Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Das Zentrum in Llsaß-Lothringen

als einen Vertreter des deutschen Gedankens im Reichslande zu bezeichnen, hat
man nicht mehr.

Überblickt man also die gesamte Entwicklung des elsaß-lothringischenZentrums,
so kommt man, gleichgültig, wie man sonst zum Zentrum und seiner Politik
steht, unter nationalen Gesichtspunkten zu folgendem Ergebnis:

Die Zentrumsbewegung in Elsaß-Lothringen ist, wie überall, konfessionellen
Gründen entsprungen. Sie konnte nur durch den Anschluß an das altdeutsche
Zentrum Kraft und Bedeutung erhalten. Das führte ihre Anhänger aber auch
mit Naturnotwendigkeit über die engen Schranken der Heimatspolitik hinaus
in das parteipolitische Leben des Reiches und zur intensiverer Teilnahme an
dessen Aufgaben. Insoweit ist das elsaß-lothringische Zentrum durchaus als
deutsche Partei anzusprechen.

Anderseits begingen seine Führer den Fehler, Elemente in ihrer Mitte zu
dulden, die bewußt daraus hinarbeiteten, das elsaß-lothringische Zentrum zu
einer ausgesprochenen Landesorganisation zu machen, der das altdeutsche Zentrum
zwar im Reichstage Unterstützung zu gewähren hätte, die sich selbst aber gegen
Einflüsse von außen abschließen könnte, um ungestört ihre nationalistischen Sonder¬
interessen zu verfolgen. Versuche, diese Elemente abzuschütteln, wurden nur mit
halbem Herzen unternommen und ohne Folgerichtigkeit ausgeführt. Die Furcht,
durch eine Gegenagitation dieser Kreise im Landesausschuß und im Reichstage
geschwächt zu werden, siegte bei den Urhebern der Zentrumsbewegung über die
Erkenntnis, daß ein solcher Zwiespalt im eigenen Lager die besten Kräfte in
der Partei lahmlegen und diese vor sich selbst, vor den altdeutschen Bundes¬
genossen und dem ganzen Reiche und schließlich auch vor der Regierung in
eine schiefe Stellung bringen müsse.

Die Folge ist, daß das elsaß-lothringische Zentrum in nationaler Beziehung
vielfach nur nach dem beurteilt wird, was seine am meisten lärmenden natio¬
nalistischen Mitglieder sagen und tun, und daß es kein Recht hat, dieses Urteil
einfach als falsch zu bezeichnen. Mitgefangen, angehangen! Die weitere Folge
ist aber auch, daß jene, das Zentrum nur als Mittel zum Zweck benutzenden
Nationalisten und Jchpolitiker immer kecker und herausfordernder auftreten,
geschützt durch die konfessionelle Interessengemeinschaft und die Schwäche ihrer
einsichtigeren Parteigenossen. Und das geschieht im Elsaß und in Lothringen
in gleicher Weise.

So hat eine Bewegung, die trotz aller Bedenken, die man gegen den
politischen Konfessionalismus haben muß, auch vom parteipolitischer Gegner als
eine Förderung des Deutschtims in Elsaß-Lothringen begrüßt werden konnte,
durch eigene Schuld des reichsländischen Zentrums dahin geführt, daß dieses
heute mit Recht als national unzuverlässig und als Schützer antideutscher und
undeutscher Bestrebungen gilt.

Zwar machen die klerikalen reichsländischen Zeitungen oft auch dem elsaß-
lothringischen Liberalismus deu Vorwurf, nationalistische Ideen in seiner Wahl-


Grenzboten II 1911 14
Das Zentrum in Llsaß-Lothringen

als einen Vertreter des deutschen Gedankens im Reichslande zu bezeichnen, hat
man nicht mehr.

Überblickt man also die gesamte Entwicklung des elsaß-lothringischenZentrums,
so kommt man, gleichgültig, wie man sonst zum Zentrum und seiner Politik
steht, unter nationalen Gesichtspunkten zu folgendem Ergebnis:

Die Zentrumsbewegung in Elsaß-Lothringen ist, wie überall, konfessionellen
Gründen entsprungen. Sie konnte nur durch den Anschluß an das altdeutsche
Zentrum Kraft und Bedeutung erhalten. Das führte ihre Anhänger aber auch
mit Naturnotwendigkeit über die engen Schranken der Heimatspolitik hinaus
in das parteipolitische Leben des Reiches und zur intensiverer Teilnahme an
dessen Aufgaben. Insoweit ist das elsaß-lothringische Zentrum durchaus als
deutsche Partei anzusprechen.

Anderseits begingen seine Führer den Fehler, Elemente in ihrer Mitte zu
dulden, die bewußt daraus hinarbeiteten, das elsaß-lothringische Zentrum zu
einer ausgesprochenen Landesorganisation zu machen, der das altdeutsche Zentrum
zwar im Reichstage Unterstützung zu gewähren hätte, die sich selbst aber gegen
Einflüsse von außen abschließen könnte, um ungestört ihre nationalistischen Sonder¬
interessen zu verfolgen. Versuche, diese Elemente abzuschütteln, wurden nur mit
halbem Herzen unternommen und ohne Folgerichtigkeit ausgeführt. Die Furcht,
durch eine Gegenagitation dieser Kreise im Landesausschuß und im Reichstage
geschwächt zu werden, siegte bei den Urhebern der Zentrumsbewegung über die
Erkenntnis, daß ein solcher Zwiespalt im eigenen Lager die besten Kräfte in
der Partei lahmlegen und diese vor sich selbst, vor den altdeutschen Bundes¬
genossen und dem ganzen Reiche und schließlich auch vor der Regierung in
eine schiefe Stellung bringen müsse.

Die Folge ist, daß das elsaß-lothringische Zentrum in nationaler Beziehung
vielfach nur nach dem beurteilt wird, was seine am meisten lärmenden natio¬
nalistischen Mitglieder sagen und tun, und daß es kein Recht hat, dieses Urteil
einfach als falsch zu bezeichnen. Mitgefangen, angehangen! Die weitere Folge
ist aber auch, daß jene, das Zentrum nur als Mittel zum Zweck benutzenden
Nationalisten und Jchpolitiker immer kecker und herausfordernder auftreten,
geschützt durch die konfessionelle Interessengemeinschaft und die Schwäche ihrer
einsichtigeren Parteigenossen. Und das geschieht im Elsaß und in Lothringen
in gleicher Weise.

So hat eine Bewegung, die trotz aller Bedenken, die man gegen den
politischen Konfessionalismus haben muß, auch vom parteipolitischer Gegner als
eine Förderung des Deutschtims in Elsaß-Lothringen begrüßt werden konnte,
durch eigene Schuld des reichsländischen Zentrums dahin geführt, daß dieses
heute mit Recht als national unzuverlässig und als Schützer antideutscher und
undeutscher Bestrebungen gilt.

Zwar machen die klerikalen reichsländischen Zeitungen oft auch dem elsaß-
lothringischen Liberalismus deu Vorwurf, nationalistische Ideen in seiner Wahl-


Grenzboten II 1911 14
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0117" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/318400"/>
          <fw type="header" place="top"> Das Zentrum in Llsaß-Lothringen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_493" prev="#ID_492"> als einen Vertreter des deutschen Gedankens im Reichslande zu bezeichnen, hat<lb/>
man nicht mehr.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_494"> Überblickt man also die gesamte Entwicklung des elsaß-lothringischenZentrums,<lb/>
so kommt man, gleichgültig, wie man sonst zum Zentrum und seiner Politik<lb/>
steht, unter nationalen Gesichtspunkten zu folgendem Ergebnis:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_495"> Die Zentrumsbewegung in Elsaß-Lothringen ist, wie überall, konfessionellen<lb/>
Gründen entsprungen. Sie konnte nur durch den Anschluß an das altdeutsche<lb/>
Zentrum Kraft und Bedeutung erhalten. Das führte ihre Anhänger aber auch<lb/>
mit Naturnotwendigkeit über die engen Schranken der Heimatspolitik hinaus<lb/>
in das parteipolitische Leben des Reiches und zur intensiverer Teilnahme an<lb/>
dessen Aufgaben. Insoweit ist das elsaß-lothringische Zentrum durchaus als<lb/>
deutsche Partei anzusprechen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_496"> Anderseits begingen seine Führer den Fehler, Elemente in ihrer Mitte zu<lb/>
dulden, die bewußt daraus hinarbeiteten, das elsaß-lothringische Zentrum zu<lb/>
einer ausgesprochenen Landesorganisation zu machen, der das altdeutsche Zentrum<lb/>
zwar im Reichstage Unterstützung zu gewähren hätte, die sich selbst aber gegen<lb/>
Einflüsse von außen abschließen könnte, um ungestört ihre nationalistischen Sonder¬<lb/>
interessen zu verfolgen. Versuche, diese Elemente abzuschütteln, wurden nur mit<lb/>
halbem Herzen unternommen und ohne Folgerichtigkeit ausgeführt. Die Furcht,<lb/>
durch eine Gegenagitation dieser Kreise im Landesausschuß und im Reichstage<lb/>
geschwächt zu werden, siegte bei den Urhebern der Zentrumsbewegung über die<lb/>
Erkenntnis, daß ein solcher Zwiespalt im eigenen Lager die besten Kräfte in<lb/>
der Partei lahmlegen und diese vor sich selbst, vor den altdeutschen Bundes¬<lb/>
genossen und dem ganzen Reiche und schließlich auch vor der Regierung in<lb/>
eine schiefe Stellung bringen müsse.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_497"> Die Folge ist, daß das elsaß-lothringische Zentrum in nationaler Beziehung<lb/>
vielfach nur nach dem beurteilt wird, was seine am meisten lärmenden natio¬<lb/>
nalistischen Mitglieder sagen und tun, und daß es kein Recht hat, dieses Urteil<lb/>
einfach als falsch zu bezeichnen. Mitgefangen, angehangen! Die weitere Folge<lb/>
ist aber auch, daß jene, das Zentrum nur als Mittel zum Zweck benutzenden<lb/>
Nationalisten und Jchpolitiker immer kecker und herausfordernder auftreten,<lb/>
geschützt durch die konfessionelle Interessengemeinschaft und die Schwäche ihrer<lb/>
einsichtigeren Parteigenossen. Und das geschieht im Elsaß und in Lothringen<lb/>
in gleicher Weise.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_498"> So hat eine Bewegung, die trotz aller Bedenken, die man gegen den<lb/>
politischen Konfessionalismus haben muß, auch vom parteipolitischer Gegner als<lb/>
eine Förderung des Deutschtims in Elsaß-Lothringen begrüßt werden konnte,<lb/>
durch eigene Schuld des reichsländischen Zentrums dahin geführt, daß dieses<lb/>
heute mit Recht als national unzuverlässig und als Schützer antideutscher und<lb/>
undeutscher Bestrebungen gilt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_499" next="#ID_500"> Zwar machen die klerikalen reichsländischen Zeitungen oft auch dem elsaß-<lb/>
lothringischen Liberalismus deu Vorwurf, nationalistische Ideen in seiner Wahl-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II 1911 14</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0117] Das Zentrum in Llsaß-Lothringen als einen Vertreter des deutschen Gedankens im Reichslande zu bezeichnen, hat man nicht mehr. Überblickt man also die gesamte Entwicklung des elsaß-lothringischenZentrums, so kommt man, gleichgültig, wie man sonst zum Zentrum und seiner Politik steht, unter nationalen Gesichtspunkten zu folgendem Ergebnis: Die Zentrumsbewegung in Elsaß-Lothringen ist, wie überall, konfessionellen Gründen entsprungen. Sie konnte nur durch den Anschluß an das altdeutsche Zentrum Kraft und Bedeutung erhalten. Das führte ihre Anhänger aber auch mit Naturnotwendigkeit über die engen Schranken der Heimatspolitik hinaus in das parteipolitische Leben des Reiches und zur intensiverer Teilnahme an dessen Aufgaben. Insoweit ist das elsaß-lothringische Zentrum durchaus als deutsche Partei anzusprechen. Anderseits begingen seine Führer den Fehler, Elemente in ihrer Mitte zu dulden, die bewußt daraus hinarbeiteten, das elsaß-lothringische Zentrum zu einer ausgesprochenen Landesorganisation zu machen, der das altdeutsche Zentrum zwar im Reichstage Unterstützung zu gewähren hätte, die sich selbst aber gegen Einflüsse von außen abschließen könnte, um ungestört ihre nationalistischen Sonder¬ interessen zu verfolgen. Versuche, diese Elemente abzuschütteln, wurden nur mit halbem Herzen unternommen und ohne Folgerichtigkeit ausgeführt. Die Furcht, durch eine Gegenagitation dieser Kreise im Landesausschuß und im Reichstage geschwächt zu werden, siegte bei den Urhebern der Zentrumsbewegung über die Erkenntnis, daß ein solcher Zwiespalt im eigenen Lager die besten Kräfte in der Partei lahmlegen und diese vor sich selbst, vor den altdeutschen Bundes¬ genossen und dem ganzen Reiche und schließlich auch vor der Regierung in eine schiefe Stellung bringen müsse. Die Folge ist, daß das elsaß-lothringische Zentrum in nationaler Beziehung vielfach nur nach dem beurteilt wird, was seine am meisten lärmenden natio¬ nalistischen Mitglieder sagen und tun, und daß es kein Recht hat, dieses Urteil einfach als falsch zu bezeichnen. Mitgefangen, angehangen! Die weitere Folge ist aber auch, daß jene, das Zentrum nur als Mittel zum Zweck benutzenden Nationalisten und Jchpolitiker immer kecker und herausfordernder auftreten, geschützt durch die konfessionelle Interessengemeinschaft und die Schwäche ihrer einsichtigeren Parteigenossen. Und das geschieht im Elsaß und in Lothringen in gleicher Weise. So hat eine Bewegung, die trotz aller Bedenken, die man gegen den politischen Konfessionalismus haben muß, auch vom parteipolitischer Gegner als eine Förderung des Deutschtims in Elsaß-Lothringen begrüßt werden konnte, durch eigene Schuld des reichsländischen Zentrums dahin geführt, daß dieses heute mit Recht als national unzuverlässig und als Schützer antideutscher und undeutscher Bestrebungen gilt. Zwar machen die klerikalen reichsländischen Zeitungen oft auch dem elsaß- lothringischen Liberalismus deu Vorwurf, nationalistische Ideen in seiner Wahl- Grenzboten II 1911 14

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/117
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/117>, abgerufen am 03.07.2024.