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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Theodor v. Schön und seine Beziehungen zu Eichendorff

1849 ist Eichendorffs Unmut aufs höchste gestiegen. "Wahrlich, wenn ich
jünger und reicher wäre, als ich leider bin, ich wanderte heute noch nach Amerika
aus; nicht aus Feigheit-- denn die Zeit kann mir persönlich ebensowenig etwas
anhaben als ich ihr --, sondern aus unüberwindlichem Ekel an der moralischen
Fäulnis, die -- mit Shakespeare zu reden -- zum Himmel stinkt."

"Unter so verzweifelten Umständen" zog sich Eichendorff wieder nach Spanien
zurück oder versetzte sich in den romantischen Dichterhimmel seiner Jugend. In
seinen literarhistorischen Schriften, deren Abschluß die "Geschichte der poetischen
Literatur Deutschlands" bildete, suchte Eichendorff die Seele der Poesie zu bezeichnen;
Leib, Büchertitel, Biographie der Dichter usw. hätten schon andere hinreichend und
besser beschrieben. Der letzte uns erhaltene Brief Schöns polemisiert gegen den
subjektiv katholischen Standpunkt des Verfassers in aller Liebe und Herzlichkeit
klar und entschieden.

Als Eichendorffs Geschichte des deutscheu Romans im achtzehnten Jahrhundert
erschienen war, nannte Schön das Werk Droysen gegenüber "ein heillos schönes
Buch". "Übrigens ist mir dies Buch überaus wert, denn mein Freund Eichendorff
steht in keiner seiner Schriften so leib- und lebhaftig selbst da. .. Er lebt in
einem idealisierten Katholizismus, und diesen kann man bei ihm, bei einer durch¬
aus edlen Natur wohl gelten lassen. Er hätte nur seinen Katholizismus im Buche
näher bezeichnen sollen."

Droysen sollte gemeinsam mit Eichendorff den Nachlaß Schöns übernehmen
und auf Grund dessen seine Biographie schreiben. In dein Schreiben, worin Schön
an Droysen herantritt, betont er ausdrücklich: "Meine Persönlichkeit hat am voll¬
ständigsten und klarsten der Baron v. Eichendorff aufgefaßt." Die Sache zerschlug
sich. Darauf riet Eichendorff zu Rosenkranz und schließlich zu Varnhagen von Ense.
Aber auch die Verhandlungen mit Varnhagen führten zu keinem Abschluß.

1855 starb Eichendorffs Frau. "Wie ein Schiffbrüchiger, dessen Lebensschiff
zerschlagen," schrieb er seinem alten Freunde, "rette ich mich an das nächste Eiland
und halte mich, da ich meine liebe Frau verloren, zu den Kindern." Bei seiner
Tochter Therese, verheiratet an Ludwig v. Besserer-Dahlsingen, verbrachte Eichen¬
dorff den Rest seiner Tage. Er überlebte Schön nur wenige Monate über ein
Jahr. Dem Sohn des Freundes, der wie sein eigener Ältester Hermann hieß,
sandte er in wortkarger Trauer ein paar innige Zeilen: "Die Welt hat einen
ihrer geistigen Heroen verloren, ich aber außerdem noch einen liebevollen väter¬
lichen Freund. ..."

Deutsch waren beide ihr Leben lang. Und es wohl kein Zufall, daß der
Katholik Eichendorff gerade vor Schön das tüchtige Bekenntnis ablegte: "Von der
slawischen Roheit kann ebensowenig als vom Affentum das Heil kommen, am
wenigsten für das Christentum."

Eichendorff ließ sich auf große Demonstrationen nicht ein. Aber seine
Genialität, seine Klarheit und seine Reinheit blitzten zuweilen strahlend durch, und
dies ist für Schön, wie er selbst von ihm sagte, immer erhebend gewesen.




Theodor v. Schön und seine Beziehungen zu Eichendorff

1849 ist Eichendorffs Unmut aufs höchste gestiegen. „Wahrlich, wenn ich
jünger und reicher wäre, als ich leider bin, ich wanderte heute noch nach Amerika
aus; nicht aus Feigheit— denn die Zeit kann mir persönlich ebensowenig etwas
anhaben als ich ihr —, sondern aus unüberwindlichem Ekel an der moralischen
Fäulnis, die — mit Shakespeare zu reden — zum Himmel stinkt."

„Unter so verzweifelten Umständen" zog sich Eichendorff wieder nach Spanien
zurück oder versetzte sich in den romantischen Dichterhimmel seiner Jugend. In
seinen literarhistorischen Schriften, deren Abschluß die „Geschichte der poetischen
Literatur Deutschlands" bildete, suchte Eichendorff die Seele der Poesie zu bezeichnen;
Leib, Büchertitel, Biographie der Dichter usw. hätten schon andere hinreichend und
besser beschrieben. Der letzte uns erhaltene Brief Schöns polemisiert gegen den
subjektiv katholischen Standpunkt des Verfassers in aller Liebe und Herzlichkeit
klar und entschieden.

Als Eichendorffs Geschichte des deutscheu Romans im achtzehnten Jahrhundert
erschienen war, nannte Schön das Werk Droysen gegenüber „ein heillos schönes
Buch". „Übrigens ist mir dies Buch überaus wert, denn mein Freund Eichendorff
steht in keiner seiner Schriften so leib- und lebhaftig selbst da. .. Er lebt in
einem idealisierten Katholizismus, und diesen kann man bei ihm, bei einer durch¬
aus edlen Natur wohl gelten lassen. Er hätte nur seinen Katholizismus im Buche
näher bezeichnen sollen."

Droysen sollte gemeinsam mit Eichendorff den Nachlaß Schöns übernehmen
und auf Grund dessen seine Biographie schreiben. In dein Schreiben, worin Schön
an Droysen herantritt, betont er ausdrücklich: „Meine Persönlichkeit hat am voll¬
ständigsten und klarsten der Baron v. Eichendorff aufgefaßt." Die Sache zerschlug
sich. Darauf riet Eichendorff zu Rosenkranz und schließlich zu Varnhagen von Ense.
Aber auch die Verhandlungen mit Varnhagen führten zu keinem Abschluß.

1855 starb Eichendorffs Frau. „Wie ein Schiffbrüchiger, dessen Lebensschiff
zerschlagen," schrieb er seinem alten Freunde, „rette ich mich an das nächste Eiland
und halte mich, da ich meine liebe Frau verloren, zu den Kindern." Bei seiner
Tochter Therese, verheiratet an Ludwig v. Besserer-Dahlsingen, verbrachte Eichen¬
dorff den Rest seiner Tage. Er überlebte Schön nur wenige Monate über ein
Jahr. Dem Sohn des Freundes, der wie sein eigener Ältester Hermann hieß,
sandte er in wortkarger Trauer ein paar innige Zeilen: „Die Welt hat einen
ihrer geistigen Heroen verloren, ich aber außerdem noch einen liebevollen väter¬
lichen Freund. ..."

Deutsch waren beide ihr Leben lang. Und es wohl kein Zufall, daß der
Katholik Eichendorff gerade vor Schön das tüchtige Bekenntnis ablegte: „Von der
slawischen Roheit kann ebensowenig als vom Affentum das Heil kommen, am
wenigsten für das Christentum."

Eichendorff ließ sich auf große Demonstrationen nicht ein. Aber seine
Genialität, seine Klarheit und seine Reinheit blitzten zuweilen strahlend durch, und
dies ist für Schön, wie er selbst von ihm sagte, immer erhebend gewesen.




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[0192] Theodor v. Schön und seine Beziehungen zu Eichendorff 1849 ist Eichendorffs Unmut aufs höchste gestiegen. „Wahrlich, wenn ich jünger und reicher wäre, als ich leider bin, ich wanderte heute noch nach Amerika aus; nicht aus Feigheit— denn die Zeit kann mir persönlich ebensowenig etwas anhaben als ich ihr —, sondern aus unüberwindlichem Ekel an der moralischen Fäulnis, die — mit Shakespeare zu reden — zum Himmel stinkt." „Unter so verzweifelten Umständen" zog sich Eichendorff wieder nach Spanien zurück oder versetzte sich in den romantischen Dichterhimmel seiner Jugend. In seinen literarhistorischen Schriften, deren Abschluß die „Geschichte der poetischen Literatur Deutschlands" bildete, suchte Eichendorff die Seele der Poesie zu bezeichnen; Leib, Büchertitel, Biographie der Dichter usw. hätten schon andere hinreichend und besser beschrieben. Der letzte uns erhaltene Brief Schöns polemisiert gegen den subjektiv katholischen Standpunkt des Verfassers in aller Liebe und Herzlichkeit klar und entschieden. Als Eichendorffs Geschichte des deutscheu Romans im achtzehnten Jahrhundert erschienen war, nannte Schön das Werk Droysen gegenüber „ein heillos schönes Buch". „Übrigens ist mir dies Buch überaus wert, denn mein Freund Eichendorff steht in keiner seiner Schriften so leib- und lebhaftig selbst da. .. Er lebt in einem idealisierten Katholizismus, und diesen kann man bei ihm, bei einer durch¬ aus edlen Natur wohl gelten lassen. Er hätte nur seinen Katholizismus im Buche näher bezeichnen sollen." Droysen sollte gemeinsam mit Eichendorff den Nachlaß Schöns übernehmen und auf Grund dessen seine Biographie schreiben. In dein Schreiben, worin Schön an Droysen herantritt, betont er ausdrücklich: „Meine Persönlichkeit hat am voll¬ ständigsten und klarsten der Baron v. Eichendorff aufgefaßt." Die Sache zerschlug sich. Darauf riet Eichendorff zu Rosenkranz und schließlich zu Varnhagen von Ense. Aber auch die Verhandlungen mit Varnhagen führten zu keinem Abschluß. 1855 starb Eichendorffs Frau. „Wie ein Schiffbrüchiger, dessen Lebensschiff zerschlagen," schrieb er seinem alten Freunde, „rette ich mich an das nächste Eiland und halte mich, da ich meine liebe Frau verloren, zu den Kindern." Bei seiner Tochter Therese, verheiratet an Ludwig v. Besserer-Dahlsingen, verbrachte Eichen¬ dorff den Rest seiner Tage. Er überlebte Schön nur wenige Monate über ein Jahr. Dem Sohn des Freundes, der wie sein eigener Ältester Hermann hieß, sandte er in wortkarger Trauer ein paar innige Zeilen: „Die Welt hat einen ihrer geistigen Heroen verloren, ich aber außerdem noch einen liebevollen väter¬ lichen Freund. ..." Deutsch waren beide ihr Leben lang. Und es wohl kein Zufall, daß der Katholik Eichendorff gerade vor Schön das tüchtige Bekenntnis ablegte: „Von der slawischen Roheit kann ebensowenig als vom Affentum das Heil kommen, am wenigsten für das Christentum." Eichendorff ließ sich auf große Demonstrationen nicht ein. Aber seine Genialität, seine Klarheit und seine Reinheit blitzten zuweilen strahlend durch, und dies ist für Schön, wie er selbst von ihm sagte, immer erhebend gewesen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/192>, abgerufen am 03.07.2024.