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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Grillparzers Gsterreichertum

ganze kreisende Natur, wahr ist der Wolf, der brüllt, eh' er verschlingt" --
den Menschen zum Teufel entstellend, und doch kann sich niemand, der handelt,
der Lüge entziehen. Der fromme Bischof selber, der so eifrig gegen die Lüge
predigt, hat das Thema zur eigenen Züchtigung gewählt.


Denn wär' ich wahr gewesen, als der König
Mich jüngst gefragt, ob etwas ich bedürfe,
Und hätt' ich Lösung mir erbeten für mein Kind,
Es wär' um frei, und ruhig wär' mein Herz.

Und vermag schon Bischof Gregor, der wenig vom Lebensgetriebe Bewegte,
der Lüge nicht fern zu bleiben, wie tief muß sich erst Leon, der Küchenjunge,
in sie verstricken, der einen wilden Griff ins Leben wagt. Zwar, da er auszieht,
Gregors Neffen Atalus ohne Lösegeld aus der Gewalt der Barbaren zu befreien,
verspricht er seinein geistlichen Herrn, jedes "bißchen Trug" zu unterlassen, und
wirklich verschmäht er nachher jedes verlogene Wort. Dann muß er sich aber doch
von der heidnischen Edrita belehren lassen, daß er vielmals der Wahrheit ins
Gesicht geschlagen habe, als er sich mit derber Zutunlichkeit und Offenheit bei
ihrem Vater Kattwald einschmeichelte.


Es lügt der Mensch mit Worten nicht allein,
Auch mit der Tat, sprachst du die droh'nde Wahrheit,
War Lüge dann, was dir erwarb Vertrauen.

Und wie die drei Flüchtlinge dann, der Retter Leon, Atalus der Gerettete
und Edrita, die dem christlichen Glauben und mehr noch seinem Bekenner Leon
Zugetane, von Atalus Umworbene, verwirrten Gefühls vor Bischof Gregor
stehen, da verzweifelt der sanfte Eiferer an der Möglichkeit eines lügenfreien
Wandels.


Sie reden alle Wahrheit, sind drauf stolz,
Und sie belügt sich selbst und ihn; er mich
Und wieder sie; der lügt, weil man ihm log --
Und reden alle Wahrheit, alle, alle.
Das Unkraut, merk' ich, rottet mau nicht aus,
Glück auf, wächst nur der Weizen etwa drüber.

Der christliche Mann bescheidet sich dahin, die Erde "das Land der Täuschung"
zu nennen und sich auf den Himmel, "ein Land, das aller Wahrheit Thron",
zu vertrösten. Für Grillparzer, den unkirchlich, unschwärmerisch Gesinnten, der
auch darin Goethe verwandt ist, daß er nach Klarheit über alles Erforschbare
strebt und das Unerforschliche auf sich beruhen läßt, für ihn bleibt nur das
Land der Täuschung, in dem nichts zu holen ist als Verstrickung in Lüge und
Schuld, als Zerstörung des höchsten Seelengutes, der Harmonie. In "Weh
dem, der lügt!" hat er es mit milder Wehmut ausgedrückt, in seinen meisten
anderen Stücken herrscht dieser Gedanke in ungemilderter Tragik. Und immer
ergibt sich die für den Meister des Dramas, der auf Handlung gestellten
Dichtungsart also, so seltsame Lehre: Handle nicht, verändere nicht den Zustand,
in dem du dich befindest. Glücklich oder doch ein Anwärter des Glücks ist nur,


Grenzvoten II 1911 38
Grillparzers Gsterreichertum

ganze kreisende Natur, wahr ist der Wolf, der brüllt, eh' er verschlingt" —
den Menschen zum Teufel entstellend, und doch kann sich niemand, der handelt,
der Lüge entziehen. Der fromme Bischof selber, der so eifrig gegen die Lüge
predigt, hat das Thema zur eigenen Züchtigung gewählt.


Denn wär' ich wahr gewesen, als der König
Mich jüngst gefragt, ob etwas ich bedürfe,
Und hätt' ich Lösung mir erbeten für mein Kind,
Es wär' um frei, und ruhig wär' mein Herz.

Und vermag schon Bischof Gregor, der wenig vom Lebensgetriebe Bewegte,
der Lüge nicht fern zu bleiben, wie tief muß sich erst Leon, der Küchenjunge,
in sie verstricken, der einen wilden Griff ins Leben wagt. Zwar, da er auszieht,
Gregors Neffen Atalus ohne Lösegeld aus der Gewalt der Barbaren zu befreien,
verspricht er seinein geistlichen Herrn, jedes „bißchen Trug" zu unterlassen, und
wirklich verschmäht er nachher jedes verlogene Wort. Dann muß er sich aber doch
von der heidnischen Edrita belehren lassen, daß er vielmals der Wahrheit ins
Gesicht geschlagen habe, als er sich mit derber Zutunlichkeit und Offenheit bei
ihrem Vater Kattwald einschmeichelte.


Es lügt der Mensch mit Worten nicht allein,
Auch mit der Tat, sprachst du die droh'nde Wahrheit,
War Lüge dann, was dir erwarb Vertrauen.

Und wie die drei Flüchtlinge dann, der Retter Leon, Atalus der Gerettete
und Edrita, die dem christlichen Glauben und mehr noch seinem Bekenner Leon
Zugetane, von Atalus Umworbene, verwirrten Gefühls vor Bischof Gregor
stehen, da verzweifelt der sanfte Eiferer an der Möglichkeit eines lügenfreien
Wandels.


Sie reden alle Wahrheit, sind drauf stolz,
Und sie belügt sich selbst und ihn; er mich
Und wieder sie; der lügt, weil man ihm log —
Und reden alle Wahrheit, alle, alle.
Das Unkraut, merk' ich, rottet mau nicht aus,
Glück auf, wächst nur der Weizen etwa drüber.

Der christliche Mann bescheidet sich dahin, die Erde „das Land der Täuschung"
zu nennen und sich auf den Himmel, „ein Land, das aller Wahrheit Thron",
zu vertrösten. Für Grillparzer, den unkirchlich, unschwärmerisch Gesinnten, der
auch darin Goethe verwandt ist, daß er nach Klarheit über alles Erforschbare
strebt und das Unerforschliche auf sich beruhen läßt, für ihn bleibt nur das
Land der Täuschung, in dem nichts zu holen ist als Verstrickung in Lüge und
Schuld, als Zerstörung des höchsten Seelengutes, der Harmonie. In „Weh
dem, der lügt!" hat er es mit milder Wehmut ausgedrückt, in seinen meisten
anderen Stücken herrscht dieser Gedanke in ungemilderter Tragik. Und immer
ergibt sich die für den Meister des Dramas, der auf Handlung gestellten
Dichtungsart also, so seltsame Lehre: Handle nicht, verändere nicht den Zustand,
in dem du dich befindest. Glücklich oder doch ein Anwärter des Glücks ist nur,


Grenzvoten II 1911 38
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[0309] Grillparzers Gsterreichertum ganze kreisende Natur, wahr ist der Wolf, der brüllt, eh' er verschlingt" — den Menschen zum Teufel entstellend, und doch kann sich niemand, der handelt, der Lüge entziehen. Der fromme Bischof selber, der so eifrig gegen die Lüge predigt, hat das Thema zur eigenen Züchtigung gewählt. Denn wär' ich wahr gewesen, als der König Mich jüngst gefragt, ob etwas ich bedürfe, Und hätt' ich Lösung mir erbeten für mein Kind, Es wär' um frei, und ruhig wär' mein Herz. Und vermag schon Bischof Gregor, der wenig vom Lebensgetriebe Bewegte, der Lüge nicht fern zu bleiben, wie tief muß sich erst Leon, der Küchenjunge, in sie verstricken, der einen wilden Griff ins Leben wagt. Zwar, da er auszieht, Gregors Neffen Atalus ohne Lösegeld aus der Gewalt der Barbaren zu befreien, verspricht er seinein geistlichen Herrn, jedes „bißchen Trug" zu unterlassen, und wirklich verschmäht er nachher jedes verlogene Wort. Dann muß er sich aber doch von der heidnischen Edrita belehren lassen, daß er vielmals der Wahrheit ins Gesicht geschlagen habe, als er sich mit derber Zutunlichkeit und Offenheit bei ihrem Vater Kattwald einschmeichelte. Es lügt der Mensch mit Worten nicht allein, Auch mit der Tat, sprachst du die droh'nde Wahrheit, War Lüge dann, was dir erwarb Vertrauen. Und wie die drei Flüchtlinge dann, der Retter Leon, Atalus der Gerettete und Edrita, die dem christlichen Glauben und mehr noch seinem Bekenner Leon Zugetane, von Atalus Umworbene, verwirrten Gefühls vor Bischof Gregor stehen, da verzweifelt der sanfte Eiferer an der Möglichkeit eines lügenfreien Wandels. Sie reden alle Wahrheit, sind drauf stolz, Und sie belügt sich selbst und ihn; er mich Und wieder sie; der lügt, weil man ihm log — Und reden alle Wahrheit, alle, alle. Das Unkraut, merk' ich, rottet mau nicht aus, Glück auf, wächst nur der Weizen etwa drüber. Der christliche Mann bescheidet sich dahin, die Erde „das Land der Täuschung" zu nennen und sich auf den Himmel, „ein Land, das aller Wahrheit Thron", zu vertrösten. Für Grillparzer, den unkirchlich, unschwärmerisch Gesinnten, der auch darin Goethe verwandt ist, daß er nach Klarheit über alles Erforschbare strebt und das Unerforschliche auf sich beruhen läßt, für ihn bleibt nur das Land der Täuschung, in dem nichts zu holen ist als Verstrickung in Lüge und Schuld, als Zerstörung des höchsten Seelengutes, der Harmonie. In „Weh dem, der lügt!" hat er es mit milder Wehmut ausgedrückt, in seinen meisten anderen Stücken herrscht dieser Gedanke in ungemilderter Tragik. Und immer ergibt sich die für den Meister des Dramas, der auf Handlung gestellten Dichtungsart also, so seltsame Lehre: Handle nicht, verändere nicht den Zustand, in dem du dich befindest. Glücklich oder doch ein Anwärter des Glücks ist nur, Grenzvoten II 1911 38

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/309>, abgerufen am 25.08.2024.