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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Der rote Rausch

"Keine Reden, sondern Taten!" schrie einer von den Führern.

Taten!

Die friedliebenden Bürger beeilten sich, diesem Worte einen Sinn zu geben,
und zerstörten zuerst die Eisenbahn, rissen auf Meilen die Schienen aus der Erde,
um die Truppenankünfte zu verhindern.

Keine Reden mehr!

Als die erste der "Taten" geschehen war, sah man sich nach einer zweiten um.

"Die Präfektur! Auf zur Präfekturl"

Grotesk spazierte Richard vor dem Haupttor der Präfektur auf und ab,
immerzu auf und ab.

Er trug einen Helm, hatte einen Säbel umgeschnallt, ein Gewehr geschultert
und ging gravitätisch auf und ab. Die anderen, ebenfalls bewaffnet, salutierten
vor ihm, vor Richard, dem Befehlshaber.

Ist hier Fastnacht?

Nein, hier werden die "Garantien" der Regierung bewacht, der Präfekt,
die beiden Polizeiagenten. Das friedliebende Volk hatte die Zeughäuser
geplündert und sich bewaffnet mit historischen Flinten, verrosteten Säbeln
und Hellebarden, alten Feuerschloßpistolen. Hundertjährige Ehrwürdigkeit hing
an den Dingen! in der großen Revolution mochte die Bürgermiliz so aus¬
gesehen haben wie diese Improvisation? man hing an der guten, erprobten
Väterart.

Streng betrachtet war die böse gefährliche Zeit eine recht lustige Zeit. Täglich
gab es neue Überraschungen, man sah Menschen, man besprach die großen Dinge,
fühlte sich wichtig und erhaben. Man war mit dem Einerlei der Arbeit verschont,
man ama in Waffen umher, ein Verteidiger des heiligen Rechts, der guten Volks¬
sache. Man war etwas in diesen Tagen. Nur das mit dem verwünschten Militär!
Seit Tagen befand man sich in höchster Spannung. Das erträgt man nicht lange.
Schließlich nimmt man es von der leichten Seite. Es wird wohl nur eine leere
Drohung gewesen sein. O, wir lassen uns nicht ins Bockshorn jagen! Und
wenn man recht bedenkt, ein Späßchen ist's immer. Der erste Schreck ist vorüber,
jetzt sieht sich alles gemütlicher an. Die Hauptsache ist, daß ein Amüsement heraus-
springt, ein Amüsement!

Die Hauptsache! Und bis jetzt war eigentlich alles Amüsement!

"Halt! stillgestanden! Piff, pass, bum!" Man schreit es und zielt mit
einem Holzprügel als Gewehr auf die Mägde am Brunnen.

Banz, da liegt schon eine und windet sich in Krämpfen.

"Ich bin getroffen!" schreit sie, während die anderen die vollen Eimer hinter
sich geworfen und wie schnatternde Gänse entflohen sind.

Und das Gelächter dann über den gelungenen Spaß und über das furcht¬
same Mädchen, das sich der endlosen Neckereien nicht erwehren kann! Piff, pass,
bum! Aus allen Häusern wird es beschossen.

Ein Amüsement! So ein Aufstand ist ein Amüsement!

Hoch die Revolution!

Ja, man läßt sich nicht ins Bockshorn jagen! Und sollte die unverschämte
Regierung ihre Drohung wahr machen, woran im Ernst niemand mehr denkt,
dann---Ha!


Der rote Rausch

„Keine Reden, sondern Taten!" schrie einer von den Führern.

Taten!

Die friedliebenden Bürger beeilten sich, diesem Worte einen Sinn zu geben,
und zerstörten zuerst die Eisenbahn, rissen auf Meilen die Schienen aus der Erde,
um die Truppenankünfte zu verhindern.

Keine Reden mehr!

Als die erste der „Taten" geschehen war, sah man sich nach einer zweiten um.

„Die Präfektur! Auf zur Präfekturl"

Grotesk spazierte Richard vor dem Haupttor der Präfektur auf und ab,
immerzu auf und ab.

Er trug einen Helm, hatte einen Säbel umgeschnallt, ein Gewehr geschultert
und ging gravitätisch auf und ab. Die anderen, ebenfalls bewaffnet, salutierten
vor ihm, vor Richard, dem Befehlshaber.

Ist hier Fastnacht?

Nein, hier werden die „Garantien" der Regierung bewacht, der Präfekt,
die beiden Polizeiagenten. Das friedliebende Volk hatte die Zeughäuser
geplündert und sich bewaffnet mit historischen Flinten, verrosteten Säbeln
und Hellebarden, alten Feuerschloßpistolen. Hundertjährige Ehrwürdigkeit hing
an den Dingen! in der großen Revolution mochte die Bürgermiliz so aus¬
gesehen haben wie diese Improvisation? man hing an der guten, erprobten
Väterart.

Streng betrachtet war die böse gefährliche Zeit eine recht lustige Zeit. Täglich
gab es neue Überraschungen, man sah Menschen, man besprach die großen Dinge,
fühlte sich wichtig und erhaben. Man war mit dem Einerlei der Arbeit verschont,
man ama in Waffen umher, ein Verteidiger des heiligen Rechts, der guten Volks¬
sache. Man war etwas in diesen Tagen. Nur das mit dem verwünschten Militär!
Seit Tagen befand man sich in höchster Spannung. Das erträgt man nicht lange.
Schließlich nimmt man es von der leichten Seite. Es wird wohl nur eine leere
Drohung gewesen sein. O, wir lassen uns nicht ins Bockshorn jagen! Und
wenn man recht bedenkt, ein Späßchen ist's immer. Der erste Schreck ist vorüber,
jetzt sieht sich alles gemütlicher an. Die Hauptsache ist, daß ein Amüsement heraus-
springt, ein Amüsement!

Die Hauptsache! Und bis jetzt war eigentlich alles Amüsement!

„Halt! stillgestanden! Piff, pass, bum!" Man schreit es und zielt mit
einem Holzprügel als Gewehr auf die Mägde am Brunnen.

Banz, da liegt schon eine und windet sich in Krämpfen.

„Ich bin getroffen!" schreit sie, während die anderen die vollen Eimer hinter
sich geworfen und wie schnatternde Gänse entflohen sind.

Und das Gelächter dann über den gelungenen Spaß und über das furcht¬
same Mädchen, das sich der endlosen Neckereien nicht erwehren kann! Piff, pass,
bum! Aus allen Häusern wird es beschossen.

Ein Amüsement! So ein Aufstand ist ein Amüsement!

Hoch die Revolution!

Ja, man läßt sich nicht ins Bockshorn jagen! Und sollte die unverschämte
Regierung ihre Drohung wahr machen, woran im Ernst niemand mehr denkt,
dann---Ha!


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[0180] Der rote Rausch „Keine Reden, sondern Taten!" schrie einer von den Führern. Taten! Die friedliebenden Bürger beeilten sich, diesem Worte einen Sinn zu geben, und zerstörten zuerst die Eisenbahn, rissen auf Meilen die Schienen aus der Erde, um die Truppenankünfte zu verhindern. Keine Reden mehr! Als die erste der „Taten" geschehen war, sah man sich nach einer zweiten um. „Die Präfektur! Auf zur Präfekturl" Grotesk spazierte Richard vor dem Haupttor der Präfektur auf und ab, immerzu auf und ab. Er trug einen Helm, hatte einen Säbel umgeschnallt, ein Gewehr geschultert und ging gravitätisch auf und ab. Die anderen, ebenfalls bewaffnet, salutierten vor ihm, vor Richard, dem Befehlshaber. Ist hier Fastnacht? Nein, hier werden die „Garantien" der Regierung bewacht, der Präfekt, die beiden Polizeiagenten. Das friedliebende Volk hatte die Zeughäuser geplündert und sich bewaffnet mit historischen Flinten, verrosteten Säbeln und Hellebarden, alten Feuerschloßpistolen. Hundertjährige Ehrwürdigkeit hing an den Dingen! in der großen Revolution mochte die Bürgermiliz so aus¬ gesehen haben wie diese Improvisation? man hing an der guten, erprobten Väterart. Streng betrachtet war die böse gefährliche Zeit eine recht lustige Zeit. Täglich gab es neue Überraschungen, man sah Menschen, man besprach die großen Dinge, fühlte sich wichtig und erhaben. Man war mit dem Einerlei der Arbeit verschont, man ama in Waffen umher, ein Verteidiger des heiligen Rechts, der guten Volks¬ sache. Man war etwas in diesen Tagen. Nur das mit dem verwünschten Militär! Seit Tagen befand man sich in höchster Spannung. Das erträgt man nicht lange. Schließlich nimmt man es von der leichten Seite. Es wird wohl nur eine leere Drohung gewesen sein. O, wir lassen uns nicht ins Bockshorn jagen! Und wenn man recht bedenkt, ein Späßchen ist's immer. Der erste Schreck ist vorüber, jetzt sieht sich alles gemütlicher an. Die Hauptsache ist, daß ein Amüsement heraus- springt, ein Amüsement! Die Hauptsache! Und bis jetzt war eigentlich alles Amüsement! „Halt! stillgestanden! Piff, pass, bum!" Man schreit es und zielt mit einem Holzprügel als Gewehr auf die Mägde am Brunnen. Banz, da liegt schon eine und windet sich in Krämpfen. „Ich bin getroffen!" schreit sie, während die anderen die vollen Eimer hinter sich geworfen und wie schnatternde Gänse entflohen sind. Und das Gelächter dann über den gelungenen Spaß und über das furcht¬ same Mädchen, das sich der endlosen Neckereien nicht erwehren kann! Piff, pass, bum! Aus allen Häusern wird es beschossen. Ein Amüsement! So ein Aufstand ist ein Amüsement! Hoch die Revolution! Ja, man läßt sich nicht ins Bockshorn jagen! Und sollte die unverschämte Regierung ihre Drohung wahr machen, woran im Ernst niemand mehr denkt, dann---Ha!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/180>, abgerufen am 26.06.2024.