Strafschutzes. Bei der Bestrafung der Preßbeleidigung
aber handelt es sich um den Schutz des einzelnen vor öffentlicher Verunglimpfung.
Ist es grundsätzlich erlaubt, aus welchen Motiven auch immer, privatim wie
öffentlich, selbst die unangenehmste Wahrheit auszusprechen, so sehe ich keinen
Rechtsgrund, hiervon eine Ausnahme zu machen zu Lasten der wahrheits¬
gemäßen öffentlichen Verbreitung einer ehrenrühriger Tatsache.

Aber abgesehen davon: Dem öffentlichen Interesse soll nach dem Entwürfe
das Interesse des einzelnen jedenfalls nachstehen. Der Wahrheitsbeweis über
eine jenes berührende Tatsache soll dem Beleidiger stets gestattet sein. „Wenn
man's so hört, möcht's leidlich scheinen." Aber in der Praxis? Es ist nichts
dehnbarer als der Begriff des öffentlichen Interesses. Man erinnere sich nur
des Prozesses, der wohl in der Hauptsache mit den Anstoß zu dieser Bestimmung
des Entwurfes gab. Erst lehnte die Staatsanwaltschaft die Verfolgung Harders
zugunsten Moltkes ab. Nach ihrer Ansicht berührten seine Beschuldigungen das
öffentliche Interesse nicht. Nachdem das Schöffengericht ihn freigesprochen, änderte
sie ihre Auffassung und erhob Offizialklage vor der Strafkammer. Und wie
geteilt war auch die öffentliche Meinung darüber, ob Harden es nur auf Sensation
abgesehen hatte oder ob ihm wirklich daran lag, die Atmosphäre um den Kaiser
zu säubern. Liegt es im öffentlichen Interesse, Ballettmädchen vor einem Tanz¬
meister, Verkäuferinnen vor einem Warenhausbesitzer zu warnen, dessen Privat¬
leben eine Gefährdung der Tugend seiner Angestellten besorgen läßt? Und wo
ist die Grenze, wenn solche Gefahr nur eine entfernte ist? Das Privatleben des
Offiziers oder des Beamten, wo beginnt es und wo hört es auf, die Öffent¬
lichkeit zu interessieren?

Vor allem aber: Wessen Urteil über das Vorliegen eines „öffentlichen
Interesses" soll entscheiden? Muß es nicht ankommen auf das Urteil des
Beleidigers? Oder soll der Redakteur nicht gehört werden dürfen mit der Ver¬
teidigung, er habe mit der Mitteilung des Vorfalles geglaubt, eine journalistische


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[0320] Beleidigung durch die Presse Gefährdung seines Familienlebens." Darum Ausschluß des Wahrheitsbeweises! Bestrafung ohne jede Rücksicht auf die Erweislichkeit der behaupteten Tatsachen, wenn diese lediglich Verhältnisse des Privatlebens betreffen, die das öffentliche Interesse nicht berühren! Hier drängt sich schon die Frage auf: Der Wahrheitsbeweis bei nicht¬ öffentlicher übler Nachrede kann doch genau die gleichen Unbilden für den Beleidigten nach sich ziehen, weshalb macht man solchen Unterschied in der Behandlung beider? Die rufgefährdende Wahrheit sollte entweder nie oder immer straflos gesagt werden dürfen. Darauf wird man erwidern, daß ja auch sonst vielfach die Öffentlichkeit der VerÜbung ein sonst strafloses Tun zu einem strafbaren mache, man denke an Gotteslästerung, an Beschimpfung von Religions¬ gesellschaften, an öffentliche Unzucht, an alle die bereits obengenannten Pre߬ delikte wie Staatsverleumdung usw. In allen diesen Fällen jedoch ist die Öffentlichkeit als solche, sind die unbestimmt Vielen, angesichts deren das Delikt verübt wird, Objekt des Strafschutzes. Bei der Bestrafung der Preßbeleidigung aber handelt es sich um den Schutz des einzelnen vor öffentlicher Verunglimpfung. Ist es grundsätzlich erlaubt, aus welchen Motiven auch immer, privatim wie öffentlich, selbst die unangenehmste Wahrheit auszusprechen, so sehe ich keinen Rechtsgrund, hiervon eine Ausnahme zu machen zu Lasten der wahrheits¬ gemäßen öffentlichen Verbreitung einer ehrenrühriger Tatsache. Aber abgesehen davon: Dem öffentlichen Interesse soll nach dem Entwürfe das Interesse des einzelnen jedenfalls nachstehen. Der Wahrheitsbeweis über eine jenes berührende Tatsache soll dem Beleidiger stets gestattet sein. „Wenn man's so hört, möcht's leidlich scheinen." Aber in der Praxis? Es ist nichts dehnbarer als der Begriff des öffentlichen Interesses. Man erinnere sich nur des Prozesses, der wohl in der Hauptsache mit den Anstoß zu dieser Bestimmung des Entwurfes gab. Erst lehnte die Staatsanwaltschaft die Verfolgung Harders zugunsten Moltkes ab. Nach ihrer Ansicht berührten seine Beschuldigungen das öffentliche Interesse nicht. Nachdem das Schöffengericht ihn freigesprochen, änderte sie ihre Auffassung und erhob Offizialklage vor der Strafkammer. Und wie geteilt war auch die öffentliche Meinung darüber, ob Harden es nur auf Sensation abgesehen hatte oder ob ihm wirklich daran lag, die Atmosphäre um den Kaiser zu säubern. Liegt es im öffentlichen Interesse, Ballettmädchen vor einem Tanz¬ meister, Verkäuferinnen vor einem Warenhausbesitzer zu warnen, dessen Privat¬ leben eine Gefährdung der Tugend seiner Angestellten besorgen läßt? Und wo ist die Grenze, wenn solche Gefahr nur eine entfernte ist? Das Privatleben des Offiziers oder des Beamten, wo beginnt es und wo hört es auf, die Öffent¬ lichkeit zu interessieren? Vor allem aber: Wessen Urteil über das Vorliegen eines „öffentlichen Interesses" soll entscheiden? Muß es nicht ankommen auf das Urteil des Beleidigers? Oder soll der Redakteur nicht gehört werden dürfen mit der Ver¬ teidigung, er habe mit der Mitteilung des Vorfalles geglaubt, eine journalistische

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/320>, abgerufen am 25.08.2024.