Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.Die Lösung des Bagdadbahnproblems achtung führte zu dem Entschluß, das türkische Eisenbahnnetz, insbesondere die Als Eduard des Siebenten erkaltete Hand die so fein verworrenen Fäden Die Lösung des Bagdadbahnproblems achtung führte zu dem Entschluß, das türkische Eisenbahnnetz, insbesondere die Als Eduard des Siebenten erkaltete Hand die so fein verworrenen Fäden <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0650" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/318263"/> <fw type="header" place="top"> Die Lösung des Bagdadbahnproblems</fw><lb/> <p xml:id="ID_2948" prev="#ID_2947"> achtung führte zu dem Entschluß, das türkische Eisenbahnnetz, insbesondere die<lb/> Badgadbahn, in beschleunigtem Tempo weiter auszubauen. Da aber trat wieder<lb/> England hindernd dazwischen. Es hinderte die Türkei an der Nutzung neuer<lb/> Geldquellen und benutzte seinen Einfluß in der Schuldenverwaltung, um eine<lb/> neuerliche Erhöhung der Einfuhrzölle um 4 Prozent (erste Erhöhung 1907 um<lb/> 3 Prozent) von der Bestimmung abhängig zu machen, daß die aus der Erhöhung<lb/> erzielten Einnahmen keiner ausländischen Eisenbahngesellschaft in irgend einer<lb/> Form zufließen dürften. Damit war der Weiterbau der Bagdadbahu über El Heils<lb/> hinaus wieder für Jahre in Frage gestellt! Die Deutsche Bank konnte, da sie<lb/> lediglich wirtschaftliche und keine politischen Werte suchte, von der Erhöhung der<lb/> Kilometergarantie zunächst nicht abgehen. Damit aber war das Bagdadbahn¬<lb/> unternehmen, das bis dahin nur in der Phantasie der englischen Diplomatie einen<lb/> politischen Vorstoß Deutschlands gegen England darstellte, durch das Verhalten<lb/> Englands auch für die Türkei zu einer politischen Lebensfrage geworden, an der<lb/> die Zukunft des Osmanischen Reiches hing. Die Bagdadbahnangelegenheit, zu<lb/> einem deutsch-englisch-russischen Streit gestempelt, ballte sich zu einem schier unent¬<lb/> wirrbaren Knäuel zusammen, den schließlich niemand anzurühren wagte, weil er<lb/> den Weltkrieg in sich barg.</p><lb/> <p xml:id="ID_2949" next="#ID_2950"> Als Eduard des Siebenten erkaltete Hand die so fein verworrenen Fäden<lb/> fallen ließ, nahm sie der Leiter der deutschen auswärtigen Politik, Herr v. Kiderlen-<lb/> Wächter, auf, ein'Kenner des Orients und seit Jahren gelassener Beobachter des<lb/> englischen Spiels. Mit kundiger Hand ergriff er das richtige Ende des Fadens.<lb/> Herr Ssasonow kam aus Petersburg nach Potsdam. Deutschland erkannte die<lb/> aus dem Vertrag von 1907 resultierenden Interessen Rußlands in Nordpersien<lb/> als bestehend an, wogegen Rußland sich verpflichtete, dem Weiterbau der Bagdad¬<lb/> bahn nach Persien hinein keinerlei Schwierigkeiten zu bereiten und selbst eine<lb/> Verbindung zwischen Changkin und dem Kaukasus zu schaffen. Damit aber war<lb/> der englische Widerstand entkräftet; denn wenn die Bahn zum Persischen Golf<lb/> auch nicht gebaut werden sollte, so standen doch ihrem Bau an die indische Grenze ernst¬<lb/> hafte Schwierigkeiten nicht mehr entgegen. Die Bagdadbahn sank anch für<lb/> die englische Diplomatie zu einer in erster Linie wirtschaftlichen<lb/> Bedeutung herab. Nachdem so die Diplomatie die Luft gereinigt hatte, galt<lb/> es einen Modus zu finden, der Bagdadbahngesellschaft für den Bau freie Bahn<lb/> zu geben. Das nun ist gelungen durch die Konventionen vom 21. März<lb/> dieses Jahres. Ohne große Opfer von deutscher Seite war es zwar nicht möglich.<lb/> Diese aber sind gebracht worden, indem Herr v. Gwinner auf eine Ausdehnung<lb/> des Pfandrechts auf die Einnahmen aus der Zollerhöhung verzichtete und indem<lb/> er einen Teil der Konzession, nämlich die Strecke Bagdad — Persischer Golf, in die<lb/> Hand der türkischen Regierung unter den Bedingungen zurücklegte, wie sie bereits<lb/> im Jahre 1908 für die ganze Bahn angeboten worden waren, damit es englischen<lb/> Interessenten ermöglicht wird, sich noch am Bau der letzten Strecke der Bahn zu<lb/> beteiligen. Die Türkei ihrerseits hat der Bagdadbahngesellschaft die Konzession<lb/> zum Bau einer sechzig Kilometer langen Linie von Alexandrette am Mittelländischen<lb/> Meer bis Osmanieh an der Haupttrace der Bagdadbahn, sowie zur Anlage eines<lb/> Hafens in Alexandrette erteilt. Die wirtschaftliche Bedeutung der scheinbar winzigen<lb/> Konzession erhellt am besten daraus, daß England selbst den Plan erwog, von</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0650]
Die Lösung des Bagdadbahnproblems
achtung führte zu dem Entschluß, das türkische Eisenbahnnetz, insbesondere die
Badgadbahn, in beschleunigtem Tempo weiter auszubauen. Da aber trat wieder
England hindernd dazwischen. Es hinderte die Türkei an der Nutzung neuer
Geldquellen und benutzte seinen Einfluß in der Schuldenverwaltung, um eine
neuerliche Erhöhung der Einfuhrzölle um 4 Prozent (erste Erhöhung 1907 um
3 Prozent) von der Bestimmung abhängig zu machen, daß die aus der Erhöhung
erzielten Einnahmen keiner ausländischen Eisenbahngesellschaft in irgend einer
Form zufließen dürften. Damit war der Weiterbau der Bagdadbahu über El Heils
hinaus wieder für Jahre in Frage gestellt! Die Deutsche Bank konnte, da sie
lediglich wirtschaftliche und keine politischen Werte suchte, von der Erhöhung der
Kilometergarantie zunächst nicht abgehen. Damit aber war das Bagdadbahn¬
unternehmen, das bis dahin nur in der Phantasie der englischen Diplomatie einen
politischen Vorstoß Deutschlands gegen England darstellte, durch das Verhalten
Englands auch für die Türkei zu einer politischen Lebensfrage geworden, an der
die Zukunft des Osmanischen Reiches hing. Die Bagdadbahnangelegenheit, zu
einem deutsch-englisch-russischen Streit gestempelt, ballte sich zu einem schier unent¬
wirrbaren Knäuel zusammen, den schließlich niemand anzurühren wagte, weil er
den Weltkrieg in sich barg.
Als Eduard des Siebenten erkaltete Hand die so fein verworrenen Fäden
fallen ließ, nahm sie der Leiter der deutschen auswärtigen Politik, Herr v. Kiderlen-
Wächter, auf, ein'Kenner des Orients und seit Jahren gelassener Beobachter des
englischen Spiels. Mit kundiger Hand ergriff er das richtige Ende des Fadens.
Herr Ssasonow kam aus Petersburg nach Potsdam. Deutschland erkannte die
aus dem Vertrag von 1907 resultierenden Interessen Rußlands in Nordpersien
als bestehend an, wogegen Rußland sich verpflichtete, dem Weiterbau der Bagdad¬
bahn nach Persien hinein keinerlei Schwierigkeiten zu bereiten und selbst eine
Verbindung zwischen Changkin und dem Kaukasus zu schaffen. Damit aber war
der englische Widerstand entkräftet; denn wenn die Bahn zum Persischen Golf
auch nicht gebaut werden sollte, so standen doch ihrem Bau an die indische Grenze ernst¬
hafte Schwierigkeiten nicht mehr entgegen. Die Bagdadbahn sank anch für
die englische Diplomatie zu einer in erster Linie wirtschaftlichen
Bedeutung herab. Nachdem so die Diplomatie die Luft gereinigt hatte, galt
es einen Modus zu finden, der Bagdadbahngesellschaft für den Bau freie Bahn
zu geben. Das nun ist gelungen durch die Konventionen vom 21. März
dieses Jahres. Ohne große Opfer von deutscher Seite war es zwar nicht möglich.
Diese aber sind gebracht worden, indem Herr v. Gwinner auf eine Ausdehnung
des Pfandrechts auf die Einnahmen aus der Zollerhöhung verzichtete und indem
er einen Teil der Konzession, nämlich die Strecke Bagdad — Persischer Golf, in die
Hand der türkischen Regierung unter den Bedingungen zurücklegte, wie sie bereits
im Jahre 1908 für die ganze Bahn angeboten worden waren, damit es englischen
Interessenten ermöglicht wird, sich noch am Bau der letzten Strecke der Bahn zu
beteiligen. Die Türkei ihrerseits hat der Bagdadbahngesellschaft die Konzession
zum Bau einer sechzig Kilometer langen Linie von Alexandrette am Mittelländischen
Meer bis Osmanieh an der Haupttrace der Bagdadbahn, sowie zur Anlage eines
Hafens in Alexandrette erteilt. Die wirtschaftliche Bedeutung der scheinbar winzigen
Konzession erhellt am besten daraus, daß England selbst den Plan erwog, von
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