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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Grillxcirzcrs Gstcrreichcrtum

Glaubst: in Voraussicht lauter Herrschergrößcn
Ward Erbrecht eingeführt in Reich und Staat?
Vielmehr nur: weil ein Mittelpunkt bonnöten,
Um den sich alles schart, was ant und recht,
Und widersteht dem Falschen und dem Schlimmen,
Hat in der Zukunft zweifelhaftes Reich
Den Samen man geworfen einer Ernte,
Die manchmal gut und vielmnl wieder spärlich.

So sagt im "Bruderzwist" der Kaiser selber, dessen Tragik eben darin
besteht, daß er sich über seine geringe Eignung zum Herrschervosten klar ist.
Und Grillparzer weiß es so genau, was diesen weisen Regenten und manchen
anderen aus dem Hause Habsburg schädigt.


Nichts teurer ist hier Lands als der Entschluß --

das kehrt in mancher Variante und uicht nur in den Historien selber
wieder. Dazu kommt, daß der Dichter jene größte und wohl unvermeidliche
Gefahr aller absoluten Herrschaft kennt und haßt, die in der von Höflingen
zwischen Volk und Herrn errichteten Scheidewand besteht. Wer die Unsittlichkeit
des Höslingswesens mit so ingrimmiger Satire gemalt hat wie Grillparzer im
Esther-Fragment, der sollte ein für alle Male gegen den Vorwarf knechtischen
Wesens gefeit sein. Erdhütte sich doch dort die ganze Verruchtheit einer zu
selbstsüchtigen Zwecken ans Lüge und Intrige aufgebauten dnmmschlanen Cliquen¬
wirtschaft. Hainen ist so gewöhnt, seinen Herrn zu belügen, daß er es gar
nicht fassen kann, als er aus Esthers Reden den Ton natürlicher Wahr¬
haftigkeit heraushört. Erst meint er, sie verstelle sich, dann hofft er, sich
ihrer Aufrichtigkeit für seine Pläne bedienen zu können und tröstet sich also,
es sei "die Wahrheit selbst mitunter nützlich".

Wenn aber der Dichter derart die Gefahr der unumschränkten Herrschaft
kennt, die sich doch erhöhen muß, wo willensschwache Männer die Krone
tragen -- warum atmet er denn nicht 1848 auf, warum erfüllt ihn Ekel
über die Revolution, warum beweist er in seinem Loblied für Radetzky den gleiche"
"Servilismus", der aus seinen: peinlichen Drama "Ein treuer Diener seines
Herrn" spricht? Man kann sagen, es offenbare sich in solchem Verhalten
zugleich das Kindlichste und das Reifste in Grillparzers Wesen: das Kind¬
lichste -- ein überlegener Sohn wird versuchen, den irrenden Vater auf bessere
Wege zu leiten, aber er wird gegen den Vater Gewalttat weder selber begehen,
noch von anderen dulden, das Reifste -- mit dem bloßen Abschütteln einer
unvollkommenen Ordnung ist es für Grillparzer uicht getan, er fürchtet, daß
an ihre Stelle das völlige Chaos, als Pöbelherrschaft und Knlturvernichtung,
treten könne. Und der geschichtlich und politisch Geschulte weiß ganz genan.
daß die Gefahr des Chaos nirgends größer sein kann als da, wo die ver¬
schiedensten Stämme und Einheiten in einen Staatsverband zusammengeschlossen
sind, als in Osterreich also.


Grillxcirzcrs Gstcrreichcrtum

Glaubst: in Voraussicht lauter Herrschergrößcn
Ward Erbrecht eingeführt in Reich und Staat?
Vielmehr nur: weil ein Mittelpunkt bonnöten,
Um den sich alles schart, was ant und recht,
Und widersteht dem Falschen und dem Schlimmen,
Hat in der Zukunft zweifelhaftes Reich
Den Samen man geworfen einer Ernte,
Die manchmal gut und vielmnl wieder spärlich.

So sagt im „Bruderzwist" der Kaiser selber, dessen Tragik eben darin
besteht, daß er sich über seine geringe Eignung zum Herrschervosten klar ist.
Und Grillparzer weiß es so genau, was diesen weisen Regenten und manchen
anderen aus dem Hause Habsburg schädigt.


Nichts teurer ist hier Lands als der Entschluß —

das kehrt in mancher Variante und uicht nur in den Historien selber
wieder. Dazu kommt, daß der Dichter jene größte und wohl unvermeidliche
Gefahr aller absoluten Herrschaft kennt und haßt, die in der von Höflingen
zwischen Volk und Herrn errichteten Scheidewand besteht. Wer die Unsittlichkeit
des Höslingswesens mit so ingrimmiger Satire gemalt hat wie Grillparzer im
Esther-Fragment, der sollte ein für alle Male gegen den Vorwarf knechtischen
Wesens gefeit sein. Erdhütte sich doch dort die ganze Verruchtheit einer zu
selbstsüchtigen Zwecken ans Lüge und Intrige aufgebauten dnmmschlanen Cliquen¬
wirtschaft. Hainen ist so gewöhnt, seinen Herrn zu belügen, daß er es gar
nicht fassen kann, als er aus Esthers Reden den Ton natürlicher Wahr¬
haftigkeit heraushört. Erst meint er, sie verstelle sich, dann hofft er, sich
ihrer Aufrichtigkeit für seine Pläne bedienen zu können und tröstet sich also,
es sei „die Wahrheit selbst mitunter nützlich".

Wenn aber der Dichter derart die Gefahr der unumschränkten Herrschaft
kennt, die sich doch erhöhen muß, wo willensschwache Männer die Krone
tragen — warum atmet er denn nicht 1848 auf, warum erfüllt ihn Ekel
über die Revolution, warum beweist er in seinem Loblied für Radetzky den gleiche»
„Servilismus", der aus seinen: peinlichen Drama „Ein treuer Diener seines
Herrn" spricht? Man kann sagen, es offenbare sich in solchem Verhalten
zugleich das Kindlichste und das Reifste in Grillparzers Wesen: das Kind¬
lichste — ein überlegener Sohn wird versuchen, den irrenden Vater auf bessere
Wege zu leiten, aber er wird gegen den Vater Gewalttat weder selber begehen,
noch von anderen dulden, das Reifste — mit dem bloßen Abschütteln einer
unvollkommenen Ordnung ist es für Grillparzer uicht getan, er fürchtet, daß
an ihre Stelle das völlige Chaos, als Pöbelherrschaft und Knlturvernichtung,
treten könne. Und der geschichtlich und politisch Geschulte weiß ganz genan.
daß die Gefahr des Chaos nirgends größer sein kann als da, wo die ver¬
schiedensten Stämme und Einheiten in einen Staatsverband zusammengeschlossen
sind, als in Osterreich also.


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[0313] Grillxcirzcrs Gstcrreichcrtum Glaubst: in Voraussicht lauter Herrschergrößcn Ward Erbrecht eingeführt in Reich und Staat? Vielmehr nur: weil ein Mittelpunkt bonnöten, Um den sich alles schart, was ant und recht, Und widersteht dem Falschen und dem Schlimmen, Hat in der Zukunft zweifelhaftes Reich Den Samen man geworfen einer Ernte, Die manchmal gut und vielmnl wieder spärlich. So sagt im „Bruderzwist" der Kaiser selber, dessen Tragik eben darin besteht, daß er sich über seine geringe Eignung zum Herrschervosten klar ist. Und Grillparzer weiß es so genau, was diesen weisen Regenten und manchen anderen aus dem Hause Habsburg schädigt. Nichts teurer ist hier Lands als der Entschluß — das kehrt in mancher Variante und uicht nur in den Historien selber wieder. Dazu kommt, daß der Dichter jene größte und wohl unvermeidliche Gefahr aller absoluten Herrschaft kennt und haßt, die in der von Höflingen zwischen Volk und Herrn errichteten Scheidewand besteht. Wer die Unsittlichkeit des Höslingswesens mit so ingrimmiger Satire gemalt hat wie Grillparzer im Esther-Fragment, der sollte ein für alle Male gegen den Vorwarf knechtischen Wesens gefeit sein. Erdhütte sich doch dort die ganze Verruchtheit einer zu selbstsüchtigen Zwecken ans Lüge und Intrige aufgebauten dnmmschlanen Cliquen¬ wirtschaft. Hainen ist so gewöhnt, seinen Herrn zu belügen, daß er es gar nicht fassen kann, als er aus Esthers Reden den Ton natürlicher Wahr¬ haftigkeit heraushört. Erst meint er, sie verstelle sich, dann hofft er, sich ihrer Aufrichtigkeit für seine Pläne bedienen zu können und tröstet sich also, es sei „die Wahrheit selbst mitunter nützlich". Wenn aber der Dichter derart die Gefahr der unumschränkten Herrschaft kennt, die sich doch erhöhen muß, wo willensschwache Männer die Krone tragen — warum atmet er denn nicht 1848 auf, warum erfüllt ihn Ekel über die Revolution, warum beweist er in seinem Loblied für Radetzky den gleiche» „Servilismus", der aus seinen: peinlichen Drama „Ein treuer Diener seines Herrn" spricht? Man kann sagen, es offenbare sich in solchem Verhalten zugleich das Kindlichste und das Reifste in Grillparzers Wesen: das Kind¬ lichste — ein überlegener Sohn wird versuchen, den irrenden Vater auf bessere Wege zu leiten, aber er wird gegen den Vater Gewalttat weder selber begehen, noch von anderen dulden, das Reifste — mit dem bloßen Abschütteln einer unvollkommenen Ordnung ist es für Grillparzer uicht getan, er fürchtet, daß an ihre Stelle das völlige Chaos, als Pöbelherrschaft und Knlturvernichtung, treten könne. Und der geschichtlich und politisch Geschulte weiß ganz genan. daß die Gefahr des Chaos nirgends größer sein kann als da, wo die ver¬ schiedensten Stämme und Einheiten in einen Staatsverband zusammengeschlossen sind, als in Osterreich also.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/313>, abgerufen am 25.08.2024.