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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Die Ankanfsgcschäfte der Ansiedlungskommission

der zum Erfolg dieser Aufgabe eingeleiteten staatlichen Maßnahmen für unbedingt
notwendig. Sie wird dem Landtage eine entsprechende Gesetzesvorlage unter¬
breiten."

Kam auch die Regierung nicht mehr dazu, in der am 8. Januar 1907
eingeleiteten Session dem Landtag eine entsprechende Vorlage zu unterbreiten,
so wurde doch unmittelbar beim Wiederzusammentritt des Landtags zu einer
neuen Session noch in demselben Jahre der Gesetzentwurf zur Hebung des
Deutschtums in Westpreußen und Posen vorgelegt, der die Anwendung des
Enteignungsverfahrens vorsah und in der Thronrede vom 26. November 1907
mit folgenden Worten angekündigt wurde:

"Wie die Entwicklung der Verhältnisse in den östlichen Provinzen der
Monarchie zeigt, sind die gesetzlichen Befugnisse der Regierung nicht aus¬
reichend, um die deutsche Bevölkerung in diesen Landesteilen wirksam zu
schützen und zu stärken. Die Regierung ist deshalb gezwungen, eine Erweite¬
rung ihrer Vollmachten in Anspruch zu nehmen, und wird die entsprechenden,
bereits in Ihrer vorigen Tagung angekündigten Gesetzesvorschläge alsbald
Ihrer Beschlußfassung unterbreiten. Sie ist überzeugt, daß sie in dieser so
ernsten nationalen Frage die tatkräftige Mitwirkung beider Häuser des Land¬
tags finden wird."

Der Inhalt des in neuerer Zeit wieder so viel erörterten Gesetzes ist
bekannt, ebenso die Energie, mit der sich der damals leitende Staatsmann,
unterstützt namentlich durch den damaligen Finanzminister Freiherrn v.Rheinbaben
und den Landwirtschaftsminister v. Arnim, für die Vorlage einsetzte. Es sei
nur daran erinnert, daß noch am gleichen Tage, an dem die Thronrede zur
Verlesung gekommen war, Fürst Bülow im Abgeordnetenhause eine große Rede
zur Begründung des Enteignungsgesetzes hielt, in der er u. a. sagte:

"Es steht für mich außer allem Zweifel: die Tätigkeit der Ansiedlungs¬
kommission muß fortgesetzt werden, und zwar uneingeschränkt. Dazu brauchen
wir alljährlich eine große Fläche Landes, und wir brauchen dieses Land an
der richtigen Stelle, denn die Ansiedlung deutscher Bauern und Arbeiter erfüllt
ihren nationalpolitischen Zweck nur, wenn sie in großen, geschlossenen Gebieten
erfolgt. Wir können aber nicht ruhig mitansehen, daß die Polen durch rück¬
sichtslose politische Verhetzung den Staat in seinem Landerwerb lediglich auf
deutschen Besitz beschränken, und daß hierdurch in Verbindung mit einer un¬
gesunden Preistreiberei der alte deutsche Privatbesitz in bedenklichster Weise
gelockert und trotz aller staatlichen Gegenmaßregeln seiner allmählichen Ver¬
nichtung entgegengeführt wird. Wir können also unseren Landbedarf im frei¬
händigen Ankauf nicht mehr decken. Hieraus folgt mit zwingender Notwendig¬
keit, daß ein eminentes Staatsinteresse die Anwendung des Enteignungsrechtes
durch die Ansiedlungskommission erfordert."

In abgeschwächter Form stimmte das Herrenhaus am 27. Februar 1908
in zweiter Lesung dem Enteignungsgesetze zu. Am 3. März 1908 genehmigte


Die Ankanfsgcschäfte der Ansiedlungskommission

der zum Erfolg dieser Aufgabe eingeleiteten staatlichen Maßnahmen für unbedingt
notwendig. Sie wird dem Landtage eine entsprechende Gesetzesvorlage unter¬
breiten."

Kam auch die Regierung nicht mehr dazu, in der am 8. Januar 1907
eingeleiteten Session dem Landtag eine entsprechende Vorlage zu unterbreiten,
so wurde doch unmittelbar beim Wiederzusammentritt des Landtags zu einer
neuen Session noch in demselben Jahre der Gesetzentwurf zur Hebung des
Deutschtums in Westpreußen und Posen vorgelegt, der die Anwendung des
Enteignungsverfahrens vorsah und in der Thronrede vom 26. November 1907
mit folgenden Worten angekündigt wurde:

„Wie die Entwicklung der Verhältnisse in den östlichen Provinzen der
Monarchie zeigt, sind die gesetzlichen Befugnisse der Regierung nicht aus¬
reichend, um die deutsche Bevölkerung in diesen Landesteilen wirksam zu
schützen und zu stärken. Die Regierung ist deshalb gezwungen, eine Erweite¬
rung ihrer Vollmachten in Anspruch zu nehmen, und wird die entsprechenden,
bereits in Ihrer vorigen Tagung angekündigten Gesetzesvorschläge alsbald
Ihrer Beschlußfassung unterbreiten. Sie ist überzeugt, daß sie in dieser so
ernsten nationalen Frage die tatkräftige Mitwirkung beider Häuser des Land¬
tags finden wird."

Der Inhalt des in neuerer Zeit wieder so viel erörterten Gesetzes ist
bekannt, ebenso die Energie, mit der sich der damals leitende Staatsmann,
unterstützt namentlich durch den damaligen Finanzminister Freiherrn v.Rheinbaben
und den Landwirtschaftsminister v. Arnim, für die Vorlage einsetzte. Es sei
nur daran erinnert, daß noch am gleichen Tage, an dem die Thronrede zur
Verlesung gekommen war, Fürst Bülow im Abgeordnetenhause eine große Rede
zur Begründung des Enteignungsgesetzes hielt, in der er u. a. sagte:

„Es steht für mich außer allem Zweifel: die Tätigkeit der Ansiedlungs¬
kommission muß fortgesetzt werden, und zwar uneingeschränkt. Dazu brauchen
wir alljährlich eine große Fläche Landes, und wir brauchen dieses Land an
der richtigen Stelle, denn die Ansiedlung deutscher Bauern und Arbeiter erfüllt
ihren nationalpolitischen Zweck nur, wenn sie in großen, geschlossenen Gebieten
erfolgt. Wir können aber nicht ruhig mitansehen, daß die Polen durch rück¬
sichtslose politische Verhetzung den Staat in seinem Landerwerb lediglich auf
deutschen Besitz beschränken, und daß hierdurch in Verbindung mit einer un¬
gesunden Preistreiberei der alte deutsche Privatbesitz in bedenklichster Weise
gelockert und trotz aller staatlichen Gegenmaßregeln seiner allmählichen Ver¬
nichtung entgegengeführt wird. Wir können also unseren Landbedarf im frei¬
händigen Ankauf nicht mehr decken. Hieraus folgt mit zwingender Notwendig¬
keit, daß ein eminentes Staatsinteresse die Anwendung des Enteignungsrechtes
durch die Ansiedlungskommission erfordert."

In abgeschwächter Form stimmte das Herrenhaus am 27. Februar 1908
in zweiter Lesung dem Enteignungsgesetze zu. Am 3. März 1908 genehmigte


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[0175] Die Ankanfsgcschäfte der Ansiedlungskommission der zum Erfolg dieser Aufgabe eingeleiteten staatlichen Maßnahmen für unbedingt notwendig. Sie wird dem Landtage eine entsprechende Gesetzesvorlage unter¬ breiten." Kam auch die Regierung nicht mehr dazu, in der am 8. Januar 1907 eingeleiteten Session dem Landtag eine entsprechende Vorlage zu unterbreiten, so wurde doch unmittelbar beim Wiederzusammentritt des Landtags zu einer neuen Session noch in demselben Jahre der Gesetzentwurf zur Hebung des Deutschtums in Westpreußen und Posen vorgelegt, der die Anwendung des Enteignungsverfahrens vorsah und in der Thronrede vom 26. November 1907 mit folgenden Worten angekündigt wurde: „Wie die Entwicklung der Verhältnisse in den östlichen Provinzen der Monarchie zeigt, sind die gesetzlichen Befugnisse der Regierung nicht aus¬ reichend, um die deutsche Bevölkerung in diesen Landesteilen wirksam zu schützen und zu stärken. Die Regierung ist deshalb gezwungen, eine Erweite¬ rung ihrer Vollmachten in Anspruch zu nehmen, und wird die entsprechenden, bereits in Ihrer vorigen Tagung angekündigten Gesetzesvorschläge alsbald Ihrer Beschlußfassung unterbreiten. Sie ist überzeugt, daß sie in dieser so ernsten nationalen Frage die tatkräftige Mitwirkung beider Häuser des Land¬ tags finden wird." Der Inhalt des in neuerer Zeit wieder so viel erörterten Gesetzes ist bekannt, ebenso die Energie, mit der sich der damals leitende Staatsmann, unterstützt namentlich durch den damaligen Finanzminister Freiherrn v.Rheinbaben und den Landwirtschaftsminister v. Arnim, für die Vorlage einsetzte. Es sei nur daran erinnert, daß noch am gleichen Tage, an dem die Thronrede zur Verlesung gekommen war, Fürst Bülow im Abgeordnetenhause eine große Rede zur Begründung des Enteignungsgesetzes hielt, in der er u. a. sagte: „Es steht für mich außer allem Zweifel: die Tätigkeit der Ansiedlungs¬ kommission muß fortgesetzt werden, und zwar uneingeschränkt. Dazu brauchen wir alljährlich eine große Fläche Landes, und wir brauchen dieses Land an der richtigen Stelle, denn die Ansiedlung deutscher Bauern und Arbeiter erfüllt ihren nationalpolitischen Zweck nur, wenn sie in großen, geschlossenen Gebieten erfolgt. Wir können aber nicht ruhig mitansehen, daß die Polen durch rück¬ sichtslose politische Verhetzung den Staat in seinem Landerwerb lediglich auf deutschen Besitz beschränken, und daß hierdurch in Verbindung mit einer un¬ gesunden Preistreiberei der alte deutsche Privatbesitz in bedenklichster Weise gelockert und trotz aller staatlichen Gegenmaßregeln seiner allmählichen Ver¬ nichtung entgegengeführt wird. Wir können also unseren Landbedarf im frei¬ händigen Ankauf nicht mehr decken. Hieraus folgt mit zwingender Notwendig¬ keit, daß ein eminentes Staatsinteresse die Anwendung des Enteignungsrechtes durch die Ansiedlungskommission erfordert." In abgeschwächter Form stimmte das Herrenhaus am 27. Februar 1908 in zweiter Lesung dem Enteignungsgesetze zu. Am 3. März 1908 genehmigte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/175>, abgerufen am 29.06.2024.