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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Das Verhältnis von Staat und Kirche in Portugal

kauften Kirchengutcs (1862) kam angeblich der Geistlichkeit zugute. Dom Luis
der Erste (1861 bis 1889) vermochte die sich immer schwieriger gestaltenden
Beziehungen Portugals zur römischen Kurie ebensowenig zu bessern wie die
Finanzlage des Landes, während in Gesetzgebung, Verwaltung und auswärtiger
Politik zweifellos unter seinem Zepter mannigfache und große Erfolge errungen
wurden. Es bedürfte des ganzen Einflusses Papst Pius des Neunten auf die
portugiesischen Bischöfe, um den auch in den Kreisen der Geistlichkeit sich regenden
modernistischen Bestrebungen entgegenzutreten. Beim Zustandekommen des
Vatikanums wirkten zwei portugiesische Bischöfe mit, und die Theologen der
Universität Coimbra sekundierten. Dom Carlos und der Kronprinz sielen der
Revolution zum Opfer, und jener büßte mit dem Leben die Sünden seiner Väter,
sein zweiter Sohn Manuel, der letzte Sachsen-Koburg-Cohary-Braganza, mit
dem Verlust der Krone. Ob die neue carta as lei von 1910, die sich von ihrer
Vorgängerin, der carta coriZtituciolmI von 1826 (nebst Zusätzen von 1852
und 1885), wesentlich unterscheidet, dem Lande einen ruhigen Fortschritt zu
gewährleisten vermag, ist mehr als zweifelhaft. Dies gilt namentlich in staats-
kirchenrechtlicher und kirchenpolitischer Beziehung. Denn die Grundsätze der
Glaubens- und Gewissensfreiheit sowie der Unabhängigkeit jeder staatlichen
Betätigung vom Bekenntnisse waren schon vorher anerkannt und haben die
schwersten Verwickelungen in der Kurie nicht zu verhindern vermocht. Anderseits
reichte der Einfluß der majestaä kicZelissima weder in Rom noch in Oporto
so weit, um dem Lande kulturell förderlich zu nützen, klerikalen Übergriffen zu
begegnen. Ob die Aufhebung der Orden einen nachhaltigen Erfolg haben wird,
muß die Zukunft lehren. Der Schwerpunkt wird in Portugal wie in anderen
Staaten in zweckentsprechender Verwendung des Kirchenvermögens liegen, dessen
Verwaltung schon bislang der Aufsicht der staatlichen und gemeindlichen Selbst¬
verwaltungskörper (Gesetz vom 6. Mai 1878) unterlag. Ihren großen Reich¬
tümern wird die römisch-katholische portugiesische Staatskirche nur blutenden
Herzens entsagen, wenn der Staat die Hand danach ausstrecken sollte. Die
anderen Bekenntnisse sind wenig daran interessiert, da sie nicht über große Werte
verfügen, überhaupt als nichtöffentliche Korporationen mit häuslicher oder sonst
privater Gottesdienstberechtigung keine große Rolle spielen. Ihre Gesamtzahl
beträgt noch nicht 1500 Seelen (gegenüber etwa 5 Millionen Katholiken). Ihre
Gemeinden gehören zum großen Teil der englischen Hochkirche oder der schottischen
Freikirche an.

Noch gilt für die Verhältnisse von Staat und Kirche im allgemeinen das
Konkordat von 1516, in welchem Portugal auf das "Plazet" gegen ein Drittel
der Kirchenzehnten verzichtete. Die Kirche hat eine theologische Fakultät (Coimbra)
und 19 Priesterseminare. Der Staat bildet seit den Schulerlafsen und Gesetzen
von 1894, 1896 und 1897 die Lehrer in besonderen Bildungsanstalten (Lissabon,
Oporto, Coimbra) aus und übt Schulzwang (etwa 5500 Schulen). Trotzdem
kann kaum ein Fünftel der Bevölkerung lesen und schreiben. Die Mittelschulen


Das Verhältnis von Staat und Kirche in Portugal

kauften Kirchengutcs (1862) kam angeblich der Geistlichkeit zugute. Dom Luis
der Erste (1861 bis 1889) vermochte die sich immer schwieriger gestaltenden
Beziehungen Portugals zur römischen Kurie ebensowenig zu bessern wie die
Finanzlage des Landes, während in Gesetzgebung, Verwaltung und auswärtiger
Politik zweifellos unter seinem Zepter mannigfache und große Erfolge errungen
wurden. Es bedürfte des ganzen Einflusses Papst Pius des Neunten auf die
portugiesischen Bischöfe, um den auch in den Kreisen der Geistlichkeit sich regenden
modernistischen Bestrebungen entgegenzutreten. Beim Zustandekommen des
Vatikanums wirkten zwei portugiesische Bischöfe mit, und die Theologen der
Universität Coimbra sekundierten. Dom Carlos und der Kronprinz sielen der
Revolution zum Opfer, und jener büßte mit dem Leben die Sünden seiner Väter,
sein zweiter Sohn Manuel, der letzte Sachsen-Koburg-Cohary-Braganza, mit
dem Verlust der Krone. Ob die neue carta as lei von 1910, die sich von ihrer
Vorgängerin, der carta coriZtituciolmI von 1826 (nebst Zusätzen von 1852
und 1885), wesentlich unterscheidet, dem Lande einen ruhigen Fortschritt zu
gewährleisten vermag, ist mehr als zweifelhaft. Dies gilt namentlich in staats-
kirchenrechtlicher und kirchenpolitischer Beziehung. Denn die Grundsätze der
Glaubens- und Gewissensfreiheit sowie der Unabhängigkeit jeder staatlichen
Betätigung vom Bekenntnisse waren schon vorher anerkannt und haben die
schwersten Verwickelungen in der Kurie nicht zu verhindern vermocht. Anderseits
reichte der Einfluß der majestaä kicZelissima weder in Rom noch in Oporto
so weit, um dem Lande kulturell förderlich zu nützen, klerikalen Übergriffen zu
begegnen. Ob die Aufhebung der Orden einen nachhaltigen Erfolg haben wird,
muß die Zukunft lehren. Der Schwerpunkt wird in Portugal wie in anderen
Staaten in zweckentsprechender Verwendung des Kirchenvermögens liegen, dessen
Verwaltung schon bislang der Aufsicht der staatlichen und gemeindlichen Selbst¬
verwaltungskörper (Gesetz vom 6. Mai 1878) unterlag. Ihren großen Reich¬
tümern wird die römisch-katholische portugiesische Staatskirche nur blutenden
Herzens entsagen, wenn der Staat die Hand danach ausstrecken sollte. Die
anderen Bekenntnisse sind wenig daran interessiert, da sie nicht über große Werte
verfügen, überhaupt als nichtöffentliche Korporationen mit häuslicher oder sonst
privater Gottesdienstberechtigung keine große Rolle spielen. Ihre Gesamtzahl
beträgt noch nicht 1500 Seelen (gegenüber etwa 5 Millionen Katholiken). Ihre
Gemeinden gehören zum großen Teil der englischen Hochkirche oder der schottischen
Freikirche an.

Noch gilt für die Verhältnisse von Staat und Kirche im allgemeinen das
Konkordat von 1516, in welchem Portugal auf das „Plazet" gegen ein Drittel
der Kirchenzehnten verzichtete. Die Kirche hat eine theologische Fakultät (Coimbra)
und 19 Priesterseminare. Der Staat bildet seit den Schulerlafsen und Gesetzen
von 1894, 1896 und 1897 die Lehrer in besonderen Bildungsanstalten (Lissabon,
Oporto, Coimbra) aus und übt Schulzwang (etwa 5500 Schulen). Trotzdem
kann kaum ein Fünftel der Bevölkerung lesen und schreiben. Die Mittelschulen


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[0256] Das Verhältnis von Staat und Kirche in Portugal kauften Kirchengutcs (1862) kam angeblich der Geistlichkeit zugute. Dom Luis der Erste (1861 bis 1889) vermochte die sich immer schwieriger gestaltenden Beziehungen Portugals zur römischen Kurie ebensowenig zu bessern wie die Finanzlage des Landes, während in Gesetzgebung, Verwaltung und auswärtiger Politik zweifellos unter seinem Zepter mannigfache und große Erfolge errungen wurden. Es bedürfte des ganzen Einflusses Papst Pius des Neunten auf die portugiesischen Bischöfe, um den auch in den Kreisen der Geistlichkeit sich regenden modernistischen Bestrebungen entgegenzutreten. Beim Zustandekommen des Vatikanums wirkten zwei portugiesische Bischöfe mit, und die Theologen der Universität Coimbra sekundierten. Dom Carlos und der Kronprinz sielen der Revolution zum Opfer, und jener büßte mit dem Leben die Sünden seiner Väter, sein zweiter Sohn Manuel, der letzte Sachsen-Koburg-Cohary-Braganza, mit dem Verlust der Krone. Ob die neue carta as lei von 1910, die sich von ihrer Vorgängerin, der carta coriZtituciolmI von 1826 (nebst Zusätzen von 1852 und 1885), wesentlich unterscheidet, dem Lande einen ruhigen Fortschritt zu gewährleisten vermag, ist mehr als zweifelhaft. Dies gilt namentlich in staats- kirchenrechtlicher und kirchenpolitischer Beziehung. Denn die Grundsätze der Glaubens- und Gewissensfreiheit sowie der Unabhängigkeit jeder staatlichen Betätigung vom Bekenntnisse waren schon vorher anerkannt und haben die schwersten Verwickelungen in der Kurie nicht zu verhindern vermocht. Anderseits reichte der Einfluß der majestaä kicZelissima weder in Rom noch in Oporto so weit, um dem Lande kulturell förderlich zu nützen, klerikalen Übergriffen zu begegnen. Ob die Aufhebung der Orden einen nachhaltigen Erfolg haben wird, muß die Zukunft lehren. Der Schwerpunkt wird in Portugal wie in anderen Staaten in zweckentsprechender Verwendung des Kirchenvermögens liegen, dessen Verwaltung schon bislang der Aufsicht der staatlichen und gemeindlichen Selbst¬ verwaltungskörper (Gesetz vom 6. Mai 1878) unterlag. Ihren großen Reich¬ tümern wird die römisch-katholische portugiesische Staatskirche nur blutenden Herzens entsagen, wenn der Staat die Hand danach ausstrecken sollte. Die anderen Bekenntnisse sind wenig daran interessiert, da sie nicht über große Werte verfügen, überhaupt als nichtöffentliche Korporationen mit häuslicher oder sonst privater Gottesdienstberechtigung keine große Rolle spielen. Ihre Gesamtzahl beträgt noch nicht 1500 Seelen (gegenüber etwa 5 Millionen Katholiken). Ihre Gemeinden gehören zum großen Teil der englischen Hochkirche oder der schottischen Freikirche an. Noch gilt für die Verhältnisse von Staat und Kirche im allgemeinen das Konkordat von 1516, in welchem Portugal auf das „Plazet" gegen ein Drittel der Kirchenzehnten verzichtete. Die Kirche hat eine theologische Fakultät (Coimbra) und 19 Priesterseminare. Der Staat bildet seit den Schulerlafsen und Gesetzen von 1894, 1896 und 1897 die Lehrer in besonderen Bildungsanstalten (Lissabon, Oporto, Coimbra) aus und übt Schulzwang (etwa 5500 Schulen). Trotzdem kann kaum ein Fünftel der Bevölkerung lesen und schreiben. Die Mittelschulen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/256>, abgerufen am 26.06.2024.