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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Bismarcks Freihandcl-politik

waren einer solchen vor allem der Widerstand der Südstaaten, die aus über¬
ängstlichem Partikularismus nicht einmal die Festsetzung aller indirekten Steuern
dem Zollparlament übertrugen und eine Tarifreform, die im alten Zollverein
nur die Zustimmung der Zollvereinsstaaten bedurft hatte, uicht im Wege der
Gesetzgebung, sondern der Handelsverträge bewerkstelligen, also von der Bereit¬
willigkeit außerdeutscher Staaten abhängig machen wollten; hinderlich waren ihr
weiter die Beschränkung der staatlichen Kompetenzen, der das Zollparlament
aus demselben Grunde unterlag, und nicht zuletzt die politischen Rücksichten
(namentlich die Eifersucht Frankreichs über den Ausgang des deutschen Krieges
von 1866), mit denen Bismarcks auswärtige Politik belastet war: hatten doch
alle großen Mächte ein Interesse daran, daß aus der wirtschaftlichen Einigung
Deutschlands möglichst keine politische werde!

An den trockenen Verhandlungen des Zollparlaments über Tarif- und
Finanzfragen, die ohne politische Bedeutung waren, nahm Bismarck kaum
mehr irgendwelchen Anteil. Wie die Zeit, die (um in Ludwig Bambergers
Worten zu reden) erkannte, daß nur in gewaltigen Zeiten sich das Zollvarlament
zu Gewaltigen aufraffen könne, so erwartete auch er nicht mehr das Heil von
dieser Seite; er sah jetzt in der politischen Einigung eine Machtfrage der Zukunft,
die "mit Eisen und Blut" entschieden werden mußte, und konnte ihrer Lösung
getrost entgegensehen, da die Bahnen, in denen sich jene vollziehen mußte, von
ihm mit dem Zollparlament weise festgelegt worden waren.

Wie er schon auf dem Schlachtfelde von Königgrätz eine politische Ver¬
brüderung mit Österreich als das Ziel seiner zukünftigen Politik im Auge hatte,
so erstrebte er zunächst eine Wiederherstellung der durch deu Krieg aufgehobenen
Handelsbeziehungen, um auf diesem Wege in dem letzten Kampfe um die
Einigung Deutschlands die Freundschaft des soeben Besiegten zu gewinnen.
Schon im Februar 1867 mußten aber die Verhandlungen über die Erneuerung
des Handelsvertrages mit Österreich abgebrochen werden, da Preußen durch
Österreichs Forderung, die Weinzölle zu ermäßigen, mit dem französischen
Sonderhandelsvertrag mit Mecklenburg in Konflikt kam, den es zuerst zu brechen
galt. Bismarck benutzte die Gelegenheit, auf diesem Wege Mecklenburg den
Eintritt in den Zollverein zu ermöglichen. Nach Abschluß der Verhandlungen im
Januar 1868 waren alle Hindernisse für einen Vertrag mit Österreich beseitigt
und damit das gute Einvernehmen angebahnt, das Bismarck zu einem glücklichen
Ausgang des deutsch-französischen Krieges nötig hatte.

Zum Schluß noch ein Wort über Bismarcks Umkehr zur autonomen
Handelspolitik! Daß sie nicht plötzlich einsetzte, sondern lange und genau vor¬
bereitet war, wissen wir schon lange. Wann sie sich aber in Bismarcks Kopf
vollzog, ersehen wir auch aus Schneiders Ausführungen nicht deutlich; es wird
erst nach Öffnung der Archive möglich sein. Sicher ist schon jetzt, daß sich mit
der Wendung zur Schutzzollpolitik in Bismarcks Stellung zur Handelspolitik
überhaupt eine prinzipielle Wandlung vollzog; sie berechtigt dazu, seitdem von


Bismarcks Freihandcl-politik

waren einer solchen vor allem der Widerstand der Südstaaten, die aus über¬
ängstlichem Partikularismus nicht einmal die Festsetzung aller indirekten Steuern
dem Zollparlament übertrugen und eine Tarifreform, die im alten Zollverein
nur die Zustimmung der Zollvereinsstaaten bedurft hatte, uicht im Wege der
Gesetzgebung, sondern der Handelsverträge bewerkstelligen, also von der Bereit¬
willigkeit außerdeutscher Staaten abhängig machen wollten; hinderlich waren ihr
weiter die Beschränkung der staatlichen Kompetenzen, der das Zollparlament
aus demselben Grunde unterlag, und nicht zuletzt die politischen Rücksichten
(namentlich die Eifersucht Frankreichs über den Ausgang des deutschen Krieges
von 1866), mit denen Bismarcks auswärtige Politik belastet war: hatten doch
alle großen Mächte ein Interesse daran, daß aus der wirtschaftlichen Einigung
Deutschlands möglichst keine politische werde!

An den trockenen Verhandlungen des Zollparlaments über Tarif- und
Finanzfragen, die ohne politische Bedeutung waren, nahm Bismarck kaum
mehr irgendwelchen Anteil. Wie die Zeit, die (um in Ludwig Bambergers
Worten zu reden) erkannte, daß nur in gewaltigen Zeiten sich das Zollvarlament
zu Gewaltigen aufraffen könne, so erwartete auch er nicht mehr das Heil von
dieser Seite; er sah jetzt in der politischen Einigung eine Machtfrage der Zukunft,
die „mit Eisen und Blut" entschieden werden mußte, und konnte ihrer Lösung
getrost entgegensehen, da die Bahnen, in denen sich jene vollziehen mußte, von
ihm mit dem Zollparlament weise festgelegt worden waren.

Wie er schon auf dem Schlachtfelde von Königgrätz eine politische Ver¬
brüderung mit Österreich als das Ziel seiner zukünftigen Politik im Auge hatte,
so erstrebte er zunächst eine Wiederherstellung der durch deu Krieg aufgehobenen
Handelsbeziehungen, um auf diesem Wege in dem letzten Kampfe um die
Einigung Deutschlands die Freundschaft des soeben Besiegten zu gewinnen.
Schon im Februar 1867 mußten aber die Verhandlungen über die Erneuerung
des Handelsvertrages mit Österreich abgebrochen werden, da Preußen durch
Österreichs Forderung, die Weinzölle zu ermäßigen, mit dem französischen
Sonderhandelsvertrag mit Mecklenburg in Konflikt kam, den es zuerst zu brechen
galt. Bismarck benutzte die Gelegenheit, auf diesem Wege Mecklenburg den
Eintritt in den Zollverein zu ermöglichen. Nach Abschluß der Verhandlungen im
Januar 1868 waren alle Hindernisse für einen Vertrag mit Österreich beseitigt
und damit das gute Einvernehmen angebahnt, das Bismarck zu einem glücklichen
Ausgang des deutsch-französischen Krieges nötig hatte.

Zum Schluß noch ein Wort über Bismarcks Umkehr zur autonomen
Handelspolitik! Daß sie nicht plötzlich einsetzte, sondern lange und genau vor¬
bereitet war, wissen wir schon lange. Wann sie sich aber in Bismarcks Kopf
vollzog, ersehen wir auch aus Schneiders Ausführungen nicht deutlich; es wird
erst nach Öffnung der Archive möglich sein. Sicher ist schon jetzt, daß sich mit
der Wendung zur Schutzzollpolitik in Bismarcks Stellung zur Handelspolitik
überhaupt eine prinzipielle Wandlung vollzog; sie berechtigt dazu, seitdem von


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[0076] Bismarcks Freihandcl-politik waren einer solchen vor allem der Widerstand der Südstaaten, die aus über¬ ängstlichem Partikularismus nicht einmal die Festsetzung aller indirekten Steuern dem Zollparlament übertrugen und eine Tarifreform, die im alten Zollverein nur die Zustimmung der Zollvereinsstaaten bedurft hatte, uicht im Wege der Gesetzgebung, sondern der Handelsverträge bewerkstelligen, also von der Bereit¬ willigkeit außerdeutscher Staaten abhängig machen wollten; hinderlich waren ihr weiter die Beschränkung der staatlichen Kompetenzen, der das Zollparlament aus demselben Grunde unterlag, und nicht zuletzt die politischen Rücksichten (namentlich die Eifersucht Frankreichs über den Ausgang des deutschen Krieges von 1866), mit denen Bismarcks auswärtige Politik belastet war: hatten doch alle großen Mächte ein Interesse daran, daß aus der wirtschaftlichen Einigung Deutschlands möglichst keine politische werde! An den trockenen Verhandlungen des Zollparlaments über Tarif- und Finanzfragen, die ohne politische Bedeutung waren, nahm Bismarck kaum mehr irgendwelchen Anteil. Wie die Zeit, die (um in Ludwig Bambergers Worten zu reden) erkannte, daß nur in gewaltigen Zeiten sich das Zollvarlament zu Gewaltigen aufraffen könne, so erwartete auch er nicht mehr das Heil von dieser Seite; er sah jetzt in der politischen Einigung eine Machtfrage der Zukunft, die „mit Eisen und Blut" entschieden werden mußte, und konnte ihrer Lösung getrost entgegensehen, da die Bahnen, in denen sich jene vollziehen mußte, von ihm mit dem Zollparlament weise festgelegt worden waren. Wie er schon auf dem Schlachtfelde von Königgrätz eine politische Ver¬ brüderung mit Österreich als das Ziel seiner zukünftigen Politik im Auge hatte, so erstrebte er zunächst eine Wiederherstellung der durch deu Krieg aufgehobenen Handelsbeziehungen, um auf diesem Wege in dem letzten Kampfe um die Einigung Deutschlands die Freundschaft des soeben Besiegten zu gewinnen. Schon im Februar 1867 mußten aber die Verhandlungen über die Erneuerung des Handelsvertrages mit Österreich abgebrochen werden, da Preußen durch Österreichs Forderung, die Weinzölle zu ermäßigen, mit dem französischen Sonderhandelsvertrag mit Mecklenburg in Konflikt kam, den es zuerst zu brechen galt. Bismarck benutzte die Gelegenheit, auf diesem Wege Mecklenburg den Eintritt in den Zollverein zu ermöglichen. Nach Abschluß der Verhandlungen im Januar 1868 waren alle Hindernisse für einen Vertrag mit Österreich beseitigt und damit das gute Einvernehmen angebahnt, das Bismarck zu einem glücklichen Ausgang des deutsch-französischen Krieges nötig hatte. Zum Schluß noch ein Wort über Bismarcks Umkehr zur autonomen Handelspolitik! Daß sie nicht plötzlich einsetzte, sondern lange und genau vor¬ bereitet war, wissen wir schon lange. Wann sie sich aber in Bismarcks Kopf vollzog, ersehen wir auch aus Schneiders Ausführungen nicht deutlich; es wird erst nach Öffnung der Archive möglich sein. Sicher ist schon jetzt, daß sich mit der Wendung zur Schutzzollpolitik in Bismarcks Stellung zur Handelspolitik überhaupt eine prinzipielle Wandlung vollzog; sie berechtigt dazu, seitdem von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/76>, abgerufen am 24.07.2024.