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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Bismarcks Freihandelspolitik

Gegner bekämpfen wollte. Die Handelsverträge mit Belgien, England und der
Schweiz, sämtlich im Jahre 1865, unterzeichnete er ohne große Verdienste um
ihr Zustandekommen. Auch an dein Abschluß der Handelsverträge mit Portugal
und Persien (1872) hatte er keinen positiven Anteil, wenn er es auch freudig
begrüßte, daß durch regere wirtschaftliche Beziehungen auch die diplomatischen
erweitert wurden. Mehr Anteil hatte er an der Regelung der Handelsbeziehungen
mit Italien, das nicht nur ein Protokoll, sondern einen Meistbegünstigungs¬
vertrag verlangte. Da ein solch feierlicher Vertrag die Anerkennung des König¬
reiches Italien erforderte, die die Südstaaten mit Rücksicht auf Österreich ver¬
meiden wollten, beschloß Bismarck, der die Wünsche Italiens teilte, die Grundzüge
des soeben mit England abgeschlossenen Handelsvertrages den Verhandlungen
zugrunde zu legen, die der Zollverein unmöglich verweigern konnte, nachdem
er sie eben erst gebilligt. Noch zum Jahresschluß 1865 wurde denn auch der
Vertrag unterzeichnet. Österreichs Opposition beachtete Bismarck nicht, denn
er freute sich, einen Schritt weiter gekommen zu sein auf der Bahn der Hinaus-
trcibung Österreichs aus Deutschland durch Schwächung seines Einflusses auf
den Zollverein und durch Gewinnung seiner Gegner zu wirtschaftlichen und bald
auch politischen Bundesgenossen.

Keinen Erfolg hatte in diesen und auch in späteren Jahren die westmächt-
liche freihändlerische Wirtschaftspolitik Bismarcks in Rußland, das in handels¬
politischen Fragen außerordentlich rückständig keinen Vorteil aus Zollbeschränkungen
anerkannte"). Darum scheiterten später selbst die Verhandlungen über einen
harmlosen Schiffahrtsvertrag, um den sich Bismarck eifrig bemühte, weil Rußland
auch damals jeden Schein einer Freihandelspolitik vermeiden wollte.

Im Jahre 1867 hatte Bismarck den Zollverein, der immer seine Voraus¬
setzung für das Ziel -- Preußens Führung in Deutschland -- war, zum
Zollparlament umgestaltet. Aus einem wirtschaftlichen Staatenbund war damit
ein wirtschaftlicher Bundesstaat geworden, der die Grundlage bilden sollte für
eine baldige politische Einigung. Unter großen Schwierigkeiten und hauptsächlich
dank der tulauten Art seiner diplomatischen Verhandlungen mit den eifersüchtig
auf ihrer Souveränität pochenden Südstaaten hatte er einen Teil seiner Aufgabe
glücklich gelöst. Das freie Einspruchsrecht der einzelnen Zollvereinsstaaten war
beseitigt, an Stelle der ewig lagerten schwerfälligen Generalkonferenzen war ein
Zollbundesrat getreten als Repräsentation der Regierungen unter Preußens
Vorsitz, dazu als Gesamtvertretung des deutschen Volkes ein Zollparlament, das
aus allgemeinen Wahlen hervorgehen sollte.

Trotzdem erreichte Bismarck nicht, wie er gehofft, auf organischem Wege
mit dieser Neuerung das große Endziel, die Begründung des Reiches. Hinderlich



") Allerdings machte Wohl auch die Rücksicht auf die Interessen der deutschen Seestädte
die Beibehaltung eines die Landcinfuhr deutscher Waren begünstigenden Differeutialzolls
unmöglich. Vgl. (auch zum Folgenden) Valentin WittschewSku, Rußlands Handels-, Zoll-
"ut Jndustriepolitik,' Berlin 1805, S. 132 f.
Bismarcks Freihandelspolitik

Gegner bekämpfen wollte. Die Handelsverträge mit Belgien, England und der
Schweiz, sämtlich im Jahre 1865, unterzeichnete er ohne große Verdienste um
ihr Zustandekommen. Auch an dein Abschluß der Handelsverträge mit Portugal
und Persien (1872) hatte er keinen positiven Anteil, wenn er es auch freudig
begrüßte, daß durch regere wirtschaftliche Beziehungen auch die diplomatischen
erweitert wurden. Mehr Anteil hatte er an der Regelung der Handelsbeziehungen
mit Italien, das nicht nur ein Protokoll, sondern einen Meistbegünstigungs¬
vertrag verlangte. Da ein solch feierlicher Vertrag die Anerkennung des König¬
reiches Italien erforderte, die die Südstaaten mit Rücksicht auf Österreich ver¬
meiden wollten, beschloß Bismarck, der die Wünsche Italiens teilte, die Grundzüge
des soeben mit England abgeschlossenen Handelsvertrages den Verhandlungen
zugrunde zu legen, die der Zollverein unmöglich verweigern konnte, nachdem
er sie eben erst gebilligt. Noch zum Jahresschluß 1865 wurde denn auch der
Vertrag unterzeichnet. Österreichs Opposition beachtete Bismarck nicht, denn
er freute sich, einen Schritt weiter gekommen zu sein auf der Bahn der Hinaus-
trcibung Österreichs aus Deutschland durch Schwächung seines Einflusses auf
den Zollverein und durch Gewinnung seiner Gegner zu wirtschaftlichen und bald
auch politischen Bundesgenossen.

Keinen Erfolg hatte in diesen und auch in späteren Jahren die westmächt-
liche freihändlerische Wirtschaftspolitik Bismarcks in Rußland, das in handels¬
politischen Fragen außerordentlich rückständig keinen Vorteil aus Zollbeschränkungen
anerkannte"). Darum scheiterten später selbst die Verhandlungen über einen
harmlosen Schiffahrtsvertrag, um den sich Bismarck eifrig bemühte, weil Rußland
auch damals jeden Schein einer Freihandelspolitik vermeiden wollte.

Im Jahre 1867 hatte Bismarck den Zollverein, der immer seine Voraus¬
setzung für das Ziel — Preußens Führung in Deutschland — war, zum
Zollparlament umgestaltet. Aus einem wirtschaftlichen Staatenbund war damit
ein wirtschaftlicher Bundesstaat geworden, der die Grundlage bilden sollte für
eine baldige politische Einigung. Unter großen Schwierigkeiten und hauptsächlich
dank der tulauten Art seiner diplomatischen Verhandlungen mit den eifersüchtig
auf ihrer Souveränität pochenden Südstaaten hatte er einen Teil seiner Aufgabe
glücklich gelöst. Das freie Einspruchsrecht der einzelnen Zollvereinsstaaten war
beseitigt, an Stelle der ewig lagerten schwerfälligen Generalkonferenzen war ein
Zollbundesrat getreten als Repräsentation der Regierungen unter Preußens
Vorsitz, dazu als Gesamtvertretung des deutschen Volkes ein Zollparlament, das
aus allgemeinen Wahlen hervorgehen sollte.

Trotzdem erreichte Bismarck nicht, wie er gehofft, auf organischem Wege
mit dieser Neuerung das große Endziel, die Begründung des Reiches. Hinderlich



") Allerdings machte Wohl auch die Rücksicht auf die Interessen der deutschen Seestädte
die Beibehaltung eines die Landcinfuhr deutscher Waren begünstigenden Differeutialzolls
unmöglich. Vgl. (auch zum Folgenden) Valentin WittschewSku, Rußlands Handels-, Zoll-
»ut Jndustriepolitik,' Berlin 1805, S. 132 f.
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[0075] Bismarcks Freihandelspolitik Gegner bekämpfen wollte. Die Handelsverträge mit Belgien, England und der Schweiz, sämtlich im Jahre 1865, unterzeichnete er ohne große Verdienste um ihr Zustandekommen. Auch an dein Abschluß der Handelsverträge mit Portugal und Persien (1872) hatte er keinen positiven Anteil, wenn er es auch freudig begrüßte, daß durch regere wirtschaftliche Beziehungen auch die diplomatischen erweitert wurden. Mehr Anteil hatte er an der Regelung der Handelsbeziehungen mit Italien, das nicht nur ein Protokoll, sondern einen Meistbegünstigungs¬ vertrag verlangte. Da ein solch feierlicher Vertrag die Anerkennung des König¬ reiches Italien erforderte, die die Südstaaten mit Rücksicht auf Österreich ver¬ meiden wollten, beschloß Bismarck, der die Wünsche Italiens teilte, die Grundzüge des soeben mit England abgeschlossenen Handelsvertrages den Verhandlungen zugrunde zu legen, die der Zollverein unmöglich verweigern konnte, nachdem er sie eben erst gebilligt. Noch zum Jahresschluß 1865 wurde denn auch der Vertrag unterzeichnet. Österreichs Opposition beachtete Bismarck nicht, denn er freute sich, einen Schritt weiter gekommen zu sein auf der Bahn der Hinaus- trcibung Österreichs aus Deutschland durch Schwächung seines Einflusses auf den Zollverein und durch Gewinnung seiner Gegner zu wirtschaftlichen und bald auch politischen Bundesgenossen. Keinen Erfolg hatte in diesen und auch in späteren Jahren die westmächt- liche freihändlerische Wirtschaftspolitik Bismarcks in Rußland, das in handels¬ politischen Fragen außerordentlich rückständig keinen Vorteil aus Zollbeschränkungen anerkannte"). Darum scheiterten später selbst die Verhandlungen über einen harmlosen Schiffahrtsvertrag, um den sich Bismarck eifrig bemühte, weil Rußland auch damals jeden Schein einer Freihandelspolitik vermeiden wollte. Im Jahre 1867 hatte Bismarck den Zollverein, der immer seine Voraus¬ setzung für das Ziel — Preußens Führung in Deutschland — war, zum Zollparlament umgestaltet. Aus einem wirtschaftlichen Staatenbund war damit ein wirtschaftlicher Bundesstaat geworden, der die Grundlage bilden sollte für eine baldige politische Einigung. Unter großen Schwierigkeiten und hauptsächlich dank der tulauten Art seiner diplomatischen Verhandlungen mit den eifersüchtig auf ihrer Souveränität pochenden Südstaaten hatte er einen Teil seiner Aufgabe glücklich gelöst. Das freie Einspruchsrecht der einzelnen Zollvereinsstaaten war beseitigt, an Stelle der ewig lagerten schwerfälligen Generalkonferenzen war ein Zollbundesrat getreten als Repräsentation der Regierungen unter Preußens Vorsitz, dazu als Gesamtvertretung des deutschen Volkes ein Zollparlament, das aus allgemeinen Wahlen hervorgehen sollte. Trotzdem erreichte Bismarck nicht, wie er gehofft, auf organischem Wege mit dieser Neuerung das große Endziel, die Begründung des Reiches. Hinderlich ") Allerdings machte Wohl auch die Rücksicht auf die Interessen der deutschen Seestädte die Beibehaltung eines die Landcinfuhr deutscher Waren begünstigenden Differeutialzolls unmöglich. Vgl. (auch zum Folgenden) Valentin WittschewSku, Rußlands Handels-, Zoll- »ut Jndustriepolitik,' Berlin 1805, S. 132 f.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/75>, abgerufen am 24.07.2024.