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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Reichsspicgel

ist seitens der parteioffiziösen Presse energisch zurückgewiesen. Die Angriffe
gegen Bassermann gehen von den Kreisen aus, die eine Sprengung der national¬
liberalen Partei herbeiführen wollen, um die gesamten Vertreter der Industrie
im Lager der Rechten zu vereinen und um die Jungliberalen dem Freisinn zu
überliefern.

Der Gedanke, die nationale Mittelpartei zu beseitigen, ist nicht neu. Doch
ist man immer wieder davon abgekommen. Was in England und bald auch
in Rußland als natürlich und gesund angesehen werden kann, läßt sich auf
die deutschen Verhältnisse nicht übertragen, weil wir auch nach dein Ausfall
der nationalliberalen Partei immer eine Mittelpartei haben würden, solange
das katholische Zentrum besteht.

Dies Zentrum, das durch seine Angehörigen alle Staatsanffassungen, die
überhaupt denkbar sind, in sich vereinigt, dies Zentrum, das zugleich national
und kosmopolitisch sein kann, würde nach dem Fortfall einer nationalen
Mittelpartei noch mehr die Reichspolitik beeinflussen, als wie es schon in den
letzten Jahren der Fall war. Gegen diese Möglichkeit gilt es ein Bollwerk
zu erhalten, eben eine liberale Mittelpartei. Liberal muß diese Partei
sein, um der Nation die Ideale erhalten zu können, die sie seit der
Reformation vorangeführt haben. Liberal muß diese Partei sein, weil
sowohl in der konservativen Partei wie in der sozialdemokratischen Neigungen
versteckt sind, die in kritischen Augenblicken der Macht des Zentrums nur förderlich
sein können -- hier das natürliche Bedürfnis nach Anlehnung an einen Glauben,
das die liberalen Parteien der Gegenwart nur scheinbar zu befriedigen ver¬
mögen, dort die Hinneigung zum Klerikalismus, die selbst die Grenze zwischen
Katholizismus und Protestantismus zugunsten des ersteren verwischt. Die
politische Organisation der katholischen Kirche bietet den konservativen Politikern
genug verlockende Seiten, als daß der weiter blickende Staatsmann hoffen dürfte,
sie in Zeiten nationaler Not immer auf der rechten Seite zu treffen. Solange
das Reich besteht, hat die nationalliberale Partei diese ihr zugefallene Aufgabe
schlecht und recht erfüllt, und es ist neben ihr noch keine politische Organisation
entstanden, die die Gewähr böte, die große nationale Aufgabe besser durch¬
zuführen. Darum muß die liberale Mittelpartei erhalten bleiben, nicht um
einiger Parlamentarier willen, sondern mit Rücksicht auf die Nation. Der
Fortbestand der Partei aber wäre in Frage gestellt, wenn es gelingen sollte,
nennenswerte Teile dem Führer Bassermann zu entfremden. Dann erst würde
aller Wahrscheinlichkeit nach die Radikalisierung der bürgerlichen Kreise ein¬
treten, für die von gewisser Seite aus Bassermann schon jetzt verantwortlich
gemacht wird. Von einer solchen Radikalisierung oder Linksentwicklung kann
vorläufig noch gar nicht die Rede sein; im Gegenteil läßt sich nachweisen, daß
die freisinnigen Parteien so viele Anschauungen von rechts her übernommen
haben, daß man eher von einer Entwicklung nach rechts sprechen dürfte. Schutz
der nationalen Arbeit, Erhaltung und Ausbau der Wehrmacht, Festhalten an


Reichsspicgel

ist seitens der parteioffiziösen Presse energisch zurückgewiesen. Die Angriffe
gegen Bassermann gehen von den Kreisen aus, die eine Sprengung der national¬
liberalen Partei herbeiführen wollen, um die gesamten Vertreter der Industrie
im Lager der Rechten zu vereinen und um die Jungliberalen dem Freisinn zu
überliefern.

Der Gedanke, die nationale Mittelpartei zu beseitigen, ist nicht neu. Doch
ist man immer wieder davon abgekommen. Was in England und bald auch
in Rußland als natürlich und gesund angesehen werden kann, läßt sich auf
die deutschen Verhältnisse nicht übertragen, weil wir auch nach dein Ausfall
der nationalliberalen Partei immer eine Mittelpartei haben würden, solange
das katholische Zentrum besteht.

Dies Zentrum, das durch seine Angehörigen alle Staatsanffassungen, die
überhaupt denkbar sind, in sich vereinigt, dies Zentrum, das zugleich national
und kosmopolitisch sein kann, würde nach dem Fortfall einer nationalen
Mittelpartei noch mehr die Reichspolitik beeinflussen, als wie es schon in den
letzten Jahren der Fall war. Gegen diese Möglichkeit gilt es ein Bollwerk
zu erhalten, eben eine liberale Mittelpartei. Liberal muß diese Partei
sein, um der Nation die Ideale erhalten zu können, die sie seit der
Reformation vorangeführt haben. Liberal muß diese Partei sein, weil
sowohl in der konservativen Partei wie in der sozialdemokratischen Neigungen
versteckt sind, die in kritischen Augenblicken der Macht des Zentrums nur förderlich
sein können — hier das natürliche Bedürfnis nach Anlehnung an einen Glauben,
das die liberalen Parteien der Gegenwart nur scheinbar zu befriedigen ver¬
mögen, dort die Hinneigung zum Klerikalismus, die selbst die Grenze zwischen
Katholizismus und Protestantismus zugunsten des ersteren verwischt. Die
politische Organisation der katholischen Kirche bietet den konservativen Politikern
genug verlockende Seiten, als daß der weiter blickende Staatsmann hoffen dürfte,
sie in Zeiten nationaler Not immer auf der rechten Seite zu treffen. Solange
das Reich besteht, hat die nationalliberale Partei diese ihr zugefallene Aufgabe
schlecht und recht erfüllt, und es ist neben ihr noch keine politische Organisation
entstanden, die die Gewähr böte, die große nationale Aufgabe besser durch¬
zuführen. Darum muß die liberale Mittelpartei erhalten bleiben, nicht um
einiger Parlamentarier willen, sondern mit Rücksicht auf die Nation. Der
Fortbestand der Partei aber wäre in Frage gestellt, wenn es gelingen sollte,
nennenswerte Teile dem Führer Bassermann zu entfremden. Dann erst würde
aller Wahrscheinlichkeit nach die Radikalisierung der bürgerlichen Kreise ein¬
treten, für die von gewisser Seite aus Bassermann schon jetzt verantwortlich
gemacht wird. Von einer solchen Radikalisierung oder Linksentwicklung kann
vorläufig noch gar nicht die Rede sein; im Gegenteil läßt sich nachweisen, daß
die freisinnigen Parteien so viele Anschauungen von rechts her übernommen
haben, daß man eher von einer Entwicklung nach rechts sprechen dürfte. Schutz
der nationalen Arbeit, Erhaltung und Ausbau der Wehrmacht, Festhalten an


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/100>, abgerufen am 01.07.2024.