Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

Sachsen -- der Bischof! Die zwei übrigen
Bände hat sein Sohn und Nachfolger Friedrich
Teutsch geschrieben.

Als die Magyaren um das Jahr 1000
Ungarn besetzten, war Siebenbürgen herrenlos
und nur sehr dünn bon Hirten aus der
Walachei bevölkert, ganz und gar unkultiviert
und den steten Einfüllen der Knurren und
Petschenegen wehrlos preisgegeben. Im
Osten siedelten sich die Szekler ein, ein
magyarischer Staunn, tüchtige Kriegsleute,
aber nur zu Pferde; Magnaten erbauten sich
Burgen und jagten und zechten fröhlich. Das
Land blieb, namentlich im Süden, kultnr-
und wehrlos. Da beriefen die ungarischen
Könige im zwölften Jahrhundert deutsche
Kolonisten ans der Rheinprovinz, aä reti-
nenclemi coronam, zum Schutze der Krone,
wie es im Siegel der Hermannstädter Provinz
hieß, und zur Kultivierung des Urwaldes,
zur Belebung der menschenleeren Ode, wie
die zahlreichen Urbarial-, Handels- und
Gewerbeprivilegien bezeugen, von denen "eine
Lade voll" auf dem Hermannstädter Rathaus
erlagen. Die Einwanderung dauerte zwei
Menschenalter und verteilte sich über das
ganze Land, hauptsächlich aber über den
Süden. Der letzte und Wohl größte Zug
kam mit dem deutschen Ritterorden in das
Burzenland, die Gegend um Kronstäbe, im
südöstlichen Winkel des Landes. Hier legten
die Ritter die Marienburg am Alt als ihren
Hauptort an (die Ortschaft nebst der Burg¬
ruine besteht heute noch), und außerdem noch
in den Grcnzpässen Burgen, der Sage nach
sieben, woher dann auch der Name Sieben-
bürgen abgeleitet sein soll, was aber heute
mit guten Gründen bestritten wird. Die
deutschen Ritter nahmen souveräne Rechte
für sich in Anspruch, und so Vertrieb sie König
Andreas der Zweite mit Waffengewalt; er
ließ nur die Kolonisten im Lande, die treu
zu ihm gehalten hatten. Im Jahre 1224
erteilte er diesen den Andreanischen, den
Goldenen Freibrief, der fortab die sächsische
Verfassung bildete. Das gesamte Volk von
Broos bis Draas wurde als ein Stand, die
"Sächsische Nation", erklärt, gleichberechtigt
mit den beiden anderen Ständen des Landes,
dem magyarischen und dem szeklerischen Adel;
ihr Boden hieß Königsboten, war unteilbar,

[Spaltenumbruch]

und seine Bewohner waren frei wie Adlige;
keiner unter ihnen, selbst der freigewählte
Komes - nicht, durste Sonderrechte genießen.
"Graf der sächsischen Ration", wie der Komes
auch hieß, war nur ein Amtstitel und das
Amt nicht erblich, wie überhaupt alle
Ämter.

Es bildete sich hier ein europäisches Unikum
aus: ein Volk, das niemals einen Adel hatte
und niemals eine Kaste höriger Bauern, eine
reine Demokratie, wie sie nicht einmal in der
Schweiz bestand. Jedes Dorf erbaute sich
eine Burg, die berühmte sächsische Kirchenburg,
um die meist rein gotische Kirche eine oder
auch zwei, drei Ringmauern mit Türmen
und Basteien, manche von imponierender
Mächtigkeit, wie die von Tartlau bei .Kron¬
stäbe, die heute noch wie eine kleine Festung
aussieht. Die sächsischen Städte, die einzigen
im ganzen Land, wurden ebenfalls stark
bewehrt, kleine Söldnerheere unterhalten.
Und wie ein Wunder blühte das neue Leben
auf, teils ans dem Nichts, teils aus den
Ruinen der römischen Kultur, die vormals
hier gewesen war.

Da zog im Jahre 1396, mit der Schlacht
bei Nikopolis, der Halbmond des Propheten
im Osten auf. Die Sachsen verstanden das
Zeichen und unterhielten Kundschafter auf
dem Balkan; vom Hermannstädter Bürger¬
meister Oswald erhielt der Wiener Hof die
erste Nachricht von dein Falle Konstantinopels.
"Und nun ist", erzählt Teutsch, "Sieben¬
bürgen fast volle dreihundert Jahre den
Türkcneinfällen Preisgegeben, jahrzehntelang
ein türkisches Paschalik gewesen. Für das
sächsische Volk bedeutete das eine Zerstörung
vieler Gemeinden, Niedergang der Volkszahl,
Minderung des Wohlstandes, Rückgang auf
allen Gebieten, vor allem in dein entsetzlichen
siebzehntenJahrhundert, das zu den traurigsten
der siebenbürgischen Geschichte gehört!" Nach
der Schlacht von Mohnes, 1526, wo der
ungarische König Thron und Leben verlor,
wurde Siebenbürgen von Ungarn abgetrennt
und zu einem Wnhlfürstentum erhaben, um
dessen Oberhoheit Habsburg und die Pforte
stritten, was wieder Bürgerkrieg zur Folge
hatte; die Sachsen hielten treu zu Habsburg,
mit dessen Siegen unter dem Prinzen Engen
anch die endgültige Herrschaft über Sieben-

[Ende Spaltensatz]
Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

Sachsen — der Bischof! Die zwei übrigen
Bände hat sein Sohn und Nachfolger Friedrich
Teutsch geschrieben.

Als die Magyaren um das Jahr 1000
Ungarn besetzten, war Siebenbürgen herrenlos
und nur sehr dünn bon Hirten aus der
Walachei bevölkert, ganz und gar unkultiviert
und den steten Einfüllen der Knurren und
Petschenegen wehrlos preisgegeben. Im
Osten siedelten sich die Szekler ein, ein
magyarischer Staunn, tüchtige Kriegsleute,
aber nur zu Pferde; Magnaten erbauten sich
Burgen und jagten und zechten fröhlich. Das
Land blieb, namentlich im Süden, kultnr-
und wehrlos. Da beriefen die ungarischen
Könige im zwölften Jahrhundert deutsche
Kolonisten ans der Rheinprovinz, aä reti-
nenclemi coronam, zum Schutze der Krone,
wie es im Siegel der Hermannstädter Provinz
hieß, und zur Kultivierung des Urwaldes,
zur Belebung der menschenleeren Ode, wie
die zahlreichen Urbarial-, Handels- und
Gewerbeprivilegien bezeugen, von denen „eine
Lade voll" auf dem Hermannstädter Rathaus
erlagen. Die Einwanderung dauerte zwei
Menschenalter und verteilte sich über das
ganze Land, hauptsächlich aber über den
Süden. Der letzte und Wohl größte Zug
kam mit dem deutschen Ritterorden in das
Burzenland, die Gegend um Kronstäbe, im
südöstlichen Winkel des Landes. Hier legten
die Ritter die Marienburg am Alt als ihren
Hauptort an (die Ortschaft nebst der Burg¬
ruine besteht heute noch), und außerdem noch
in den Grcnzpässen Burgen, der Sage nach
sieben, woher dann auch der Name Sieben-
bürgen abgeleitet sein soll, was aber heute
mit guten Gründen bestritten wird. Die
deutschen Ritter nahmen souveräne Rechte
für sich in Anspruch, und so Vertrieb sie König
Andreas der Zweite mit Waffengewalt; er
ließ nur die Kolonisten im Lande, die treu
zu ihm gehalten hatten. Im Jahre 1224
erteilte er diesen den Andreanischen, den
Goldenen Freibrief, der fortab die sächsische
Verfassung bildete. Das gesamte Volk von
Broos bis Draas wurde als ein Stand, die
„Sächsische Nation", erklärt, gleichberechtigt
mit den beiden anderen Ständen des Landes,
dem magyarischen und dem szeklerischen Adel;
ihr Boden hieß Königsboten, war unteilbar,

[Spaltenumbruch]

und seine Bewohner waren frei wie Adlige;
keiner unter ihnen, selbst der freigewählte
Komes - nicht, durste Sonderrechte genießen.
„Graf der sächsischen Ration", wie der Komes
auch hieß, war nur ein Amtstitel und das
Amt nicht erblich, wie überhaupt alle
Ämter.

Es bildete sich hier ein europäisches Unikum
aus: ein Volk, das niemals einen Adel hatte
und niemals eine Kaste höriger Bauern, eine
reine Demokratie, wie sie nicht einmal in der
Schweiz bestand. Jedes Dorf erbaute sich
eine Burg, die berühmte sächsische Kirchenburg,
um die meist rein gotische Kirche eine oder
auch zwei, drei Ringmauern mit Türmen
und Basteien, manche von imponierender
Mächtigkeit, wie die von Tartlau bei .Kron¬
stäbe, die heute noch wie eine kleine Festung
aussieht. Die sächsischen Städte, die einzigen
im ganzen Land, wurden ebenfalls stark
bewehrt, kleine Söldnerheere unterhalten.
Und wie ein Wunder blühte das neue Leben
auf, teils ans dem Nichts, teils aus den
Ruinen der römischen Kultur, die vormals
hier gewesen war.

Da zog im Jahre 1396, mit der Schlacht
bei Nikopolis, der Halbmond des Propheten
im Osten auf. Die Sachsen verstanden das
Zeichen und unterhielten Kundschafter auf
dem Balkan; vom Hermannstädter Bürger¬
meister Oswald erhielt der Wiener Hof die
erste Nachricht von dein Falle Konstantinopels.
„Und nun ist", erzählt Teutsch, „Sieben¬
bürgen fast volle dreihundert Jahre den
Türkcneinfällen Preisgegeben, jahrzehntelang
ein türkisches Paschalik gewesen. Für das
sächsische Volk bedeutete das eine Zerstörung
vieler Gemeinden, Niedergang der Volkszahl,
Minderung des Wohlstandes, Rückgang auf
allen Gebieten, vor allem in dein entsetzlichen
siebzehntenJahrhundert, das zu den traurigsten
der siebenbürgischen Geschichte gehört!" Nach
der Schlacht von Mohnes, 1526, wo der
ungarische König Thron und Leben verlor,
wurde Siebenbürgen von Ungarn abgetrennt
und zu einem Wnhlfürstentum erhaben, um
dessen Oberhoheit Habsburg und die Pforte
stritten, was wieder Bürgerkrieg zur Folge
hatte; die Sachsen hielten treu zu Habsburg,
mit dessen Siegen unter dem Prinzen Engen
anch die endgültige Herrschaft über Sieben-

[Ende Spaltensatz]
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="2">
          <pb facs="#f0606" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/318219"/>
          <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/>
          <cb type="start"/>
          <p xml:id="ID_2735" prev="#ID_2734"> Sachsen &#x2014; der Bischof! Die zwei übrigen<lb/>
Bände hat sein Sohn und Nachfolger Friedrich<lb/>
Teutsch geschrieben.</p>
          <p xml:id="ID_2736" next="#ID_2737"> Als die Magyaren um das Jahr 1000<lb/>
Ungarn besetzten, war Siebenbürgen herrenlos<lb/>
und nur sehr dünn bon Hirten aus der<lb/>
Walachei bevölkert, ganz und gar unkultiviert<lb/>
und den steten Einfüllen der Knurren und<lb/>
Petschenegen wehrlos preisgegeben. Im<lb/>
Osten siedelten sich die Szekler ein, ein<lb/>
magyarischer Staunn, tüchtige Kriegsleute,<lb/>
aber nur zu Pferde; Magnaten erbauten sich<lb/>
Burgen und jagten und zechten fröhlich. Das<lb/>
Land blieb, namentlich im Süden, kultnr-<lb/>
und wehrlos. Da beriefen die ungarischen<lb/>
Könige im zwölften Jahrhundert deutsche<lb/>
Kolonisten ans der Rheinprovinz, aä reti-<lb/>
nenclemi coronam, zum Schutze der Krone,<lb/>
wie es im Siegel der Hermannstädter Provinz<lb/>
hieß, und zur Kultivierung des Urwaldes,<lb/>
zur Belebung der menschenleeren Ode, wie<lb/>
die zahlreichen Urbarial-, Handels- und<lb/>
Gewerbeprivilegien bezeugen, von denen &#x201E;eine<lb/>
Lade voll" auf dem Hermannstädter Rathaus<lb/>
erlagen. Die Einwanderung dauerte zwei<lb/>
Menschenalter und verteilte sich über das<lb/>
ganze Land, hauptsächlich aber über den<lb/>
Süden. Der letzte und Wohl größte Zug<lb/>
kam mit dem deutschen Ritterorden in das<lb/>
Burzenland, die Gegend um Kronstäbe, im<lb/>
südöstlichen Winkel des Landes. Hier legten<lb/>
die Ritter die Marienburg am Alt als ihren<lb/>
Hauptort an (die Ortschaft nebst der Burg¬<lb/>
ruine besteht heute noch), und außerdem noch<lb/>
in den Grcnzpässen Burgen, der Sage nach<lb/>
sieben, woher dann auch der Name Sieben-<lb/>
bürgen abgeleitet sein soll, was aber heute<lb/>
mit guten Gründen bestritten wird. Die<lb/>
deutschen Ritter nahmen souveräne Rechte<lb/>
für sich in Anspruch, und so Vertrieb sie König<lb/>
Andreas der Zweite mit Waffengewalt; er<lb/>
ließ nur die Kolonisten im Lande, die treu<lb/>
zu ihm gehalten hatten. Im Jahre 1224<lb/>
erteilte er diesen den Andreanischen, den<lb/>
Goldenen Freibrief, der fortab die sächsische<lb/>
Verfassung bildete. Das gesamte Volk von<lb/>
Broos bis Draas wurde als ein Stand, die<lb/>
&#x201E;Sächsische Nation", erklärt, gleichberechtigt<lb/>
mit den beiden anderen Ständen des Landes,<lb/>
dem magyarischen und dem szeklerischen Adel;<lb/>
ihr Boden hieß Königsboten, war unteilbar,</p>
          <cb/><lb/>
          <p xml:id="ID_2737" prev="#ID_2736"> und seine Bewohner waren frei wie Adlige;<lb/>
keiner unter ihnen, selbst der freigewählte<lb/>
Komes - nicht, durste Sonderrechte genießen.<lb/>
&#x201E;Graf der sächsischen Ration", wie der Komes<lb/>
auch hieß, war nur ein Amtstitel und das<lb/>
Amt nicht erblich, wie überhaupt alle<lb/>
Ämter.</p>
          <p xml:id="ID_2738"> Es bildete sich hier ein europäisches Unikum<lb/>
aus: ein Volk, das niemals einen Adel hatte<lb/>
und niemals eine Kaste höriger Bauern, eine<lb/>
reine Demokratie, wie sie nicht einmal in der<lb/>
Schweiz bestand. Jedes Dorf erbaute sich<lb/>
eine Burg, die berühmte sächsische Kirchenburg,<lb/>
um die meist rein gotische Kirche eine oder<lb/>
auch zwei, drei Ringmauern mit Türmen<lb/>
und Basteien, manche von imponierender<lb/>
Mächtigkeit, wie die von Tartlau bei .Kron¬<lb/>
stäbe, die heute noch wie eine kleine Festung<lb/>
aussieht. Die sächsischen Städte, die einzigen<lb/>
im ganzen Land, wurden ebenfalls stark<lb/>
bewehrt, kleine Söldnerheere unterhalten.<lb/>
Und wie ein Wunder blühte das neue Leben<lb/>
auf, teils ans dem Nichts, teils aus den<lb/>
Ruinen der römischen Kultur, die vormals<lb/>
hier gewesen war.</p>
          <p xml:id="ID_2739" next="#ID_2740"> Da zog im Jahre 1396, mit der Schlacht<lb/>
bei Nikopolis, der Halbmond des Propheten<lb/>
im Osten auf. Die Sachsen verstanden das<lb/>
Zeichen und unterhielten Kundschafter auf<lb/>
dem Balkan; vom Hermannstädter Bürger¬<lb/>
meister Oswald erhielt der Wiener Hof die<lb/>
erste Nachricht von dein Falle Konstantinopels.<lb/>
&#x201E;Und nun ist", erzählt Teutsch, &#x201E;Sieben¬<lb/>
bürgen fast volle dreihundert Jahre den<lb/>
Türkcneinfällen Preisgegeben, jahrzehntelang<lb/>
ein türkisches Paschalik gewesen. Für das<lb/>
sächsische Volk bedeutete das eine Zerstörung<lb/>
vieler Gemeinden, Niedergang der Volkszahl,<lb/>
Minderung des Wohlstandes, Rückgang auf<lb/>
allen Gebieten, vor allem in dein entsetzlichen<lb/>
siebzehntenJahrhundert, das zu den traurigsten<lb/>
der siebenbürgischen Geschichte gehört!" Nach<lb/>
der Schlacht von Mohnes, 1526, wo der<lb/>
ungarische König Thron und Leben verlor,<lb/>
wurde Siebenbürgen von Ungarn abgetrennt<lb/>
und zu einem Wnhlfürstentum erhaben, um<lb/>
dessen Oberhoheit Habsburg und die Pforte<lb/>
stritten, was wieder Bürgerkrieg zur Folge<lb/>
hatte; die Sachsen hielten treu zu Habsburg,<lb/>
mit dessen Siegen unter dem Prinzen Engen<lb/>
anch die endgültige Herrschaft über Sieben-</p>
          <cb type="end"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0606] Maßgebliches und Unmaßgebliches Sachsen — der Bischof! Die zwei übrigen Bände hat sein Sohn und Nachfolger Friedrich Teutsch geschrieben. Als die Magyaren um das Jahr 1000 Ungarn besetzten, war Siebenbürgen herrenlos und nur sehr dünn bon Hirten aus der Walachei bevölkert, ganz und gar unkultiviert und den steten Einfüllen der Knurren und Petschenegen wehrlos preisgegeben. Im Osten siedelten sich die Szekler ein, ein magyarischer Staunn, tüchtige Kriegsleute, aber nur zu Pferde; Magnaten erbauten sich Burgen und jagten und zechten fröhlich. Das Land blieb, namentlich im Süden, kultnr- und wehrlos. Da beriefen die ungarischen Könige im zwölften Jahrhundert deutsche Kolonisten ans der Rheinprovinz, aä reti- nenclemi coronam, zum Schutze der Krone, wie es im Siegel der Hermannstädter Provinz hieß, und zur Kultivierung des Urwaldes, zur Belebung der menschenleeren Ode, wie die zahlreichen Urbarial-, Handels- und Gewerbeprivilegien bezeugen, von denen „eine Lade voll" auf dem Hermannstädter Rathaus erlagen. Die Einwanderung dauerte zwei Menschenalter und verteilte sich über das ganze Land, hauptsächlich aber über den Süden. Der letzte und Wohl größte Zug kam mit dem deutschen Ritterorden in das Burzenland, die Gegend um Kronstäbe, im südöstlichen Winkel des Landes. Hier legten die Ritter die Marienburg am Alt als ihren Hauptort an (die Ortschaft nebst der Burg¬ ruine besteht heute noch), und außerdem noch in den Grcnzpässen Burgen, der Sage nach sieben, woher dann auch der Name Sieben- bürgen abgeleitet sein soll, was aber heute mit guten Gründen bestritten wird. Die deutschen Ritter nahmen souveräne Rechte für sich in Anspruch, und so Vertrieb sie König Andreas der Zweite mit Waffengewalt; er ließ nur die Kolonisten im Lande, die treu zu ihm gehalten hatten. Im Jahre 1224 erteilte er diesen den Andreanischen, den Goldenen Freibrief, der fortab die sächsische Verfassung bildete. Das gesamte Volk von Broos bis Draas wurde als ein Stand, die „Sächsische Nation", erklärt, gleichberechtigt mit den beiden anderen Ständen des Landes, dem magyarischen und dem szeklerischen Adel; ihr Boden hieß Königsboten, war unteilbar, und seine Bewohner waren frei wie Adlige; keiner unter ihnen, selbst der freigewählte Komes - nicht, durste Sonderrechte genießen. „Graf der sächsischen Ration", wie der Komes auch hieß, war nur ein Amtstitel und das Amt nicht erblich, wie überhaupt alle Ämter. Es bildete sich hier ein europäisches Unikum aus: ein Volk, das niemals einen Adel hatte und niemals eine Kaste höriger Bauern, eine reine Demokratie, wie sie nicht einmal in der Schweiz bestand. Jedes Dorf erbaute sich eine Burg, die berühmte sächsische Kirchenburg, um die meist rein gotische Kirche eine oder auch zwei, drei Ringmauern mit Türmen und Basteien, manche von imponierender Mächtigkeit, wie die von Tartlau bei .Kron¬ stäbe, die heute noch wie eine kleine Festung aussieht. Die sächsischen Städte, die einzigen im ganzen Land, wurden ebenfalls stark bewehrt, kleine Söldnerheere unterhalten. Und wie ein Wunder blühte das neue Leben auf, teils ans dem Nichts, teils aus den Ruinen der römischen Kultur, die vormals hier gewesen war. Da zog im Jahre 1396, mit der Schlacht bei Nikopolis, der Halbmond des Propheten im Osten auf. Die Sachsen verstanden das Zeichen und unterhielten Kundschafter auf dem Balkan; vom Hermannstädter Bürger¬ meister Oswald erhielt der Wiener Hof die erste Nachricht von dein Falle Konstantinopels. „Und nun ist", erzählt Teutsch, „Sieben¬ bürgen fast volle dreihundert Jahre den Türkcneinfällen Preisgegeben, jahrzehntelang ein türkisches Paschalik gewesen. Für das sächsische Volk bedeutete das eine Zerstörung vieler Gemeinden, Niedergang der Volkszahl, Minderung des Wohlstandes, Rückgang auf allen Gebieten, vor allem in dein entsetzlichen siebzehntenJahrhundert, das zu den traurigsten der siebenbürgischen Geschichte gehört!" Nach der Schlacht von Mohnes, 1526, wo der ungarische König Thron und Leben verlor, wurde Siebenbürgen von Ungarn abgetrennt und zu einem Wnhlfürstentum erhaben, um dessen Oberhoheit Habsburg und die Pforte stritten, was wieder Bürgerkrieg zur Folge hatte; die Sachsen hielten treu zu Habsburg, mit dessen Siegen unter dem Prinzen Engen anch die endgültige Herrschaft über Sieben-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/606
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/606>, abgerufen am 24.07.2024.