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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Der diplomatische Ursprung des Krieges von i,g?o/?i,

Mischen Standpunkt ans unnötig sei, die Politik, die die kleineren deutschen
Staaten in der dänischen Frage verfolgt haben, in ihren Einzelheiten kennen zu
lernen, so widerspricht dem eben diese Note vom 4, Januar, in der die französische
Regierung doch ihre Haltung von der der deutschen Staaten ausdrücklich abhängig
macht! Tatsächlich ist die Politik des Bundestages und der deutschen Einzelstaaten
nicht von dein geringen Einfluß auf Frankreich gewesen, den die Kommission
behauptet, und es darf wohl angenommen werden, daß die französischen Archive
hierüber noch mehr enthalten, als die Kommission mitzuteilen für gut befunden hat!

Etwas reicher fließt diese Quelle sür die Entwicklung des Verhältnisses zwischen
Preußen und Österreich, deren gegenseitige Annäherung von entscheidender Bedeutung
für den Gang der Dinge geworden ist. Auch an diesem Punkt zeigt sich wieder,
wie wenig glücklich die Wahl des Ausgangspunktes für diese Veröffentlichung ist:
denn grade der Kongreßvorschlag Napoleons war es, der eine völlige Wandlung
in der bis dahin bestehenden Gruppierung der Mächte hervorrief. In Wien wurde
der Vorschlag, der seine Spitze unmittelbar gegen Österreich kehrte, mit lebhafter
Entrüstung aufgenommen, und erst durch ihn konnte hier die Auffassung Boden
gewinnen, daß man in der immer brennender werdenden dänischen Frage mit
Preußen zusammengehen müsse. Und Österreich hatte schon eine bedeutsame
Annäherung an den preußischen Standpunkt vollzogen, als es am 25. Dezember
-- von diesem Tag stammt die erste hier mitgeteilte Depesche des französischen
Gesandten in Wien -- an Stelle des Kongresses mit seinen unbeschränkten Ver¬
handlungsgegenständen eine Konferenz vorschlug, auf der die Signatarmächte unter
Zuziehung des Deutschen Bundes über die dänische Frage beraten sollten. Denn
dieser Vorschlag bewegte sich ganz in der Richtung der Politik Bismarcks, der auch
nur einverstanden sein konnte, daß der Vortritt Frankreich vorbehalten bleiben sollte.

Einigermaßen anders hatte sich die Lage für Preußen gestaltet, das sich nach
seiner bisherigen Vereinsamung nun plötzlich von allen Seiten umworben sah.
lind es gehörte ein weitgehender guter Wille Napoleons dazu, die stark an Vor¬
bedingungen geknüpfte, rein formelle Zustimmung Bismarcks zu dem Kongre߬
vorschlag als Annahineerklärung aufzufassen und daraus eine außerordentlich
freundliche Haltung Preußen gegenüber abzuleiten, die diesem nur willkommen sein
konnte. Dadurch ließ sich aber Bismarck in seiner Selbständigkeit nicht beein¬
trächtigen, er lehnte aufs bestimmteste ab, als Napoleon unter Aufnahme einer
früheren Anregung Bismarcks einen "beschränkten" Kongreß vorschlug.

Von diesem Augenblick an tritt auch in den hier vorliegenden Akten das
Zusammenwirken der beiden Mächte immer deutlicher hervor. Am 28. Dezember
beantragten Preußen und Österreich beim Bundestag, wo sie sich so oft als Rivalen
gegenübergestanden hatten, "Dänemark aufzufordern, die allgemeine Verfassung
vom 18. November endgültig zurückzuziehen (die das Einverleiben des Herzogtums
Schleswig bestimmte) und ihm zu erklären, daß der Bundestag, geleitet durch das
Gefühl für sein Recht und seine Würde, sich im Fall einer Weigerung genötigt
sähe, die notwendigen Maßregeln zu ergreifen, um sich durch eine militärische
Besetzung dieses Herzogtums eine Bürgschaft für Erfüllung seiner gerechten An¬
sprüche zu verschaffen". Und die Wirkung konnte nicht ausbleiben, als beide
Mächte am gleichen Tage -- am 31. Dezember -- dem französischen Gesandten
erklärten, daß sie gewillt seien, am Londoner Vertrag festzuhalten, daß aber


Der diplomatische Ursprung des Krieges von i,g?o/?i,

Mischen Standpunkt ans unnötig sei, die Politik, die die kleineren deutschen
Staaten in der dänischen Frage verfolgt haben, in ihren Einzelheiten kennen zu
lernen, so widerspricht dem eben diese Note vom 4, Januar, in der die französische
Regierung doch ihre Haltung von der der deutschen Staaten ausdrücklich abhängig
macht! Tatsächlich ist die Politik des Bundestages und der deutschen Einzelstaaten
nicht von dein geringen Einfluß auf Frankreich gewesen, den die Kommission
behauptet, und es darf wohl angenommen werden, daß die französischen Archive
hierüber noch mehr enthalten, als die Kommission mitzuteilen für gut befunden hat!

Etwas reicher fließt diese Quelle sür die Entwicklung des Verhältnisses zwischen
Preußen und Österreich, deren gegenseitige Annäherung von entscheidender Bedeutung
für den Gang der Dinge geworden ist. Auch an diesem Punkt zeigt sich wieder,
wie wenig glücklich die Wahl des Ausgangspunktes für diese Veröffentlichung ist:
denn grade der Kongreßvorschlag Napoleons war es, der eine völlige Wandlung
in der bis dahin bestehenden Gruppierung der Mächte hervorrief. In Wien wurde
der Vorschlag, der seine Spitze unmittelbar gegen Österreich kehrte, mit lebhafter
Entrüstung aufgenommen, und erst durch ihn konnte hier die Auffassung Boden
gewinnen, daß man in der immer brennender werdenden dänischen Frage mit
Preußen zusammengehen müsse. Und Österreich hatte schon eine bedeutsame
Annäherung an den preußischen Standpunkt vollzogen, als es am 25. Dezember
— von diesem Tag stammt die erste hier mitgeteilte Depesche des französischen
Gesandten in Wien — an Stelle des Kongresses mit seinen unbeschränkten Ver¬
handlungsgegenständen eine Konferenz vorschlug, auf der die Signatarmächte unter
Zuziehung des Deutschen Bundes über die dänische Frage beraten sollten. Denn
dieser Vorschlag bewegte sich ganz in der Richtung der Politik Bismarcks, der auch
nur einverstanden sein konnte, daß der Vortritt Frankreich vorbehalten bleiben sollte.

Einigermaßen anders hatte sich die Lage für Preußen gestaltet, das sich nach
seiner bisherigen Vereinsamung nun plötzlich von allen Seiten umworben sah.
lind es gehörte ein weitgehender guter Wille Napoleons dazu, die stark an Vor¬
bedingungen geknüpfte, rein formelle Zustimmung Bismarcks zu dem Kongre߬
vorschlag als Annahineerklärung aufzufassen und daraus eine außerordentlich
freundliche Haltung Preußen gegenüber abzuleiten, die diesem nur willkommen sein
konnte. Dadurch ließ sich aber Bismarck in seiner Selbständigkeit nicht beein¬
trächtigen, er lehnte aufs bestimmteste ab, als Napoleon unter Aufnahme einer
früheren Anregung Bismarcks einen „beschränkten" Kongreß vorschlug.

Von diesem Augenblick an tritt auch in den hier vorliegenden Akten das
Zusammenwirken der beiden Mächte immer deutlicher hervor. Am 28. Dezember
beantragten Preußen und Österreich beim Bundestag, wo sie sich so oft als Rivalen
gegenübergestanden hatten, „Dänemark aufzufordern, die allgemeine Verfassung
vom 18. November endgültig zurückzuziehen (die das Einverleiben des Herzogtums
Schleswig bestimmte) und ihm zu erklären, daß der Bundestag, geleitet durch das
Gefühl für sein Recht und seine Würde, sich im Fall einer Weigerung genötigt
sähe, die notwendigen Maßregeln zu ergreifen, um sich durch eine militärische
Besetzung dieses Herzogtums eine Bürgschaft für Erfüllung seiner gerechten An¬
sprüche zu verschaffen". Und die Wirkung konnte nicht ausbleiben, als beide
Mächte am gleichen Tage — am 31. Dezember — dem französischen Gesandten
erklärten, daß sie gewillt seien, am Londoner Vertrag festzuhalten, daß aber


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/594>, abgerufen am 29.12.2024.