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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Biologie und Politik

die Triebkraft der Maschinen bedarf der Führung, und so müssen auch die
Massen beherrscht werden und sie wollen auch einen Herrn haben. Le Bon
sagt S. 55: "Das Milieu, die Umstände, die Ereignisse stellen die sozialen
Suggestionen des Augenblicks dar. Sie können von erheblichem Einflüsse sein,
aber dieser Einfluß ist stets, wenn er den Rassen-Suggestionen, das heißt der
ganzen Ahnenreihe entgegengesetzt ist, ein momentaner." . . . "Viele Staats¬
männer*) stehen noch auf dem Standpunkte des verflossenen Jahrhunderts, welche
glaubten, eine Gesellschaft könne mit ihrer Vergangenheit brechen und ganz neu
organisiert werden, rein durch die Kraft der Vernunft. -- Ein Volk ist ein
durch die Vergangenheit geschaffener Organismus, der, wie alle Organismen,
sich nur mittels langsamer Erbansammlungen verändern kann." Aber auch
Le Bon denkt sich wie viele nicht unmittelbar von der Naturwissenschaft aus¬
gehende Forscher, z. B. auch Chamberlain, diese langsame Entwicklung als eine
historische Größe. Die historisch wirksamen Veränderungen sind, wie namentlich
Reibmayr überzeugend darlegt, Rassenmischungen, die aber nicht, wie vielfach
irrtümlich angenommen wird, zur Bildung eiuer neuen Nasse führen. Nicht
historische, sondern "geologische" Zeiträume sind, wie zu einer Neubildung, auch
zu einer wirklichen Verschmelzung, wenn solche überhaupt möglich, erforderlich,
und während dieser ganzen Zeit eine Verhinderung anderweitiger Zumischung
durch Isolierung. Wie kann man etwa von einer "amerikanischen Rasse" reden,
wenn nach den ersten Anfängen einer Vermischung von Angelsachsentum und
Germanentum schon eine slawische und verstärkte romanische Beimischung den
Charakter umwandelt, von drohender Beimischung des Negertums und Japaner-
tums ganz zu schweigen! In dem Mischvolk aber sind die verschiedenartigen
Rasseneigenschaften nicht zu einer mittleren Größe verschmolzen, sondern nur
durcheinandergewürfelt, und zwar sogar innerhalb der einzelnen Individuen.
Sie würden wieder vollständig auseinanderfallen, wenn die Vereinigung zusammen¬
gehöriger Bestandteile dauernd begünstigt wäre. Historisch sind nur die Änderungen
dieser Mischung durch Zuwanderung und durch vorzugsweise Förderung oder
vorzugsweisen Verbrauch bestimmter Rassenbestandteile. Nur eine den Rassen¬
kern nicht angreifende Anpassung an die besonderen Lebensumstände ist durch
die "Plastizität" der Rasse wie beim Individuum möglich."

Viele Politiker und Historiker glauben, daß das "Nationalitätsprinzip
seine Zeit hätte wie andere früher herrschende Ideen, gewissermaßen Modesache
sei, die sich überleben werde wie andere Moden. Sie übersehen dabei, daß bei
der "Nation", die als Subjekt der Geschichte betrachtet wird, nur der Name
geblieben ist, die rassenmäßige Zusammensetzung aber sich geändert hat. Wenn
wir jedoch den Begriff des Volkes biologisch als ein bestimmtes Nassengemenge
-- denn reine Nassen gibt es nicht mehr -- auffassen, wird das Volkstum mit



*) Ich möchte sage", gewisse Parteien, die sich auf biologische Wissenschaft berufen, ohne
deren Wesen begriffen zu haben.
Biologie und Politik

die Triebkraft der Maschinen bedarf der Führung, und so müssen auch die
Massen beherrscht werden und sie wollen auch einen Herrn haben. Le Bon
sagt S. 55: „Das Milieu, die Umstände, die Ereignisse stellen die sozialen
Suggestionen des Augenblicks dar. Sie können von erheblichem Einflüsse sein,
aber dieser Einfluß ist stets, wenn er den Rassen-Suggestionen, das heißt der
ganzen Ahnenreihe entgegengesetzt ist, ein momentaner." . . . „Viele Staats¬
männer*) stehen noch auf dem Standpunkte des verflossenen Jahrhunderts, welche
glaubten, eine Gesellschaft könne mit ihrer Vergangenheit brechen und ganz neu
organisiert werden, rein durch die Kraft der Vernunft. — Ein Volk ist ein
durch die Vergangenheit geschaffener Organismus, der, wie alle Organismen,
sich nur mittels langsamer Erbansammlungen verändern kann." Aber auch
Le Bon denkt sich wie viele nicht unmittelbar von der Naturwissenschaft aus¬
gehende Forscher, z. B. auch Chamberlain, diese langsame Entwicklung als eine
historische Größe. Die historisch wirksamen Veränderungen sind, wie namentlich
Reibmayr überzeugend darlegt, Rassenmischungen, die aber nicht, wie vielfach
irrtümlich angenommen wird, zur Bildung eiuer neuen Nasse führen. Nicht
historische, sondern „geologische" Zeiträume sind, wie zu einer Neubildung, auch
zu einer wirklichen Verschmelzung, wenn solche überhaupt möglich, erforderlich,
und während dieser ganzen Zeit eine Verhinderung anderweitiger Zumischung
durch Isolierung. Wie kann man etwa von einer „amerikanischen Rasse" reden,
wenn nach den ersten Anfängen einer Vermischung von Angelsachsentum und
Germanentum schon eine slawische und verstärkte romanische Beimischung den
Charakter umwandelt, von drohender Beimischung des Negertums und Japaner-
tums ganz zu schweigen! In dem Mischvolk aber sind die verschiedenartigen
Rasseneigenschaften nicht zu einer mittleren Größe verschmolzen, sondern nur
durcheinandergewürfelt, und zwar sogar innerhalb der einzelnen Individuen.
Sie würden wieder vollständig auseinanderfallen, wenn die Vereinigung zusammen¬
gehöriger Bestandteile dauernd begünstigt wäre. Historisch sind nur die Änderungen
dieser Mischung durch Zuwanderung und durch vorzugsweise Förderung oder
vorzugsweisen Verbrauch bestimmter Rassenbestandteile. Nur eine den Rassen¬
kern nicht angreifende Anpassung an die besonderen Lebensumstände ist durch
die „Plastizität" der Rasse wie beim Individuum möglich."

Viele Politiker und Historiker glauben, daß das „Nationalitätsprinzip
seine Zeit hätte wie andere früher herrschende Ideen, gewissermaßen Modesache
sei, die sich überleben werde wie andere Moden. Sie übersehen dabei, daß bei
der „Nation", die als Subjekt der Geschichte betrachtet wird, nur der Name
geblieben ist, die rassenmäßige Zusammensetzung aber sich geändert hat. Wenn
wir jedoch den Begriff des Volkes biologisch als ein bestimmtes Nassengemenge
— denn reine Nassen gibt es nicht mehr — auffassen, wird das Volkstum mit



*) Ich möchte sage», gewisse Parteien, die sich auf biologische Wissenschaft berufen, ohne
deren Wesen begriffen zu haben.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/159>, abgerufen am 26.06.2024.