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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Der rote Rausch

Kein Soldat wird es wagen dürfen, den Fuß in dieses Land, in diese Stadt
zu setzen! Man wird es zu verhindern wissen. Mit Piffpaff! Den Boden seiner
Väter. Buen! Man ist kein Prahlhans, man ist ein Held!

Es gibt viele solcher Helden. Piff, pass, bum! Auf zur Prnfektur!

Die Woge brach herein. Das Tor gab unter den Axthieben nach, die Menge
ergoß sich über das Parkett der Säle, über die Teppiche, über die vornehmen Möbel,
Porzellane, Bilder, Kunstwerke--nichts blieb von der Wut des Volkshaufens
verschont, der sich am liebsten an den Werken der Kultur vergreift.

"Keine Reden mehr, sondern Taten!"

Ein Kind, das in unberechenbarer Laune ein geliebtes Spielzeug zerschlägt.

"Die .Garantien'!" Man durchwählt das Haus von unten nach oben? die
lebendigen "Garantien" waren nicht zu finden.

Entflohen!

Jeanne winkte dem scheuen Richard aufatmend zu: "Du hast recht getan!"

Er wurde bald rot, bald bleich und schwieg.

"Sie kommen!" Sollte man es für wahr halten? Die Nachricht hatte zu
oft gelogen.

Auf den Hügeln wurde der Weinstock lebendig, er hielt in den Blätterfingern
statt dunkelroter Trauben blitzende Bajonette, und wogend schritt er die An¬
höhen herab.

"Siehst du etwas?" flehte der gelbe Messingvogel bebend nach den vor¬
geschobenen Höhen hin, von wo Gewißheit kommen mußte.

Und von drüben schrie der gelbe Vogel kläglich wie eine vom Sperber ver¬
folgte Taube:

"Hilfe! Sie kommen!"

Das Signal trompetete es, die Glocken gellten es mit ehernen Zungen, wie
ein schreckhaftes Tier flog die Nachricht mit ungeheuren Flügelschlägen übers Land,
von Hügel zu Hügel, von Tal zu Tal, und wo der Flügelschlag rauschte, schrien
gellend die Winzerhörner und brüllten die Glocken gleich Rindern, die bei einer
Feuersbrunst wild an den Strängen reißen.

"Keine Reden, sondern Taten!"

Und man lief, die dritte der großen Taten zu vollbringen: man errichtete
Barrikaden.

"Kein Soldat wird es wagen dürfen, den feindlichen Fuß in dieses Land,
in diese Stadt zu setzen. Man wird es zu verhindern wissen!"

Die Barrikaden wuchsen in die Höhe. Man richtete sich auf den Verteidigungs¬
zustand ein.

Ein Mädchen sprang leichtfüßig auf den Verhau.

"Die Truppen kommen nicht als unsere Feinde, sie kommen als Freunde,
als Brüder, als Verbündete! Man möge Feindseligkeiten unterlassen!"

"Wer sagte das? Jeanne? O, wenn es Jeanne ist. dann muß Wahres an
der Sache sein."

"Hoch Jeanne!" Die Menge schrie es. Zum drittenmal hatte das Mädchen
ein Wunder bewirkt.

"Woher weiß sie, daß die Soldaten nicht als Feinde kommen?" fragten
einige Bürger.


Grenzboton II 1911 22
Der rote Rausch

Kein Soldat wird es wagen dürfen, den Fuß in dieses Land, in diese Stadt
zu setzen! Man wird es zu verhindern wissen. Mit Piffpaff! Den Boden seiner
Väter. Buen! Man ist kein Prahlhans, man ist ein Held!

Es gibt viele solcher Helden. Piff, pass, bum! Auf zur Prnfektur!

Die Woge brach herein. Das Tor gab unter den Axthieben nach, die Menge
ergoß sich über das Parkett der Säle, über die Teppiche, über die vornehmen Möbel,
Porzellane, Bilder, Kunstwerke--nichts blieb von der Wut des Volkshaufens
verschont, der sich am liebsten an den Werken der Kultur vergreift.

„Keine Reden mehr, sondern Taten!"

Ein Kind, das in unberechenbarer Laune ein geliebtes Spielzeug zerschlägt.

„Die .Garantien'!" Man durchwählt das Haus von unten nach oben? die
lebendigen „Garantien" waren nicht zu finden.

Entflohen!

Jeanne winkte dem scheuen Richard aufatmend zu: „Du hast recht getan!"

Er wurde bald rot, bald bleich und schwieg.

„Sie kommen!" Sollte man es für wahr halten? Die Nachricht hatte zu
oft gelogen.

Auf den Hügeln wurde der Weinstock lebendig, er hielt in den Blätterfingern
statt dunkelroter Trauben blitzende Bajonette, und wogend schritt er die An¬
höhen herab.

„Siehst du etwas?" flehte der gelbe Messingvogel bebend nach den vor¬
geschobenen Höhen hin, von wo Gewißheit kommen mußte.

Und von drüben schrie der gelbe Vogel kläglich wie eine vom Sperber ver¬
folgte Taube:

„Hilfe! Sie kommen!"

Das Signal trompetete es, die Glocken gellten es mit ehernen Zungen, wie
ein schreckhaftes Tier flog die Nachricht mit ungeheuren Flügelschlägen übers Land,
von Hügel zu Hügel, von Tal zu Tal, und wo der Flügelschlag rauschte, schrien
gellend die Winzerhörner und brüllten die Glocken gleich Rindern, die bei einer
Feuersbrunst wild an den Strängen reißen.

„Keine Reden, sondern Taten!"

Und man lief, die dritte der großen Taten zu vollbringen: man errichtete
Barrikaden.

„Kein Soldat wird es wagen dürfen, den feindlichen Fuß in dieses Land,
in diese Stadt zu setzen. Man wird es zu verhindern wissen!"

Die Barrikaden wuchsen in die Höhe. Man richtete sich auf den Verteidigungs¬
zustand ein.

Ein Mädchen sprang leichtfüßig auf den Verhau.

„Die Truppen kommen nicht als unsere Feinde, sie kommen als Freunde,
als Brüder, als Verbündete! Man möge Feindseligkeiten unterlassen!"

„Wer sagte das? Jeanne? O, wenn es Jeanne ist. dann muß Wahres an
der Sache sein."

„Hoch Jeanne!" Die Menge schrie es. Zum drittenmal hatte das Mädchen
ein Wunder bewirkt.

„Woher weiß sie, daß die Soldaten nicht als Feinde kommen?" fragten
einige Bürger.


Grenzboton II 1911 22
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[0181] Der rote Rausch Kein Soldat wird es wagen dürfen, den Fuß in dieses Land, in diese Stadt zu setzen! Man wird es zu verhindern wissen. Mit Piffpaff! Den Boden seiner Väter. Buen! Man ist kein Prahlhans, man ist ein Held! Es gibt viele solcher Helden. Piff, pass, bum! Auf zur Prnfektur! Die Woge brach herein. Das Tor gab unter den Axthieben nach, die Menge ergoß sich über das Parkett der Säle, über die Teppiche, über die vornehmen Möbel, Porzellane, Bilder, Kunstwerke--nichts blieb von der Wut des Volkshaufens verschont, der sich am liebsten an den Werken der Kultur vergreift. „Keine Reden mehr, sondern Taten!" Ein Kind, das in unberechenbarer Laune ein geliebtes Spielzeug zerschlägt. „Die .Garantien'!" Man durchwählt das Haus von unten nach oben? die lebendigen „Garantien" waren nicht zu finden. Entflohen! Jeanne winkte dem scheuen Richard aufatmend zu: „Du hast recht getan!" Er wurde bald rot, bald bleich und schwieg. „Sie kommen!" Sollte man es für wahr halten? Die Nachricht hatte zu oft gelogen. Auf den Hügeln wurde der Weinstock lebendig, er hielt in den Blätterfingern statt dunkelroter Trauben blitzende Bajonette, und wogend schritt er die An¬ höhen herab. „Siehst du etwas?" flehte der gelbe Messingvogel bebend nach den vor¬ geschobenen Höhen hin, von wo Gewißheit kommen mußte. Und von drüben schrie der gelbe Vogel kläglich wie eine vom Sperber ver¬ folgte Taube: „Hilfe! Sie kommen!" Das Signal trompetete es, die Glocken gellten es mit ehernen Zungen, wie ein schreckhaftes Tier flog die Nachricht mit ungeheuren Flügelschlägen übers Land, von Hügel zu Hügel, von Tal zu Tal, und wo der Flügelschlag rauschte, schrien gellend die Winzerhörner und brüllten die Glocken gleich Rindern, die bei einer Feuersbrunst wild an den Strängen reißen. „Keine Reden, sondern Taten!" Und man lief, die dritte der großen Taten zu vollbringen: man errichtete Barrikaden. „Kein Soldat wird es wagen dürfen, den feindlichen Fuß in dieses Land, in diese Stadt zu setzen. Man wird es zu verhindern wissen!" Die Barrikaden wuchsen in die Höhe. Man richtete sich auf den Verteidigungs¬ zustand ein. Ein Mädchen sprang leichtfüßig auf den Verhau. „Die Truppen kommen nicht als unsere Feinde, sie kommen als Freunde, als Brüder, als Verbündete! Man möge Feindseligkeiten unterlassen!" „Wer sagte das? Jeanne? O, wenn es Jeanne ist. dann muß Wahres an der Sache sein." „Hoch Jeanne!" Die Menge schrie es. Zum drittenmal hatte das Mädchen ein Wunder bewirkt. „Woher weiß sie, daß die Soldaten nicht als Feinde kommen?" fragten einige Bürger. Grenzboton II 1911 22

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/181>, abgerufen am 28.09.2024.