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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Probleme des Industricbezirks

außerordentlich Wichtiges -- durch Anwendung polizeilicher Machtmittel und durch
praktische Bodenpolitik -- erreichen und haben es hier und da erreicht. Man
hat vor allen Dingen Ordnung und durch Ordnung Raum geschaffen, dem
Verkehr sind breite, durchgehende Straßen eröffnet, den Wohustraßen ist eine
angemessenere, hübschere Anlage gegeben, Spielplätze und Parkanlagen beleben
das Stadtbild, es sind Geschäftsviertel, Fabrikviertel, Arbeiterquartiere und
Villenviertel unter besonders sür sie gegebenen Bedingungen entstanden. Eine
vorausschauende Bodenpolitik hat den Städten nicht bloß den finanziell vorteil¬
haften Erwerb eigenen Verwaltungsvermögens, sondern auch zum Teil die
Bereitstellung billiger Bauplätze für die Wohnungsbedürfnisse des kleineren und
besseren Mittelstandes ermöglicht. Vergleicht man aber die Anläufe dieser
Entwickelung mit dem unbedingt notwendigen und -- das kann nicht scharf
genug hervorgehoben werden -- erreichbaren Ziel, so bleibt ein erschreckender
Abstand!

Man braucht kein Fanatiker der Bodenreform zu sein, um das Ideal, um
dessentwillen diese Bewegung so energisch ihre Theorien versieht, sür ein innig
erstrebenswertes zu halten, und es gibt vielleicht nichts Entscheidenderes gegen
diese Partei, als der Hinweis, daß die Bekämpfung der Wohnungsnot nicht
allgemein vom Boden irgendeiner Theorie aus, sondern von Fall zu Fall auf
Grund praktischer Versuche allein erfolgreich gewesen ist. Um so mehr muß es
wundernehmen, daß nur von so wenig Stellen aus Versuche in Angriff genommen
werden. Daß die Selbsthilfe hier versagen muß, so anregend ihre Unternehmungen
mich wirken, kann dem Unbefangenen nicht entgehen. Die Erfolge sind, trotz
aller achtenswerter Leistungen im einzelnen, zu genug, um für die Lösung dieses
allgemeinen Problems in Betracht zu kommen. Nun richten sich alle Hoffnungen
auf den sogenannten Munizipalsozialismus. Aber es muß hervorgehoben werden,
daß nur kapitalkräftige, größere Städte dafür in Betracht kommen, und daß
gerade sie, weil sie Organisationen eines energisch vorwärts drängenden, auf
Gewinn und Erwerb bedachten und jeder Beschränkung freier Bethätigung abholden
Bürgertums darstellen, ihrer ganzen Struktur nach für Durchführung einer um¬
fassenden Wohnungs- und Bodenpolitik wenig geeignet sind. Es ist ein Zeichen
des hohen sozialen Sinnes, der unsere Zeit durchflutet, daß die Städte auch
dieser Aufgabe ihre Kräfte nicht versagen. Aber man soll auch nicht Unmög¬
liches verlangen.

Das lehrt schon der durch reiche Erfahrung gestützte, maßvolle und daher
eben wirksame Widerspruch, den der Düsseldorfer Oberbürgermeister Marx auf
dem letzten Wiener Kongreß des Vereins für Sozialpolitik erhoben hat. Die
Stadt muß schließlich dem obersten Gesetz jedes lebendigen Organismus gehorchen,
dem der Selbstbehauptung. Sie steht nicht allein, sie kann nicht dulden, daß
Industrie und Arbeiterschaft hinaus aufs Land gedrängt werden. Darum
sagte ich, daß es durchaus günstig ist, daß im Jndustriebezirk diese
Frage nicht im Rahmen einer einzelnen Stadt, daß sie mir als regionale


Probleme des Industricbezirks

außerordentlich Wichtiges — durch Anwendung polizeilicher Machtmittel und durch
praktische Bodenpolitik — erreichen und haben es hier und da erreicht. Man
hat vor allen Dingen Ordnung und durch Ordnung Raum geschaffen, dem
Verkehr sind breite, durchgehende Straßen eröffnet, den Wohustraßen ist eine
angemessenere, hübschere Anlage gegeben, Spielplätze und Parkanlagen beleben
das Stadtbild, es sind Geschäftsviertel, Fabrikviertel, Arbeiterquartiere und
Villenviertel unter besonders sür sie gegebenen Bedingungen entstanden. Eine
vorausschauende Bodenpolitik hat den Städten nicht bloß den finanziell vorteil¬
haften Erwerb eigenen Verwaltungsvermögens, sondern auch zum Teil die
Bereitstellung billiger Bauplätze für die Wohnungsbedürfnisse des kleineren und
besseren Mittelstandes ermöglicht. Vergleicht man aber die Anläufe dieser
Entwickelung mit dem unbedingt notwendigen und — das kann nicht scharf
genug hervorgehoben werden — erreichbaren Ziel, so bleibt ein erschreckender
Abstand!

Man braucht kein Fanatiker der Bodenreform zu sein, um das Ideal, um
dessentwillen diese Bewegung so energisch ihre Theorien versieht, sür ein innig
erstrebenswertes zu halten, und es gibt vielleicht nichts Entscheidenderes gegen
diese Partei, als der Hinweis, daß die Bekämpfung der Wohnungsnot nicht
allgemein vom Boden irgendeiner Theorie aus, sondern von Fall zu Fall auf
Grund praktischer Versuche allein erfolgreich gewesen ist. Um so mehr muß es
wundernehmen, daß nur von so wenig Stellen aus Versuche in Angriff genommen
werden. Daß die Selbsthilfe hier versagen muß, so anregend ihre Unternehmungen
mich wirken, kann dem Unbefangenen nicht entgehen. Die Erfolge sind, trotz
aller achtenswerter Leistungen im einzelnen, zu genug, um für die Lösung dieses
allgemeinen Problems in Betracht zu kommen. Nun richten sich alle Hoffnungen
auf den sogenannten Munizipalsozialismus. Aber es muß hervorgehoben werden,
daß nur kapitalkräftige, größere Städte dafür in Betracht kommen, und daß
gerade sie, weil sie Organisationen eines energisch vorwärts drängenden, auf
Gewinn und Erwerb bedachten und jeder Beschränkung freier Bethätigung abholden
Bürgertums darstellen, ihrer ganzen Struktur nach für Durchführung einer um¬
fassenden Wohnungs- und Bodenpolitik wenig geeignet sind. Es ist ein Zeichen
des hohen sozialen Sinnes, der unsere Zeit durchflutet, daß die Städte auch
dieser Aufgabe ihre Kräfte nicht versagen. Aber man soll auch nicht Unmög¬
liches verlangen.

Das lehrt schon der durch reiche Erfahrung gestützte, maßvolle und daher
eben wirksame Widerspruch, den der Düsseldorfer Oberbürgermeister Marx auf
dem letzten Wiener Kongreß des Vereins für Sozialpolitik erhoben hat. Die
Stadt muß schließlich dem obersten Gesetz jedes lebendigen Organismus gehorchen,
dem der Selbstbehauptung. Sie steht nicht allein, sie kann nicht dulden, daß
Industrie und Arbeiterschaft hinaus aufs Land gedrängt werden. Darum
sagte ich, daß es durchaus günstig ist, daß im Jndustriebezirk diese
Frage nicht im Rahmen einer einzelnen Stadt, daß sie mir als regionale


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/637>, abgerufen am 30.12.2024.