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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Das Zentrum in Llsaß-Lothringen

schroff ab. In Straßburg wurde sie in kleinen Kreisen Altdeutscher und Ein¬
heimischer weiter gepflegt, ohne aber sichtbare Fortschritte zu machen. Erst nach
1900 setzte die Propaganda für den Anschluß an das altdeutsche Zentrum mit
größerer Stärke ein. Die Gründung der katholischen Fakultät in Straßburg,
besonders aber die Entstehung liberaler und demokratischer Organisationen gab
ihr einen kräftigen Anstoß, und, was das wichtigste war, ein von Alteisässern
geleitetes klerikales Blatt, der Elsässer, trat mit großer Lebhaftigkeit und
Energie für den Anschluß ein.

Man hatte damals in klerikalen Kreisen bereits richtig erkannt, daß sich
mit der Parteibildung eine Umwandelung der politischen Verhältnisse im Reichs¬
lande anbahnte, in der der Klerikalismus uur durch straffe Organisation zur
ausschlaggebenden Macht werden könnte. Eine bessere Organisation aber als
die des Zentrums konnte es für ihn nicht geben. Jedoch -- darüber täuschten
sich weder die Redaktion des Elsässers noch ihre politischen Freunde und
Hintermänner -- Anschluß an das Zentrum suchen, hieß Brücken über den
Rhein schlagen und teilnehmen an dem politischen Leben Deutschlands, nicht
nach Liebhaberart, wenn es gerade einmal paßte, sondern ganz und mit dem
ausgesprochenen Zweck, auf dieses politische Leben und die Gesetzgebung des
Reichs Einfluß zu gewinnen. Denn nur dann konnte der reichsländische
Klerikalismus darauf rechnen, im altdeutschen Zentrum eine Rolle zu spielen,
wenn er dieses nicht nur elsaß-lothringische Interessen vertreten ließ, sondern
selbst unbeschadet seiner partikularistischen Eigenart Hilfskräfte für die par¬
lamentarischen Arbeiten und politischen Kämpfe des Zentrums heranführte. Und
man wußte ferner ganz genau, daß ein großer Teil der klerikalen Politiker des
Landes für diese Politik des Vergessens und des vorbehaltlosen Sicheinrichtens
in deutschen Verhältnissen noch nicht zu haben war.

Trotzdem wagten der Elsässer und seine Freunde den Schritt, und sie sind
auch im wesentlichen ihrem damals aufgestellten Programm treu geblieben.
Freiherr von Hertling hätte daher mit gutem Recht sagen können, daß diese Ver¬
treter der Zentrumspartei in Elsaß-Lothringen zu den Anhängern des deutscheu
Gedankens und des engen Anschlusses an das geeinigte Deutschland gehörten.

Aber das Gebilde, das sich heute elsaß-Iothringisches Zentrum nennt, besteht
nicht allein aus diesem Kreis überzeugter Vorkämpfer des Zentrumsgedankens,
sondern es umfaßt auch den größten Teil der reichsländischen politisch orga¬
nisierten Klerikalen, die vor kurzem noch als seine Gegner auftraten. Wie diese
dazu gekommen sind, sich der Partei anzuschließen, welche Rolle sie in ihr
spielen, das lehren die Kämpfe, die in den letzten zehn Jahren zuerst um die
Parteigründung selbst und dann, als diese durchgesetzt war und eine immer
stärker werdende Anziehung auf die katholische Wählerschaft ausübte, um die
Vorherrschaft in ihr zwischen den verschiedenen Richtungen geführt wurden.

Als vor nunmehr neun Jahren die Frage des Anschlusses an das alt¬
deutsche Zentrum im elsässischen Klerikalismus erörtert wurde, Wetterlö mit


Das Zentrum in Llsaß-Lothringen

schroff ab. In Straßburg wurde sie in kleinen Kreisen Altdeutscher und Ein¬
heimischer weiter gepflegt, ohne aber sichtbare Fortschritte zu machen. Erst nach
1900 setzte die Propaganda für den Anschluß an das altdeutsche Zentrum mit
größerer Stärke ein. Die Gründung der katholischen Fakultät in Straßburg,
besonders aber die Entstehung liberaler und demokratischer Organisationen gab
ihr einen kräftigen Anstoß, und, was das wichtigste war, ein von Alteisässern
geleitetes klerikales Blatt, der Elsässer, trat mit großer Lebhaftigkeit und
Energie für den Anschluß ein.

Man hatte damals in klerikalen Kreisen bereits richtig erkannt, daß sich
mit der Parteibildung eine Umwandelung der politischen Verhältnisse im Reichs¬
lande anbahnte, in der der Klerikalismus uur durch straffe Organisation zur
ausschlaggebenden Macht werden könnte. Eine bessere Organisation aber als
die des Zentrums konnte es für ihn nicht geben. Jedoch — darüber täuschten
sich weder die Redaktion des Elsässers noch ihre politischen Freunde und
Hintermänner — Anschluß an das Zentrum suchen, hieß Brücken über den
Rhein schlagen und teilnehmen an dem politischen Leben Deutschlands, nicht
nach Liebhaberart, wenn es gerade einmal paßte, sondern ganz und mit dem
ausgesprochenen Zweck, auf dieses politische Leben und die Gesetzgebung des
Reichs Einfluß zu gewinnen. Denn nur dann konnte der reichsländische
Klerikalismus darauf rechnen, im altdeutschen Zentrum eine Rolle zu spielen,
wenn er dieses nicht nur elsaß-lothringische Interessen vertreten ließ, sondern
selbst unbeschadet seiner partikularistischen Eigenart Hilfskräfte für die par¬
lamentarischen Arbeiten und politischen Kämpfe des Zentrums heranführte. Und
man wußte ferner ganz genau, daß ein großer Teil der klerikalen Politiker des
Landes für diese Politik des Vergessens und des vorbehaltlosen Sicheinrichtens
in deutschen Verhältnissen noch nicht zu haben war.

Trotzdem wagten der Elsässer und seine Freunde den Schritt, und sie sind
auch im wesentlichen ihrem damals aufgestellten Programm treu geblieben.
Freiherr von Hertling hätte daher mit gutem Recht sagen können, daß diese Ver¬
treter der Zentrumspartei in Elsaß-Lothringen zu den Anhängern des deutscheu
Gedankens und des engen Anschlusses an das geeinigte Deutschland gehörten.

Aber das Gebilde, das sich heute elsaß-Iothringisches Zentrum nennt, besteht
nicht allein aus diesem Kreis überzeugter Vorkämpfer des Zentrumsgedankens,
sondern es umfaßt auch den größten Teil der reichsländischen politisch orga¬
nisierten Klerikalen, die vor kurzem noch als seine Gegner auftraten. Wie diese
dazu gekommen sind, sich der Partei anzuschließen, welche Rolle sie in ihr
spielen, das lehren die Kämpfe, die in den letzten zehn Jahren zuerst um die
Parteigründung selbst und dann, als diese durchgesetzt war und eine immer
stärker werdende Anziehung auf die katholische Wählerschaft ausübte, um die
Vorherrschaft in ihr zwischen den verschiedenen Richtungen geführt wurden.

Als vor nunmehr neun Jahren die Frage des Anschlusses an das alt¬
deutsche Zentrum im elsässischen Klerikalismus erörtert wurde, Wetterlö mit


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[0112] Das Zentrum in Llsaß-Lothringen schroff ab. In Straßburg wurde sie in kleinen Kreisen Altdeutscher und Ein¬ heimischer weiter gepflegt, ohne aber sichtbare Fortschritte zu machen. Erst nach 1900 setzte die Propaganda für den Anschluß an das altdeutsche Zentrum mit größerer Stärke ein. Die Gründung der katholischen Fakultät in Straßburg, besonders aber die Entstehung liberaler und demokratischer Organisationen gab ihr einen kräftigen Anstoß, und, was das wichtigste war, ein von Alteisässern geleitetes klerikales Blatt, der Elsässer, trat mit großer Lebhaftigkeit und Energie für den Anschluß ein. Man hatte damals in klerikalen Kreisen bereits richtig erkannt, daß sich mit der Parteibildung eine Umwandelung der politischen Verhältnisse im Reichs¬ lande anbahnte, in der der Klerikalismus uur durch straffe Organisation zur ausschlaggebenden Macht werden könnte. Eine bessere Organisation aber als die des Zentrums konnte es für ihn nicht geben. Jedoch — darüber täuschten sich weder die Redaktion des Elsässers noch ihre politischen Freunde und Hintermänner — Anschluß an das Zentrum suchen, hieß Brücken über den Rhein schlagen und teilnehmen an dem politischen Leben Deutschlands, nicht nach Liebhaberart, wenn es gerade einmal paßte, sondern ganz und mit dem ausgesprochenen Zweck, auf dieses politische Leben und die Gesetzgebung des Reichs Einfluß zu gewinnen. Denn nur dann konnte der reichsländische Klerikalismus darauf rechnen, im altdeutschen Zentrum eine Rolle zu spielen, wenn er dieses nicht nur elsaß-lothringische Interessen vertreten ließ, sondern selbst unbeschadet seiner partikularistischen Eigenart Hilfskräfte für die par¬ lamentarischen Arbeiten und politischen Kämpfe des Zentrums heranführte. Und man wußte ferner ganz genau, daß ein großer Teil der klerikalen Politiker des Landes für diese Politik des Vergessens und des vorbehaltlosen Sicheinrichtens in deutschen Verhältnissen noch nicht zu haben war. Trotzdem wagten der Elsässer und seine Freunde den Schritt, und sie sind auch im wesentlichen ihrem damals aufgestellten Programm treu geblieben. Freiherr von Hertling hätte daher mit gutem Recht sagen können, daß diese Ver¬ treter der Zentrumspartei in Elsaß-Lothringen zu den Anhängern des deutscheu Gedankens und des engen Anschlusses an das geeinigte Deutschland gehörten. Aber das Gebilde, das sich heute elsaß-Iothringisches Zentrum nennt, besteht nicht allein aus diesem Kreis überzeugter Vorkämpfer des Zentrumsgedankens, sondern es umfaßt auch den größten Teil der reichsländischen politisch orga¬ nisierten Klerikalen, die vor kurzem noch als seine Gegner auftraten. Wie diese dazu gekommen sind, sich der Partei anzuschließen, welche Rolle sie in ihr spielen, das lehren die Kämpfe, die in den letzten zehn Jahren zuerst um die Parteigründung selbst und dann, als diese durchgesetzt war und eine immer stärker werdende Anziehung auf die katholische Wählerschaft ausübte, um die Vorherrschaft in ihr zwischen den verschiedenen Richtungen geführt wurden. Als vor nunmehr neun Jahren die Frage des Anschlusses an das alt¬ deutsche Zentrum im elsässischen Klerikalismus erörtert wurde, Wetterlö mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/112>, abgerufen am 03.07.2024.