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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Das Verhältnis von Staat und Kirche in Portugal

vielleicht die Herrschaft Marquis Pombals, der unter dem schwachen König Joseph
Emanuel (1750 bis1777) die Grundsätze der Aufklärungsperiode--jedoch mit wenig
Glück und Geschick -- zu vertreten unternahm. Seine antiklerikale Politik hatte,
wenn man von der Säkularisierung eines Teils des Kirchengutes absteht, einen
einzigen greifbaren Erfolg, die Vertreibung der Jesuiten 1759. Im übrigen
mußten sich Staat und Kirche in gleicher Weise in den nächsten Jahrzehnten
(unter Maria der Ersten wuchs der geistliche Einfluß wieder) von seinen un¬
verständigen Maßnahmen erholen, ehe eine klare Auseinandersetzung zwischen der
weltlichen und der geistlichen Macht erfolgen konnte. Zunächst war auch die
politische Lage hierzu nicht geeignet. Die Englandsfreundschaft mußte Portugal
1807 mit der Flucht der königlichen Familie bezahlen. Vernichtete auch die
Konvention von Cintra (1808) den französischen Einfluß in Portugal und stellte
den englischen wieder her, so schuf doch erst der Friede zu Paris (1814)
gesicherte Zustände im Äußeren. Im Inneren bedürfte es der Revolution von
1820, um die gärenden neuen Ideen zu klären. (Der Jesuitenorden wurde 1814
trotz Portugals Protest wiederhergestellt.) Der noch immer in Brasilien
residierende König (der kirchenfeindliche Joao der Sechste, 1816 bis 1826) konnte
erst in die Heimat zurückkehren, nachdem er die neue Verfassung beschworen
hatte, die ein stark demokratisierendes Moment in die Ständeorganisation (Cortes)
brachte. Die Verfassungsbewegung, die in der Urkunde vom 23. September 1822
endgültig formuliert zu sein schien, führte in ihrem weiteren Verlaufe zur
Unabhängigkeit Brasiliens, dessen erster Kaiser Dom Pedro nach dem Tode
Joaos des Sechsten den portugiesischen Thron beanspruchte und dem Land eine
Verfassung aufzwang (29. April 1826), wie dies den damaligen Staats¬
grundsätzen entsprach. Die Cortes erkannten nicht ihn, sondern seinen Bruder
und designierten Schwiegersohn Dom Miguel als König an, der die Verfassung
Dom Petros umstieß und durch seine kirchenfreundliche Regierungsweise, ins¬
besondere die Rückberufung der Jesuiten, einen reaktionären Widerstand in die
kirchenpolitische Entwickelung einschaltete. Das Kriegsglück war jedoch seinem
aus Brasilien vertriebenen Bruder günstig, und der Vertrag von Eyoramonte
(26. Mai 1834) erklärte ihn aller Anrechte auf den portugiesischen Thron verlustig.
Dom Pedro führte als Regent die Regierung aus Grund der Verfassung von
1826 für. seine Tochter Maria, bis diese am 24. September 1834 als Donna
Maria II da Gloria nach Dom Petros Tode selbständig wurde. Die
inneren Kämpfe waren mit ihrem Tode (1853) noch nicht beendet. Als wichtigstes
Ergebnis der Herrschaft Dom Petros und Marias ist die wiederholte Vertreibung
der Jesuiten, die Aufhebung der geistlichen Ritterorden und der päpstlichen
Nuntiatur, sowie die schon 1834 geschehene Einziehung des Vermögens der
(aufgehobenen) Männerklöster und der Nonnenklöster zu verzeichnen, die auch
unter Dom Pedro dem Fünften (1855 bis 1861) nicht widerrufen werden konnten.
Der diplomatische Verkehr mit Rom wurde 1840 wieder hergestellt. Ein Kon¬
kordatsentwurf fand die Billigung des Staates nicht (1842). Der Erlös ver-


Das Verhältnis von Staat und Kirche in Portugal

vielleicht die Herrschaft Marquis Pombals, der unter dem schwachen König Joseph
Emanuel (1750 bis1777) die Grundsätze der Aufklärungsperiode—jedoch mit wenig
Glück und Geschick — zu vertreten unternahm. Seine antiklerikale Politik hatte,
wenn man von der Säkularisierung eines Teils des Kirchengutes absteht, einen
einzigen greifbaren Erfolg, die Vertreibung der Jesuiten 1759. Im übrigen
mußten sich Staat und Kirche in gleicher Weise in den nächsten Jahrzehnten
(unter Maria der Ersten wuchs der geistliche Einfluß wieder) von seinen un¬
verständigen Maßnahmen erholen, ehe eine klare Auseinandersetzung zwischen der
weltlichen und der geistlichen Macht erfolgen konnte. Zunächst war auch die
politische Lage hierzu nicht geeignet. Die Englandsfreundschaft mußte Portugal
1807 mit der Flucht der königlichen Familie bezahlen. Vernichtete auch die
Konvention von Cintra (1808) den französischen Einfluß in Portugal und stellte
den englischen wieder her, so schuf doch erst der Friede zu Paris (1814)
gesicherte Zustände im Äußeren. Im Inneren bedürfte es der Revolution von
1820, um die gärenden neuen Ideen zu klären. (Der Jesuitenorden wurde 1814
trotz Portugals Protest wiederhergestellt.) Der noch immer in Brasilien
residierende König (der kirchenfeindliche Joao der Sechste, 1816 bis 1826) konnte
erst in die Heimat zurückkehren, nachdem er die neue Verfassung beschworen
hatte, die ein stark demokratisierendes Moment in die Ständeorganisation (Cortes)
brachte. Die Verfassungsbewegung, die in der Urkunde vom 23. September 1822
endgültig formuliert zu sein schien, führte in ihrem weiteren Verlaufe zur
Unabhängigkeit Brasiliens, dessen erster Kaiser Dom Pedro nach dem Tode
Joaos des Sechsten den portugiesischen Thron beanspruchte und dem Land eine
Verfassung aufzwang (29. April 1826), wie dies den damaligen Staats¬
grundsätzen entsprach. Die Cortes erkannten nicht ihn, sondern seinen Bruder
und designierten Schwiegersohn Dom Miguel als König an, der die Verfassung
Dom Petros umstieß und durch seine kirchenfreundliche Regierungsweise, ins¬
besondere die Rückberufung der Jesuiten, einen reaktionären Widerstand in die
kirchenpolitische Entwickelung einschaltete. Das Kriegsglück war jedoch seinem
aus Brasilien vertriebenen Bruder günstig, und der Vertrag von Eyoramonte
(26. Mai 1834) erklärte ihn aller Anrechte auf den portugiesischen Thron verlustig.
Dom Pedro führte als Regent die Regierung aus Grund der Verfassung von
1826 für. seine Tochter Maria, bis diese am 24. September 1834 als Donna
Maria II da Gloria nach Dom Petros Tode selbständig wurde. Die
inneren Kämpfe waren mit ihrem Tode (1853) noch nicht beendet. Als wichtigstes
Ergebnis der Herrschaft Dom Petros und Marias ist die wiederholte Vertreibung
der Jesuiten, die Aufhebung der geistlichen Ritterorden und der päpstlichen
Nuntiatur, sowie die schon 1834 geschehene Einziehung des Vermögens der
(aufgehobenen) Männerklöster und der Nonnenklöster zu verzeichnen, die auch
unter Dom Pedro dem Fünften (1855 bis 1861) nicht widerrufen werden konnten.
Der diplomatische Verkehr mit Rom wurde 1840 wieder hergestellt. Ein Kon¬
kordatsentwurf fand die Billigung des Staates nicht (1842). Der Erlös ver-


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[0255] Das Verhältnis von Staat und Kirche in Portugal vielleicht die Herrschaft Marquis Pombals, der unter dem schwachen König Joseph Emanuel (1750 bis1777) die Grundsätze der Aufklärungsperiode—jedoch mit wenig Glück und Geschick — zu vertreten unternahm. Seine antiklerikale Politik hatte, wenn man von der Säkularisierung eines Teils des Kirchengutes absteht, einen einzigen greifbaren Erfolg, die Vertreibung der Jesuiten 1759. Im übrigen mußten sich Staat und Kirche in gleicher Weise in den nächsten Jahrzehnten (unter Maria der Ersten wuchs der geistliche Einfluß wieder) von seinen un¬ verständigen Maßnahmen erholen, ehe eine klare Auseinandersetzung zwischen der weltlichen und der geistlichen Macht erfolgen konnte. Zunächst war auch die politische Lage hierzu nicht geeignet. Die Englandsfreundschaft mußte Portugal 1807 mit der Flucht der königlichen Familie bezahlen. Vernichtete auch die Konvention von Cintra (1808) den französischen Einfluß in Portugal und stellte den englischen wieder her, so schuf doch erst der Friede zu Paris (1814) gesicherte Zustände im Äußeren. Im Inneren bedürfte es der Revolution von 1820, um die gärenden neuen Ideen zu klären. (Der Jesuitenorden wurde 1814 trotz Portugals Protest wiederhergestellt.) Der noch immer in Brasilien residierende König (der kirchenfeindliche Joao der Sechste, 1816 bis 1826) konnte erst in die Heimat zurückkehren, nachdem er die neue Verfassung beschworen hatte, die ein stark demokratisierendes Moment in die Ständeorganisation (Cortes) brachte. Die Verfassungsbewegung, die in der Urkunde vom 23. September 1822 endgültig formuliert zu sein schien, führte in ihrem weiteren Verlaufe zur Unabhängigkeit Brasiliens, dessen erster Kaiser Dom Pedro nach dem Tode Joaos des Sechsten den portugiesischen Thron beanspruchte und dem Land eine Verfassung aufzwang (29. April 1826), wie dies den damaligen Staats¬ grundsätzen entsprach. Die Cortes erkannten nicht ihn, sondern seinen Bruder und designierten Schwiegersohn Dom Miguel als König an, der die Verfassung Dom Petros umstieß und durch seine kirchenfreundliche Regierungsweise, ins¬ besondere die Rückberufung der Jesuiten, einen reaktionären Widerstand in die kirchenpolitische Entwickelung einschaltete. Das Kriegsglück war jedoch seinem aus Brasilien vertriebenen Bruder günstig, und der Vertrag von Eyoramonte (26. Mai 1834) erklärte ihn aller Anrechte auf den portugiesischen Thron verlustig. Dom Pedro führte als Regent die Regierung aus Grund der Verfassung von 1826 für. seine Tochter Maria, bis diese am 24. September 1834 als Donna Maria II da Gloria nach Dom Petros Tode selbständig wurde. Die inneren Kämpfe waren mit ihrem Tode (1853) noch nicht beendet. Als wichtigstes Ergebnis der Herrschaft Dom Petros und Marias ist die wiederholte Vertreibung der Jesuiten, die Aufhebung der geistlichen Ritterorden und der päpstlichen Nuntiatur, sowie die schon 1834 geschehene Einziehung des Vermögens der (aufgehobenen) Männerklöster und der Nonnenklöster zu verzeichnen, die auch unter Dom Pedro dem Fünften (1855 bis 1861) nicht widerrufen werden konnten. Der diplomatische Verkehr mit Rom wurde 1840 wieder hergestellt. Ein Kon¬ kordatsentwurf fand die Billigung des Staates nicht (1842). Der Erlös ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/255>, abgerufen am 26.06.2024.