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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Der junge plater

Du, Wenn es Wahrheit ist? Ein Selbstmörder -- und noch dazu einer aus
Liebe. Und wenn es Dichtung ist, so gewinnt Goethe, insofern, daß er nicht eine
Liebesgeschichte nachgeschrieben, sondern einen Roman erschaffen hat."

Am 19. Januar 1812 schreibt Jacobs wieder: "Du willst, ich soll Dir Goethes
neuestes Werk schicken, doch das wäre die Pferde hinter den Wagen gespannt.
Wahrheit und Dichtung aus meinem Leben ist das neueste Werk der genialen
Exzellenz, wenig Historie und viel Sentenzen (oder wenig Braten und eine lange
obgleich gute Sauce)."

Der Widerstand Platens gegen Goethe beginnt abzuflauen. Er macht ein
schwärmerisches Gedicht an den Helden des "Werther", dem ein gleiches an
"Ottilie" in den "Wahlverwandtschaften" folgt. Schillers Gedichte, um die er im
April 1811 die Eltern dringend bittet, begeistern ihn und regen ihn zu eigenem
dichterischen Schaffen an.

Bereits im Jahre 1810 hat er, wie aus einem Brief von Jacobs vom
19. Dezember 1810 hervorgeht, ein Trauerspiel verfaßt, das den: Freunde sehr
gefällt. Viele Gedichte stammen ebenfalls aus dieser Zeit.

Am 16. Dezember 1812 schreibt er an seine Mutter, daß er sich auf Zureden
des Vaters nun doch entschlossen habe, Offizier zu werden, und am 31. März 1814
wird er Leutnant im ersten Infanterieregiment zu München. Aber bereits ein
Vierteljahr später ist ihm die sichere Erkenntnis aufgegangen, daß er zum Militär¬
dienst nicht taugt; der langweilige, täglich in öder Gleichmäßigkeit verlaufende
Dienst widert ihn an, er- besitzt nicht den geringsten militärischen Ehrgeiz, und
tägliche Unannehmlichkeiten mit den Vorgesetzten verbittern ihm das Leben. Er
klagt über die Liebesabenteuer seiner "ausschweifenden und sittenlosen" Kameraden.
Wie konnte er bei seiner ihm selbst noch unbewußten unglückseligen Veranlagung
Verständnis haben für die überschäumende Lebensfreude seiner Altersgenossen! --
Doch einmal scheint es, als fühle sich sein Herz zu einem weiblichen Wesen hin¬
gezogen. Die junge Marquise Boissöson hat Eindruck auf ihn gemacht, und er
verkehrt auch längere Zeit im Hause der Mutter, wo man ihn scheinbar nicht
ungern sieht. Aber zur Leidenschaft wird diese Episode nicht, und bald hat das
niederdrückende Gefühl des Unbefriedigtseins wieder die Oberhand. Seine ver¬
meintliche Neigung ist rasch verflogen, und er trennt sich beim Ausmarsch 1815
leichten Herzens von der Angeschwärmten. Das Leben liegt wieder einmal so
trostlos vor ihm, daß er es als Glück ansehen würde, nicht mehr aus dem Kriege
zurückzukehren.

Platens literarisches Interesse bleibt aber trotz dieser seelischen Nöte stets
ein sehr reges. Seine anfängliche Abneigung gegen Goethe wandelt sich nach und
nach in glühende Begeisterung, daneben liest er Jean Paul und interessiert sich
lebhaft sür Körner. Herders "Stimmen der Völker" machen einen tiefen Eindruck
auf ihn, aber mit den Romantikern weiß er nichts anzufangen. "Des Knaben
Wunderhorn" dürfte er nie gelesen haben. In den Jahren 1814 und 1815
beschäftigt er sich viel mit englischer und französischer Literatur und bemüht sich
auch selbst, die beiden Sprachen zu erlernen. An die Mutter schreibt er,
um sich zu üben und sie zu erfreuen, französische und englische Briefe,
füllt aber stets in seine Muttersprache, sobald er mehr als die üblichen Phrasen
machen will.


Der junge plater

Du, Wenn es Wahrheit ist? Ein Selbstmörder — und noch dazu einer aus
Liebe. Und wenn es Dichtung ist, so gewinnt Goethe, insofern, daß er nicht eine
Liebesgeschichte nachgeschrieben, sondern einen Roman erschaffen hat."

Am 19. Januar 1812 schreibt Jacobs wieder: „Du willst, ich soll Dir Goethes
neuestes Werk schicken, doch das wäre die Pferde hinter den Wagen gespannt.
Wahrheit und Dichtung aus meinem Leben ist das neueste Werk der genialen
Exzellenz, wenig Historie und viel Sentenzen (oder wenig Braten und eine lange
obgleich gute Sauce)."

Der Widerstand Platens gegen Goethe beginnt abzuflauen. Er macht ein
schwärmerisches Gedicht an den Helden des „Werther", dem ein gleiches an
„Ottilie" in den „Wahlverwandtschaften" folgt. Schillers Gedichte, um die er im
April 1811 die Eltern dringend bittet, begeistern ihn und regen ihn zu eigenem
dichterischen Schaffen an.

Bereits im Jahre 1810 hat er, wie aus einem Brief von Jacobs vom
19. Dezember 1810 hervorgeht, ein Trauerspiel verfaßt, das den: Freunde sehr
gefällt. Viele Gedichte stammen ebenfalls aus dieser Zeit.

Am 16. Dezember 1812 schreibt er an seine Mutter, daß er sich auf Zureden
des Vaters nun doch entschlossen habe, Offizier zu werden, und am 31. März 1814
wird er Leutnant im ersten Infanterieregiment zu München. Aber bereits ein
Vierteljahr später ist ihm die sichere Erkenntnis aufgegangen, daß er zum Militär¬
dienst nicht taugt; der langweilige, täglich in öder Gleichmäßigkeit verlaufende
Dienst widert ihn an, er- besitzt nicht den geringsten militärischen Ehrgeiz, und
tägliche Unannehmlichkeiten mit den Vorgesetzten verbittern ihm das Leben. Er
klagt über die Liebesabenteuer seiner „ausschweifenden und sittenlosen" Kameraden.
Wie konnte er bei seiner ihm selbst noch unbewußten unglückseligen Veranlagung
Verständnis haben für die überschäumende Lebensfreude seiner Altersgenossen! —
Doch einmal scheint es, als fühle sich sein Herz zu einem weiblichen Wesen hin¬
gezogen. Die junge Marquise Boissöson hat Eindruck auf ihn gemacht, und er
verkehrt auch längere Zeit im Hause der Mutter, wo man ihn scheinbar nicht
ungern sieht. Aber zur Leidenschaft wird diese Episode nicht, und bald hat das
niederdrückende Gefühl des Unbefriedigtseins wieder die Oberhand. Seine ver¬
meintliche Neigung ist rasch verflogen, und er trennt sich beim Ausmarsch 1815
leichten Herzens von der Angeschwärmten. Das Leben liegt wieder einmal so
trostlos vor ihm, daß er es als Glück ansehen würde, nicht mehr aus dem Kriege
zurückzukehren.

Platens literarisches Interesse bleibt aber trotz dieser seelischen Nöte stets
ein sehr reges. Seine anfängliche Abneigung gegen Goethe wandelt sich nach und
nach in glühende Begeisterung, daneben liest er Jean Paul und interessiert sich
lebhaft sür Körner. Herders „Stimmen der Völker" machen einen tiefen Eindruck
auf ihn, aber mit den Romantikern weiß er nichts anzufangen. „Des Knaben
Wunderhorn" dürfte er nie gelesen haben. In den Jahren 1814 und 1815
beschäftigt er sich viel mit englischer und französischer Literatur und bemüht sich
auch selbst, die beiden Sprachen zu erlernen. An die Mutter schreibt er,
um sich zu üben und sie zu erfreuen, französische und englische Briefe,
füllt aber stets in seine Muttersprache, sobald er mehr als die üblichen Phrasen
machen will.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/600>, abgerufen am 30.12.2024.