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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Die Ankcmfsgeschäftc der Ansiedlungskommission

das preußische Abgeordnetenhaus mit großer Mehrheit das Gesetz in der vom
Herrenhause beschlossenen Fassung.

Mehr als drei Jahre sind nun also vergangen seit der parlamentarischen
Erledigung des Enteignungsgesetzes; noch heute aber ist es praktisch nicht in
Kraft getreten, und die Folgen dieses Zauderns machen sich in den Ankaufs¬
geschäften der Ansiedlungskommission in stark steigendem und zurzeit bereits zu
bedrohlichem Charakter entwickeltem Maße geltend.

Haben wir in dem Rückblick auf die ersten zwanzig Jahre segensreicher
Tätigkeit der Ansiedlungskommission gesehen, daß der Erwerb von staatlichem
Grund und Boden, für die Zwecke der ostmärkischen Ansiedlung nur eine ganz
verschwindende Rolle spielte, so beobachten wir jetzt, daß die Kommission in
ihrer Notlage weit mehr als zuvor aus die Domänen zurückgreift, nur um
überhaupt noch Land für die Ansiedlungslustigen zur Verfügung zu haben --
unbekümmert um die Bedenken, die früher gegen die Domänenaufteilung ob¬
walteten, und unbekümmert um die Tatsache, daß für das Deutschtum durch
die Aufteilung der in sicheren: Staatsbesitz befindlichen Ländereien nichts Wesent¬
liches gewonnen wird. Die am 28. März d. Is. vorgelegte Denkschrift über
die Ausführung des Ansiedlungsgesetzes während des Jahres 1910 berichtet,
daß die Kommission eine Herrschaft und sieben Rittergüter, darunter zwei
Staats- und zwei Stiftsdomänen, erworben hat, ferner zwölf sonstige Güter,
darunter drei Staatsdomänen und eine Stiftsdomäne -- also ein unverhältnis¬
mäßig großer Anteil des Ankaufs jenes in deutscher Hand vollkommen gesicherten
Bodens für die Zwecke der Ansiedlungskommission, lediglich "damit etwas
geschieht", damit die Kommission nicht zu offensichtlich vor Land- und Arbeits¬
losigkeit steht.

Aus polnischer Hand vermochte sie bei so geringen Gesamtankäufen -- ihr
Umfang beschränkt sich auf 14898 Hektar -- nur noch 9,2 Prozent des Gesamt¬
erwerbs zu übernehmen. Am Schlüsse des Jahres 1910 umfaßte der Land¬
erwerb der Ansiedlungskommission seit Beginn ihrer Tätigkeit insgesamt
385460 Hektar; davon stammten aus polnischer Hand immerhin noch
28,3 Prozent. Verglichen mit den 31,6 Prozent, die am Schlüsse des Jahres 1906
aus polnischer Hand in den Gesamtbesitz der Ansiedlungskommission übergegangen
waren, zeigt sich, daß die Minimalziffer des Vorjahres bereits merkbar auf den
Gesamtdurchschnitt drückt; und ohne Anwendung des Enteignungsgesetzes droht
dieser Druck von Jahr zu Jahr stärker zu werden.

Seinen Höhepunkt hatte der Landerwerb der Ansiedlungskommission im
Jahre 1903 erreicht, nachdem die zweimalige Auffüllung des Ansiedlungsfonds
durchgeführt war. Damals beliefen sich die Ankäufe auf mehr als 39000 Hektar.
Auch in den Jahren 1904 und 1905 wurden je über 30000 Hektar angekauft,
und auch die Ankaufsfläche von 1906 blieb nur wenig unter 30000 Hektar
zurück. Damit hatte die Ansiedlungskommission einen sehr ansehnlichen Land¬
vorrat erworben, und es hatte wenig zu sagen, wenn sie nach starkem, ja


Die Ankcmfsgeschäftc der Ansiedlungskommission

das preußische Abgeordnetenhaus mit großer Mehrheit das Gesetz in der vom
Herrenhause beschlossenen Fassung.

Mehr als drei Jahre sind nun also vergangen seit der parlamentarischen
Erledigung des Enteignungsgesetzes; noch heute aber ist es praktisch nicht in
Kraft getreten, und die Folgen dieses Zauderns machen sich in den Ankaufs¬
geschäften der Ansiedlungskommission in stark steigendem und zurzeit bereits zu
bedrohlichem Charakter entwickeltem Maße geltend.

Haben wir in dem Rückblick auf die ersten zwanzig Jahre segensreicher
Tätigkeit der Ansiedlungskommission gesehen, daß der Erwerb von staatlichem
Grund und Boden, für die Zwecke der ostmärkischen Ansiedlung nur eine ganz
verschwindende Rolle spielte, so beobachten wir jetzt, daß die Kommission in
ihrer Notlage weit mehr als zuvor aus die Domänen zurückgreift, nur um
überhaupt noch Land für die Ansiedlungslustigen zur Verfügung zu haben —
unbekümmert um die Bedenken, die früher gegen die Domänenaufteilung ob¬
walteten, und unbekümmert um die Tatsache, daß für das Deutschtum durch
die Aufteilung der in sicheren: Staatsbesitz befindlichen Ländereien nichts Wesent¬
liches gewonnen wird. Die am 28. März d. Is. vorgelegte Denkschrift über
die Ausführung des Ansiedlungsgesetzes während des Jahres 1910 berichtet,
daß die Kommission eine Herrschaft und sieben Rittergüter, darunter zwei
Staats- und zwei Stiftsdomänen, erworben hat, ferner zwölf sonstige Güter,
darunter drei Staatsdomänen und eine Stiftsdomäne — also ein unverhältnis¬
mäßig großer Anteil des Ankaufs jenes in deutscher Hand vollkommen gesicherten
Bodens für die Zwecke der Ansiedlungskommission, lediglich „damit etwas
geschieht", damit die Kommission nicht zu offensichtlich vor Land- und Arbeits¬
losigkeit steht.

Aus polnischer Hand vermochte sie bei so geringen Gesamtankäufen — ihr
Umfang beschränkt sich auf 14898 Hektar — nur noch 9,2 Prozent des Gesamt¬
erwerbs zu übernehmen. Am Schlüsse des Jahres 1910 umfaßte der Land¬
erwerb der Ansiedlungskommission seit Beginn ihrer Tätigkeit insgesamt
385460 Hektar; davon stammten aus polnischer Hand immerhin noch
28,3 Prozent. Verglichen mit den 31,6 Prozent, die am Schlüsse des Jahres 1906
aus polnischer Hand in den Gesamtbesitz der Ansiedlungskommission übergegangen
waren, zeigt sich, daß die Minimalziffer des Vorjahres bereits merkbar auf den
Gesamtdurchschnitt drückt; und ohne Anwendung des Enteignungsgesetzes droht
dieser Druck von Jahr zu Jahr stärker zu werden.

Seinen Höhepunkt hatte der Landerwerb der Ansiedlungskommission im
Jahre 1903 erreicht, nachdem die zweimalige Auffüllung des Ansiedlungsfonds
durchgeführt war. Damals beliefen sich die Ankäufe auf mehr als 39000 Hektar.
Auch in den Jahren 1904 und 1905 wurden je über 30000 Hektar angekauft,
und auch die Ankaufsfläche von 1906 blieb nur wenig unter 30000 Hektar
zurück. Damit hatte die Ansiedlungskommission einen sehr ansehnlichen Land¬
vorrat erworben, und es hatte wenig zu sagen, wenn sie nach starkem, ja


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[0176] Die Ankcmfsgeschäftc der Ansiedlungskommission das preußische Abgeordnetenhaus mit großer Mehrheit das Gesetz in der vom Herrenhause beschlossenen Fassung. Mehr als drei Jahre sind nun also vergangen seit der parlamentarischen Erledigung des Enteignungsgesetzes; noch heute aber ist es praktisch nicht in Kraft getreten, und die Folgen dieses Zauderns machen sich in den Ankaufs¬ geschäften der Ansiedlungskommission in stark steigendem und zurzeit bereits zu bedrohlichem Charakter entwickeltem Maße geltend. Haben wir in dem Rückblick auf die ersten zwanzig Jahre segensreicher Tätigkeit der Ansiedlungskommission gesehen, daß der Erwerb von staatlichem Grund und Boden, für die Zwecke der ostmärkischen Ansiedlung nur eine ganz verschwindende Rolle spielte, so beobachten wir jetzt, daß die Kommission in ihrer Notlage weit mehr als zuvor aus die Domänen zurückgreift, nur um überhaupt noch Land für die Ansiedlungslustigen zur Verfügung zu haben — unbekümmert um die Bedenken, die früher gegen die Domänenaufteilung ob¬ walteten, und unbekümmert um die Tatsache, daß für das Deutschtum durch die Aufteilung der in sicheren: Staatsbesitz befindlichen Ländereien nichts Wesent¬ liches gewonnen wird. Die am 28. März d. Is. vorgelegte Denkschrift über die Ausführung des Ansiedlungsgesetzes während des Jahres 1910 berichtet, daß die Kommission eine Herrschaft und sieben Rittergüter, darunter zwei Staats- und zwei Stiftsdomänen, erworben hat, ferner zwölf sonstige Güter, darunter drei Staatsdomänen und eine Stiftsdomäne — also ein unverhältnis¬ mäßig großer Anteil des Ankaufs jenes in deutscher Hand vollkommen gesicherten Bodens für die Zwecke der Ansiedlungskommission, lediglich „damit etwas geschieht", damit die Kommission nicht zu offensichtlich vor Land- und Arbeits¬ losigkeit steht. Aus polnischer Hand vermochte sie bei so geringen Gesamtankäufen — ihr Umfang beschränkt sich auf 14898 Hektar — nur noch 9,2 Prozent des Gesamt¬ erwerbs zu übernehmen. Am Schlüsse des Jahres 1910 umfaßte der Land¬ erwerb der Ansiedlungskommission seit Beginn ihrer Tätigkeit insgesamt 385460 Hektar; davon stammten aus polnischer Hand immerhin noch 28,3 Prozent. Verglichen mit den 31,6 Prozent, die am Schlüsse des Jahres 1906 aus polnischer Hand in den Gesamtbesitz der Ansiedlungskommission übergegangen waren, zeigt sich, daß die Minimalziffer des Vorjahres bereits merkbar auf den Gesamtdurchschnitt drückt; und ohne Anwendung des Enteignungsgesetzes droht dieser Druck von Jahr zu Jahr stärker zu werden. Seinen Höhepunkt hatte der Landerwerb der Ansiedlungskommission im Jahre 1903 erreicht, nachdem die zweimalige Auffüllung des Ansiedlungsfonds durchgeführt war. Damals beliefen sich die Ankäufe auf mehr als 39000 Hektar. Auch in den Jahren 1904 und 1905 wurden je über 30000 Hektar angekauft, und auch die Ankaufsfläche von 1906 blieb nur wenig unter 30000 Hektar zurück. Damit hatte die Ansiedlungskommission einen sehr ansehnlichen Land¬ vorrat erworben, und es hatte wenig zu sagen, wenn sie nach starkem, ja

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/176>, abgerufen am 26.06.2024.