Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.Problome des Indnstriebezirks seiner Abhängigkeit von einem bodenständigen Industriezweig, dem Bergbau. Zu den drängendsten Aufgaben der Verwaltung gehört, wie überall, auch Es ist bekannt, mit welchem Eifer in letzter Zeit unsere Städte ihre Auf¬ Problome des Indnstriebezirks seiner Abhängigkeit von einem bodenständigen Industriezweig, dem Bergbau. Zu den drängendsten Aufgaben der Verwaltung gehört, wie überall, auch Es ist bekannt, mit welchem Eifer in letzter Zeit unsere Städte ihre Auf¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0636" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/318249"/> <fw type="header" place="top"> Problome des Indnstriebezirks</fw><lb/> <p xml:id="ID_2880" prev="#ID_2879"> seiner Abhängigkeit von einem bodenständigen Industriezweig, dem Bergbau.<lb/> Dieser ist der gewaltige Bildner des Gebietes. Die natürlichen Bedingungen<lb/> für seine Ausbreitung und Entwickelung ergeben sich nicht aus Verhältnissen<lb/> an der Erdoberfläche, sondern hängen von Lauf und Lagerung der Kohlenflöze<lb/> im Erdinnern ab. Wo diese das Niederbringen des Schachtes zweckmäßig<lb/> machen, da entstehen oben die großen Zechenbauten, Koksöfen, Teergewinnungs¬<lb/> und andere zum Zechenbetriebe gehörige Anlagen. Hochöfen und Walzwerke<lb/> schließen sich an, und, getrieben von den hundertfach gesteigerten Kräften des<lb/> modernen Großkapitals, wachsen oft wie durch ein Wunder abseits vom Ver¬<lb/> kehr und sonstiger Bebauung weiträumige Arbeiterkolonien mit Konsumanstalten,<lb/> Wirtschaften und dem ganzen Anhang einer großindustriellen Siedelung in die<lb/> Höhe. Daraus ergibt sich eine zwar überall vorhandene, aber doch eigentüm¬<lb/> lich zerstreute Bebauung im ganzen Bezirk. Nur aus einigen älteren Stadt¬<lb/> anlagen haben sich Kerne mit ganz dichter, hauptstädtischer Bauweise gebildet.<lb/> Mehr als anderswo tritt hier überall die besondere soziale Schichtung der<lb/> Bevölkerung zutage, sei es im Straßenverkehr, sei es in Ladeneinrichtungen,<lb/> Gasthäusern und Vergnüguugsetablissements. Auffällig ist alles für den „Arbeiter"<lb/> und seine Bedürfnisse zugeschnitten. Die schwere Industrie braucht viele, viele<lb/> Hände, verhältnismäßig wenig Köpfe leiten die ungeheuren Betriebe. Im<lb/> Mittelstand sind die zahlreichen Werkbeamten vertreten. Oft hängt vom Ge¬<lb/> deihen eines Unternehmens Wohl und Wehe ganzer Gemeinden und ihrer<lb/> Bevölkerung ab. In der sozialistischen Partei blüht hier die Marxsche Lehre<lb/> in strengster Observanz, das kurzlebige, leicht erregbare Bergmannsvolk neigt<lb/> zu radikalen Anschauungen, aber der stete Zustrom fremder Elemente, die bunte<lb/> Mischung der stark mit Slawen durchsetzten Arbeiterschaft lassen die Organisationen<lb/> nur langsam an Kraft gewinnen. — Das geistige Leben, Wissenschaft und Kunst<lb/> treten zurück, eingeengt durch die gewaltigen Anforderungen, die Geschüft und<lb/> Betrieb an Hirn und Hände dieser Millionenbevölkerung stellen. Den wenigen<lb/> freien geistigen Kräften winkt eine lohnende Aufgabe besonderer Art: die Pro¬<lb/> pagierung des Wissens, die Schaffung einer breiten Volkskultur unter der<lb/> Jndustriearbeiterschaft.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p xml:id="ID_2881"> Zu den drängendsten Aufgaben der Verwaltung gehört, wie überall, auch<lb/> im Jndustriebezirk die Lösung der Wohnungsfrage. Was der Aufgabe hier ihr<lb/> besonderes Gepräge gibt, ist, daß sie nicht im Rahmen einer einzelnen Stadt<lb/> zu lösen ist — ein Hindernis, zugleich aber auch ein großer Vorzug. Hinzu¬<lb/> kommt, daß bei ihr in erster Linie, mehr als irgendwo anders, das Bedürfnis<lb/> und die Lage der industriellen Arbeiterschaft zu berücksichtigen bleibt.</p><lb/> <p xml:id="ID_2882" next="#ID_2883"> Es ist bekannt, mit welchem Eifer in letzter Zeit unsere Städte ihre Auf¬<lb/> merksamkeit der Wohnungsfrage zugewendet haben. Erst neuerdings hat die<lb/> Düsseldorfer Städtebauwoche Zeugnis davon abgelegt, und tatsächlich können sie</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0636]
Problome des Indnstriebezirks
seiner Abhängigkeit von einem bodenständigen Industriezweig, dem Bergbau.
Dieser ist der gewaltige Bildner des Gebietes. Die natürlichen Bedingungen
für seine Ausbreitung und Entwickelung ergeben sich nicht aus Verhältnissen
an der Erdoberfläche, sondern hängen von Lauf und Lagerung der Kohlenflöze
im Erdinnern ab. Wo diese das Niederbringen des Schachtes zweckmäßig
machen, da entstehen oben die großen Zechenbauten, Koksöfen, Teergewinnungs¬
und andere zum Zechenbetriebe gehörige Anlagen. Hochöfen und Walzwerke
schließen sich an, und, getrieben von den hundertfach gesteigerten Kräften des
modernen Großkapitals, wachsen oft wie durch ein Wunder abseits vom Ver¬
kehr und sonstiger Bebauung weiträumige Arbeiterkolonien mit Konsumanstalten,
Wirtschaften und dem ganzen Anhang einer großindustriellen Siedelung in die
Höhe. Daraus ergibt sich eine zwar überall vorhandene, aber doch eigentüm¬
lich zerstreute Bebauung im ganzen Bezirk. Nur aus einigen älteren Stadt¬
anlagen haben sich Kerne mit ganz dichter, hauptstädtischer Bauweise gebildet.
Mehr als anderswo tritt hier überall die besondere soziale Schichtung der
Bevölkerung zutage, sei es im Straßenverkehr, sei es in Ladeneinrichtungen,
Gasthäusern und Vergnüguugsetablissements. Auffällig ist alles für den „Arbeiter"
und seine Bedürfnisse zugeschnitten. Die schwere Industrie braucht viele, viele
Hände, verhältnismäßig wenig Köpfe leiten die ungeheuren Betriebe. Im
Mittelstand sind die zahlreichen Werkbeamten vertreten. Oft hängt vom Ge¬
deihen eines Unternehmens Wohl und Wehe ganzer Gemeinden und ihrer
Bevölkerung ab. In der sozialistischen Partei blüht hier die Marxsche Lehre
in strengster Observanz, das kurzlebige, leicht erregbare Bergmannsvolk neigt
zu radikalen Anschauungen, aber der stete Zustrom fremder Elemente, die bunte
Mischung der stark mit Slawen durchsetzten Arbeiterschaft lassen die Organisationen
nur langsam an Kraft gewinnen. — Das geistige Leben, Wissenschaft und Kunst
treten zurück, eingeengt durch die gewaltigen Anforderungen, die Geschüft und
Betrieb an Hirn und Hände dieser Millionenbevölkerung stellen. Den wenigen
freien geistigen Kräften winkt eine lohnende Aufgabe besonderer Art: die Pro¬
pagierung des Wissens, die Schaffung einer breiten Volkskultur unter der
Jndustriearbeiterschaft.
Zu den drängendsten Aufgaben der Verwaltung gehört, wie überall, auch
im Jndustriebezirk die Lösung der Wohnungsfrage. Was der Aufgabe hier ihr
besonderes Gepräge gibt, ist, daß sie nicht im Rahmen einer einzelnen Stadt
zu lösen ist — ein Hindernis, zugleich aber auch ein großer Vorzug. Hinzu¬
kommt, daß bei ihr in erster Linie, mehr als irgendwo anders, das Bedürfnis
und die Lage der industriellen Arbeiterschaft zu berücksichtigen bleibt.
Es ist bekannt, mit welchem Eifer in letzter Zeit unsere Städte ihre Auf¬
merksamkeit der Wohnungsfrage zugewendet haben. Erst neuerdings hat die
Düsseldorfer Städtebauwoche Zeugnis davon abgelegt, und tatsächlich können sie
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