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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Das Zentrum in Llsnß-Lothringen

beider Nationalitäten fehlte. Während daher in protestantischen Kreisen an sich
die Zahl derjenigen, die sich die Zuneigung zu Deutschland bewahrt hatten
und mit der Rückkehr zum Deutschen Reich zufrieden waren, relativ weit größer
war als die der Katholiken, die sich mit dem Umschwung der Verhältnisse aus¬
gesöhnt hatten, schien die Annäherung zwischen den einheimischen Kreisen, die
innerlich noch an Frankreich hingen, und den eingewanderten Altdeutschen im
katholischen Lager viel schnellere Fortschritte machen zu sollen. Es gab damals
im Elsaß wie in Lothringen schon einheimische katholische Geistliche, die das
Zentrum nicht nur als festen Schutzwall für ihre bedrohten konfessionellen
Interessen, sondern auch als Mittel zur Versöhnung der beiden national getrennten
Bevölkerungsschichten betrachteten. Und jedenfalls waren sie sich darüber voll¬
ständig klar, daß der Anschluß ans Zentrum politisch nichts anderes bedeuten
konnte, als Aussöhnung mit den bestehenden Verhältnissen und Teilnahme an der
Politik des Reiches. Sie waren gleichwohl entschlossen, diesen Schritt zu tun; und
ihr Beispiel würde wohl viele ihrer Landsleute zur Nachahmung veranlaßt haben.

Aber noch war es offenbar zu früh zu einem solchen parteipolitischer Ver¬
schmelzungsprozeß zwischen Altdeutschland und dem wiedergewonnenen Grenz¬
lande. Französisch gesinnte Chauvinisten und Protestler auf der einen Seite,
anmaßende und ungeschickte Dränger aus der anderen schadeten den empfind¬
lichen Keimen der Verständigung. Das tief eingewurzelte Mißtrauen gegen die
Beamten unter den altdeutschen Katholiken, an deren Unabhängigkeit von höheren,
meist liberalen Einflüssen man in einheimischen Kreisen nicht glauben wollte,
verletzte die eingewanderten Deutschen, die ihrerseits wieder bei Gemeinderats¬
wahlen und ähnlichen lokalpolitischen Vorgängen ein gewisses Mißtrauen gegen
einheimische katholische Kandidaten bekundeten, so daß deren Anhänger über
Untreue und Unzuverlässigkeit der Altdeutschen klagten. Dennoch kam es in Metz
1892 noch zu einem geschlossenen Zusammengehen beider Teile bei der Unter¬
stützung der Reichstagskandidatur des Altlothringers L>r. Haas und zur Gründung
eines katholischen Volksvereins, in dem eine deutsche und eine französische
Sektion sich zu gemeinsamer Arbeit zusammenfanden und in dem man auf
beiden Seiten die Urzelle einer starken Zentrumsorgmnsatiou in Lothringen erblickte.

Aber gerade dieser Volksverein sollte für die Verwirklichung des Zentrums¬
gedankens im Reichslande verhängnisvoll werden. Bei Vorstmidswahlen, die
im Jahre 1893 stattfanden, wurden der einheimische Präsident und einige ein¬
heimische Vertrauensmänner nicht wiedergewählt. Die einheimischen Mitglieder
fühlten sich entrechtet, das gegenseitige Vertrauen war endgültig vernichtet; die
Absicht, gemeinsam eine Zentrumsorganisation zu schaffen, wurde begraben.
So hatte das Nationalitätenprinzip den Sieg über eine Parteigründung davon¬
getragen, die zu damaligen Zeiten unbedingt eine Förderung des Reichs¬
gedankens und des Deutschtums in Lothringen bedeutet hätte.

Im Elsaß hatte sich in derselben Zeit die Ausbreitung der Zentrumsidee
weniger verheißungsvoll vollzogen, sie brach infolgedessen aber auch nicht so


Das Zentrum in Llsnß-Lothringen

beider Nationalitäten fehlte. Während daher in protestantischen Kreisen an sich
die Zahl derjenigen, die sich die Zuneigung zu Deutschland bewahrt hatten
und mit der Rückkehr zum Deutschen Reich zufrieden waren, relativ weit größer
war als die der Katholiken, die sich mit dem Umschwung der Verhältnisse aus¬
gesöhnt hatten, schien die Annäherung zwischen den einheimischen Kreisen, die
innerlich noch an Frankreich hingen, und den eingewanderten Altdeutschen im
katholischen Lager viel schnellere Fortschritte machen zu sollen. Es gab damals
im Elsaß wie in Lothringen schon einheimische katholische Geistliche, die das
Zentrum nicht nur als festen Schutzwall für ihre bedrohten konfessionellen
Interessen, sondern auch als Mittel zur Versöhnung der beiden national getrennten
Bevölkerungsschichten betrachteten. Und jedenfalls waren sie sich darüber voll¬
ständig klar, daß der Anschluß ans Zentrum politisch nichts anderes bedeuten
konnte, als Aussöhnung mit den bestehenden Verhältnissen und Teilnahme an der
Politik des Reiches. Sie waren gleichwohl entschlossen, diesen Schritt zu tun; und
ihr Beispiel würde wohl viele ihrer Landsleute zur Nachahmung veranlaßt haben.

Aber noch war es offenbar zu früh zu einem solchen parteipolitischer Ver¬
schmelzungsprozeß zwischen Altdeutschland und dem wiedergewonnenen Grenz¬
lande. Französisch gesinnte Chauvinisten und Protestler auf der einen Seite,
anmaßende und ungeschickte Dränger aus der anderen schadeten den empfind¬
lichen Keimen der Verständigung. Das tief eingewurzelte Mißtrauen gegen die
Beamten unter den altdeutschen Katholiken, an deren Unabhängigkeit von höheren,
meist liberalen Einflüssen man in einheimischen Kreisen nicht glauben wollte,
verletzte die eingewanderten Deutschen, die ihrerseits wieder bei Gemeinderats¬
wahlen und ähnlichen lokalpolitischen Vorgängen ein gewisses Mißtrauen gegen
einheimische katholische Kandidaten bekundeten, so daß deren Anhänger über
Untreue und Unzuverlässigkeit der Altdeutschen klagten. Dennoch kam es in Metz
1892 noch zu einem geschlossenen Zusammengehen beider Teile bei der Unter¬
stützung der Reichstagskandidatur des Altlothringers L>r. Haas und zur Gründung
eines katholischen Volksvereins, in dem eine deutsche und eine französische
Sektion sich zu gemeinsamer Arbeit zusammenfanden und in dem man auf
beiden Seiten die Urzelle einer starken Zentrumsorgmnsatiou in Lothringen erblickte.

Aber gerade dieser Volksverein sollte für die Verwirklichung des Zentrums¬
gedankens im Reichslande verhängnisvoll werden. Bei Vorstmidswahlen, die
im Jahre 1893 stattfanden, wurden der einheimische Präsident und einige ein¬
heimische Vertrauensmänner nicht wiedergewählt. Die einheimischen Mitglieder
fühlten sich entrechtet, das gegenseitige Vertrauen war endgültig vernichtet; die
Absicht, gemeinsam eine Zentrumsorganisation zu schaffen, wurde begraben.
So hatte das Nationalitätenprinzip den Sieg über eine Parteigründung davon¬
getragen, die zu damaligen Zeiten unbedingt eine Förderung des Reichs¬
gedankens und des Deutschtums in Lothringen bedeutet hätte.

Im Elsaß hatte sich in derselben Zeit die Ausbreitung der Zentrumsidee
weniger verheißungsvoll vollzogen, sie brach infolgedessen aber auch nicht so


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[0111] Das Zentrum in Llsnß-Lothringen beider Nationalitäten fehlte. Während daher in protestantischen Kreisen an sich die Zahl derjenigen, die sich die Zuneigung zu Deutschland bewahrt hatten und mit der Rückkehr zum Deutschen Reich zufrieden waren, relativ weit größer war als die der Katholiken, die sich mit dem Umschwung der Verhältnisse aus¬ gesöhnt hatten, schien die Annäherung zwischen den einheimischen Kreisen, die innerlich noch an Frankreich hingen, und den eingewanderten Altdeutschen im katholischen Lager viel schnellere Fortschritte machen zu sollen. Es gab damals im Elsaß wie in Lothringen schon einheimische katholische Geistliche, die das Zentrum nicht nur als festen Schutzwall für ihre bedrohten konfessionellen Interessen, sondern auch als Mittel zur Versöhnung der beiden national getrennten Bevölkerungsschichten betrachteten. Und jedenfalls waren sie sich darüber voll¬ ständig klar, daß der Anschluß ans Zentrum politisch nichts anderes bedeuten konnte, als Aussöhnung mit den bestehenden Verhältnissen und Teilnahme an der Politik des Reiches. Sie waren gleichwohl entschlossen, diesen Schritt zu tun; und ihr Beispiel würde wohl viele ihrer Landsleute zur Nachahmung veranlaßt haben. Aber noch war es offenbar zu früh zu einem solchen parteipolitischer Ver¬ schmelzungsprozeß zwischen Altdeutschland und dem wiedergewonnenen Grenz¬ lande. Französisch gesinnte Chauvinisten und Protestler auf der einen Seite, anmaßende und ungeschickte Dränger aus der anderen schadeten den empfind¬ lichen Keimen der Verständigung. Das tief eingewurzelte Mißtrauen gegen die Beamten unter den altdeutschen Katholiken, an deren Unabhängigkeit von höheren, meist liberalen Einflüssen man in einheimischen Kreisen nicht glauben wollte, verletzte die eingewanderten Deutschen, die ihrerseits wieder bei Gemeinderats¬ wahlen und ähnlichen lokalpolitischen Vorgängen ein gewisses Mißtrauen gegen einheimische katholische Kandidaten bekundeten, so daß deren Anhänger über Untreue und Unzuverlässigkeit der Altdeutschen klagten. Dennoch kam es in Metz 1892 noch zu einem geschlossenen Zusammengehen beider Teile bei der Unter¬ stützung der Reichstagskandidatur des Altlothringers L>r. Haas und zur Gründung eines katholischen Volksvereins, in dem eine deutsche und eine französische Sektion sich zu gemeinsamer Arbeit zusammenfanden und in dem man auf beiden Seiten die Urzelle einer starken Zentrumsorgmnsatiou in Lothringen erblickte. Aber gerade dieser Volksverein sollte für die Verwirklichung des Zentrums¬ gedankens im Reichslande verhängnisvoll werden. Bei Vorstmidswahlen, die im Jahre 1893 stattfanden, wurden der einheimische Präsident und einige ein¬ heimische Vertrauensmänner nicht wiedergewählt. Die einheimischen Mitglieder fühlten sich entrechtet, das gegenseitige Vertrauen war endgültig vernichtet; die Absicht, gemeinsam eine Zentrumsorganisation zu schaffen, wurde begraben. So hatte das Nationalitätenprinzip den Sieg über eine Parteigründung davon¬ getragen, die zu damaligen Zeiten unbedingt eine Förderung des Reichs¬ gedankens und des Deutschtums in Lothringen bedeutet hätte. Im Elsaß hatte sich in derselben Zeit die Ausbreitung der Zentrumsidee weniger verheißungsvoll vollzogen, sie brach infolgedessen aber auch nicht so

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/111>, abgerufen am 03.07.2024.