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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Das Zentrum in Llsaß-tothringen

Je schwieriger und bedeutsamer die Aufgaben wurden, die im Lande und für
das Land zu lösen waren, um so stärker trat der Zwiespalt zwischen den beiden
Richtungen, neben denen übrigens noch ein paar kleine, unabhängige Gruppen
bestehen blieben, hervor, bis er bei den letzten Bezirkstags- und Landesausschuß-
wahlen im Jahre 1909 in der nationalistischen Bewegung und in dem von
Wetterlö mit Unterstützung Blumenthals verbreiteten Gedanken der Gründung
einer über den anderen Parteien stehenden Verfassungspartei seinen Höhepunkt
erreichte.

Das elsässische Zentrum ist also nichts weniger als eine innerlich einheitliche
Organisation. Sein Name deckt sich nur für einen bestimmten, allerdings wohl den
größeren Teil seiner Mitglieder mit den in ihm wirkenden Ideen und Bestrebungen.
Daher ist es aber auch so schwer, der politischen Tätigkeit des reichsländischen
Zentrums wirklich gerecht zu werden. Viele tragen seinen Namen, die nicht seines
Geistes sind, und gerade sie treten bei großen politischen Aktionen, bei kritischen
Debatten im Landesausschuß und in der Publizistik am stärksten hervor, ohne
daß der andere Teil bisher den Mut gefunden hätte, sich von ihrem Einfluß
zu befreien.

Es muß zugegeben werden, daß die Parteikämpfe im Reichslande eine
solche Klärung erschweren, da diese wahrscheinlich, wenigstens vorübergehend,
mit Mandatsverlusten für den Klerikalismus verbunden wäre; aber schließlich
wird, wenn das elsässische Zentrum nicht dauernd unter der persönlichen Politik
seines separatistischen Flügels leiden und für dessen Haltung verantwortlich gemacht
werden will, die Scheidung doch erfolgen.

In Lothringen ging die Ausbreitung des Zentrums seit 1900 zwar unter
ähnlichen Kämpfen von statten, wie im Elsaß, aber diese Kämpfe wurden unter
ganz anderen Voraussetzungen ausgefochten. Während im Elsaß der größte
Widerstand gegen den Anschluß ans Zentrum von ausgesprochen klerikalen Kreisen
geleistet wurde, für deren Haltung nationale und persönliche Gründe maßgebend
waren, stellte sich der Zentrumsidee in Lothringen eine politische Organisation
entgegen, die sich zwar auch vorwiegend aus katholischen Elementen zusammen¬
setzte, den konfessionellen Gedanken aber ganz zurücktreten ließ gegenüber der
partikularistischen Tendenz und der Bewertung des persönlichen Einflusses. Der
Lothringer Block, dieses charakteristische Erzeugnis der reichsländischen Notabeln-
politik, zog alle Kreise an sich, die dem Grundsatz "Lothringen den Lothringern"
huldigten und glaubten, daß eine aus alle größeren und höheren Ziele ver¬
zichtende Heimatsinteressenpolitik die Lebensaufgabe einer Parteiorganisation in
Lothringen sein könnte. Der Erfolg, der dem Block zunächst beschieden war,
schien den Berechnungen seiner Gründer recht zu geben. Der Block wurde tat¬
sächlich zur ausschlaggebenden Macht in Lothringen. Und der große persönliche
Einfluß, den seine führenden Mitglieder infolge ihrer überragenden wirtschaft-
lichen Stellung im Lande besaßen und den sie auch auf die Straßburger Regierung,
die mit ihnen nach dem Grundsatz av ut clef recht bequem arbeiten konnte,


Das Zentrum in Llsaß-tothringen

Je schwieriger und bedeutsamer die Aufgaben wurden, die im Lande und für
das Land zu lösen waren, um so stärker trat der Zwiespalt zwischen den beiden
Richtungen, neben denen übrigens noch ein paar kleine, unabhängige Gruppen
bestehen blieben, hervor, bis er bei den letzten Bezirkstags- und Landesausschuß-
wahlen im Jahre 1909 in der nationalistischen Bewegung und in dem von
Wetterlö mit Unterstützung Blumenthals verbreiteten Gedanken der Gründung
einer über den anderen Parteien stehenden Verfassungspartei seinen Höhepunkt
erreichte.

Das elsässische Zentrum ist also nichts weniger als eine innerlich einheitliche
Organisation. Sein Name deckt sich nur für einen bestimmten, allerdings wohl den
größeren Teil seiner Mitglieder mit den in ihm wirkenden Ideen und Bestrebungen.
Daher ist es aber auch so schwer, der politischen Tätigkeit des reichsländischen
Zentrums wirklich gerecht zu werden. Viele tragen seinen Namen, die nicht seines
Geistes sind, und gerade sie treten bei großen politischen Aktionen, bei kritischen
Debatten im Landesausschuß und in der Publizistik am stärksten hervor, ohne
daß der andere Teil bisher den Mut gefunden hätte, sich von ihrem Einfluß
zu befreien.

Es muß zugegeben werden, daß die Parteikämpfe im Reichslande eine
solche Klärung erschweren, da diese wahrscheinlich, wenigstens vorübergehend,
mit Mandatsverlusten für den Klerikalismus verbunden wäre; aber schließlich
wird, wenn das elsässische Zentrum nicht dauernd unter der persönlichen Politik
seines separatistischen Flügels leiden und für dessen Haltung verantwortlich gemacht
werden will, die Scheidung doch erfolgen.

In Lothringen ging die Ausbreitung des Zentrums seit 1900 zwar unter
ähnlichen Kämpfen von statten, wie im Elsaß, aber diese Kämpfe wurden unter
ganz anderen Voraussetzungen ausgefochten. Während im Elsaß der größte
Widerstand gegen den Anschluß ans Zentrum von ausgesprochen klerikalen Kreisen
geleistet wurde, für deren Haltung nationale und persönliche Gründe maßgebend
waren, stellte sich der Zentrumsidee in Lothringen eine politische Organisation
entgegen, die sich zwar auch vorwiegend aus katholischen Elementen zusammen¬
setzte, den konfessionellen Gedanken aber ganz zurücktreten ließ gegenüber der
partikularistischen Tendenz und der Bewertung des persönlichen Einflusses. Der
Lothringer Block, dieses charakteristische Erzeugnis der reichsländischen Notabeln-
politik, zog alle Kreise an sich, die dem Grundsatz „Lothringen den Lothringern"
huldigten und glaubten, daß eine aus alle größeren und höheren Ziele ver¬
zichtende Heimatsinteressenpolitik die Lebensaufgabe einer Parteiorganisation in
Lothringen sein könnte. Der Erfolg, der dem Block zunächst beschieden war,
schien den Berechnungen seiner Gründer recht zu geben. Der Block wurde tat¬
sächlich zur ausschlaggebenden Macht in Lothringen. Und der große persönliche
Einfluß, den seine führenden Mitglieder infolge ihrer überragenden wirtschaft-
lichen Stellung im Lande besaßen und den sie auch auf die Straßburger Regierung,
die mit ihnen nach dem Grundsatz av ut clef recht bequem arbeiten konnte,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/115>, abgerufen am 03.07.2024.