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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Das Zentrum in Llsaß-Lothringen

irre werden können, wenn eine Verdächtigung der Gegner ganz gefehlt hätte!
Daß jener Satz gleich nach der Versicherung kommt, eine solche wichtige Frage
müsse 8ins irg, et 8tuäic> behandelt werden, macht die Sache noch hübscher."

Man beurteilte also damals schon in elsässischen Zentrnmskreisen die Per¬
sönlichkeit und Taktik des geistlichen Verfassers der Broschüre ganz richtig, wie
man auch heute in denselben Kreisen ganz genau weiß, was man von der
politischen Tätigkeit des gewandten, aber oft recht verschlungene Pfade wandelnden
Chefredakteurs des Nouvelliste zu halten hat. Daß das elsässische Zentrum
trotzdem mit ihm und seinen Gesinnungsgenossen immer wieder gemeinsame
Sache machte und ihm zeitweilig sogar einen bestimmenden Einfluß auf seine
Haltung einräumte, war die Schwäche der Organisation, an der sie bis heute krankt.

Der springende Punkt der Broschüre war aber die Befürchtung, "daß die
in Elsaß-Lothringen wohnenden altdeutschen Katholiken in einer Zentrums¬
organisation eine vorherrschende Rolle spielen und die am wenigsten populären
unter den reichsländischen Klerikalen die erste Geige spielen würden". Dieser
Satz in Verbindung mit der Bemerkung, die katholischen Altdeutschen sollten ja
auch in eine selbständige Landesorganisation eintreten und in ihr mitwirken
dürfen, wenn sie sich nur bescheiden wollten, auf eine bedeutendere Rolle in ihr
zu verzichten, verkündete schon 1902 nichts anderes als den jetzt so viel
besprochenen nationalistischen Grundsatz, die Altdeutschen im Lande zwar zu
dulden und ihre Hilfe bei Wahlen und anderen Gelegenheiten anzunehmen,
ihren Einfluß aber auf ein Minimum zu beschränken, während die Gründer
der elsaß-lothringischen Zentrumspartei offenbar von dem ehrlichen Bestreben
erfüllt waren, mit ihren altdeutschen Mitbürgern Hand in Hand zu arbeiten
und den berechtigten elsaß - lothringischen Partikularismus nur mit ihnen
zusammen zu pflegen, was sich um so leichter und befriedigend für beide
Teile durchführen ließ, als die im Lande ansässigen Altdeutschen zum großen
Teil vollständig mit den Landesinteressen verwachsen sind.

Der eben angeführte Satz der Broschüre offenbarte aber nicht nur eine
starke Abneigung gegen das altdeutsche Element im Lande, sondern auch den
brennenden Ehrgeiz jener Gegner des Anschlusses ans Zentrum, unter allen
Umständen selbst die führende Rolle in Elsaß-Lothringen zu spielen.

Nachdem der Kampf zwischen den beiden Richtungen etwa ein Jahr lang
mit Erbitterung geführt worden war, wurde am 25. November 1902 in Stra߬
burg die Gründung einer elsaß-lothringischen Zentrumspartei und der Anschluß
an das altdeutsche Zentrum mit etwa sechshundert gegen zwei Stimmen beschlossen.
Die Gegenseite antwortete mit der Gründung von Sonderorganisationen und
schärfsten Angriffen, aber schließlich zwangen die Verhältnisse, namentlich die
innere Schwäche der klerikalen Landespartei, auch die Opposition, mit dem
Zentrum Frieden zu schließen und wenigstens äußerlich mit ihm zusammenzu¬
gehen. Aber das Dogma der Zurückdrängung der Altdeutschen und der
Befriedigung des persönlichen Ehrgeizes gaben sie nicht auf. Im Gegenteil!


Das Zentrum in Llsaß-Lothringen

irre werden können, wenn eine Verdächtigung der Gegner ganz gefehlt hätte!
Daß jener Satz gleich nach der Versicherung kommt, eine solche wichtige Frage
müsse 8ins irg, et 8tuäic> behandelt werden, macht die Sache noch hübscher."

Man beurteilte also damals schon in elsässischen Zentrnmskreisen die Per¬
sönlichkeit und Taktik des geistlichen Verfassers der Broschüre ganz richtig, wie
man auch heute in denselben Kreisen ganz genau weiß, was man von der
politischen Tätigkeit des gewandten, aber oft recht verschlungene Pfade wandelnden
Chefredakteurs des Nouvelliste zu halten hat. Daß das elsässische Zentrum
trotzdem mit ihm und seinen Gesinnungsgenossen immer wieder gemeinsame
Sache machte und ihm zeitweilig sogar einen bestimmenden Einfluß auf seine
Haltung einräumte, war die Schwäche der Organisation, an der sie bis heute krankt.

Der springende Punkt der Broschüre war aber die Befürchtung, „daß die
in Elsaß-Lothringen wohnenden altdeutschen Katholiken in einer Zentrums¬
organisation eine vorherrschende Rolle spielen und die am wenigsten populären
unter den reichsländischen Klerikalen die erste Geige spielen würden". Dieser
Satz in Verbindung mit der Bemerkung, die katholischen Altdeutschen sollten ja
auch in eine selbständige Landesorganisation eintreten und in ihr mitwirken
dürfen, wenn sie sich nur bescheiden wollten, auf eine bedeutendere Rolle in ihr
zu verzichten, verkündete schon 1902 nichts anderes als den jetzt so viel
besprochenen nationalistischen Grundsatz, die Altdeutschen im Lande zwar zu
dulden und ihre Hilfe bei Wahlen und anderen Gelegenheiten anzunehmen,
ihren Einfluß aber auf ein Minimum zu beschränken, während die Gründer
der elsaß-lothringischen Zentrumspartei offenbar von dem ehrlichen Bestreben
erfüllt waren, mit ihren altdeutschen Mitbürgern Hand in Hand zu arbeiten
und den berechtigten elsaß - lothringischen Partikularismus nur mit ihnen
zusammen zu pflegen, was sich um so leichter und befriedigend für beide
Teile durchführen ließ, als die im Lande ansässigen Altdeutschen zum großen
Teil vollständig mit den Landesinteressen verwachsen sind.

Der eben angeführte Satz der Broschüre offenbarte aber nicht nur eine
starke Abneigung gegen das altdeutsche Element im Lande, sondern auch den
brennenden Ehrgeiz jener Gegner des Anschlusses ans Zentrum, unter allen
Umständen selbst die führende Rolle in Elsaß-Lothringen zu spielen.

Nachdem der Kampf zwischen den beiden Richtungen etwa ein Jahr lang
mit Erbitterung geführt worden war, wurde am 25. November 1902 in Stra߬
burg die Gründung einer elsaß-lothringischen Zentrumspartei und der Anschluß
an das altdeutsche Zentrum mit etwa sechshundert gegen zwei Stimmen beschlossen.
Die Gegenseite antwortete mit der Gründung von Sonderorganisationen und
schärfsten Angriffen, aber schließlich zwangen die Verhältnisse, namentlich die
innere Schwäche der klerikalen Landespartei, auch die Opposition, mit dem
Zentrum Frieden zu schließen und wenigstens äußerlich mit ihm zusammenzu¬
gehen. Aber das Dogma der Zurückdrängung der Altdeutschen und der
Befriedigung des persönlichen Ehrgeizes gaben sie nicht auf. Im Gegenteil!


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[0114] Das Zentrum in Llsaß-Lothringen irre werden können, wenn eine Verdächtigung der Gegner ganz gefehlt hätte! Daß jener Satz gleich nach der Versicherung kommt, eine solche wichtige Frage müsse 8ins irg, et 8tuäic> behandelt werden, macht die Sache noch hübscher." Man beurteilte also damals schon in elsässischen Zentrnmskreisen die Per¬ sönlichkeit und Taktik des geistlichen Verfassers der Broschüre ganz richtig, wie man auch heute in denselben Kreisen ganz genau weiß, was man von der politischen Tätigkeit des gewandten, aber oft recht verschlungene Pfade wandelnden Chefredakteurs des Nouvelliste zu halten hat. Daß das elsässische Zentrum trotzdem mit ihm und seinen Gesinnungsgenossen immer wieder gemeinsame Sache machte und ihm zeitweilig sogar einen bestimmenden Einfluß auf seine Haltung einräumte, war die Schwäche der Organisation, an der sie bis heute krankt. Der springende Punkt der Broschüre war aber die Befürchtung, „daß die in Elsaß-Lothringen wohnenden altdeutschen Katholiken in einer Zentrums¬ organisation eine vorherrschende Rolle spielen und die am wenigsten populären unter den reichsländischen Klerikalen die erste Geige spielen würden". Dieser Satz in Verbindung mit der Bemerkung, die katholischen Altdeutschen sollten ja auch in eine selbständige Landesorganisation eintreten und in ihr mitwirken dürfen, wenn sie sich nur bescheiden wollten, auf eine bedeutendere Rolle in ihr zu verzichten, verkündete schon 1902 nichts anderes als den jetzt so viel besprochenen nationalistischen Grundsatz, die Altdeutschen im Lande zwar zu dulden und ihre Hilfe bei Wahlen und anderen Gelegenheiten anzunehmen, ihren Einfluß aber auf ein Minimum zu beschränken, während die Gründer der elsaß-lothringischen Zentrumspartei offenbar von dem ehrlichen Bestreben erfüllt waren, mit ihren altdeutschen Mitbürgern Hand in Hand zu arbeiten und den berechtigten elsaß - lothringischen Partikularismus nur mit ihnen zusammen zu pflegen, was sich um so leichter und befriedigend für beide Teile durchführen ließ, als die im Lande ansässigen Altdeutschen zum großen Teil vollständig mit den Landesinteressen verwachsen sind. Der eben angeführte Satz der Broschüre offenbarte aber nicht nur eine starke Abneigung gegen das altdeutsche Element im Lande, sondern auch den brennenden Ehrgeiz jener Gegner des Anschlusses ans Zentrum, unter allen Umständen selbst die führende Rolle in Elsaß-Lothringen zu spielen. Nachdem der Kampf zwischen den beiden Richtungen etwa ein Jahr lang mit Erbitterung geführt worden war, wurde am 25. November 1902 in Stra߬ burg die Gründung einer elsaß-lothringischen Zentrumspartei und der Anschluß an das altdeutsche Zentrum mit etwa sechshundert gegen zwei Stimmen beschlossen. Die Gegenseite antwortete mit der Gründung von Sonderorganisationen und schärfsten Angriffen, aber schließlich zwangen die Verhältnisse, namentlich die innere Schwäche der klerikalen Landespartei, auch die Opposition, mit dem Zentrum Frieden zu schließen und wenigstens äußerlich mit ihm zusammenzu¬ gehen. Aber das Dogma der Zurückdrängung der Altdeutschen und der Befriedigung des persönlichen Ehrgeizes gaben sie nicht auf. Im Gegenteil!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/114>, abgerufen am 03.07.2024.