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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Reformvorschläge für die deutschen Universitäten

logie, Otologie, Laryngologie und Rhinologie, die sich die Pflege und Fort¬
bildung dieser Wissenschaften zum Lebensberuf erwählt haben, hat diese Stellung
der medizinischen Fakultäten die nachteilige Folge, daß sie niemals, auch bei
höchsten Leistungen, die oberste Stufe des akademischen Berufs erreichen können.
Deshalb darf gehofft werden, daß die medizinischen Fakultäten ihre bisherige
Abneigung gegen die Erhebung von Vertretern solcher wichtiger Spezialfächer
zu ordentlichen Professoren aufgeben werden. Geschieht dies nicht, so ist zu
befürchten, daß sich für diese Fächer in Zukunft Kräfte ersten Ranges schwer
finden werden. Wer sollte es auch solchen Männern verdenken, wenn sie sich
von Universitäten abwenden, deren medizinische Fakultäten ihren Fächern grund¬
sätzlich einen niederen Wert beilegen als denen der ordentlichen Fakultätsmitglieder?

In der philosophischen Fakultät bestehen, wenigstens bei den sogenannten
Geisteswissenschaften, keine so ein für allemal festumschriebenenen Ordinariate,
wie meist in den drei andern Fakultäten. Vielmehr kommt es hier mit¬
unter vor, daß, wenn ein bisher mit einem Ordinarius besetzter Lehrstuhl
frei wird, dieser in Ermangelung einer geeigneten älteren Kraft oder aus einem
anderen Grunde einem jüngeren Manne zunächst als Extraordinarius übertragen
wird, vorbehaltlich seiner etwaigen späteren Ernennung zum Ordinarius. Zu¬
weilen ist es auch nötig, ein bisher von einem Extraordinarius verwaltetes
Lehrfach mit einem Ordinarius zu besetzen, weil ein geeigneter Nachfolger nur
unter dieser Bedingung zu gewinnen ist.

Im vorstehenden ist die Vermehrung der Ordinariate vorzugsweise unter
dem in der Lamprechtschen Rede in den Vordergrund gestellten Gesichtspunkte
der Umgestaltung der Wissenschaften erörtert worden. Es fragt sich aber, ob
nicht auch, abgesehen von der Änderung des Wissenschaftsbetriebes, der Unter¬
richtszweck schon im Hinblick auf die gestiegene und fortgesetzt wachsende
Studentenzahl eine Schaffung neuer ordentlicher Lehrstühle notwendig mache,
die solchenfalls nicht als Ordinariate für neue Wissenschaftsgebiete, sondern als
eigentliche Parallelprofessuren mit dem gleichen Lehrauftrage sich darstellen
würden. In dieser Hinsicht mögen zunächst die einschlagenden Verhältnisse durch
einige Zahlen veranschaulicht werden. Nach der von Franz Eulenburg in
seinem Werke: "Die Frequenz der deutschen Universitäten usw." (Leipzig, bei
B. G. Teubner. 1904) mitgeteilten Statistik stellte sich das Verhältnis der
Studierenden zu den ordentlichen Professoren auf sämtlichen Universitäten des
Deutschen Reiches in den Sommersemestern:

des JahresStudierendeordentliche
Professorenmithin Studenten
auf einen Ordinarius
18401151863318
18601188360520
18802096594722
190033986116129
191054845126643

Reformvorschläge für die deutschen Universitäten

logie, Otologie, Laryngologie und Rhinologie, die sich die Pflege und Fort¬
bildung dieser Wissenschaften zum Lebensberuf erwählt haben, hat diese Stellung
der medizinischen Fakultäten die nachteilige Folge, daß sie niemals, auch bei
höchsten Leistungen, die oberste Stufe des akademischen Berufs erreichen können.
Deshalb darf gehofft werden, daß die medizinischen Fakultäten ihre bisherige
Abneigung gegen die Erhebung von Vertretern solcher wichtiger Spezialfächer
zu ordentlichen Professoren aufgeben werden. Geschieht dies nicht, so ist zu
befürchten, daß sich für diese Fächer in Zukunft Kräfte ersten Ranges schwer
finden werden. Wer sollte es auch solchen Männern verdenken, wenn sie sich
von Universitäten abwenden, deren medizinische Fakultäten ihren Fächern grund¬
sätzlich einen niederen Wert beilegen als denen der ordentlichen Fakultätsmitglieder?

In der philosophischen Fakultät bestehen, wenigstens bei den sogenannten
Geisteswissenschaften, keine so ein für allemal festumschriebenenen Ordinariate,
wie meist in den drei andern Fakultäten. Vielmehr kommt es hier mit¬
unter vor, daß, wenn ein bisher mit einem Ordinarius besetzter Lehrstuhl
frei wird, dieser in Ermangelung einer geeigneten älteren Kraft oder aus einem
anderen Grunde einem jüngeren Manne zunächst als Extraordinarius übertragen
wird, vorbehaltlich seiner etwaigen späteren Ernennung zum Ordinarius. Zu¬
weilen ist es auch nötig, ein bisher von einem Extraordinarius verwaltetes
Lehrfach mit einem Ordinarius zu besetzen, weil ein geeigneter Nachfolger nur
unter dieser Bedingung zu gewinnen ist.

Im vorstehenden ist die Vermehrung der Ordinariate vorzugsweise unter
dem in der Lamprechtschen Rede in den Vordergrund gestellten Gesichtspunkte
der Umgestaltung der Wissenschaften erörtert worden. Es fragt sich aber, ob
nicht auch, abgesehen von der Änderung des Wissenschaftsbetriebes, der Unter¬
richtszweck schon im Hinblick auf die gestiegene und fortgesetzt wachsende
Studentenzahl eine Schaffung neuer ordentlicher Lehrstühle notwendig mache,
die solchenfalls nicht als Ordinariate für neue Wissenschaftsgebiete, sondern als
eigentliche Parallelprofessuren mit dem gleichen Lehrauftrage sich darstellen
würden. In dieser Hinsicht mögen zunächst die einschlagenden Verhältnisse durch
einige Zahlen veranschaulicht werden. Nach der von Franz Eulenburg in
seinem Werke: „Die Frequenz der deutschen Universitäten usw." (Leipzig, bei
B. G. Teubner. 1904) mitgeteilten Statistik stellte sich das Verhältnis der
Studierenden zu den ordentlichen Professoren auf sämtlichen Universitäten des
Deutschen Reiches in den Sommersemestern:

des JahresStudierendeordentliche
Professorenmithin Studenten
auf einen Ordinarius
18401151863318
18601188360520
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[0260] Reformvorschläge für die deutschen Universitäten logie, Otologie, Laryngologie und Rhinologie, die sich die Pflege und Fort¬ bildung dieser Wissenschaften zum Lebensberuf erwählt haben, hat diese Stellung der medizinischen Fakultäten die nachteilige Folge, daß sie niemals, auch bei höchsten Leistungen, die oberste Stufe des akademischen Berufs erreichen können. Deshalb darf gehofft werden, daß die medizinischen Fakultäten ihre bisherige Abneigung gegen die Erhebung von Vertretern solcher wichtiger Spezialfächer zu ordentlichen Professoren aufgeben werden. Geschieht dies nicht, so ist zu befürchten, daß sich für diese Fächer in Zukunft Kräfte ersten Ranges schwer finden werden. Wer sollte es auch solchen Männern verdenken, wenn sie sich von Universitäten abwenden, deren medizinische Fakultäten ihren Fächern grund¬ sätzlich einen niederen Wert beilegen als denen der ordentlichen Fakultätsmitglieder? In der philosophischen Fakultät bestehen, wenigstens bei den sogenannten Geisteswissenschaften, keine so ein für allemal festumschriebenenen Ordinariate, wie meist in den drei andern Fakultäten. Vielmehr kommt es hier mit¬ unter vor, daß, wenn ein bisher mit einem Ordinarius besetzter Lehrstuhl frei wird, dieser in Ermangelung einer geeigneten älteren Kraft oder aus einem anderen Grunde einem jüngeren Manne zunächst als Extraordinarius übertragen wird, vorbehaltlich seiner etwaigen späteren Ernennung zum Ordinarius. Zu¬ weilen ist es auch nötig, ein bisher von einem Extraordinarius verwaltetes Lehrfach mit einem Ordinarius zu besetzen, weil ein geeigneter Nachfolger nur unter dieser Bedingung zu gewinnen ist. Im vorstehenden ist die Vermehrung der Ordinariate vorzugsweise unter dem in der Lamprechtschen Rede in den Vordergrund gestellten Gesichtspunkte der Umgestaltung der Wissenschaften erörtert worden. Es fragt sich aber, ob nicht auch, abgesehen von der Änderung des Wissenschaftsbetriebes, der Unter¬ richtszweck schon im Hinblick auf die gestiegene und fortgesetzt wachsende Studentenzahl eine Schaffung neuer ordentlicher Lehrstühle notwendig mache, die solchenfalls nicht als Ordinariate für neue Wissenschaftsgebiete, sondern als eigentliche Parallelprofessuren mit dem gleichen Lehrauftrage sich darstellen würden. In dieser Hinsicht mögen zunächst die einschlagenden Verhältnisse durch einige Zahlen veranschaulicht werden. Nach der von Franz Eulenburg in seinem Werke: „Die Frequenz der deutschen Universitäten usw." (Leipzig, bei B. G. Teubner. 1904) mitgeteilten Statistik stellte sich das Verhältnis der Studierenden zu den ordentlichen Professoren auf sämtlichen Universitäten des Deutschen Reiches in den Sommersemestern: des JahresStudierendeordentliche Professorenmithin Studenten auf einen Ordinarius 18401151863318 18601188360520 18802096594722 190033986116129 191054845126643

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/260>, abgerufen am 26.06.2024.