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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Beleidigung durch die Presse

angenommen morden. Weiter will der Entwurf die "üble Nachrede" dnrch die
Presse "ohne Rücksicht auf die Erweislichkeit" der behaupteten Tatsache bestraft
missen, wenn diese "lediglich Verhältnisse des Privatlebens betrifft, die das
öffentliche Interesse nicht berühren". Eine Beweisaufnahme über jene Tatsache
soll nur mit Zustimmung des Beleidigten zulässig sein. Diese Bestimmung
wurde zwar in der Kommission des Reichstags abgelehnt, und bei der zweiten
Beratung im Plenum kam man nicht auf sie zurück. Doch sie soll uuter den
Abgeordneten noch so viele Freunde haben, das; ihr Durchdringen in dritter
Lesung als uicht ausgeschlossen gilt.

Alle diese Vorschläge halte ich vom Standpunkt des Juristen und aus dein
Gesichtspunkte des öffentlichen Interesses unter Außerachtlassung aller politischen
Erwägungen für verfehlt und höchst bedenklich.

Gegen eine Erhöhung der Buße freilich ivürde grundsätzlich nichts ein-
zuwenden sein. Sie dient zur Abgeltung von Vermögensschäden, die wohl leicht
V000 Mark im Einzelfalle übersteigen; und ihre Forderung und Zuerkennung
erspart einen umständlichen Zivilstreit. Andere Staaten, besonders England,
lassen ja auch noch weit höhere Beträge als die jetzt vorgeschlagenen in die
Tasche des Beleidigten wandern. Aber dennoch -- des Gefühls kann ich mich
nicht erwehren: für uns Deutsche paßt dies nicht. Wir sehen ungern den Kampf
um die Ehre verknüpft mit einem Kampfe um materielles Gut. Wir wollen
ihn nicht zu einem lohnenden Geschäft gemacht wissen. Und gar, wenn der
Wahrheitsbeweis ausgeschlossen werden würde! Wie häßlich der Gedanke, daß
einer seine Taschen füllt mit Sühnegeld für eine ehroerletzende Behauptung, die
vielleicht wahr ist, aber nicht bewiesen werden durfte. Wenn aber, so erhöhe
man auch die Buße für Körperverletzung. Die beiden heute gleich behandelten
Fälle dürfen in Zukunft nicht so wesentlich verschiedene Regelung erfahren. Des
einen gesunde Glieder sind mindestens so viel Geldes wert wie jenes guter Ruf.

Auch gegen eine Erhöhung der Geldstrafe für üble Nachrede gibt es grund-
sätzliche Bedenken nicht. Im Gegenteil, man darf sie sogar befürworten. Eine
Strafe von 1500 Mark ist bei den heutigen Geldverhältnissen wirklich so niedrig,
daß der Richter besonders bei reichen Zeitungsunternehmungen in ihr oft nicht
eine genügende Sühne erblicken kann. Er wird so oft zur Auferlegung einer
Freiheitsstrafe gedrängt, wo er an sich vielleicht eine höhere Geldstrafe für
angemessener gehalten haben würde. Die Erweiterung des Rahmens der Geld¬
strafe würde also der Presse wohl zum Vorteil gereichen. Aber eine Erhöhung
auf 10 000 Mark geht viel zu weit. Nicht als ob ich nicht eine Strafe von
10 000 Mark noch einer eintägigen Gefängnisstrafe vorzöge. Aber dieser Betrag
fällt ganz aus dem Rahmen des Gesetzes heraus. Eines scheint man ganz ver¬
gessen zu haben: die "kleine" Novelle will doch nur einigen wenigen Stellen
des Strafgesetzbuchs neue Farben aufsetzen. Die Farbenflecken aber müssen sich
mit dem ganzen großen Gemälde vertragen, sie müssen seinem Gesamttone
angepaßt sein. Sonst ist das Höchstmaß der Geldstrafe, wenn man vom gewerbs-


Beleidigung durch die Presse

angenommen morden. Weiter will der Entwurf die „üble Nachrede" dnrch die
Presse „ohne Rücksicht auf die Erweislichkeit" der behaupteten Tatsache bestraft
missen, wenn diese „lediglich Verhältnisse des Privatlebens betrifft, die das
öffentliche Interesse nicht berühren". Eine Beweisaufnahme über jene Tatsache
soll nur mit Zustimmung des Beleidigten zulässig sein. Diese Bestimmung
wurde zwar in der Kommission des Reichstags abgelehnt, und bei der zweiten
Beratung im Plenum kam man nicht auf sie zurück. Doch sie soll uuter den
Abgeordneten noch so viele Freunde haben, das; ihr Durchdringen in dritter
Lesung als uicht ausgeschlossen gilt.

Alle diese Vorschläge halte ich vom Standpunkt des Juristen und aus dein
Gesichtspunkte des öffentlichen Interesses unter Außerachtlassung aller politischen
Erwägungen für verfehlt und höchst bedenklich.

Gegen eine Erhöhung der Buße freilich ivürde grundsätzlich nichts ein-
zuwenden sein. Sie dient zur Abgeltung von Vermögensschäden, die wohl leicht
V000 Mark im Einzelfalle übersteigen; und ihre Forderung und Zuerkennung
erspart einen umständlichen Zivilstreit. Andere Staaten, besonders England,
lassen ja auch noch weit höhere Beträge als die jetzt vorgeschlagenen in die
Tasche des Beleidigten wandern. Aber dennoch — des Gefühls kann ich mich
nicht erwehren: für uns Deutsche paßt dies nicht. Wir sehen ungern den Kampf
um die Ehre verknüpft mit einem Kampfe um materielles Gut. Wir wollen
ihn nicht zu einem lohnenden Geschäft gemacht wissen. Und gar, wenn der
Wahrheitsbeweis ausgeschlossen werden würde! Wie häßlich der Gedanke, daß
einer seine Taschen füllt mit Sühnegeld für eine ehroerletzende Behauptung, die
vielleicht wahr ist, aber nicht bewiesen werden durfte. Wenn aber, so erhöhe
man auch die Buße für Körperverletzung. Die beiden heute gleich behandelten
Fälle dürfen in Zukunft nicht so wesentlich verschiedene Regelung erfahren. Des
einen gesunde Glieder sind mindestens so viel Geldes wert wie jenes guter Ruf.

Auch gegen eine Erhöhung der Geldstrafe für üble Nachrede gibt es grund-
sätzliche Bedenken nicht. Im Gegenteil, man darf sie sogar befürworten. Eine
Strafe von 1500 Mark ist bei den heutigen Geldverhältnissen wirklich so niedrig,
daß der Richter besonders bei reichen Zeitungsunternehmungen in ihr oft nicht
eine genügende Sühne erblicken kann. Er wird so oft zur Auferlegung einer
Freiheitsstrafe gedrängt, wo er an sich vielleicht eine höhere Geldstrafe für
angemessener gehalten haben würde. Die Erweiterung des Rahmens der Geld¬
strafe würde also der Presse wohl zum Vorteil gereichen. Aber eine Erhöhung
auf 10 000 Mark geht viel zu weit. Nicht als ob ich nicht eine Strafe von
10 000 Mark noch einer eintägigen Gefängnisstrafe vorzöge. Aber dieser Betrag
fällt ganz aus dem Rahmen des Gesetzes heraus. Eines scheint man ganz ver¬
gessen zu haben: die „kleine" Novelle will doch nur einigen wenigen Stellen
des Strafgesetzbuchs neue Farben aufsetzen. Die Farbenflecken aber müssen sich
mit dem ganzen großen Gemälde vertragen, sie müssen seinem Gesamttone
angepaßt sein. Sonst ist das Höchstmaß der Geldstrafe, wenn man vom gewerbs-


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[0318] Beleidigung durch die Presse angenommen morden. Weiter will der Entwurf die „üble Nachrede" dnrch die Presse „ohne Rücksicht auf die Erweislichkeit" der behaupteten Tatsache bestraft missen, wenn diese „lediglich Verhältnisse des Privatlebens betrifft, die das öffentliche Interesse nicht berühren". Eine Beweisaufnahme über jene Tatsache soll nur mit Zustimmung des Beleidigten zulässig sein. Diese Bestimmung wurde zwar in der Kommission des Reichstags abgelehnt, und bei der zweiten Beratung im Plenum kam man nicht auf sie zurück. Doch sie soll uuter den Abgeordneten noch so viele Freunde haben, das; ihr Durchdringen in dritter Lesung als uicht ausgeschlossen gilt. Alle diese Vorschläge halte ich vom Standpunkt des Juristen und aus dein Gesichtspunkte des öffentlichen Interesses unter Außerachtlassung aller politischen Erwägungen für verfehlt und höchst bedenklich. Gegen eine Erhöhung der Buße freilich ivürde grundsätzlich nichts ein- zuwenden sein. Sie dient zur Abgeltung von Vermögensschäden, die wohl leicht V000 Mark im Einzelfalle übersteigen; und ihre Forderung und Zuerkennung erspart einen umständlichen Zivilstreit. Andere Staaten, besonders England, lassen ja auch noch weit höhere Beträge als die jetzt vorgeschlagenen in die Tasche des Beleidigten wandern. Aber dennoch — des Gefühls kann ich mich nicht erwehren: für uns Deutsche paßt dies nicht. Wir sehen ungern den Kampf um die Ehre verknüpft mit einem Kampfe um materielles Gut. Wir wollen ihn nicht zu einem lohnenden Geschäft gemacht wissen. Und gar, wenn der Wahrheitsbeweis ausgeschlossen werden würde! Wie häßlich der Gedanke, daß einer seine Taschen füllt mit Sühnegeld für eine ehroerletzende Behauptung, die vielleicht wahr ist, aber nicht bewiesen werden durfte. Wenn aber, so erhöhe man auch die Buße für Körperverletzung. Die beiden heute gleich behandelten Fälle dürfen in Zukunft nicht so wesentlich verschiedene Regelung erfahren. Des einen gesunde Glieder sind mindestens so viel Geldes wert wie jenes guter Ruf. Auch gegen eine Erhöhung der Geldstrafe für üble Nachrede gibt es grund- sätzliche Bedenken nicht. Im Gegenteil, man darf sie sogar befürworten. Eine Strafe von 1500 Mark ist bei den heutigen Geldverhältnissen wirklich so niedrig, daß der Richter besonders bei reichen Zeitungsunternehmungen in ihr oft nicht eine genügende Sühne erblicken kann. Er wird so oft zur Auferlegung einer Freiheitsstrafe gedrängt, wo er an sich vielleicht eine höhere Geldstrafe für angemessener gehalten haben würde. Die Erweiterung des Rahmens der Geld¬ strafe würde also der Presse wohl zum Vorteil gereichen. Aber eine Erhöhung auf 10 000 Mark geht viel zu weit. Nicht als ob ich nicht eine Strafe von 10 000 Mark noch einer eintägigen Gefängnisstrafe vorzöge. Aber dieser Betrag fällt ganz aus dem Rahmen des Gesetzes heraus. Eines scheint man ganz ver¬ gessen zu haben: die „kleine" Novelle will doch nur einigen wenigen Stellen des Strafgesetzbuchs neue Farben aufsetzen. Die Farbenflecken aber müssen sich mit dem ganzen großen Gemälde vertragen, sie müssen seinem Gesamttone angepaßt sein. Sonst ist das Höchstmaß der Geldstrafe, wenn man vom gewerbs-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/318>, abgerufen am 25.08.2024.